Nach eigenen Aussagen basiert This is England auf Kindheitserfahrungen des Regisseurs Shane Meadows. Doch ein dreckiges Sozialdrama im Geiste von “Die Asche meiner Mutter” hatte er offenbar nicht im Sinn; zumindest nicht ganz. Der Film schildert einen zeitlichen Ausschnitt aus der Thatcher-Ära durch die Augen der Unschuld. Ein bewährtes Erzählmittel ist das, bestens geeignet für die Synthese von naiver Außen-, dann Innensicht. Nun ist es der zornige Shaun (Thomas Turgoose), der unseren Blick auf das England der frühen achtziger Jahre und insbesondere die Shinhead-Kultur führt. Im Sommer 1983, ein Jahr nachdem er seinen Vater im Falklandkrieg verloren hat, wandert der 12-jährige Einzelgänger ziellos durch die englische Vorstadtwelt. Seine liebevolle Mutter glänzt mit Abwesenheit und schrecklich authentischer Fön-Frisur. Shaun ist ein angry young boy, der kleine Bruder der rebellischen Helden britischer Klassiker wie “Saturday Night and Sunday Morning” und “The Loneliness of the Long Distance Runner”, in deren Fußstapfen Meadows mit diesem Werk durchaus zu treten vermag.
Zugleich zeugt der Film von einer Vorliebe für die Popkultur dieser Jahre, die sich in seiner Ästhetik äußert. Ska und Reggae durchströmen den Film wie die jungen Ohren seiner Protagonisten, verhelfen zu einer Vitalität, die ihn auch dank seiner sprühenden Farbwelt von den üblichen kitchen sink-Dramen, für welche die Insel sonst bekannt ist, abheben. Die Jugendultur, welcher sich der Film und mit ihm Shaun annähert, ist die Skinhead-Szene am Scheideweg vor der Vereinnahmung durch den Nationalismus. Der vorlaute Außenseiter, der seine verletzliche Schale mit Prügeleien zu verteidigen sucht, findet in einer Gruppe von etwas älteren Skins für kurze Zeit eine Ersatzfamilie. Der großen Desillusionierung, welche in (prä-)Adolszenz-Narrationen wie dieser folgen muss, geht allerdings keine paradiesische Überhohung voran. Die Jugendlichen leben in einem Land, von dem sie sich entfremdet zu haben scheinen. Ein Land, welches Kriege führt, deren Grund kein Mensch nachvollziehen kann, deren Opfer sie indessen in ihren Reihen zu verschmerzen haben. Ein Land, das ihnen keine Perspektive bietet. This is England. Arbeit spielt kaum eine Rolle in ihrem Leben, ebenso wie die Schule. In der Identifikation mit der Subkultur, ihrer Kleidung, ihrer Musik, ihren “Mitgliedern” scheinen sie eine Möglichkeit zu finden, sich als Individuum zu definieren. Doch die Wut über die Aussichtslosigkeit ihrer Lage löst sich nicht einfach in Luft auf. In einer Sequenz, die – und das schaffen eben nur wirklich gute Film – ihre Situation auf den Punkt bringt, ergehen sich die Freunde in der wahllosen Destruktion verlassener Gebäude am Stadtrand. Ein simples Motiv ist das, genau genommen, welches jene Radikalisierung im Keim bereits in sich birgt wie ein böses Omen.
Mit dem Auftauchen des frisch aus dem Gefängnis entlassenen Combo (Stephen Graham) wird die Gruppe schließlich entzweit, aus der Subkultur eine politisierte Bewegung, instrumentalisiert durch rechte Anzugträger. Combo, in dem Shaun eine starke Vaterfigur und wahrscheinlich auch ein älteres Selbst erkennt, ist ein gewaltbereiter Charismatiker. Diese Worte werden freilich nicht annhähernd der schauspielerichen Leistung Grahams gerecht. Der spielt oft aggressive Giftzwerge (etwa den Baby Face Nelson in “Public Enemies”), bringt es als Combo, innerlich von Zwiespalt und Hass zerfressen, zu einer explosiven Mischung aus Verletzlichkeit und Berechnung, deren Lunte längst entzündet wurde. Das Herzstück eines Films ist diese Figur, der eine Tradition des britischen Kinos entstaubt, ohne ihr untreu zu werden. In “This is England” zeichnet Meadows das pessimistische Bild eines Landes, das seine eigenen Kinder vergessen hat und deshalb irgedwann selber von diesen aufgegeben werden wird.