Kontrapunkt: Deutscher Expressionismus

Diese im Kern von 1919 bis 1924 dauernde und nur im Deutschland der Weimarer Republik verbreitete filmische Stilrichtung, bleibt nach wie vor die einzige, welche sich nachhaltig auf das internationale Kino auswirkte. Schiefe Architekturen, von Angst geprägte Stimmungen, harte Hell-Dunkel-Kontraste sowie die Themen der missbrauchten Autorität, des mysteriösen Anderen oder absonderlicher Lebensformen bestimmen die Vertreter dieser Werke, die hier in einem ersten Überblick vorgestellt werden sollen.

Das Cabinet des Dr. Caligari (D 1919)

Der mysteriöse Jahrmarktschausteller Dr. Caligari (großartig sinister: Werner Krauss) schickt im fiktiven Ort Holstenwall einen von ihm willenlos gemachten Somnambulisten los, zu töten. Stilbildender als die etwas zu statische Regie von Robert Wiene ist das Bühnenbild von Hermann Warm, Walter Röhrig und Walter Reimann, wobei vor allem letzterer als Maler zahlreiche gezeichnete Entwürfe für die Kulisse beitrug. Der komplett preisgünstig im Atelier gedrehte Film lebt von seiner Künstlichkeit, seinen schiefen und überdiemsnional empor ragenden Bauten mit abstrakten Formen, die – entsprechend der Thematik des Films – wirken, als seien sei der im Chaos versunkenen Welt eines verwirrten Geistes entsprungen. Aufgemalte, zackige Schatten, schiefe Häuser und verwinkelte Innenräume suggerieren eine von Angst verprägte, nach außen getragene Vorstellungswelt. So verwundert es auch nicht, dass letztendlich die originelle und bis heute in ihrer Omnipräsenz nicht wieder erreichte Form des expressionistischen Dekors über den etwas wirren Inhalt triumphiert. Weitere Ausführungen von mir dazu bei MovieMaze.

Der Golem, wie er in die Welt kam (D 1920)

Die Kulissen von Hans Poelzig, welcher eine alte mittelalterliche Stadt mit engen Straßen und hervorspringenden Erkern ebenso wie gewölbeähnliche Innenräume mit unregelmäßigen Spitzbögen und länglich zulaufenden, gotischen Fenster schuf, gehören zu den eindrucksvollsten Bauten des filmischen Expressionismus. Auch Paul Wegeners Leistung als künstlich geschaffener Lehmmensch Golem, seine Paraderolle, ist in dieser mit Märchenelementen angereicherten Fantasy einmal mehr angsteinflößend. Doch leider stößt der latent vorgetragene Antisemitismus des auf einer Sage basierenden Films bitter auf. Die gezeigten jüdischen Gottesdienste gleichen Teufelsbeschwörungen, die Erweckung des Golems zum Schutz der Juden erfolgt mittels „dunkler Mächte“. Schließlich wird der Golem, welcher als höriges Werkzeug Tod und Zerstörung anrichtet, von einem kleinen blonden Mädchen vor dem riesigen Tor zum Judenghetto gestoppt, welches an das Rassenideal eines 13 Jahre später an die Macht kommenden Regimes erinnert.

Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (D 1922)

Eine eindrucksvolle, aber auch unautorisierte Verfilmung von Bram Stokers Roman, die beinahe aufgrund eines Gerichtsurteils vernichtet worden wäre. Dabei ist der Einfluss des filmischen Expressionismus nicht von der Hand zu weisen, doch nimmt Regisseur F.W. Murnau hiermit jenen naturalistisch-romantischen Stil vorweg, welcher auch sein Werk „Faust – Eine deutsche Volkssage“ (1926) durchzog. Gefilmt wurde sehr häufig außen, an Originalschauplätzen, Aufnahmen im Atelier treten seltener hinzu. So sind neben den sich an der Wand abzeichnenden, riesigen Schatten des nahenden Vampirs Graf Orlok und der am Strand neben zahlreichen Kreuzen wartenden Ellen (der Frau des ausgeschickten Maklers Hutter) – Szenen, die man durchaus als expressionistisch bezeichnen kann – auch zahlreiche Naturaufnahmen zu sehen, die in den Film Eingang fanden. Wie in den anderen hier besprochenen Filmen wird im Kern wieder eine Geschichte um missbrauchte Autorität und obskure Lebensformen erzählt, wenn Vampir Graf Orlok den Makler Knock gefügig macht, damit er seinem triebhaften Interesse an Ellen nachgehen kann.