Kulinarische Gewaltaufbereitung – Benny‘s Video (A 1992) & Sword of Justice (J 1972)

„Und niemand sollte verbieten/was er vielleicht selber fühlt.“ (Mutter)

In einem Interview bei „Zelluloid“ hat Michael Haneke einmal gesagt, dass er mit seinen Filmen der Gewalt den Charakter der Unerträglichkeit wiederzugeben trachtet. Vielleicht möchte er mit Streifen wie „Funny Games“ wirklich bessere Menschen aus uns machen. Vielleicht ist er wirklich der humorlose Oberstudiendirektor, der auf die abgestumpften Zuschauer herabblickt und ihnen den Weg aus der Minderwertigkeit weisen möchte. Vielleicht ist er aber auch ein passionierter Verführer, der uns kitzeln, verletzen, etwas spüren lassen möchte. Ein Sadist, der seine Mitmenschen gerade liebt, wenn sie es etwas härter brauchen. Eventuell ist er auch ein Poet der Düsternis, der in die Untiefen menschlicher Seelen schauen möchte. Aber wen interessiert es, was Michael Haneke dachte, als er seine Filme schrieb und drehte? Viel wichtiger ist, was diese Filme mit uns machen, weil sie all das, neues Fleisch und mehr enthalten.

1992 hat Haneke die Welt mit Benny’s Video beglückt. Einem Film voller Fernseher und VHS-Bänder. Darin zu sehen beziehungsweise darauf sind unter anderem die Tötung eines Schweins, Nachrichten aus dem Bosnienkrieg, „The Toxic Avenger“, ein Urlaub und ein Blutfleck auf einem nackten Bauch. Audiovisuelle Magnetbänder werden in all ihren Möglichkeiten dargestellt, als Konservierungsmöglichkeit, als Beweismittel, als Unterhaltungsvehikel oder als Identitätsversicherung. So kann zum Beispiel das geschlachtete Schwein immer wieder angeschaut werden. Es kann durch Rückspulen wieder zum Leben erweckt werden. Es kann versucht werden diese schreckliche Erfahrung zu verarbeiten oder die eigene Position zu dem zu Sehenden gesucht werden.

Benny (Arno Frisch) ist ein ziemlich normaler Teenager, nur das er ein Zimmer voll Videoequipment hat. Die ganze Welt scheint er damit zu verarbeiten. Eines Tages lädt er ein Mädchen zu sich nach Hause ein und zeigt ihr seine Möglichkeiten, alles aufzeichnen zu können, und schließlich auch die Aufnahme des Schweins. Er zeigt ihr den Schlachtschussapparat, mit dem es getötet wurde. Aus einer intimen Szene wird schnell der Horror als er in totaler Sinnlosigkeit das Mädchen anschießt und in Panik tötet. Er versucht, die Tat zu verarbeiten. Er macht sauber, geht aus oder betrachtet das Video und steht ohnmächtig vor den Konsequenzen. In einer erschreckenden, gleisend erotischen Szene betrachtet er seinen Körper, auf dem Blutsprenkler des Opfers sind. Was, wenn der Schrecken nicht nur Schrecken ist? Schließlich zeigt er seinen Eltern das Video mit dem Mord und erhofft sich von ihnen eine Lösung. Doch sie denken nur daran, ihren Sohn zu schützen und den Mord zu verdecken.

Michael Haneke hat eine spannende Geschichte geschrieben. Eine Geschichte, die keine einfache Lösung bereithält und keine Möglichkeit gibt, aus den entstehenden Widersprüchen zu entfliehen. Sanft nähert er sich den Charakteren und den Geschehnissen an. Eine komplexe Situation, in die sich verbissen werden kann. Das Problem ist aber, dass Hanekes audiovisuelle Umsetzung dazu führt, dass alles wieder ausgekotzt werden muss. Sein kalter, anklagender Blick hält nichts als Denunziation bereit. Die ständig gezeigten Fernseher werden nicht emotionslos angeschaut, sondern mit kalter Verachtung. Der starre Blick auf Benny beim Erledigen seiner Hausaufgaben, während im Hintergrund Videos laufen und Metal ohrenbetäubend dröhnt, führen zu brechreizerregenden Beklommenheitsgefühlen. Nun kann eingestimmt werden, dass Hardrock, Comics, Actionfilme, Fernsehen und Videospiele Schuld sind an einer diagnostizierten menschlichen Verrohung oder es wird einem eingeimpft, ob von Haneke gewollt oder nicht, dass solche Lösungen zu kurz greifen und, in einer solchen Form dargestellt, fast so schlimm sind wie Bennys Tat. Amibivalent steht Haneke vor seiner Handlung und ist einerseits hingezogen und fasziniert, andererseits malträtiert er sich und andere genau dafür.

Ganz anders Goyôkiba (Hanzo the Razor – Sword auf Justice), der erste, der drei Filme über den fiktiven Polizisten im mittelalterlichen Japan, der da Kamisori Hanzo („Rasiermesser“ Hanzo) heißt. Knietief wird hier durch Populismus und Sexismus gewatet, dass es nur so eine Freude ist. Statt verschämt wegzuschauen oder argwöhnisch zu verteufeln, geben sich Regisseur Misumi Kenji und Drehbuchautor Koide Kazuo ihren Phantasien hin. Und Kameramann Makiura Chikashi fängt all das in betörenden Bildern ein.

Kamisori Hanzo ist knallhart und unbestechlich. Auf niemanden nimmt er Rücksicht. Nicht auf sich und schon gar nicht auf seine Vorgesetzten. Aus Misstrauen gegenüber einem der Letzteren verhört er einen Bettler, der von seinen Kollegen gejagt wird. Er erfährt, das Profikiller Totenfluss-Kanbei nicht ins verfügte Exil ging, sondern von seinem Chef gedeckt wird. Unaufhaltsam kommt er einem Verbrechen auf die Spur, das bis in die höchsten Kreise der Regierung ragt. Doch dem Plot wird kaum Beachtung geschenkt. Folglich ist es kaum verwunderlich, dass er ins Leere läuft. Er kennzeichnet nur den Einzelkämpfer Hanzo, der sich für die Gerechtigkeit auch gegen „die da oben“ wendet. Er ist der Verteidiger des kleinen Mannes. Ein Mann, der nicht so handelt, weil er so ein guter Mensch ist, sondern weil er muss. Jede Entspannung würde ihn erschlaffen lassen, er braucht den Druck um hart zu bleiben.

An anderer Stelle habe ich einmal geschrieben, dass „Conan der Barbar“ ein einziger riesiger Phallus sei. Gegenüber Sword of Justice erscheint er aber geradezu lappig. Hanzo ist pure Männlichkeit … oder besser eine extreme Form einer Vorstellung von Männlichkeit. Er ist ein Masochist, der sich selbst foltert, um zu wissen wie weit er mit einem anderen Menschen gehen kann, was er machen muss, um Antworten zu bekommen. So sagt er zumindest. Er foltert aber den Film lang niemanden außer sich selbst. Vielmehr scheinen es Methoden, mit denen er dem Umfeld jede Kraft, Härte und Männlichkeit raubt. Neben ihn werden alle anderen Menschen zu präpubertären Kindern. Die Einzigen, denen er außerhalb eines Kampfes Gewalt antut, sind Frauen. Wenn er Informationen braucht, entführt er die Frauen der Gangster und vergewaltigt sie. Nicht, dass es ihm sonderlich Spaß bereiteten würde. Solche weichlichen Dinge wie Spaß kennt er nicht. Aber sein durch Schläge mit dem Bambusstab gestärkter Phallus stellt für die Frauen solch eine Beglückung dar, dass sie alles erzählen, wenn er nur weiter macht.

Sword of Justice könnte ein abscheulicher Film sein und auf seine Art ist er es auch. Alles ist so übertrieben, dass es schwerlich ernst genommen werden kann. Gleichzeitig ist es so ernst, dass jeder Genuss mit genau so viel Ekel aufgewogen wird, dass eine Identifikation mit dieser nicht verwirklichbaren Figur unmöglich wird. Anstatt die eigene Phantasie zu tabuisieren, schauen Misumi, Koide und Makiura genau hin und stellen sie dar … in all ihrer Realität, ihrer Lust, ihrer Abscheulichkeit und in all ihrer Lächerlichkeit. Ein unverschämter Blick in die Phantasien von Männlichkeit, der diese nicht nur auslotet, sondern in seiner Übertriebenheit ad absurdum führt … Feier und Persiflage zugleich.