Grabrede für das Grauen – L’ultima orgia del III Reich (I 1977)

Es gibt keine richtige Subjektivität ohne die Vorstellung, dass ich aus
einer anderen Perspektive betrachtet bloß ein Stück Scheiße bin.

(Slavoj Žižek)

Leser! Cineasten! Von Google-Gestrandete! Hört mich an: Begraben will ich L’ultima orgia del III Reich, nicht es preisen. Wenn Filme ernste Tatbestände nicht kultiviert darstellen, dann wird das ihnen häufig nachgetragen. Sie seien Trash, stumpf oder ungebührliche Machwerke. Die spannenden, faszinierenden Aspekte werden mit ihnen oft begraben. So sei es auch mit L’ultima orgia del III Reich! Filme wie Schindlers Liste haben euch gesagt, wie schrecklich die Verbrechen der Nazis waren. Den Opfern der Konzentrationslager wurde so ein gebührliches Denkmal gesetzt, das ihnen wenigstens Ehre erweist, nachdem ihnen damals jede Menschlichkeit verwehrt wurde. Exakt wird die grauenhafte Realität porträtiert. Auf Klamauk, billige Verallgemeinerungen oder reißerische Lüsternheiten wird zum Glück verzichtet. L’ultima orgia del III Reich begeht fast alle diese Fehler und das ist ein schweres Vergehen. Schindlers Liste hingegen ist ein ehrenwerter Film.

Vieles kann Schindlers Liste vorgeworfen werden. Er sei zu kitschig, die Nazis zu sehr als Ausnahme in der guten Menschheit porträtiert oder, wie Michael Haneke (seinen verbohrten Snobismus unterstreichend), er sei ein billiges Produkt für naive Amerikaner. Das stimmt vielleicht sogar alles. Schindlers Liste ist naiv und bewahrt sich so den größtmöglichen Grad an Unschuld im Angesicht solcher Verbrechen. Diese Unschuld ist L’ultima orgia del III Reich völlig fremd. Wer ihn anschaut, findet sich im Herzen der Verderbtheit wieder. Diese Phantasmagorie suhlt sich in der Verkommenheit. Es beutet Niederträchtigkeiten begierig aus, um den Zuschauer zu schocken, ihn anzuwidern. Das Grauen macht er zum Objekt einer perversen Peepshow, die auf die Geilheit der Zuschauer zählt. Vergewaltigung, Folter und Mord werden von sadistischen Wahnsinnigen ausgeführt … in diversen Variationen. Im Grunde ist L’ultima orgia del III Reich eine einzige große Widerlichkeit. Schindlers Liste hingegen ist ein ehrenwerter Film. Ein wichtiges Mahnmal.

In schönen Bildern, die klar sind, ausdrucksstark, ohne Fremdschämpotential, wird das Leid in Schindlers Liste eingefangen. In größter Sorgfalt werden die Kulissen nachgestellt, so dass dem Zuschauer an der Authentizität der Trostlosigkeit keine Zweifel kommen. So wird die Verderbtheit der Schandtaten der Nazis für jeden klar verständlich. Anders als in L’ultima orgia del III Reich gibt es kaum Falschheit, wovon es im italienischen Film von Regisseur Cesare Canevari nur so strotzt. Schlechte Szenerien, schlechte Kostüme, schlechte Schauspieler verdeutlichen dort nicht nur die Knappheit des Budgets, sondern auch die Billigkeit des ganzen Ansatzes. Ein billiger Film wird eben nie mit der realistischen Darstellung verwechselt werden. Aus diesem Grunde ist Schindlers Liste, nicht wie L’ultima orgia del III Reich, ein ehrenwerter Film.

Das größte Übel ist aber, dass sich L’ultima orgia del III Reich den Geschehnissen aus der Sicht der Nazis nähert. In Rückblenden werden großenteils die Erinnerungen eines SS-Offiziers an seine Zeit im KZ wiedergegeben, wie er, seine Geliebte und andere SS-Angehörige Gefangene aufs Abartigste misshandeln und antisemitische Wahnvorstellung von sich geben. Rauschhaft ignorieren sie jedes Erbarmen und zeigen auf, wozu Menschen fähig sein können. Das alles ist je nach Verrohungsgrad des Zuschauers mehr oder weniger abstoßend. Aber immer wieder kehren zwischendurch die Bilder eines Sees zurück. Eine ruhige, warm glitzernde Idylle nimmt die Leinwand ein und glitzert über sie. Die Sehnsucht des Offiziers nach der guten alten Zeit springt auf den Zuschauer zu. Unkommentiert. So poetisch wie verführerisch inszeniert, dass sie vielleicht das Gefährlichste und Ekligste von  L’ultima orgia del III Reich ist. Nicht nur das Leid der Opfer oder die kleinen Heldentaten der offenen oder verdeckten Oppositionellen stehen im Mittelpunkt, sondern auch die morbiden Begierden eines Mannes, der sein Paradies gefunden hatte, in dem ihn niemand davon abhält, seinen perversesten Neigungen nachzugeben. Vielleicht. Und Schindlers Liste ist ein ehrenwerter Film, der zum Glück nur Sympathien für die Opfer hat.

Ich muss gestehen, dass ich Schindlers Liste erst ein einziges Mal gesehen habe. Vor vielen Jahren als er das erste Mal auf ProSieben lief und es eine riesige Diskussion gab, ob ein so ehrenwerter Film, ein so wichtiges Mahnmal von Werbung unterbrochen werden dürfte. Bis heute bin ich überzeugt, dass Werbung bei einem solchen Film eine noch größere Geschmacklosigkeit ist, als es Unterbrechungen eh schon sind. Interesse, diesen ehrenwerten Film wiederzusehen, habe ich aber nicht, weil ich nicht denke, dass er mir noch etwas zu sagen hat. Dass Nazismus, Faschismus, Progrome oder Massenmord, an wem auch immer, schlecht sind und hoffentlich nie wieder auftreten (vielleicht ein irrationale Hoffnung), sagt einem der gesunde Menschenverstand … was auch immer das heißt. Ich denke wirklich, dass Schindlers Liste ein wichtiger Film ist. Als Mahnmal tendiert er aber dazu, Menschen in süßlichem Mitleid und dem zweifelhaften Gefühl, dass jeder selbst in einer solchen Situation wie Schindler handeln würde, erstarren zu lassen.

L’ultima orgia del III Reich ist kein ehrenwerter Film. Zwischen all den Widerlichkeiten, zieht er einen verführerisch auf eine Seite, auf der niemand sein wollen sollte. Er kann einen anekeln und vor allem mit schrecklichen Dingen konfrontieren, die in einem schlummern, egal wie sehr sie verdrängt werden. Das vermittelte Bild der Menschheit ist schrecklich. Die Angst vor den Mitmenschen und den eigenen verborgenen Potentialen werden bis zur Schmerzgrenze ausgereizt. Horrorfilm und Melodrama gehen eine infernalische Verbindung ein. Im Melodrama kämpfen die Protagonisten gegen die Fesseln der Gesellschaft. Hier haben sie ausnahmsweise gesiegt und unterwerfen jeden, der ihrem Glück im Weg steht, machen jeden zum Werkzeug ihrer pervertierten Lust … und schmachten Jahre später nach ihrem verlorenen Paradies. Der Wahnsinn und das Dämonische ist menschlich wie unerträglich. Durch die Unfertigkeiten werden einem aber genügend Distanz geboten, um nicht von ihnen verschlungen zu werden (neben dem ambivalenten Melodrama um eine Lagerinsassin, aber das würde den Rahmen hier sprengen). „Man soll mit Filmen nicht die Welt retten wollen“ hat einmal jemand geschrieben. Nichts lag Cesare Canevari ferner. Stattdessen hat er einen schändlichen, erschreckenden, aber mitunter auch erschreckend schönen Film gemacht, der einem sehr viel über einen selbst sagen kann. Immer wieder.

ERSTER BÜRGER. O kläglich Schauspiel.
DRITTER BÜRGER. O jammervoller Tag.

 

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