Diary of the Dave #20 – Der Pate & Goodfellas

20. Juli 2011

“I believe in America.”

Es ist keine besonders einfache Sache, die Weltherrschaft zu erobern. Natürlich wird irgendeine militärische Strategie notwendig sein. Und das Internet sollte man vorher lahm legen (natürlich nicht durch eine Arschbombe auf einen Laptop!). Und propagandistische Mittel werden vonnöten sein. Ich werde sehr viele Leute über zahlreiche Sachen aufklären müssen und sie vieler vieler Dinge überzeugen müssen.

Deshalb lasst uns gleich mal frisch damit anfangen: „Der Pate“ ist ein wirklich ausgezeichneter Film, ohne Zögern fünf Sterne von fünf. „Der Pate Teil II“ ist auch ein sehr guter Film, jedoch nicht so gut wie der erste: schon hier muss ich, glaube ich, eine nicht unbeachtliche Zahl von Menschen überzeugen, die den zweiten Teil für den besseren halten. Der zweite Teil, den ich eben geschaut habe (ja, ich habe gerade 190 Minuten Film hinter mir), sticht durch die absolut großartigen Szenen um die Kindheit und den Karrierebeginn von Vito Corleone hervor. Robert DeNiro liefert hier eine wirklich absolut großartige Darstellung. Auch erschienen mir genau diese Momente stilistisch interessanter inszeniert zu sein als die Hauptstoryline mit Michael Corleone. Diese 55 Minuten Film sind so großartig, dass sie die restlichen 140 Minuten Film in den Schatten stellen, zumindest über weite Strecken. Die große Tragödie liegt darin, dass Vito Corleones Geschichte als eigenständiger Film kaum funktioniert hätte, da sie ihre Stärke sicherlich auch als „Flashback“-Sequenzen entwickelt. Die 140 Minuten mit Michael Corleone hätten ohne sie einen ganz passablen Film ergeben, dem man aber sein Status als „Sequel“ wohl zu sehr angemerkt hätte, um ihn als wirklich vollwertigen Film ernst zu nehmen. Sicher: einige sehr schöne Bilder und einige geniale Szenen. Jene, die mich nun am meisten berührt hat ob ihrer Schlichtheit, aber doch großen Effizienz ist der Dialog zwischen Tom Hagen und Frank Pentangeli am Schluss: Tom macht Frank kein Angebot, dass dieser nicht ablehnen kann, sondern Frank macht selbst implizit das Angebot, nämlich seinen Selbstmord für das Wohlergehen seiner Familie einzutauschen. Großartige Szene! Manchmal bemüht sich der Film aber doch zu sehr, ein gutes Sequel zu sein und das „Godfather-feeling“ vom ersten Teil zu wiederholen, angefangen mit der Kommunions-Sequenz am Beginn!

Also… die erste Losung haben nun alle verstanden: „Der Pate“ ist besser als sein Sequel. Darauf wollte ich aber gar nicht hinaus. Denn mit dieser Losung werde ich wahrscheinlich eine gerade noch überschaubare Zahl an Menschen überzeugen müssen. Viel wichtiger (und jetzt lassen wir mal „Der Pate Teil II“ „Der Pate Teil II“ sein!) ist, dass 1. „Der Pate“ nicht unbedingt unter den Top Ten der großartigsten Filme aller Zeiten gehört; 2. man ihn nicht als besten Mafia-Film aller Zeiten ansehen kann, da Martin Scorseses „Goodfellas“ diesen Platz einnimmt; 3. „Der Pate“ auch nicht Francis Ford Coppolas bester Film ist, da diesen Status ein kleiner „Independent“-Film beanspruchen kann, den Coppola quasi so „zwischendurch“ gemacht hat: „The Conversation“.

Worauf ich jetzt gerade Lust habe? Natürlich auf vieles, aber vor allem will ich schon einmal Punkt 2 näher beleuchten: „Goodfellas“ ist besser als „Der Pate“!!! JA!!! Meine Absicht ist rein kontextualisierend. Ich habe gestern „Der Pate“ geschaut und halte ihn für einen ausgezeichneten Film. Warum bin ich nicht bereit, das Wort „großartig“ zu nutzen? Noch mal: „Der Pate“ ist ein großartiger Film. Er hat ein großartiges Casting, eine großartige Musik, eine sehr gute Story, und einige regelrecht geniale Momente, die teils nur Sekundenblitzlichte sind (Michael stützt Apollonia, die wegen ihrer Absätze kurz auf einem holprigen Pfad in Sizilien ausgerutscht ist).

Aber um etwas weiter auszuholen: „Der Pate“ habe ich zuerst gesehen, im Alter von 14 Jahren. Er ist sofort zu einem meiner Lieblingsfilme geworden. Ja… ich habe ihn gleich geliebt! „Goodfellas“ habe ich im Alter von 16 oder vielleicht 17 gesehen, und er hat mich auf sehr verstörende Art enttäuscht… und nicht gefallen! Die ersten 15 Minuten fand ich großartig, aber dann hatte ich zu sehr das Gefühl, dass der Film sich in abgehackte Episoden verliert, überlagert von einer teils ohrenbetäubenden und merkwürdigen Untermalung mit der jeweils chronologisch passenden Popmusik. Nichts im Vergleich zu „Der Pate“ dachte ich damals… Ich habe weitere Filme von Scorsese gesehen, die mir nicht gefallen haben (z. B. „Taxi Driver“, „Mean Streets“). Nichtsdestotrotz hatte ich das Gefühl, dass bei all diesen Filmen mehr dahintersteckt! Nach der Sichtung von Scorseses Doku über den italienischen Film der 1940er und 1950er Jahre habe ich sehr viel mehr von Film im allgemeinen verstanden… mein Filmenthusiasmus war gestiegen… und ich nahm mir vor, irgendwann einmal auch die Filme von Scorsese erneut anzuschauen, die mir nicht gefallen hatten. Im März 2009 (und zwar am Dienstag den 3.) war „Goodfellas“ dran. „Taxi Driver“ und „Mean Streets“ hatte ich inzwischen schon zu schätzen gelernt! Ich war schlichtweg baff. Ich hatte das Gefühl, zum ersten Mal in meinem Leben überhaupt einen Film zu sehen. Dies liegt nicht zuletzt an der teils sehr extremen Inszenierung. Auch Hardcore-Liebhaber von „Der Pate“ werden mir recht geben müssen, dass die Inszenierung von „Goodfellas“ (die Schnitte, die Kamera, der Einsatz von Ton, Freeze-Frames und Voice-Overs, das Durchbrechen der vierten Wand etc.) besser ist bzw. enthusiastischer eingesetzt. „Goodfellas“ ist ein völlig entfesselter und durchgeknallter 140-Minuten-Amoklauf eines Filmfreaks, der wild dazu entschlossen ist, seine Liebe zum Medium Film mit dem Publikum zu teilen, und dies auch perfekt ausführt. Er ist aus cinephiler und cinematographischer Sicht sehr viel leidenschaftlicher als „Der Pate“!

Coppola ist oft vorgeworfen worden, die Mafia zu glorifizieren. Ein Kritiker bezeichnete „Der Pate“ sogar als bester Mafia-Werbefilm aller Zeiten. Tatsächlich wird die erste Gewalttat der Mafiosi erst bei etwa Minute 30 gezeigt (sie richtet sich zumindest physisch nicht einmal gegen einen Menschen), während „Goodfellas“ schon nach 100 Sekunden zeigt, dass die Hauptfiguren brutale Mörder sind. Ohne eine Gewaltkontroverse um die beiden Filme aufreissen zu wollen, so kann man doch sagen, dass „Goodfellas“ wahrscheinlich ein realistischeres Bild der Mafia präsentiert. Während „Der Pate“ eine „ehrenwerte Gesellschaft“ zeigt, die in einer Familie organisiert ist, sich um Familienwerte sorgt und richtig schmutzige Sachen wie Drogenhandel ablehnt (wenngleich aus egoistischen Gründen), zeigt „Goodfellas“ hingegen eine Clique im negativsten Sinne des Wortes, die durch gemeinsames Essen, gemeinsames Trinken, gemeinsam begangene Straftaten und gemeinsam ausgeübte physische Gewalt eine Gemeinschaftsidentität schafft. Bei den Corleones dienen mantraartig heruntergebetete Familienwerte als Kitt, bei den „Goodfellas“ gemeinschaftlich zelebrierte Gewalt.

Henry Hill, Jimmy Conway und (besonders) Tommy De Vito sollten deshalb eigentlich besonders abscheuliche Charaktere sein im Vergleich zu Vito, Michael, Sonny und Tom. Und trotzdem haben sie mich (bei der zweiten und dritten Sitzung) mehr fasziniert als die Corleones. Die epische Dimension von „Der Pate“ hat Figuren geschaffen, die man passiv, mit einiger Distanz, wenngleich mit viel Vergnügen, beobachten kann, ohne jedoch wirklich mit ihnen mitzufühlen. Die sprunghafte Episodenstruktur von „Goodfellas“ schafft ungleich komplexere Figuren, da sie tatsächlich sehr viel „durchschnittlicher“ (average) sind als die dramatisch stark überhöhten Corleones. Die Ermordung Tommys ist meiner Meinung nach deshalb ein emotional ergreifenderer Moment als die Ermordung Sonnys. Und welch grausame Strafe für Henry Hill, in einem Suburb ohne annehmbares Essen als durchschnittlicher Niemand vegetieren zu müssen, während Michael Corleone am Schluss von „Der Pate Teil II“ (Mist! jetzt doch wieder genannt) regungslos über seine Fehler meditiert.

„Goodfellas“ meistert den Spagat, eine realistischere Darstellung der Mafia mit einer extrem „anti-realistischen“, künstlichen und kunstvollen Inszenierung zu verknüpfen. Keine Sequenz kann dies so schön zeigen wie die „Coke-Binge“-Szene, ein verstörendes Meisterwerk im Meisterwerk. Nun denn… kurz vor halb drei… ich will langsam zum Schluss kommen. Ich glaube, dass mein bisheriges Plädoyer ergeben hat, dass natürlich vor allem mein persönlicher Geschmack mich dazu gebracht hat, „Goodfellas“ besser zu mögen als „Der Pate“, wenngleich auch erst bei der zweiten Sichtung. Sei‘s darum. In Zukunft werde ich versuchen, jeden zu überzeugen, dass „Goodfellas“ der beste Mafia-Film aller Zeiten ist, und „Der Pate“ einerseits mit einem Top-Five-Platz in dieser Kategorie zufrieden sein kann, andererseits als solcher auch durchaus geehrt werden sollte. Kein Zögern: Scorsese ist im Vergleich zu Coppola eindeutig der bessere und interessantere Regisseur!

 “As far back as I can remember, I always wanted to be a gangster.”