#159 – Forty Guns von Samuel Fuller (Western-Reihe)

In die legendäre Westernstadt Tombstone führt uns dieses Mal die Reise durch die Cowboy-Opern der 50er Jahre. Allerdings geht es in Forty Guns (Vierzig  Gewehre, 1957) nicht um Wyatt Earp und Doc Holliday. Vielmehr steht die Stadt unter der Herrschaft einer Großgrundbesitzerin (Barbara Stanwyck), als US-Marshall Griff Bonnell (Barry Sullivan) ankommt, um einen ihrer vierzig Gefolgsleute festzunehmen. Wie auf Basis dieser durchaus konventionellen Story ein enorm modern und verstörend wirkender Western wird, erkunden wir im Podcast. Viel Spaß!

Play

„#159 – Forty Guns von Samuel Fuller (Western-Reihe)“ weiterlesen

Bologna '09: Tag 2

Wiedereinmal ist es es Zeit, einen Blick zurück zu werfen auf das diesjährige Festival des wiedergefundenen Films in Bologna. Hier kann man alle Einträge darüber Revue passieren lassen.

The Bitter Tea of General Yen (USA 1933)

Frank Capras frühe Filme waren nicht gerade eine überwältigende Entdeckung beim Filmfestival in Bologna, ganz im Gegensatz zur Sternberg-Retrospektive im letzten Jahr. Selbst das Gefallen an Streifen, die weniger von den üblichen Capra-Mängeln befallen sind (man denke z.B. an schrecklich unglaubwürdige Happy Ends), wird häufig durch andere Störfaktoren vermindert. In “The Bitter Tea of General Yen” ist es die einfache Tatsache, dass der titelgebende Teetrinker mit dem nicht wirklich angelsächsisch klingenden Namen von einem schwedischen Hünen namens Nils Asther gespielt wird. Mit reichlich Make-up versehen gibt er den chinesischen General, der in den Bürgerkriegswirren eine holde Missionarin in seine prunkvolle Unterkunft entführt. Anfänglich abgestoßen kann diese sich der erotischen Faszination des ebenso kultivierten wie hartherzigen Warlords nur noch schwerlich entziehen. Den beiden Hauptdarstellern und Capras Sinn für tragische Lebens- und Liebesgeschichten ist es zu verdanken, dass “Yen” mehr ist als nur eine  (für die damalige Zeit) skandalträchtige Story mit einem ethnischen Handycap. Im Gegensatz zu ihrem Regisseur war Barbara Stanwyck die Entdeckung des Festivals. Die Spezialistin für gefallene Frauen meistert es mühelos, die widerstrebenden Gefühlswallungen in der zunächst prüden Frau glaubwürdig darzubieten. Asthers gefährlich anziehende Ausstrahlung lässt einen dann auch noch sein yellowface vergessen. Eindeutig einer der besten frühen Capra-Filme.

Abrechnung in Shanghai (USA 1941)

Fast alle Inhaltsstoffe sind zu finden: Geheimnisvolle Frauen, hysterische Frauen,  abgeklärte Frauenhelden, ein exotischer Schauplatz,  und kein einziges moralisches Vorbild weit und breit. Doch es fehlt etwas in diesem weniger bekannten Werk von Josef Von Sternberg. Die offensichtliche Wahl: Marlene Dietrich. Doch auch bevor diese zur Muse des Meisterregisseurs wurde, war sein Können in “The Docks of New York” oder “Unterwelt” voll und ganz zur Geltung gekommen. “Abrechnung in Shanghai” mutet trotz aller technischen Finesse (die Casino-Szenen sind ein Augenschmaus) wie eine Auftragsarbeit nach einem Burnout an. Wahrscheinlich hat Sternberg seine thematischen Obsessionen in den Dietrich-Filmen bis zum extravaganten Fantasy-Abschluss (“Die Scharlachrote Kaiserin”, 1935) schlicht an ihre Grenzen geführt. Vielleicht gab es nicht mehr zu erzählen. Wenig hilfreich ist es, dass außer Victor Mature (als Frauenheld natürlich) kein Mitglied der Darstellerriege irgendein Interesse an seiner gewissenlosen Figur zu beanspruchen in der Lage ist. Walter Huston (als Frauenheld) ist sogar eklatant fehlbesetzt. Die Dietrich hat sich von der langjährigen Zusammenarbeit künstlerisch offenbar besser erholt als ihr Entdecker.

Trommeln am Mohawk (USA 1939)

Classical Hollywood Cinema wie man es sich vorstellt: Zwei Stars (Henry Fonda, Claudette Colbert), aufwendige Kostüme, ein fabelhafter Regisseur (John Ford), Abenteuer, Liebe, lustige alte Damen und Herren mit lustigen Dialekten, Action, Tragik, amputierte Beine. Wer glaubt solch unterschiedliche Elemente würden kein homogenes Ganzes ergeben, hat noch nie ein Werk aus der Studiozeit gesehen. Ford gelingt es meisterhaft, eine geradlinige, einfache Story (ein frisch verheiratetes Paar zieht 1776 in die Wälder und wird von Indianern bedroht) mit einer mehr als nur patriotischen Bedeutungsebene zu untermauern (die kleine aus allerlei Nationalitäten bestehende Siedlergemeinde erwehrt sich gemeinsam gegen Eingeborene und Briten) und trotzdem große Unterhaltung abzuliefern. Fonda, der ein Großteil der Filmzeit damit verbringt, zu leiden, wirkt zwar ein bisschen blass. Als Entschädigung tritt jedoch Colbert auf. Immer wieder sieht sie ihre mühsam aufgebautes Heim in Flammen aufgehen, ihrem spirit tut dies aber keinen Abbruch. Sie ist das aussagekräftigste Gesicht in dieser idealisierten Kurzen Geschichte des Amerikanischen Gründungsmythos. Ziemlich reaktionär ist gerade der Umgang mit den “wilden” Indianern, aber was verzeiht man nicht alles einem Könner wie John Ford…

Mensch der Masse – The Crowd (USA 1928)

Der große burner (ein Hoch auf die deutsche Sprache!) war der zweite Tag in Bologna nicht gerade, aber am Abend gab es dafür die absolute Krönung. Erstens: “The Crowd” von King Vidor. Viel habe ich über diesen Stummfilm vorher gelesen. Kaum eine Darstellung der Kultur in den Roaring Twenties kommt ohne ihn aus. Doch kein Buch der Welt kann einem Film nahekommen, dem nicht mal Superlative und Ausrufezeichen gerecht werden. Ehe dieser Text in hilflose Aufzählungen von Adjektiven abgleitet, sei nur soviel angemerkt: “The Crowd” zeigt alles, was wir uns unter der großstädtischen Massengesellschaft vorstellen, aber das ist eigentlich nebensächlich. King Vidors Epos eines Menschenlebens ist ein Meisterwerk. Das reicht. “The Crowd” lief zweitens auf der stets überwältigenden Piazza Maggiore im Herzen Bolognas und drittens begleitet von einem Jazz Orchester. Der Mix aus Fusion, Soundeffekten und Songs aus den Zwanzigern ermöglichte ein einmaliges Stummfilmerlebnis, welches über die musikalische Untermalung durch Klavierspieler oder klassische Orchester hinausgeht, weil er wesentlich stärker Teil der Filmwelt selbst ist. Wunderbar.

Frau ohne Gewissen – Double Indemnity (USA 1944)

Da nicht jeder Mensch in seiner Jugend mit den Cahiers du Cinéma aufgepäppelt wird, verläuft die Entwicklung zum Cineasten meist auf einem holprigen, selbst auserkorenen Weg durch die Filmgeschichte. Bei mir läuft und lief das immer über Umwege, d.h. über die Verästelungen der Produktionsmachinerie, über Regisseure, SchauspielerInnen, Kameraleute usw. Ich habe z.B. irgendwann zum zweiten mal in meinem Leben “Dr. Seltsam” gesehen und war plötzlich arg begeistert. Daraufhin wühlte ich mich durch die umfangreiche künstlerische Hinterlassenschaft von Peter Sellers, entwickelte einen Faible für britische Filme der Fünfziger und Sechziger, entdeckte auf diesem Wege Michael Powell und Emeric Pressburger, David Lean, und schließlich Hal Ashby, um am Ende nach einer weiteren Sichtung von “Dr. Seltsam” die Stanley Kubrick -Box im örtlichen Müller zu erstehen. Umwege, wie gesagt. Alles aus dem Wunsch heraus nach einem  tiefgreifenden Kick die Sucht nach der Droge zu stillen, um es einmal reißerisch auszudrücken.

Mit Billy Wilder ging es nach dem gleichen Prinzip vonstatten. Nach der obligatorischen Sichtung von “Ein seltsames Paar” mussten natürlich Jack Lemmon und Neil Simon dran glauben und wer ersteren kennt, weiß, Wilder ist da nicht weit. Nur blieb die Reaktion… Ich sage es einmal so: Mehr als drei Filme habe ich mir von Wilder nicht angesehen und relativ schnell mit dem “China-Syndrom” weitergemacht. Womöglich sollte ich seinen (Tragik-)Komödien noch eine Chance geben, schließlich bleibt kaum ein Filmgeschmack über Jahre hinweg gleich. Das hoffe ich zumindest. Bis auf Manche mögen’s heiß hatte es mir Wilder jedenfalls nicht angetan, so dass sich seine Präsenz in meinem imaginären Filmtagebuch auf eine Fußnote belief. Später dann, aus einem längst vergessenen Grund, landete Sunset Boulevard in meiner Sammlung und irgendwie sah der ganz und gar nicht nach dem Wilder aus, der Lemmon und Tony Curtis in Frauenkleider stecken würde. Vielleicht lag es an der Geschichte über einen Drehbuchautor, der auf eine alternde Filmdiva trifft, die gerade dabei ist, die Beerdigung ihres Schimpansen vorzubereiten. Mit “Zeugin der Anklage” verhielt es sich – trotz der wesentlich konventionelleren Story – ähnlich und nun reiht sich Frau ohne Gewissen (OT: “Double Indemnity”) ein in die vorwiegend düsteren Werke des Wilder-Kanons, welche mich wenigstens belehrt haben, warum er als großer Regisseur gefeiert wird.

Dem Zuschauer sei es verziehen, wenn er bei Double Indemnity im nachhinein v.a. an drei Dinge denkt: Schatten. Eine Fußkette. Und Barbara Stanwycks blonde, schrecklich billig aussehende Perücke. Stanwyck ist die Femme Fatale  und an ihrer offensichtlich falschen Haarpracht kann man ihre zwielichtige Motivation, ihr doppeltes Spiel leicht ablesen. Der Versicherungsverkäufer Walter Neff (Fred MacMurray) verfällt der schönen Kundin und auch ihrem Fußbändchen, so dass die beiden schon bald den Mord an Phyllis’ (Stanwyck) reichem Ehemann planen, um die Versicherungsprämie abzukassieren. Wie ein Unfall soll es aussehen, doch bald nach der Tat meldet sich nicht nur Walters Gewissen zu Wort, sondern auch sein Kollege Barton Keyes (Edward G. Robinson), der Zweifel an der Unschuld der Ehefrau hegt, einen Versicherungsbetrug wittert. Erzählt wird die auf einem Roman von James M. Cain (“Wenn der Postmann zweimal klingelt”) basierende Geschichte in Flashback- Form von einem angeschossenen Walter, der sein für Keyes gedachtes Geständnis aufzeichnet.

Eine Femme Fatale. Eine auffällige Licht- und Schattengestaltung. Vom Verlangen nach Geld/Sex in den Abgrund getriebene Figuren, statt klassische Helden. Ein Erzähler. Klingt nach Film Noir und ist es auch. “Double Indemnity” gilt als eines der ersten Meisterwerke dieser sagenumwobenen (und mal wieder von französischen Kritikern erdachten) Stilrichtung und erfüllt den Tatbestand weitestgehend. Mal abgesehen davon, dass die Geschichte hier verständlich, der Plot dank des Drehbuchs von Wilder und Raymond Chandler ziemlich geradlinig ist. Ihre Grundzüge kennt man heutzutage wohl aus jeder zweiten “C.S.I.”-, “Columbo”- oder “Monk”-Folge, doch zu Zeiten als in Hollywood dank des Hayes- Codes noch eine strenge Zensur herrschte,  war die in “Double Indemnity” aufzufindende moralische Verwerflichkeit der Hauptfiguren äußerst gewagt. Auch wenn er nicht an die morbide Dichte von “Sunset Boulevard” herankommt, beeindruckt der Film v.a. durch einzelne, aussagekräftige Momente, die noch einmal auf das Können der Drehbuchautoren verweisen und eben den guten Noir von all den schlechten Kopien (Hallo Brian DePalma) unterscheiden.

Mit äußerster Effizienz schildert der Film etwa, wie Walter seiner neuen Bekanntschaft Phyllis verfällt. Es ist das glitzernde Fußkettchen, als sie die Treppe herabsteigt, welches sein Verhängnis – die Gier nach der Frau und dem Geld – vorwegnimmt, noch ehe wir den Rest seiner Geschichte gehört haben. Es ist Barbara Stanwycks kaltes, zufriedenes Lächeln, während ihr Liebhaber den Ehemann umbringt, das mehr Brutalität in sich birgt, als es eine offenherzig gefilmte Mordszene je könnte. Psychologische Finessen, wie Walters wachsender Verfolgungswahn  ganz im Sinne Edgar Allan Poes, stellen in Double Indemnity trotz aller stilistischer Auffälligkeiten an den Figuren orientierte Bedeutungsebenen her.

Billy Wilders erste große Regiearbeit profitiert allerdings nicht nur von einem erstklassigen Drehbuch, das einiges aus dem nicht gerade neuen Plot  herausholt. Einen Film mit Barbara Stanwyck und Edward G. Robinson gegen die Wand zu fahren, müsste auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vergolten werden. Stanwyck mit ihrem geradezu surrealem Äußeren ist die Sirene, die Walter ins Verderben lockt und uns als Zuschauer gleich mit ihm. Robinson ist der Gute und darf einige geistreiche Reden von sich geben, die ihm wie auf den Leib geschrieben scheinen. Als ausgebuffter Veteran im Versicherungsgeschäft und Freund von Walter nimmt er aber auch die Rolle der Moral ein, des strafenden Gewissens, an das Walter in seinem Geständnis appelliert. Nur ist es nicht das Gewissen, das mit langweiligen Predigten die Filmzeit verschwendet. Eines des enttäuschten Freundes ist’s, ein hochgradig wirkungsvolles noch dazu.