Jerichow (D 2008)

Ali hat es geschafft. Die Stolpersteine der Immigration und ihrer Folgen hat er hinter sich gelassen, denn Ali (Hilmi Sözer) ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Als Besitzer einer Kette von mehr als vierzig Imbissbuden scheint er angekommen zu sein in einem Deutschland, das sich beständig über gescheiterte Integrationsbemühungen echauffiert. Doch Alis perfektes Leben ist eine Illusion. Die Fassade beginnt zu bröckeln, als der Ex-Soldat Thomas (Benno Fürmann) von ihm als Fahrer eingestellt wird. Prompt fühlt der sich nämlich zu Alis Frau Laura (Nina Hoss) hingezogen.

Nach Motiven von James M. Cains Kriminalroman „The Postman Always Rings Twice” legt Regisseur Christian Petzold Jerichow als als eine ruhige, aber nichtsdestotrotz spannende Charakterstudie an, die nur vordergründig mit den Konventionen des Genres spielt. So lässt er sich beispielsweise nicht dazu verleiten, sein Werk allzu häufig mit den stilistischen Spielereien des Film Noir anzureichern. Viel Raum gibt er hingegen den Schauspielern. Besonders Benno Fürmann hat allerdings mit den vielen langen Einstellungen zu kämpfen. In der Rolle des stoischen, wortkargen Einzelgängers ist dem hölzernen Fürmann die latente Überforderung deutlich anzumerken, kann er doch spätestens nach der ersten halben Stunde seiner Figur keinerlei neue Facetten hinzufügen.

Womöglich trägt die Schuld daran aber auch der überragende Hilmi Sözer, der sich mit dem Portrait des self-made man Ali endgültig aus dem Komödien- Ghetto vergangener Jahre befreit. Sözer trägt schließlich souverän den Film. Den Hang zur Selbstzerstörung scheint Ali in jeder Zelle seines Körpers zu tragen. Es ist ein Leben am Abgrund, was Petzold mit einer z.T. allzu platten Bildsprache auch dem letzten Zuschauer klar zu machen versucht. Ali ist ein eifersüchtiger Trinker, der seine Frau nur durch Geld an sich binden kann. Dieser Imbissimperator hält seine Angestellten einzig mit Gewalt, nicht Respekt, unter Kontrolle und sein mühsam erarbeitetes Eigenheim steht versteckt irgendwo in den Wäldern des menschenleeren Nordostens Deutschlands. Er ist eben doch nicht Teil der deutschen Mittelklasse geworden und wird auf ewig ein Außenseiter bleiben. Daran wird auch sein wirtschaftlicher Aufstieg nichts ändern.

Sözers jovialem Äußeren liegt jedoch eine tiefe Melancholie und damit die Erkenntnis seines Scheiterns zu Grunde. Sein betrunkener Tanz am Meer, begleitet von türkischer Musik, ist wohl der beste Ausdruck seiner Unfähigkeit, dauerhaft in diesem Land Fuß zu fassen. Seine Präsenz rettet Jerichow vor dem eigentlich verdienten Schicksal im Eisschrank der Filmgeschichte. Denn Petzolds gemächliche Inszenierung und seine recht oberflächliche Handhabung der anderen beiden Hauptfiguren, deren weitgehend unglaubwürdige Beziehung mit einem Hang zur aufgesetzten Leidenschaft einhergeht, hätten Jerichow durchaus zu einem nichtssagenden, hochgradig unterkühlten Krimi verkommen lassen können. Dass dies nicht geschieht, verdankt er – aber auch der Zuschauer – einzig Sözer, der Seele des Films, gegen den überraschenderweise selbst Petzolds Stammmuse Nina Hoss glanzlos verblasst.

Erstmals erschienen in einer gekürzten Fassung am 11.02.2009 in der interkulturellen Hochschulzeitschrift Unique Jena.