Zu den Neuerungen, die auf the-gaffer.de Einzug halten, gehören Specials, die sich um Genres, Schauspieler und vieles mehr drehen. Otto Premingers “Fluss ohne Wiederkehr” bildet den Auftakt für das erste Kritiken-Special, das sich ausschließlich Vertretern des klassischen amerikanischen Westerns widmen wird.
Am Ende ist es die Stille, welche das erwartete Spektakel des Finales durchdringt. Ein starker Kontrast zur Musikalität der vorangegangenen Minuten, reizt doch Marilyn Monroe nicht nur visuell, sondern auch als Sängerin, die traurig “Love is a traveler on the river of no return” in die Westernkulisse säuselt. Western heißt in den 50er Jahren Wiederholung, heißt Zementierung eines Mythos durch immergleiche Bausteine, die hie und da anders zusammengesetzt werden, ohne das Gesamtkonzpt ins Wanken zu bringen. Otto Premingers Fluss ohne Wiederkehr besteht ebenfalls aus Bausteinen, aber jene Stille ist keiner davon. Premingers herausragende Fähigkeiten bei diesem Film bestehen zum einen darin, altbekannte Elemente auf ungewohnte Weise zusammen zu setzen, zum anderen aber lässt er ihr Vorhandensein einfach vergessen. Menschen auf dem Wildwasser – das verwandelt einer wie Curtis Hanson in den handwerklich zuverlässigen “Am Wilden Fluss”, der zu keiner Zeit mehr liefert als man erwartet (eben einen wilden Fluss). Ungeachtet der veraltet wirkenden Rückprojektionen, die bei Nahaufnahmen auf dem Floß unumgänglich sind, hat “Fluß ohne Wiederkehr” nichts an Stärke eingebüßt. Das ist kein Zufall. Bei Preminger ist der Fluss genauso wie bei Hanson Katalysator der Konflikte, aber nicht der heimliche Hauptdarsteller.
Das obwohl der Film zu protzen scheint mit seinem CinemaScope, einer Technik, die Preminger in all ihren Facetten – von der Landschafts- bis zur Innenaufnahme – ausspielt. Ganz abgesehen von den kanadischen Bergen, die für das amerikanische Hinterland glänzend herhalten, denke man an einen simplen Koffer. Kay (Monroe) will das Floß verlassen, welches ihren Spielerfreund und sie in eine von Reichtum gesegnete Zukunft transportieren soll. Dabei fällt einer ihrer Koffer der Strömung des Flusses zum Opfer. Nun kann man dem Gegenstand allerhand symbolische Bedeutung zuschreiben. Treiben Kays Träume da flussabwärts? Wird hier schon auf den betrügerischen Charakter ihres Freundes verwiesen, der sich in wenigen Minuten offenbaren wird, als dieser einem Farmer (Robert Mitchum) Pferd und Gewehr stiehlt? So verlockend die Metaebenen auch sind, geht es zunächst ausschließlich darum, die Charakterisitken des Breitwandformates dezent in den Vordergrund zu rücken. Der Koffer gerät nämlich in dieser Sequenz nie ganz aus dem Blick, schlängelt sich am Bildrand oder in der Tiefe der hinteren Bildebenen durch das Wasser, während der Film sich längst wieder mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Wenn er überhaupt ein Symbol ist, so darf man in ihm einen zwinkernden Wink Premingers sehen, der sich bei dieser Auftragsarbeit sichtlich amüsiert hat.
Rache ist der klassische Motor des Films – Mitchum will den Dieb stellen – und in der Strömung des Flusses findet sich ihre unaufhaltsame Dynamik wieder. Mit Kay und seinem kleinen Sohn begibt dich der Farmer auf die waghalsige Reise. Der Rindertrack aus “Red River” und die Kutsche aus “Stagecoach”, allesamt Vehikel des amerikanischen Gründungsmythos’, der Besiedlung des Westens, werden gleichsam durch das Floß ersetzt. Die gefährliche Reise gehörte wie auch das geläuterte Showgirl schon 1954 zum verstaubten Inventar des Genres. Doch worum es Preminger eigentlich geht, ist die Rekonstitution einer Familie, sozusagen der Siedlergemeinschaft auf der Mikroebene. So muss man nur vom Ende – der Stille – zum Beginn des Films springen, um die Tragweite von Premingers Prioritäten zu erkennen. Farmer Matt, ein verurteilter Mörder, wurde gerade aus dem Gefängnis entlassen und sucht nun nach seinem Sohn, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Inmitten eines verkommenen Goldgräberlagers, dessen sündigem Chaos Premingers weitläufige Bilder entgegen kommen, finden sich die zwei Fremden. Von nun an müssen sie Familie sein. So reif und ohne jede Illusion, wie die Stille nach dem Schuss im Finale vorgetragen wird, so nüchtern ist diese Zusammenkunft zweier, die sich noch einmal kennenlernen müssen. Dass Mitchum der perfekte Schauspieler für den hartgesottenen Dad ist, steht von vornherein fest. Ihm gegenüber gelingt es der Monroe in dem von Marlene Dietrich perfektionierten Typus des Saloon-Mädchens Muttergefühle aufscheinen zu lassen. Der klassische Western kennt bekanntlich nur zwei Frauentypen und in Kays Brust schlagen ganz klar deren beider Seelen. Nur eine davon kann am Ende die Oberhand behalten.
Dass in einem Text über “Fluss ohne Wiederkehr” viel von den Figuren, der Landschaft und kaum etwas über Pferde, Duelle und Cowboys geschrieben werden kann, gibt einen Eindruck davon, wie wenig der Film den gängigen Unterhaltungsmustern des Genres nachhängt. Preminger, nicht gerade ein typischer Western-Regisseur, verbringt die meiste Zeit im ihm bekannten Terrain des psychologischen Dramas, das von Zeit zu Zeit durch Stromschnellen unterbrochen wird. Sein Gespür für die damals noch neue CinemaScope-Technik stellt er dennoch unter Beweis und zeigt gleich deren Potential abseits der Landschaftsaufnahmen auf. Damit ist “Fluss ohne Wiederkehr” ein Zeugnis der Flexibilität eines Genres, welches der Nachwelt wie kaum ein anderes in Gestalt von Stereotypen in Erinnerung geblieben ist.