Geifert, ihr Nonnen, ihr Exorzisten, ihr Menschen – Die Teufel (GB 1971)

Des Lebens Wirklichkeit ist zu mannigfaltig, um nur solche abstrakten
Gegensätze auszuweisen wie den zwischen einer Verzweiflung,
die vollkommen unbewußt ist, und einer, die sich des Zustandes völlig
bewußt ist. Meist freilich befindet sich der Verzweifelte, mit mannigfachen
Nuancierungen, in einem halbdunkel über seinen eigenen Zustand.

(Søren Kierkegaard)

Vor einigen Monaten hat das Britisch Film Institute The Devils von Ken Russell als aufwendige DVD-Edition mit hervorragender Bildqualität und mit einem Haufen an Boni auf den Markt gebracht. Jede Menge Arbeit haben sie sich gemacht, um den Zuschauer etwas nach dem Tod des Regisseurs zu bieten. Dokumentationen, Kurzfilme, Interviews – Informationen satt. Nur eines hat das BFI nicht geschafft: Warner dazu zu bewegen, die Lizenz für die wiederhergestellte Version von 2004 rauszurücken. Als der Film 1971 in die britischen Kinos kam, waren mehrere Szenen gekürzt worden und zwei Sequenzen entfernt. Im frankistischen Spanien wurde er verboten und in anderen Ländern (besonders der USA) noch stärker beschnitten. 2004 fand Mark Kermode eine der verschollen geglaubten Szenen und diverse andere Einstellungen. Statt nun die originalgetreuste Version zu veröffentlichen, kommt wieder nur ein altes Schwein in neuen Schläuchen auf den Markt. Bis heute scheint die Kermode-Version nur auf Festivals gezeigt worden zu sein.

Doch auch die britische X-rated Version hat es immer noch in sich und zog jede Menge Kontroversen nach sich. Nichts dergleichen war bis dahin im Kino zu sehen gewesen. Die Szenerien überschlagen sich förmlich. Eine bucklige Nonne leckt voll Lust die blutenden Wunden Christis. Eine bucklige Nonne, die sich unbewusst ein Kruzifix in die Handfläche bohrt, als sie krampfhaft versucht, ihre Leidenschaft aus sich herauszupressen, auf das ein reiner Geist zurückbleibe. Vor verdrängter Geilheit tropfende Exorzisten und Ärzte derwischen durch die irrealen Szenerien und verpassen vor Hysterie platzenden, nackt tanzenden Nonnen Einläufe, um sie vor Satan zu retten. Diese Geschichte, die auf realen Geschehnissen basiert, wird wie eine perverse Zirkusdarbietung behandelt. 8 Meter große Türen, die mit Popartkreuzen versehen sind, bestücken ein Gefängnis. Wohl nicht nur 1634 waren solche Pforten nirgends zu sehen. Viele letzte Ecken von Unschuld im Kino wurden aufs Gröbste geschändet. Für viele war es kaum auszuhalten. Anderen kam es einer Befreiung gleich. Als ich The Devils das erste Mal sah, war ich niedergeschmettert, angewidert und perplex. Ich hatte mit 18 erst angefangen zu begreifen, was es abseits des Mainstreams für Filme gab und dann landete ich in solch einem Film. Es war wundervoll. Nach diversen Sichtungen konnte ich die meisten Dialoge mitsprechen.

Hysterie und Wahnsinn sind die zentralen Punkte von The Devils, mit denen wahrscheinlich jeder zuerst konfrontiert wird … in den Berichten und in der eigenen Wahrnehmung. Doch unter der Raserei und dem Gore, welche einen förmlich anspringen, liegt ein riesiger Reichtum verborgen. Die Oberschwester des Frauenklosters (Vanessa Redgrave) von Loudun denunziert aus Eifersucht einen charismatischen, promisken Priester (Naturgewalt Oliver Reed). Er sei ein Diener des Teufels. Kardinal Richelieu und seine Handlanger nehmen diese Anklage dankbar auf. Der Kardinal will Frankreich unter seinen Fittichen zentralisieren und in Loudun, dem Tor zu Westfrankreich, trifft er auf den Widerstand in Form dieses Priesters. Die intrigante Machtpolitik, die mehr auf Neid und Heuchelei baut, als auf reale Anschuldigungen, wird genauso entlarvt wie die weltfremde Vergnügungssucht des Hofes. Im Kloster herrscht der kalte Zwang zur Reinheit/Keuschheit und folglich zieht eine Atmosphäre von Geilheit und Selbstgeißelung durch die Gänge. Damit sind die Nonnen die Versinnbildlichung der Zustände in der Stadt und gleichzeitig deren Spiegel. Denn in der Stadt steht Priester Urbain Grandier den Eiferern und Quacksalbern im Weg und kann sie in Zaum halten. Sie fühlen sich in ihrem eitlen (Erfolgs-)Wahn unterdrückt. Der eintreffende Hexenjäger verändert das alles. Er schreit jeden nieder, der auch nur einen rationalen Gedanken äußert und damit nicht im Einklang mit seinem lüsternen Kampf gegen die Lüsternheit ist. Er hat Erfolg, weil er all diesen unterdrückten Sehnsüchten und Selbstgerechtigkeiten die Möglichkeit zum Ausbrechen gibt. Die Nonnen beginnen, sich in ihrer Lust zu suhlen. Da sie vom Teufel besessen seien, können sie ja auch nicht anders. Unter dem Deckmantel der göttlichen Gerechtigkeit kann jeder seinen privaten Begierden nachgeben. Aus den Menschen wird ein Haufen geifernder Schakale … zum Nachteil aller. Und mitten in diesem Karussell der ausbrechenden Lüste steht Ken Russell wie ein Hexenmeister. Die Dimension, die Politik, die Religion, die Suche nach Glück, die Unterdrückung, das Ausbrechen, Pest, Quacksalbertum, Liebe, Neid, Eifersucht, Phantasie, Realität und so weiter, diese Heuschrecken hält er an der Kette. Von außen sehen sie kompakt aus, wie eine Wand. Aber wehe jemand landet in seiner Meute. Mannigfaltig werden die Angriffe sein … in denen er selbst für die zarten Momente des Glücks Platz findet.

The Devils wird im Grunde durch einen einfachen Gegensatz zusammengehalten. Auf der einen Seite stehen die Menschen, die sich ihrer Hemmungen entledigen und gerade ihren schlimmsten Fehlern erliegen, weil sie sich ihre Fehlerhaftigkeit nicht eingestehen wollen. Wie sehr sie fehlen, wird aber erst durch Grandier sichtbar. Jesusgleich wandelt er durch die Geschehnisse und kämpft nicht nur für die Freiheit seiner Mitbürger, sondern auch für seine eigene innerhalb der (katholischen) Kirche. Ohne Berührungsangst schläft er mit den jungen Frauen der Stadt. Er vertraut auf einen vergebenden Gott und hat folglich keine erdrückende Zweifel an seinem Seelenheil. Kierkegaards Krankheit zum Tode hat bei ihm keine Chance. Er hält seiner prüden Umgebung einen Spiegel vor, in dem er seine Fehlerhaftigkeit akzeptiert und damit zum Besten aller Menschen wird, ein großartiges Charismamonster, an dessen Lippen jeder hängt, neben dem jeder kläglich erscheint. Wie fair das ist, möge jeder selbst entscheiden, auf jeden Fall ist es effektiv. Denn gerade wenn die Passionsgeschichte des Priesters beginnt, fängt der Zirkus seiner Mitmenschen erst an wirklich garstig zu wirken.