Charles Boyers erster Film: L’Homme du large – Ein Mann der See (F, 1920)

L’Homme du Large

Charles Boyers Filmografie zusammenklauben heißt 56 Jahre Bewegungsbild-Evolution nachverfolgen, oder verkürzt gesagt, von Marcel L’Herbier bis Alain Resnais zu reisen, mit Zwischenstopps im Klassischen Hollywood-Kino, dem Ersten Goldenen Fernsehzeitalter und schließlich einem Coda in Vincente Minnellis letztem Film. Die Boyer’sche Schnittmenge mit besagter Evolution setzt bei dem ein, was als Première avant-garde oder Film-Impressionismus bezeichnet wird ((In Abgrenzung von der zweiten surrealistischen und der dritten dokumentarischen Avantgarde)), Filmemacher im Umfeld von Louis Delluc, darunter Germaine Dulac, Abel Gance und L’Herbier, welche den filmischen Ausdruck der Subjektivität über die Kontinuität der Story hoben.

Marcel L’Herbier führte Regie beim ersten professionellen Film-Engagement von Charles Boyer, der freien Balzac-Adaption L’Homme du large – Ein Mann der See über einen Vater, der sein Leben und seinen Sohn dem Meer verschreibt, ohne damit zu rechnen, dass besagter Sohn sich lieber den Verlockungen der Stadt hingibt. Im Gedächtnis ist L’Herbier vor allem dank der aufwendigen Art Deco-Abstraktionen in L’inhumaine – Die Unmenschliche (1924) und L’Argent – Das Geld (1928) geblieben, mit ihren “monumentalen Interieurs” (um mal Deleuze zu bemühen ((In “Das Bewegungs-Bild” schreibt Gilles Deleuze über L’Herbier im Kontext der französischen Schule der Nachkriegszeit und stellt beim Regisseur und dessen Kollegen “eine generelle Vorliebe für das Wasser, das Meer und die Flüsse” fest. In diesem Zusammenhang dürfte Jean Epsteins Seetang-Sammler-Drama Finis Terrae von 1929 für Deleuzes Ausführungen über “die Mechanik der flüssigen Körper” eher geeignet sein als der themenverwandte L’Homme du large. Beide bilden nichtsdestotrotz ein sehenswertes Double Feature. ))), in denen sich Designerkleider in Menschengestalt durch Türen für eine riesenhafte Einwohnerschaft bewegen. Vor einer Weile schrieb ich schon über sein famoses Filmstar-Melodram Le Bonheur aus den Tonfilmjahren.

L’inhumaine – Die Unmenschliche
L’Argent – Das Geld

Bei L’Homme du large lässt sich nachvollziehen, warum die französischen Filme der frühen 20er als impressionistisch beschrieben wurden. Die Felsen und Findlinge der Betragne ersetzen das Designer-Dekors von L’Herbiers späteren Stummfilmen, das Meer schnaubt oder predigt, je nachdem ob es der ängstliche Tunichtgut Michel (Jaque Catelain) betrachtet oder sein Vater. Der Mann namens Nolff (Roger Karl) hält den Wellen nach Michels Geburt das Baby entgegen. Er macht den Eindruck eines Abrahams des französischen Nordens, der seinem nautischen Gott manch Opfer bringen würde – und bringen wird.

Tochter Djenna (Marcelle Pradot), die ausschließlich von der Mutter erzogen wird, ist eine tüchtige Heilige. Demgegenüber wird Michel, dem Wesen nach mehr Kain denn Isaak, als seelisch deformiertes Produkt der einseitig väterlichen Erziehung angenommen. Er raucht heimlich die Pfeife des Vaters (!), hat Angst vor dem Wasser und wird die ganze Familie – vereinfacht gesagt – durch einen harmlosen Tanz ins Unglück stürzen. Die Sympathien des Szenarios scheinen bei Nolff zu liegen, dessen monomane Beziehung zum Meer zwar die Wurzel des familiären Übels sein mag, der aber immerhin die Opfer mit tragischer Erhabenheit schultert (und nur an Pfeifen nuckelt, die ihm gehören). Ein Flashback füllt die Geschichte aus und in der Gegenwart – Nolff lebt mittlerweile als Einsiedler – wird der graue Schädel des Seemanns in Klippen geschlagen, auf denen ein hölzernes Kreuz steht.

Nolff treibt es zu weit, aber, aber, aber sein Sohn erst!

L’Homme du large – Ein Mann der See
L’Homme du large – Ein Mann der See
L’Homme du large – Ein Mann der See
L’Homme du large – Ein Mann der See

Der Sohn, ein Bündel schlechter Eigenschaften, fläzt häretisch in der kargen Landschaft. Er fürchtet das Meer und klebt auf dem  Land, kauert auf dem Strand, ein Kiesel unter vielen, oder liegt auf den von Jahrtausenden des Winds und Wetters abgerundeten Steinen wie auf einer Chaiselongue. Bemerkenswerte Verrenkungen vollbringt Jaque Catelain eigentlich, wenn er es sich vor der Kamera in der widrigen Landschaft gemütlich macht, die nun gar nicht zur Ruhe einlädt, nur zum Schaffen und Schaffen. Sein Freund Guenn-la-Taupe (Charles Boyer) schlängelt sich derweil heran, um Michel auf den falschen Pfad zu locken: die Stadt. Boyer bildet in der kleinen Rolle den dunklen Widerpart zu Catelains sonnigem Jüngling, eine Art visuelle Charakterdynamik, der L’Herbier vierzehn Jahre später im Finale von Le Bonheur unter anderen Umständen nachspüren wird.

Das enthaltsame Küstenleben bildet die minimalistische Grundierung für L’Herbiers malerisches Verständnis des filmischen Bildes, das in L’Homme du large von Zwischentiteln, Überlagerungen und symbolisch aufgeladenen Bildmasken invasiert wird. Als seine Mutter nach einem harmlosen Tanz auf einem Volksfest zusammenbricht, blickt Michel mit vor Gier gefletschten Zähnen auf die jungen Leute, die weiter Spaß haben dürfen. Zumindest wenn man nach dem wahnwitzigen Bildausschnitt geht …

L’Homme du large – Ein Mann der See

Statt am Bett der Mutter zu wachen, sucht Michel einen vor Menschen berstenden Nachtclub auf. Ausgehend von der im Verlauf der Nacht vom Gelb ins tiefe Rot wechselnden Viragierung ist das Etablissement nur eine Hausnummer vom Fegefeuer entfernt. Eine lesbische Liebkosung musste L’Herbier dem Vernehmen nach vor der Veröffentlichung kürzen – und fügte sie später wieder hinein.

Michels lasterhaftes Leben ist ein Quell der Schönheit in L’Homme du large, je weiter ins Abseits sein Weg führt.

L’Homme du large – Ein Mann der See
L’Homme du large – Ein Mann der See
L’Homme du large – Ein Mann der See
L’Homme du large – Ein Mann der See
L’Homme du large – Ein Mann der See

Michel wird noch viel “tiefer” sinken, als nur Sinnesfreuden nachzugehen. Die tote Mutter, Knast, geklautes Geld und seine am Boden liegende “heilige” Schwester werden im Verlauf von L’Homme du large – Ein Mann der See auf der Habenseite vermerkt und der Vater nimmt drastische Konsequenzen.

Die Eigenart von L’Herbiers Film ist die visuelle Ambivalenz, die im Kontrast zum moralisch recht eindeutigen (und eindeutig langweiligen) Szenario steht. Den Bildern von Reinheit und Traditionsbewusstsein wohnt eine zugegeben strenge Schönheit inne. Michels ungelenkes Bemühen, sich in die Natur seiner Familie einzufügen, wie eine Nacktschnecke auf Asphalt, verschnörkelt diese kargen Bilder. Alle anderen scheinen einen Prozess der Kristallisierung zu durchlaufen, bis sie auch irgendwann aus dem Boden staken wie Findlinge. Und wenn das Amüsement auch in einem Verbrechen endet, dann erst nach dem neugierigen Blick unter den Tisch, wo Frauenhände Frauenknie tätscheln, eine gern gesehene Berührung in einem Film, der einen Sohn auf der Flucht vor dem Zorn seines Vaters bis weit hinaus aufs menschenleere Meer treibt.

L’Homme du large – Ein Mann der See

Bildrechte: Gaumont

Augen des Begehrens: Olivia de Havilland und Charles Boyer in Hold Back the Dawn (USA, 1941)

Charles Boyer in Hold Back the Dawn

“Rosemary DeCamp was the quintessential small-town American mother”, beginnt die IMDb-Bio der Darstellerin, deren Figur Berta Kurz in den Wehen und mit einer Notlüge auf den Lippen die Grenze der Vereinigten Staaten von Amerika überschreitet. Sie will ihr Kind im Büro des Einwanderungsbeamten Inspector Hammock (Walter Abel) gebären, auf dass es automatisch die amerikanische Staatsbürgerschaft erhält. Berta war eine der ersten Kinorollen von DeCamp. Zur kleinstädtischen amerikanischen Mutter schlechthin musste sie erst werden, genau wie Berta Kurz, deren Kind, deren Kindeskinder sich irgendwann das “amerikanische Buzzword schlechthin” erarbeiten würden, wenn sie denn über diese Grenze kommen, deren Schwelle 1941 quotiert war.

Olivia de Havilland spielt in Hold Back the Dawn von 1941 die amerikanische Kleinstadtlehrerin schlechthin. Emmy Brown heißt sie, ein schlichter Name im Vergleich zu den exotischen Georges und verheißungsvollen Anitas, die ihr über den Weg laufen werden in der mexikanischen Grenzstadt, wo die Quotierten Europas jahrelang auf Visa oder ein paar Wochen auf einen amerikanischen Ehepartner warten, um die Einreiseberechtigung zu erhalten. Wenn sie denn nicht die Hoffnung aufgeben. Wie diese Kapitulation vor den Umständen aussieht, definiert das Skript von Billy Wilder und Charles Brackett in Kürze. Eben ist das schäbige Hotel Esperanza, in dem der Rumäne Georges Iscovescu (Charles Boyer) unterkommen will, ausgebucht, da kreischt ein Zimmermädchen. Zimmer frei.

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Le Bonheur – Schießen Sie auf den Filmstar, Herr Boyer!

Le Bonheur (Happiness)
Le Bonheur

Es gibt eine Einstellung in Le Bonheur, der auf ewig unter der Titelverwandtschaft zu einem berühmteren Film von Agnès Varda leiden wird ((Ewige Suchmaschinenverwirrung ist Le Bonheur gewiss, auch weil er zeitnah zum im Englischen ebenfalls mit Happiness betitelten sowjetischen Film von Alexander Medwedkin erschien.)), welche seine widerborstige Seltsamkeit preisgibt. Da liegt ein anarchistischer Karikaturist auf dem Sofa eines Filmstars und schläft, vermutlich. Vermutlich, weil sein Kopf vom Bildausschnitt sauber abgetrennt wurde. Es besteht zugegebenermaßen kein Zweifel, dass er es ist, den die Diva beäugt. Lutcher ist die einzige Figur in Le Bonheur, die mit billigen Lederschuhen an den Füßen ungerührt auf dem Sofa eines Filmstars schlafen würde. Warum also wird der Kopf abgeschnitten, wenn nicht um der Spannung willen, warum ausgerechnet jener Kopf, dem in diesem Film durch Kamera und Beleuchtung penetranter gehuldigt wird als der Diva in seiner Handlung?
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Drei Übergänge in History Is Made at Night von Frank Borzage (USA 1937)

History Is Made At Night
History Is Made at Night

Das Tor zu den Vereinigten Staaten von Amerika ragt hinter dem  Rumänen Georges in Hold Back the Dawn (1941) auf. Er sucht nach einer willigen Amerikanerin auf trunkenem Feiertagsausflug in Mexiko, um sich in die Staaten einzuheiraten. Im Film des ehemaligen Art Directors von De Mille, Regisseur Mitchell Leisen, hat dieses Tor etwas von der verheißungsvollen Schwelle eines Filmstudios, Warner Bros. in Burbank oder M.G.M. in Culver City. Weiße Lettern auf schwarzem Grund, im Bogen lautet das Versprechen: U-N-I-T-E-D-S-T-A-T-E-S. Die Bühne, um sich selbst neu zu erfinden, oder wenigstens den Pass. In der Rahmenhandlung von Ketti Frings, adaptiert von Billy Wilder und Charles Brackett, schleicht sich Georges tatsächlich in ein Filmstudio, um einem Regisseur (gespielt von Leisen) seine wahre Geschichte zu verhökern, die wir danach in einem langen Flashback sehen werden.
Gesegnet mit einem dieser redundanten Wilder-Off-Kommentare, ohne die viele Filme leben könnten, genießt Hold Back the Dawn den Ruf, der Film zu sein, nachdem Wilder genug hatte, der also, nach dem er entschied, seine Drehbücher selbst zu verfilmen. Weil Leisen sich bei der Diskussion über Sinn und Unsinn einer Szene auf die Seite des Stars Charles Boyer geschlagen hatte (er war #TeamUnsinn). Aus dem deutschen Ex-Boxer Kurt Frings, auf dessen wahrer Geschichte die “wahre Geschichte” basiert, war im Verlauf der Adaption ein rumänischer Gigolo geworden, der mit einem französischen Akzent spricht, ein Hollywood-Migrant. Charles Boyer spielt diesen Rumänen, der in der blutjungen Lehrerin Olivia de Havilland seine Einreisegenehmigung in die U-N-I-T-E-D-S-T-A-T-E-S erkennt und zur Tat schreitet. Eine Rasur, ein sauberer Anzug, der melancholische Hundeblick, eine frühmorgendliche Überrumpelung, in der er ihr erst beim Schlaf zuschaut, um ihr nach Erwachen als romantischer Rattenfänger den Weg zum Standesamt zu säuseln – Georges legt für seine Einreiseerlaubnis seinen besten Charles Boyer auf, wie er in History Is Made at Night, Algiers und Love Affair zum Matinée Idol aufstieg. Bis zur schurkischen Metamorphose dieses Typs des Continental Lovers in Gaslight (1944) sollte es noch dauern.
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The Way We Were – Die rote Flut (1984)

Eine der faszinierendsten Eigenschaften des Mediums Film ist die Fähigkeit sich zu entziehen. Sprich, wenn ich von Filmen erzähle, als ob diese eine feste Ideologie oder ein klares Weltbild hätten, erzähle ich nur von meiner Sicht auf den Film. Dieser selbst kann gar nicht klar sein, weil er nur eine Ansammlung von Bildern, Worten und Tönen ist. Sie bieten Blickwinkel, viele davon denken die Zuschauer schon mit, es gibt Schlupflöcher, subversive Interpretationen, Unklarheiten. Eine eindeutige Botschaft ist so gesehen gar nicht möglich. So ist eine Diskussion auch überhaupt erst denkbar.

Die rote Flut steht im Ruf einer der größten Propagandastreifen der USA im Zeitalter des Ronald Reagan gewesen zu sein. Adjektive wie patriotisch, kitschig, dumm und vielleicht ein wenig selbstgerecht fliegen durch den Äther, wenn es um ihn geht. Eine klare Sache also, sollte man denken. Ihn vor Augen fand ich aber nur Ambivalenz, nichts als Ambivalenz. Der Film endet passend zum Klischee seiner selbst mit einer Steintafel, welche die Heldentaten der Protagonisten glorifiziert. Aber tut es Red Dawn? Ich weiß nicht.

Recht schlagartig bricht die Handlung gleich in der ersten Szene per Fallschirmjäger in ein Klassenzimmer ein. Sie fliegen vor den üppigen Fenstern vorbei, landen und bevor sich jemand entscheiden kann, was denn los ist, schießen sie auch schon auf Schüler und Lehrer. Später erfahren wir, dass es Teile der kubanischen und sowjetischen Truppen waren, welche ihre Eroberung der Westküste der USA starteten. Aus unserem Klassenzimmer retten sich jedenfalls ein paar Schüler in die Berge, von wo sie als Guerillatrupp gegen die Besatzer operieren. Und vielleicht war hier der Fall schon klar.

Komplexe und Paranoia liegen so schon in dieser Grundkonstellation. Von der restlichen Welt im Stich gelassen (Der Film beginnt mit Tafeln, die kurz den katastrophalen Zustand dieser fiktiven Zukunft in Stichpunkten zusammenfassen. Eine davon offenbart, dass die Grünen in Deutschland an die Regierungsmacht gekommen sind und keine Atombomben in Europa dulden.) müssen die USA alleine sehen, wo sie bleiben. Das Ergebnis ist Wild West inklusive weiten Landschaften, Wildnis, Pferden, umgehängten Patronengürteln und Lagerfeuern. Nur der Schnellere überlebt in dieser unwirtlichen Welt. Dass Patrick Swayze und sein kommunistisches Gegenüber sich beim finalen Shootout breitbeinig gegenüber stehen, ist nur das letzte i-Tüpfelchen.

Doch so sehr sich Red Dawn damals aktuellen US-amerikanischen Ängsten mit uramerikanischen Mythen stellt, so sehr bietet dies auch einen faszinierenden Perspektivwechsel. In einem Film, der in der Hochzeit der Vietnamaufarbeitungsfilme entsteht, finden sich bewaffnete US-Jugendliche einmal nicht militärisch überlegen an einem fremden Ort wieder. Sie sind jetzt auf der anderen Seite. Pauschal gesagt versetzt Red Dawn seine Protagonisten in die Position des Vietcong. Und so kategorisch wie John Milius Drehbuch den beiden Flügeln dieses Krieges ein moralisches Übergewicht verwehrt (touristisch statt sadistisch, ganz all-american, reisen die kommunistischen Soldaten durchs Land, während ein wiederkehrender kubanischer Offizier von (diesem) Krieg angeekelt zunehmend resigniert), so austauschbar scheinen am Ende die Seiten. Der (Kalte) Krieg sei nur die Entscheidungsschlacht zwischen den zwei größten Schlägern in der Schule, wird zu einem Zeitpunkt auf der amerikanischen Seite gesagt. Und so ist es vielleicht nicht allzu abwegig, dass Milius Vietnam in die USA packt, wo es eh in den Köpfen der Menschen rumspukt.

Die Zeit zum Weinen ist vorbei, jetzt ist die Zeit zum Handeln. Sagt zumindest ein Vater (Harry Dean Stanton) seinen Söhnen durch das Gitter des Konzentrationslagers hindurch, in welchem er festgehalten wird. Was soll er auch anderes sagen. In einem Film, der zu einer Zeit entsteht, als Cowboypräsident Ronald Reagan mit überwiegender Mehrheit gewählt wurde. Und was wurde nicht alles 17 Jahre später gesagt. Und sie, die jugendlichen Protagonisten wiederholen solche testosterongetränkten Weisheiten, nur um dann doch wieder in den Bergen zu sitzen und zu weinen. Denn wenn sie mal nicht gegen den Feind handeln, geben die heroischen Guerillakämpfer ein elendiges Bild ab. Sie streiten heißblütig oder diskutieren resigniert, ob es richtig sei, was sie tun. Die Actionszenen scheinen in voller Glorie, aber dazwischen gibt es nur gebrochene Seelen, aus deren Handlungen Hilflosigkeit und Wut zu sprechen scheinen. Einen Verräter stellen sie vor ein Erschießungskommando… wie teilweise ihre Väter vor den Erschießungskommandos der Kommunisten umkamen. Sie diskutieren wieder, was sie bei einem solchen Vorgehen vom Feind unterscheiden würde und nur der Hasserfüllteste drückt ab. Aber die Unschuld der Guten, die alles rechtfertigenden Gründe, nirgends tun sie sich auf und niemand schwingt sich zum Anwalt dieser Dinge auf. In diesen Rocky Mountains herrscht eher der Gringoherr der Fliegen.

Am Ende läuft es so vielleicht am ehesten auf Milius‘ altes Thema hinaus, dass der wahre Mann keinen Platz in dieser ignoranten Wirklichkeit hat. Er leidet, weil es für ihn, den Leoparden und den Adler, in dieser Welt der Geier, Schakale und Lämmer keinen Platz gibt. Wie haarige Kassandras sehen die Dirty Harrys, die Conans, die Roosevelts und Mulai Ahmed er Raisulis, was alles nicht stimmt, punktuell können sie auch männlich eingreifen, aber schlussendlich bleibt ihnen immer nur bitterer Edelmut… irgendwo zwischen Diensterfüllung und Rebellion. Weil es keinen Fluchtpunkt vor den herben Höhen der Männlichkeit gibt, bleiben sie allein und verloren.

Die Leoparden in Red Dawn scheinen aber nicht die Jugendlichen zu sein. Ihnen fehlt die Reife und außerdem sind sie zu sehr eine Gruppe, die einander braucht. (Wofür sie mit Zweifeln bezahlen müssen.) Der besagte kubanische Offizier und ein zwischenzeitlich mitkämpfender amerikanischer  Soldat nehmen die Position ein. Beide sind sie desillusioniert von ihren Nationen und können mit den Ideologien ihrer Seiten nichts anfangen. Gerade hier verwischen wie gesagt die Seiten, womit weite Teile des Films, wie auch immer jeder zu Milius Männlichkeit steht, einem Haufen Hilfloser überlassen wird. Und gerade so findet Red Dawn weder ein moralisches, noch ein inhaltliches Zentrum. Er entwickelt nie die Schlagkraft, die es für Propaganda braucht. Er verliert sich immer wieder im Kleinklein und im Chaos seiner Emotionen, bis zumindest mir schwindelig wird, weil ich keinen festen Punkt in all den Komplexen, in der Paranoia, in der Männlichkeit, in den Zweifeln, in der Action gegen den Feind, in all dem Dargebotenen finde. Und so ist die Steintafel am Ende vielleicht auch Sinnbild des Versuchs der Gegenwart Herr über die Ambivalenz der Vergangenheit zu werden. Aber so einfach war es nie.