Kontrapunkt: Halloween – Die familiäre Triade

Pünktlich zu Halloween habe ich mir John Carpenters Klassiker des Slasher-Films noch einmal angeschaut. Doch neben einer nahezu perfekten Spannungskurve und einer äußerst subtilen Inszenierung sind mir bei der nunmehr vierten oder fünften Sichtung von Halloween – Die Nacht des Grauens auch andere Dinge aufgefallen: Der auffällige Umgang mit der Zahl Drei und – damit verknüpft – das Motiv der Familie.

Die erste Auffälligkeit gleich zu Beginn, zum Prolog im Jahre 1963: Der kleine Michael beobachtet aus einem Point-of-View das Herumalbern seiner Schwester Judith mit ihrem Freund. Er geht um das Haus herum, betritt es durch den Hintereingang. Erst läuft er durch die Küche, schnappt sich ein Messer, dann läuft er durchs Esszimmer. In der Mitte ein Tisch, an dem exakt drei Stühle stehen. Schon seltsam, wenn die Familie Myers aus fünf Mitgliedern, Eltern und drei Kindern, besteht. In dem Moment, in welchem Michael seine Schwester tötet, sind seine Eltern abwesend. Die familiäre Triade – Vater, Mutter, Kind – ist aufgebrochen, auch eine Ersatzfamilie als sozialer Kontrollmechanismus des Verhaltens ist durch das Verschwinden von Judiths Freund nicht vorhanden.

In diese Leerstelle sticht Michael Myers als Sanktionierung des unzüchtigen Fehlverhaltens buchstäblich mit dem Messer hinein. Als er dann, als seine Eltern nach Hause kommen, mit der Rüge seines kolossalen Fehlverhaltens, indem er mit seinem Status als Störfaktor der familiären Ordnung konfrontiert wird, reagiert er mit einem Schock. Einem anhaltender Schockzustand, der sich in der fehlenden Differenzierung von Gut und Böse, richtig oder falsch und dem Fehlen jeglicher Moral manifestiert, wie Psychiater Dr. Loomis (Donald Pleasance) Michaels Psyche später beschreibt.

In der Halloween-Nacht 1978* fallen Michael Myers drei Teenager zum Opfer. Allesamt jedoch nicht in den Momenten ihrer körperlichen Zusammenkunft, sondern in der Situation davor oder danach, im Zustand, als die Paar-Dyade aufgesprengt ist. Annie wird im Auto von Michael getötet, als sie zu ihrem Freund fahren will – also in dem Moment, als sie ihre Aufsichts-, also Fürsorgepflicht als Babysitterin vernachlässigt und auch so die funktionierende (Ersatz-)Mutter-Kind-Dyade aufsprengt. Lynda und Bob werden auch erst nach dem Sex von Michael getötet, als Bob Bier holen geht und sich das Paar physisch voneinander trennt. Dennoch tritt Michael Myers immer als Störfaktor auf, dringt in die Privatsphäre der Paare ein und irritiert durch sein Wahrnehmen der amourösen Paar-Gefühle des „sensitiven Verbundenseins“**. Aus diesem Grunde wird jedes Mal die Zweisamkeit aufgebrochen, bleibt das Paargefüge ungleich seiner Eltern nicht intakt.

Die letzten Minuten des Films sind dabei der Supergau der Dreierkonstellationen. Erst findet Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) die drei Leichen ihrer Freunde, wobei der Grabstein über Annies Leiche, die auf dem Bett mit ausgebreiteten Armen drapiert wurde, auf die Geschichte der Familie Myers hinweist, gleichzeitig jedoch auf die zerstörte (Ersatz-)Familientriade referiert. Dann werden die drei bis dahin parallel verlaufenden Handlungsstränge um Loomis’ Ermittlungen, Myers’ Heimkommen nach Haddonfield und Laurie Strodes Vorbereitungen auf den Halloween-Abend zusammengeführt. Laurie erlebt die größte und unmittelbarste Bedrohung für ihr Leben, als sie mit den beiden Kindern, Tommy und Lindsay allein ist, also in einer Situation, in der eine „Störung (…) der reinen und unmittelbaren Gegenseitigkeit“*** stattfindet. Lindsay wurde zuvor von Annie bei Laurie abgeliefert und just in diesem Moment schreitet Michael Myers zum ersten Mal in der Halloween-Nacht zur Tat.

Beim Showdown treffen wir die Zahl Drei wieder an. Mit der Ankunft von Dr. Loomis im Haus entsteht wieder die Dreierkonstellation, allerdings in pervertierter Form. Bruder und Schwester werden in einer nahezu inzestuösen Intimsituation überrascht, in der der Tötungstrieb anstelle des Sexualtriebs getreten ist. Loomis wird zum störenden Dritten, trennt die pervertierte Dyade durch seine Handfeuerwaffe. Michael Myers stirbt den dritten seiner drei Tode (Nadel im Hals, Messer im Bauch, erschossen).

* Dieser Essay bezieht sich nur auf die Geschehnisse von Teil eins.
** Georg Simmel: „Die quantitative Bestimmtheit der Gruppe“. In: ders.: „Schriften zur Soziologie“, S. 258
*** ebd., S. 259

Kontrapunkt: „Nennen Sie mich Snake!“

Neben „Halloween“ (1978) und weiteren Horrorfilmen, die er in den 80er Jahren inszenierte, machte John Carpenter in seiner Karriere bisher vor allem mit der Sci-Fi-Action Die Klapperschlange („Escape from New York“) von sich reden. Mit Snake Plissken schuf er die Kultfigur eines einäugigen Einzelkämpfers und verhalf Kurt Russell mit weiteren gemeinsamen Produktionen (u. a. „The Thing“, 1982) zum Durchbruch als Schauspieler.
Im Jahre 1988 explodiert die Verbrechensrate in den USA, wes- wegen beschlossen wird, die Halbinsel von New York in ein Hoch- sicherheitsgefängnis zu verwandeln, welches umgeben ist von Wachtürmen. Sämtliche Zufahrtswege werden kontrolliert, die Häftlinge auf der Insel sich selbst überlassen. Dumm nur, dass 1997 das Flugzeug des US-Präsidenten (Donald Pleasence) entführt und hineingesteuert wird. Doch im letzten Moment kann er, der wichtige Unterlagen zur Kernfusion für eine Konferenz bei sich trägt, in einer Rettungskapsel fliehen und landet mitten in New York. Der ehemalige Elitesoldat und verurteilte Verbrecher Snake Plissken wird beauftragt, ihn zu finden und zurück zu bringen. Ihm injizierte Mini-Sprengsätze machen ihn gefügig. Nachdem er auf dem Luftweg in die Stadt gelangt ist, knüpft er schnell Verbindungen mit dem Taxifahrer Cabbie (Ernest Borgnine), der ihm auf seiner Suche behilflich ist. Auch trifft er einen alten Bekannten (Harry Dean Stanton) wieder, mittlerweile Handlanger von „The Duke“, des inoffiziellen Herrschers von New York.

John Carpenter gelingt es abseits des düsteren Polizeistaat-Szenarios eindrucksvoll, das Bild dieser kriminellen Subkultur zu zeichnen. In der düsteren Zukunft stehen sich dabei die militarisierte Gesellschaft und jene marode der Delinquenten gegenüber, die einen Staat im Staat formen. Die Sets zwischen kalter Technisierung (als Symbol für Fortschritt) auf Seiten des Polizeistaats und dreckiger, kaputter Vorhölle, die von gewaltbereiten Freaks bevölkert werden, zeugen von einem differenzierten und realistisch anmutenden Blick auf die Dystopie. Mitten unter den Schwerverbrecher einer von ihnen: Snake Plissken. Jeder auf der Insel scheint ihn zu kennen und für tot zu halten – warum wird wie seine stets angesprochene Vergangenheit Macguffin-like nie erklärt. Snake ist ein harter Kämpfer mit Schlangen-Tattoo auf dem Bauch und schäbiger Lederjacke, der auf die Zukunft der USA, einem Staat am Abgrund, pfeift. Snake muss sich in handgemachten Actionszenen beweisen, wenn er gegen den besten Kämpfer der kriminellen Subkultur im Ring antreten muss und schließlich auf einer verminten Brücke zusammen mit dem zuvor mit Perücke und Schminke erniedrigten Präsidenten die Flucht antritt – stets verfolgt von „The Duke“ und im Kampf gegen die Zeit. Bis er schließlich allen Autoritäten seine Verachtung entgegen schleudert: Ein Nennen beim Vornamen ist jetzt nicht mehr erwünscht und sie können froh sein, wenn er sie am Leben lässt.

Doch während die Pyrotechniker und Setdesigner in Snakes erstem Auftritt alle Hände voll zu tun hatten, bekamen in der um ein Vielfaches teureren Fortsetzung Flucht aus L.A. („Escape From L.A.“) verstärkt die Special Effects-Designer zu tun. Auch ist die Synthesizer-Musik im Vorspann einer rockigeren Version gewichen. Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2013, Los Angeles wurde nach einem furchtbaren Erdbeben zu einem Hochsicherheitstrakt umfunktioniert, der christlich-reaktionäre und auch noch larmoyante US-Präsident auf Lebenszeit vereidigt, ein Krieg steht unmittelbar bevor und Snake wurde mal wieder geschnappt, nachdem er etwas in Cleveland ausgefressen hat. Das Problem diesmal: Die Präsidententochter Utopia (was für ein Name!) hat ein Flugzeug entführt mit einer Black Box an Bord, welche ein System beinhaltet, mittels EMP (wer „The Matrix“ gesehen hat, weiß, wovon ich rede) die elektronischen Systeme der gesamten Welt auszuschalten. Snake wird mit der Tötung von Utopia und der Sicherstellung der Blackbox betraut und mit der unbemerkten Verabreichung eines (angeblichen) Nervengifts gefügig gemacht. Nachdem er unerkannt die Insel erreicht hat mittels eines Trips per Atom-U-Boot mit der effekthascherischsten (und am schlechtesten getricksten) Unterwasser-Sequenz ever, trifft er sofort auf Pipeline (Peter Fonda – wer hat sich eigentlich die peinlichen Rollennamen ausgedacht?), der ihn als Snake erkennt, wohl gesonnen ist und ihm den Weg weißt. Im CGI-L.A. gerät er zunächst an eine Bande von schießwütigen Schergen, die er – gesegnet mit zwei Pistolen im Oberschenkelhalfter – zu einem Duell herausfordert. Hier deutet sich die Western-Motivik an, die Carpenter in „Vampires“ noch stärker herausarbeitete. Dann gerät Snake an eine Horde von brutalen Chirurgen (unter Führung von Oberschnetzler Bruce Campbell in einer ironischen Rolle), die Menschen bei lebendigem Leib Organe entnehmen (was keine Relevanz für die Handlung hat), bevor er zu Cuervo Jones, den wie Ché Guevara aussehenden Chef von L.A., vordringen kann, der ihn prompt in einem Basketball-Match auf Leben und Tod antreten lässt. Snake, den scheinbar wieder alle kennen und für tot halten, gewinnt das natürlich und ihm gelingt es mit Hershe, einem alten Bekannten aus Cleveland, und einem gewagten Flugmanöver mit Drachengleitern wie einer langweiligen Schießerei an die Blackbox zu gelangen.

Kurt Russell passten zwar seine alten Klamotten aus Teil 1 noch, doch wurden diese im Verlauf des Films durch „feuerabweisende“ Kleidung – einen wirklich coolen Ledermantel plus –hose – ersetzt. Er wirkt auch nicht mehr ganz so in Form wie 15 Jahre früher, teilweise gar etwas lahm, was sich insbesondere in der Steifheit offenbart, mit der er in den Actionsequenzen agiert. Und ich meine dabei nicht, dass er auch hier wieder am Bein verletzt wird. Leider krankt „Escape from L.A.“ vor allem an seinen absurden Einfällen (hanebüchener Höhepunkt: der Wellenritt quer durch Los Angeles) und der Überfrachtung mit mäßigen CGI-Effekten, welche allzu deutlich das Ende der realen Sets erkennen lässt. Es ist immer noch cool, wie Raubein Russell den Wertevorstellungen der amerikanischen Gesellschaft, in der mittlerweile Alkohol und das Rauchen verboten sind, ans Bein pinkelt, doch mit Originalität hat das leider nichts mehr zu tun. Dem stilbildenden Klassiker folgte leider nur eine zwar immer noch kultige, aber etwas gehaltlose Fortsetzung, die sich gleichzeitig auch dreist als Remake versteht (was man nicht so richtig akzeptieren will).

Doch nachdem es um Carpenter als Regisseur nach seinem Mars-Zombie-Desaster „Ghosts of Mars“ von 2001 ruhig geworden war, sind für 2010 gleich drei neue Projekte von ihm angekündigt, auf die ich mich freue. Mit „The Ward“, einem Geisterschocker, knüpft er wieder an seine Wurzeln im Horrorgenre an. Mit welchem Ergebnis bleibt indes abzuwarten, ist eine erste Aufnahme vom Set doch eher weniger aussagekräftig.

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