Manische Bilder – Possession (F/BRD 1981)

Mark (Sam Neill) sitzt im Schaukelstuhl. Unaufhörlich wippt er und starrt vor sich hin. Er starrt und scheint nicht loslassen zu können. Sein Geist dreht sich und er starrt. Starrt wie ein Verrückter. Doch es ist nicht Wahnsinn, der aus diesen Augen spricht, oder schlechtes Schauspiel, sondern es ist Manie. Er tobt, schreit und peinigt jemanden geistig. Fiebrig gibt er sich seinen Gefühlen hin. Mark wird überflutet von Hass, Unverständnis, Liebe, Rachegelüsten … alles rast, so dass er erstarrt … in seinem Stuhl, mit seinem Blick.

Doch nicht nur Mark wird von seiner Manie fortgeschwemmt. Possession ist berauscht und verliert sich in seiner Phantasie, seiner Paranoia. Aus jeder Pore schwitzt es schreckliche Möglichkeiten, welche die Macht haben, alle Sicherheit hinweg zu nagen. Mark kommt von einer Geschäftsreise wieder und seine Ehe liegt in Trümmern. Seine Frau Anna (Isabelle Adjani) verlässt ihn ohne jegliche Informationen. Sie möchte sich nicht mehr mit ihm auseinandersetzen, sondern einfach nur noch verschwinden. Und er überlässt sich seiner Vorstellungskraft. Eine irrsinnige Welt bricht über ihn hinein, in der alle Potentiale des Schreckens wahr werden. Regisseur Andrzej ?u?awski reißt jede Verbindung zu rationalen Realitäten ab. Manie fällt über alles und jeden her und verbeißt sich in sie.

Die erste Phase der Trennung wirkt wie ein Heroinentzug. Scheinbar von seiner Liebe, seiner schrecklichen, alles konsumierenden Liebe geheilt, nimmt Mark das Ruder in die Hand. Er ist auf Rache und Klarheit aus. Doch der Wahn lässt ihn nicht los. In Form einer unsicheren, ständig wiederkehrenden Anna, die so unberechenbar handelt, dass jede Klarheit wie Sand zwischen den Händen zerfließt … zwischen den Händen von Mark und dem Zuschauer. Sie kommt wieder und will sich um ihren gemeinsamen Sohn kümmern. Doch ihre Blicke wandern irre umher, sie hetzt von Nervosität getrieben durch die Wohnung. Am Ende stehen hysterische Auseinandersetzungen, Raserei und Geschrei zwischen einer Frau, die ihr altes Leben nicht mehr erträgt, und einem Mann, der nicht verstehen will oder kann, dass seine Liebe nicht mehr erwidert wird … und dass es keine rationelle Erklärung dafür gibt. Possession zerlegt Marks Leben, nein seine Welt in einen Trümmerhaufen.

Mark sucht aber weiter nach Sicherheit. Er findet Liebhaber. Annas Liebhaber, die ganz von seiner Phantasie gezeichnet werden. Heinrich, der neurotische Künstler, der erst unbezwingbar scheint. Mit all seinen Büchern und seiner Kampfkunstfertigkeiten. Der aber nur noch lächerlich ist, sobald Mark klar wird, dass Anna bei einem sexuell übermächtigen Phantasma mit acht Armen/Penissen Zuflucht nimmt. Der Oktopus als liebestolles Wesen, wie es nicht von ihm zuerst ausgedacht wurde (siehe hier). Er findet aber auch das Spiegelbild seiner Frau. Eine Doppelgängerin, die alle guten, vielleicht nie dagewesenen Züge von Anna vereint. Einen Engel, der ihm Hoffnung gibt. Doch all diese Funde einen die Welt nicht mehr. Sie lassen das Fieber nur mehr anschwellen und die paranoiden Zwangsvorstellungen nur schneller laufen. Überbordent verrennt sich dieses Phantasmagorium in unzähligen Sackgassen.

Die Erfahrungen seiner realen Scheidung verarbeitet ?u?awski in einem flirrenden Fiebertraum. Die Kamera ist manisch, die Figuren sind manisch, der Ton ist manisch. Alles ist meilenweit entfernt von gutem Filmemachen. Die zwanghaften Kamerafahrten, die Schreie, das Blut und andere Körperflüssigkeiten … nirgends wird Zuflucht geboten. Vielleicht ist Possession ein fürchterlicher Film, vielleicht ist das aber auch nur eine Perspektive, um ihn auf Distanz zu halten. Wer sich auf ihn einlassen kann, findet süßes Unbehagen, denn er schlägt tief. Körperlich erfahrbar werden all die Blicke, die beklemmenden Situationen, das unwürdige Verhalten. Kreischen, flehen, schreien, all das Erbärmliche, was tendenziell aus achtbaren Filmen verdrängt wird, als overacting gebrandmarkt, kehrt hier wieder und nimmt keine Gefangenen.

Vor allem aber ist es Druck, der überall zu spüren ist. Anna fühlt sich von Mark eingeengt und verfolgt. Mark wir eingezwängt von Gefühlen von Minderwertigkeit, durch das Verlassenwerden. Der Film spielt in Berlin und die Mauer ist regelmäßig zu sehen. Soldaten stehen auf ihr und beobachten das Treiben. Die Paranoia und der Verfolgungswahn drücken als Alp auf alles hernieder. Am Ende spiegelt ?u?awski seinen nicht minder verschrobenen (ver-rückten) Debütfilm „Ein Drittel der Nacht“ (Trecia cz??? nocy) und damit bessere Zeiten seiner Ehe. Es ist ein irrationaler Versuch einer religiösen Kommunion, des Abwerfen der drückenden Last des Seins durch Verklärung. Doch es folgt keine Erlösung. Bestenfalls reicht der Wahn über Possession hinaus.

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