Fluchtpunkt (II) – Strafpark (USA 1971)

Halbnackte Studenten werden durch die US-amerikanische Wüste gejagt. Schießwütige Polizisten sind hinter ihnen her. Eigentlich hat Punishment Park kaum mehr an Handlung zu bieten. Kurz nach dem Kent-State-Massaker ruft Richard Nixon den Ausnahmezustand aus. Tribunale werden abgehalten, welche jeden wegen Landesverrat verurteilen, der die Politik der Regierung kritisiert. Mittels eines Wettlaufs durch einen sogenannten Strafpark können die Verurteilten ihrer Gefängnisstrafe entgehen. In 3 Tagen müssen 50 Meilen durch eine Wüste zurückgelegt werden. Man bekommt weder Essen noch Trinken und die Polizei beginnt nach 2 Stunden mit der Verfolgung. Wer es schafft, das Ziel zu erreichen, ohne erneut festgenommen zu werden, ist frei. In diese hypothetische Ausgangsposition begibt sich ein Filmteam und dreht eine Dokumentation. Strafpark ist das Ergebnis ihrer fiktiven Arbeit, welche die Vision eines zutiefst gespaltenen Landes entstehen lässt, eines Landes, in dem keine Kommunikation, kein Ausgleich mehr möglich ist. Doch über den Weg der Fiktionalisierung bietet Regisseur Peter Watkins einen aufwühlenderen Blick auf die Realität der Vereinigten Staaten im Jahre 1970, als es jede reale Dokumentation erreichen könnte.

Punishment ParkMehrere Kamerateams verfolgen die Menschen an beiden Enden der Hetzjagd. Sie filmen Polizisten, die sich im Umgang mit ihren Feuerwaffen üben. Stolz erklären diese, dass selbst Rhinozerosse mit einem Schuss aufgehalten, wenn nicht sogar getötet werden könnten. Die eingefangene Stimmung auf dieser Seite ist vor allem durch Frust bestimmt, wegen ein paar in ihren Augen unbelehrbarer Idioten in der Wüste sein zu müssen. Die Gefangenen sind zwar auch frustriert, aber eher, weil sie sich zumindest darin einig sind, dass die Situation, in der sie sich befinden, nicht akzeptabel ist. So werden sie durch überbelichtete Bilder voller Luftspiegelungen gejagt und stellen sich ständig die Frage, wie sie damit umgehen sollen: gewaltsame Gegenwehr oder friedliches Akzeptieren der Regeln, um den Kreislauf der Gewalt zu entkommen. Dieser Park in der Wüste ist damit nichts weniger als die USA und wie er von den Dissidenten wahrgenommen wird… als Polizeistaat.

Was Strafpark aber davor rettet, eine billige Allegorie auf die Entfremdung zwischen Staatsmacht und Nörglern zu sein, die in blinder Gewalt endet, sind die Szenen aus dem Tribunal. In ihnen werden die Schauprozesse vorgeführt, welche zur Verurteilung führen. In einer riesigen, den gesamten Film andauernden Parallelmontage zwischen Strafpark und Tribunalen gewinnen beide Seiten an Tiefe. Unterschiedliche Menschen stehen sich gegenüber und sind aus unterschiedlichsten Gründen auf den beiden Seiten des Verhandlungstisches gelandet. Die Verhandlungen gleichen dabei einer gewöhnlichen, hitzigen Diskussion bei Markus Lanz oder Anne Will. Unbegreiflich bleibt den Menschen in dem Kreisrund, wie jemand nur so verbohrt und abscheulich sein kann wie die gegenüber sitzenden Individuen. Folglich verliert jeder gegenüber dem Anderen die Contenance und fängt an zu schreien, brabbeln, keifen, geifern oder zieht sich resigniert in sich zurück. Ja, die Dispute scheinen wie aus dem Leben gegriffen. Niemand wird vorm Zuschauer denunziert. Dass alles nur fiktiv ist, kann sehr schnell aus den Augen verloren werden. Zu gut ist die Dokumentation nachgestellt, zu gut sind die Schauspieler und die Dialoge. Die verführende Verlässlichkeit der Bilder reißt den Zuschauer mit in die Arena der Dispute. Ob in der Wüste und während der Schauprozesse, Abgrenzung ist schwerlich möglich.

Das Obszöne der Gerichte sind folglich auch nicht ihre Meinungen, sondern es ist ihre Macht, mit der sie jegliche Argumente von sich abwehren und entwerten. „All I can do to you is call you a dirty name.“ Was bleibt den Angeklagten anderes übrig, wenn sie von einer Horde Polizisten beobachtet werden, die nur darauf lauern ihnen Knebel in den Mund zu stopfen? Folglich verfällt Strafpark nicht in ein ödes Geschwätz, sondern ist der hysterische Aufschrei gegen Unterdrückung und für den Diskurs, der die USA im Herzen traf und den Dissidenten außerhalb der Leinwand Recht gab. Jahrzehntelang war er in den USA nicht zu sehen, aber nicht weil er gerade heraus verboten wurde, sondern weil die Kinobetreiber Angst hatten vor der lauernden Staatsmacht.