Kontrapunkt: Trash VII

Es nimmt auch nach drei Monaten Trash-Pause kein Ende mit schlechten Filmen. Diesmal zur Ader gelassen: das SciFi- und Fantasygenre.

Batman & Robin (USA/GB 1997)

Batman goes Trash und Joel Schumacher ist schuld – so die langläufige (und auch meine) Kritikermeinung. Vom improvisierten Eishockeyspiel mit einem Diamanten und anderen absurden Actionszenen über hirnlose Gimmicks (die Bat-Kreditkarte) bis hin zu enormen Freiheiten zur Comicvorlage (Batgirl ist eben nicht eine Verwandte von Alfred): Diese knallbunte und verschwenderische Zerstörungsorgie ist in ihrer Blödsinnigkeit kaum zu ertragen. Dazu die wagemutige Entscheidung, den stets verschmitzt dreinblickenden George Clooney als Bruce Wayne zu besetzen und – seitens der Kostümdesigner – immer wieder dem Fetisch schriller Outfits zu erliegen, was Batman und Co. zum Finale hin innerhalb weniger Minuten vollkommen neue Anzüge beschert. In die lärmende Actionrevue passen die flachen Charaktere und extrem over the top künstlichen Setdesigns in Bildkadern fernab der Horizontalen allzu gut – nur leider nicht in ein rundes Gesamtbild.

Subject 20 – Horror im All (USA 1982)

Dieses Video (siehe Bildchen links) erstand ich vor gut 2 Monaten auf dem Flohmarkt in einer sachsen-anhaltischen Kleinstadt. Ebenso klein: das Budget des von Roger Corman produzierten B-Films, dessen rahmende Weltraumschlachten am Anfang und Ende zum Teil aus denselben Einstellungen bestehen. In der Kernhandlung dazwischen verschlägt es den Piloten Mike auf den Planeten Xarbia, wo in einer Gen-Forschungsstation ein Monstermutant geschaffen wurde, welcher natürlich irgendwann ausbricht und den Anwesenden nach dem Leben trachtet. Im Angesicht der Gefahr wird erst einmal ordentlich geknattert und ein anderes weibliches Geschöpf geht in die Sauna. Und das ist nicht das letzte Mal, dass grundlose Nacktheit untergebracht wurde, wenn das Viech in diesem unfassbar kröseligen SciFi-Trash gerade mal Schnetzel-Pause hat. Irgendwie ist dieser gewöhnungsbedürftig geschnittene und unlogische Schmarrn aber halbwegs spannend und sehr unterhaltsam – oder hat man woanders schon einmal einen „Metamorph“ nach Krebsgeschwürgenuss Blut kotzen sehen?

Star Force Soldier (GB/USA 1998)

Auch bei Jason Scott Lee fragt man sich, ob er ein Mutant ist. Schließlich liegen zwischen seiner Rolle des netten Mogli aus dem 1994er „Dschungelbuch“ und dem hässlich-depperten Muskelberg hier gerade einmal 4 Jahre. Die Hauptrolle spielt indes Kurt Russell als Elitesoldat ohne Gefühle, der durch eine Horde von Gen-Soldaten ersetzt wird und auf einem Müllplaneten „entsorgt“ wird. Dort steht er den Bewohnern beim ersten Kampfeinsatz ebendieser Gen-Soldaten, die sie grundlos töten sollen, bei. Bei den ganzen ernsten Minen und der betonten Wortkargheit von Kurt Russells harter Kämpferfigur bleibt unfreiwillige Komik um Kontaktaufnahme durch Knurren, Verwunderung ob aufkeimender Menschlichkeit (Tränen – woher?) oder Vergleich von AQs (Agressions-Quotienten) nicht aus. Trashiges Highlight bei diesem brutal-dumpfen, aber effekttechnisch soliden SciFi-Actionkrawall: der mit Zeitlupen und plötzlich einsetzenden Regen überstilisierte Endkampf zwischen Russell und Lee. Ach ja: Jason Isaacs’ Schmierentheater als fieser Gensoldaten-Befehlshaber, der sich als Weichei entpuppt, sollte man auch erwähnen.

Kontrapunkt: Geheimtipps aus 3 Dekaden

Während dem ein oder anderen Leser ein „Na, den kenne ich doch!“ über die Lippen kommen dürfte, wird das bei der Mehrzahl bei den hier vorgestellten Filmen sicherlich nicht der Fall sein. Sollte es aber!

Mein Freund Harvey (USA 1950)

Elwood P. Dowd hat einen riesigen unsichtbaren weißen Hasen namens Harvey zum Freund, der ihn auf Schritt und Tritt verfolgt und seine Schwester dazu veranlasst, ihn in eine Anstalt einweisen zu wollen. Heitere Missverständnisse sind die Folge und Zweifel (engl. „doubt“) an dem geistigen Zustand der Mitmenschen von Elwood sind angebracht, wenn seine besorgte Schwester, Ärzte oder Pförtner ihre Spleens bei turbulenten Verwicklungen offenbaren. Großartig: James Stewarts unnachahmlich verträumter Blick und seine galante Art – mal ganz abgesehen davon, dass er hervorragend spielt und mit seinem unsichtbaren Co-Star formidabel harmoniert. Ein vergnügliches Plädoyer für mehr Toleranz und das Recht der individuellen Persönlichkeitsentfaltung.

La Bête – Die Bestie (F 1975)

Eigentlich ist die bewegte deutsche Zensurgeschichte um Kürzung, Indizierung und schließlich doch erfolgter Freigabe interessanter als die des Films, in welcher eine amerikanische Frau den Sohn eines verarmten französischen Adelsgeschlechts mit mysteriöser Vergangenheit ehelichen soll. Interessanter die Allegorie auf den animalischen menschlichen Sexualtrieb, welche Regisseur und Autor Walerian Borowczyk mit zahlreichen Motiven und Symbolen (Gemälde, Schnecken, omnipräsente Libido) kontinuierlich durchhält und in die berüchtigte Traumszene, in welcher eine Adlige von einem lüsternen Biest verfolgt wird, münden lässt. Beeindruckend fotografiert und ekstatisch inszeniert kommt dabei nie der Eindruck einer lüsternen Männerfantasie, wohl aber der eines hintersinnigen erotischen Kunstwerks auf. Eine analytische, umfangreichere Besprechung des Films folgt demnächst bei MovieMaze.

Express in die Hölle (USA/Israel 1985)

Einen Actionthriller ohne laute Schießereien gibt es nur selten. Noch seltener, wenn darin Haupt- und Nebendarsteller für den Oscar nominiert werden und Akira Kurosawa die Vorlage fürs Drehbuch lieferte. So geschehen bei dem vom Publikum verkannten Meisterwerk „Runaway Train“, in welchem der rücksichtslose Manny (Jon Voight) und der leicht debile Buck (Eric Roberts) aus einem Hochsicherheitsgefängnis in Alaska ausbrechen und bei ihrer Flucht auf einen Zug geraten, dessen Lokführer einen tödlichen Herzanfall erleidet. Der Zug gerät außer Kontrolle, gewinnt zunehmend an Geschwindigkeit und wird zum wilden, tödlichen Tier. Eine Analogie, die in dieser packenden Studie um den unbändigen Überlebens- und Freiheitstrieb des Menschen noch öfter aufgegriffen werden soll. Insbesondere im von Regisseur Konchalovsky mit russischem Schwermut und Inbrunst inszenierten Finale, wenn sich der unerbittliche Manny und seine Nemesis, der despotische Gefängnisdirektor, im Angesicht des gemeinsamen Todes gegenüber stehen.

Kontrapunkt: Wenn man Fußball scheiße findet…

… hat man momentan nicht viele Optionen. Schließlich kann die WM ungleich der schwarz-gelben Kindergarten-Koalition nicht durch vorgezogene Neuwahlen eher enden als bisher festgelegt (11. Juli). Hier aber ein paar alternative körperliche Ertüchtigungen im Sportfilm abseits des runden Leders:

An jedem verdammten Sonntag (USA 1999)

American Football. Von einem von Verletzungspech profitierenden und schnell zum Superstar hochgejubelten Ersatzspieler (Jamie Foxx) und der geldgeilen Managerin (Cameron Diaz) werden die antiquierten Trainingsmethoden und Taktiken eines Chefcoach-Urgesteins (Al Pacino) infrage gestellt. Daraus entspinnt sich ein packendes Drama um die Kommerzialisierung des Profisports, bei der die Gesundheit der Spieler riskiert wird und Männer wieder lernen müssen, dass sie nicht als Einzelgänger, sondern nur als Team große Leistungen erbringen können. Die Football-Szenen sind packend, doch Oliver Stones Film funktioniert hauptsächlich über den Overkill schneller Bilderfolgen, wo aus Aussprache zwischen Spieler und Trainer schon einmal durch zwischengeschnittene „Ben Hur“-Schnipsel eine Parabel auf Machtverhältnisse und Selbstbehauptung wird. Manchmal etwas over the top (der Soundtrack-Mix nervt), aber gut gespielt und wuchtig inszeniert. Ach ja: den ein oder anderen entblößten muskulösen Männer-Po gibt’s auch zu sehen.

Die Stunde des Siegers – Chariots of Fire (GB 1981)

Laufen. Die Verfilmung der wahren Geschichte zweier britischer Sprinter, die bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris in ihren Disziplinen jeweils Gold holten. Der Eine, Eric Liddle (Ian Charleson) ist streng gläubiger Christ und läuft, weil es seine Leidenschaft ist, der Andere, Harold Abrahams (Ben Cross), läuft, weil er jüdischer Abstammung ist, damit etwas in seinem Leben leisten und Anerkennung haben will. Doch bevor es nach Paris geht, treten sie nach langem, aber wohl historisch belegtem Vorgeplänkel gegeneinander an. Unzugänglich bleiben beide distanziert agierende Hauptdarsteller und der glänzend fotografierte und ausgestattete Film lässt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem sportlichen Leistungswillen oder dem angedeuteten Antisemitismus vermissen. Stattdessen durfte sich Komponist Vangelis mit einer seiner bekanntesten Melodien neben dem ansonsten ziemlich monotonen 80er-Jahre-Elektronikgedudel einen von insgesamt 4 Oscars abholen. Ein Film, der vordergründig ein Stück Sportgeschichte nachzeichnet und von dem eine faszinierende Strahlkraft ausgeht, der dabei aber hinter dieser Fassade nicht tiefer schürft. Eigentlich schade drum.

Weiße Jungs bringen’s nicht (USA 1992)

Basketball. Der klamme White Trash-Boy Billy Hoyle (Woody Harrelson) und das ständig pöbelnde Großmaul Sidney Deane (Wesley Snipes), beide Basketballasse, tun sich zusammen, um auf den Plätzen der Stadt bei Geldwetten andere Spieler abzuziehen. Das geht eine Weile lang gut, bis Billy alles verzockt und ihm und Freundin Gloria (Rosie Perez) die Schuldeneintreiber im Nacken sitzen, die nicht mit sich spaßen lassen. Neben einigen Basketballspielen und –tricks in Zeitlupe lebt der Film von seiner lärmenden, aber köstlichen Komik: Wenn sich Billy und skurrile Gloria streiten, nur um kurz danach über sich herzufallen oder Sidney auf dem Platz die Mütter anderer Spieler beleidigt, bleibt kein Auge trocken. Da sieht man auch über den allzu simplen Plot großzügig hinweg. Eine manchmal anstrengende, aber durch seine authentisch anmutenden Figuren sympathische Sportkomödie von Ron Shelton, die im Gegensatz zu seinem „Tin Cup“ nie Gefahr läuft, zur egomanen One-Man-Show zu mutieren.

Und für alle, die jetzt noch nicht genug haben: Filmstarts hat ein noch etwas größeres Sammelsurium von Sportfilmen abseits des Fußballs zusammengestellt.

Kontrapunkt: Eine Höhlenexpedition in die weibliche Seele

Nachdem mir vergangene Woche mit High Lane – Schau nicht nach unten! ein eher mediokrer Genrebeitrag über den Weg lief, der bei The Descent – Abgrund des Grauens viel abkupferte und wenig selbst erfand, bekam ich Lust, den noch einmal zu schauen. Dieses Mal darauf achtend, fiel mir dabei die in Horrorfilmen beinahe schon typische Kodierung der Frauenfiguren ebenso ins Auge wie das Maß, in welchem „The Descent“ darüber hinausgeht. Klar, vordergründig betrachtet bleibt am Ende auch hier die Traumatisierte, die sich im richtigen Moment als clever und wehrhaft entpuppt, übrig, und Dummheiten (Karte absichtlich im Auto liegen lassen, tsts) werden bestraft, doch offenbart sich hinter diesem Standardrepertoire im Subtext eine tiefere Bedeutungsebene. Diese möchte ich versuchen offenzulegen, doch zugleich der Hinweis: Abgeschlossen ist die Deutung des Films damit nicht, sondern dies ist lediglich eine Interpretationsmöglichkeit. Lesern, die den Film noch nicht gesehen haben, sei dieser Text dabei aufgrund zahlreicher Spoiler nicht ans Herz gelegt.

Betrachtet man die Figurenkonstellation in „The Descent“, so wird schnell klar, dass sich zwischen den weiblichen Protagonisten gleich zu Beginn ein Konfliktherd auftut. Dieser besteht zunächst nur zwischen Sarah (Shauna Macdonald) und Juno (Natalie Jackson Mendoza). Sarah hat bei einem Unfall ihren Ehemann Paul und ihr Kind verloren, Juno hat sie bei der Trauer gleich danach ziemlich schnell allein gelassen. Dieser Konflikt wird später noch verschärft, als Juno bei einem Angriff der Mutanten aus Versehen Beth (Alex Reid) tötet, diejenige der sechs Frauen umfassenden Höhlenexpeditionsgruppe, welche Sarah damals – vor einem Jahr – am meisten beigestanden hat. Beth ist es auch, die Sarah aus einem einstürzenden Schacht zieht, sie nicht allein lässt. Dem Einsturz dieses Schachts geht jedoch ein schlüpfriger Witz Beths unmittelbar voraus („Wie bringt man eine Zitrone zum Orgasmus?“). Aus dieser Thematisierung des Sex, und sei es auch nur scherzhaft, resultiert das Hereinbrechen des Unheils in Form der nicht ausgelebten Libido. Selbiges gilt auch für den Autounfall zu Beginn, bei dem Sarah Ehemann und Kind verliert. Sarah spricht mit ihrer Tochter auf der Rückbank unmittelbar vor dem Unfall darüber, dass sie doch auch einmal Jungs zu ihrer anstehenden Geburtstagsfeier einladen könne, der geistesabwesend wirkende Paul denkt über seine unterdrückten Gefühle für Juno nach. Bezeichnender Weise werden Paul und Tochter bei dem Unfall von phallusartigen Metallstangen durchbohrt. Diese sexuelle Aufladung kann in beiden Fällen also nicht ohne Konsequenzen geduldet werden.

Fortan, mit dem Tod ihres Kindes, hat Sarah immer wieder surreal erscheinende Träume von ihrer Tochter, wie sie die Kerzen ihres Geburtstagskuchens auspustet. In Sarahs Gedanken ist sie real. Doch in den Mutanten in der Höhle, die dem weiblichen Sextett nach dem Leben trachtet, scheint ihre Tochter eine pränatale Manifestation im Realen gefunden zu haben. Diese Mutanten sind „unvollständig“, können nicht sehen, ihr Körper scheint nicht fertig geformt. Sie gleichen ungeborenen Kindern, Föten, die im wahrhaftigsten Sinne nie das Licht der Welt erblickt haben. Sie leben in einer feuchten Höhle, gleich dem Bauch ihrer Mutter. In diese Höhle dringen die sechs Frauen während ihrer Höhlenexpedition ein und greifen in das Leben der Mutanten, sozusagen der „Ungeborenen“ ein, die endlich die Möglichkeit sehen, sich an ihnen zu rächen, gegen die „Abtreibung“ zu wehren. „Abtreibung“ kann dabei sowohl mit dem Tod von Sarahs Tochter (durch Sarahs sexuell aufgeladenen Dialog; so verschuldete sie indirekt den Unfall) als auch mit dem emanzipierten Lebensstil der Frauen konnotiert werden. So bleibt das lesbisch aufgeladene Verhältnis zwischen der letztlich in ihrer Libido unbefriedigten Juno (schließlich ist der begehrte Paul tot) und der burschikosen Holly (Nora-Jane Noone) ungeklärt, aber schwingt latent über den gesamten Film hinweg mit.

Juno ist es auch, die ihr Im-Stich-Lassen Sarahs bei der Trauerarbeit wieder gut machen und dafür sorgen will, dass diese ihr Trauma nach einem Jahr durch die gemeinsame Höhlenexpedition endlich überwinden kann. Doch Sarah kann nicht über ihre Trauer hinwegkommen, sie nimmt immer noch Tabletten und ist gebrochen. Als sie schließlich in der Höhle im Angesicht der Bedrohung durch die Mutanten herausfindet, dass Paul und Juno mehr füreinander empfunden haben („Love every day“-Kette), schlägt dieser psychisch fragile Umstand in Todessehnsucht und blinde Zerstörungswut um. Hätten beide Frauen zusammen unter Umständen gegen die Rache der „Ungeborenen“ bestehen können, so rammt Sarah Juno schließlich aus Rache einen Haken ins Bein, der sich fluchtunfähig werden lässt und verlässt sie. Sarah hat indes mit ihrer Schuld den „Ungeborenen“ gegenüber abgeschlossen, verspürt nur noch Hass gegen sie und sich selbst. Auffällig: Sie fällt auf der Flucht vor einem weiblichen Mutanten in ein riesiges Loch, welches aufgefüllt ist mit dem Blut der Opfer. Sarah besinnt sich ihrer Menstruation, ihrer Fruchtbarkeit, ihrem Recht auf Selbstbestimmung (auch gegen ihre Rolle als Mutter) und sagt der Unterdrückung (Tod) ihrer Auffassung von Weiblichkeit den Kampf an. So träumt sie ein letztes Mal von ihrer Tochter, als sie sich damit abgefunden hat, dass dieser Kampf, das Beharren auf Selbstbestimmung, nur den eigenen Tod bedeuten kann, weil sie sich mit ihrem Innersten der Weiblichkeit (die Höhle als Analogie zum Uterus) konfrontiert sieht. Eine Verweigerung und ein Kampf gegen die eigene Natur, ihre eigene Sexualität und Libido, den sie nicht gewinnen kann.

Das ist nur eine in der Filmkritik oftmals angerissene, aber selten ausdeklinierte Deutungsweise des Films, der abgesehen davon ein ziemlich spannender, klaustrophobischer und ziemlich fieser Horrorthriller geworden ist. Für Freunde des Genres also ein klarer Tipp!

Kontrapunkt: Film vs. Buch – Traumnovelle/Eyes Wide Shut

Insbesondere Georg Seeßlen hat in seinem Kubrick-Buch Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ und dessen Verfilmung, Stanley Kubricks Eyes Wide Shut, sehr intensiv und reich an der sich aufdrängenden psychoanalytischen Deutung (Schnitzler und Freud waren Wiener Zeitgenossen) herausgearbeitet. Aus diesem Grunde sollen sich meine Ausführungen auf eher formale wie inhaltliche Kriterien des Vergleichs beschränken.

Zunächst einmal ist zu erwähnen, dass Kubrick Schnitzlers literarische Vorlage, deren erster Entwurf von 1907, seine Veröffentlichung in seiner fertigen Form von 1926 datiert, aktualisierte. Pferdekutschen und Kerzen sind Taxen und elektrischem Licht gewichen. Auch der Ort des Geschehens wurde verändert: aus Wien wurde New York, gedreht größtenteils in London. Die Hauptfiguren wurden entsprechend anders benannt, aus Fridolin wurde Bill (gespielt von Tom Cruise), aus Albertine Alice (gespielt von Nicole Kidman). Und doch sind die Figuren in ihrer Charakterisierung gleich: Hier der anständig erscheinende, in der Ehe scheinbar glückliche Arzt, dort die unbefriedigte Hausfrau, die Bill eines schicksalsträchtigen Abends von einer Beinahe-Urlaubsaffäre erzählt. Die Entfremdung der Eheleute bricht in dieser Szene zu Tage, während Alice dem fassungslosen Bill ihren gedanklichen Ehebruch, ihren Ausbruch aus den Fesseln ihrer unterdrückten Lust gesteht. Im Buch heißt es: „Zu allem glaubte ich mich bereit; dich, das Kind, meine Zukunft hinzugeben, glaubte ich mich so gut wie entschlossen, und zugleich – wirst du es verstehen? – warst du mir teurer als je.“ ((Arthur Schnitzler (2005): „Traumnovelle“ (inklusive „Die Braut“) Reclam. S. 14.)) Sie überkommt das unbekannte Triebverlangen, was in ihr schlummerte, welches er nicht befriedigen kann. Dankbar für einen Anruf, hat Bill die Möglichkeit, dieser unangenehmen Situation zu entgehen – vorerst. Er wird zu einem Toten gerufen, mit der Liebe einer bald unglücklich verheirateten jungen Frau konfrontiert, widersteht trotz Neugier einer Prostituierten und schließlich den Versuchungen eines mysteriösen Maskenballs.

Letzterer bildet den Kern von Kubricks Film, dem es besser gelingt, das Surreale von Schnitzlers Vorlage zu betonen als die Psyche der Figuren. Die Zeremonie in einem Herrenhaus, derer Bill als ungeladener Gast Zeuge wird, ist in Schnitzlers Vorlage, in welcher die Frauen Nonnenkleider und die Männer Mönchskutten tragen, die sie vor ihrem Näherkommen ablegen müssen, mit Symbolen stärker aufgeladen als in Kubricks Verfilmung, der diese Szenerie als sinnliches, mystisch aufgeladenes Tableau nackter Körper und buchstäblich gesichtsloser Fratzen inszenierte. Nach seinem Ertappen als Fremdling und der „Opferung“ einer Frau für ihn, fährt er schließlich nach Hause, wo er seine lachende Frau aus einem Traum erweckt. Diesen erzählt Alice Bill sogleich ausführlich. Dabei fällt die Version in der Verfilmung weitaus weniger psychoanalytisch aufgeladen und detailreich aus als in Schnitzlers Vorlage, wo die Unterdrückung der weiblichen Sexualität in der Ehe und die Aggression des erotischen Verlangens gegenüber dem sittlichen Ehemann, der seine Frau durch Geschenke zu besänftigen wie befriedigen sucht, offen ausbricht. Diese durch männliche Arroganz geprägte soziale Fürsorge trägt nur dazu bei, dass Sie in ihrer Unmündigkeit belassen wird ((Diese Ausführungen stammen vergleichend von Hartmut Scheible aus dem Nachwort zur „Traumnovelle“, (ebd., S. 116).)), wogegen Sie rebelliert. Während in der Traumerzählung des Buches abermals christliche Symbolik (Kreuzigung Fridolins) herangezogen wird, ist diese im Film nicht zu finden. Nur die Sehnsucht des Stillens der weiblichen Lust durch Gruppensex und die Bestrafung Bills, der zuschauen muss. Kubrick thematisiert dabei den Sex, indem er ihn grafisch zeigt (zahlreiche Sexszenen bei der Orgie), verfällt ihm aber nicht. Trotzdem wendet er sich damit von der auf Tiefenpsychologie und auf Andeutungen setzenden literarischen Vorlage plakativ ab und der filmischen Möglichkeit des Zeigens zu.

In der Folge tritt der Hass von Ihm gegen die im Traum ehebrecherische Sie im Buch heftiger zu Tage als im Film. Während Schnitzler von Hass spricht, mit dem Er Ihr aufgrund der erzählten Träume begegnet und den Besitzanspruch des Mannes auf die Frau betont, nimmt Bill in Kubricks Film diese Ausführungen abermals konsternierend hin. Sein „Ausflug“ ins Nachtleben wirkt eher wie eine Erörterung der Frage, ob auch er der Versuchung erliegen kann (und sei es auch real), nicht – wie bei Schnitzler – dem Verlangen danach, es der sündigen Frau heimzuzahlen.

Während Kubricks Film Schnitzlers Novelle über weite Strecken folgt, unterscheiden sich beide Werke jedoch nachdenkenswert in ihrer Auflösung. Während die Personalie der an einer Überdosis Verstorbenen im Buch nicht eindeutig geklärt wird (die „Retterin“ auf der ominösen Orgie?), breitet Kubricks Film eine endgültige Auflösung aus, die sich durch ein längeres Gespräch zwischen Bill und Victor (Sydney Pollack) bis auf den Anfang des Films – als Bill ihr schon einmal bei einer anderen Party begegnete und das Leben retten musste – zurück bezieht. Nach Bills Nachhausekommen und dem Vorfinden seiner verschwundenen Maske auf seinem Bett und seines anschließenden Geständnisses um die Ereignisse der letzten beiden Nächte, schließt sich im Film – der im Unterschied zur Vorlage um Weihnachten spielt – ein Besuch in einem Spielzeugladen an. Dialoge in Buch in Film sind dabei fast identisch, wenn es darum geht, dass Träume nicht nur Träume, Wirklichkeiten des Lebens nicht innerste Wahrheiten sind. Das Erwachen im Buch bedeutet wieder eine Rückkehr zur Intimität, zur Vertrautheit und Offenheit des Ehepaares untereinander. Im Film jedoch scheint noch etwas Anderes nötig, um die Entfremdung (vorerst) zu beseitigen: Sex. Evident: Das letzte gesprochene Wort im Film.

Obwohl Kubrick dabei tief in das Innenleben seiner Figuren eindringt, vermag er auch durch Gedankenbilder (Bills wiederkehrende Vorstellung des Ehebruchs seiner Frau) nicht gänzlich das auszudrücken, was Schnitzler mit Worten, die die Gedanken und Regungen von Ihm nachvollziehbar werden lassen, auszudrücken imstande ist. Bills Verhalten bleibt in den Absichten vieldeutig (will er seine Frau betrügen, hasst er sie?), während Fridolins Verhalten eindeutig ist (er hasst sie, will sie verletzen). „Eyes Wide Shut“ handelt „nur“ von Versuchungen und unerfülltem erotischen Verlangen, während bei der „Traumnovelle“ eine Kritik an der Dekadenz der Oberschicht und die Infragestellung religiöser Moralvorstellungen zusätzlich motivisch mitschwingt. Das lässt Kubricks Verfilmung vermissen, obwohl er einige Leerstellen der Vorlage (z. B. ist die Party-Szene gleich zu Beginn bei Schnitzler wenig ausgearbeitet) durchaus bravourös zu kompensieren vermag.