Kontrapunkt: Osterrückblick

Da hat der Hoppelhase neben zahlreichen Eiern auch noch andere Dinge mit ins Haus gebracht. Ein Glück, dass er sich vorher die Pfoten auf der Fußmatte abgetreten hat. Endlich kam ich auch mal wieder dazu, mangels anderer Beschäftigungen fernzusehen. Am Karfreitag hielt RTL ein interessantes Fantasyspektakel im Vormittagsprogramm bereit:

Kampf der Titanen (USA 1981)

Diese eher freie Interpretation der Geschichte der griechischen Mythologie um Perseus (Harry Hamlin), der gegen die Medusa kämpft und schließlich die Prinzessin Andromeda (Judi Bowker) vor einem Meeresungehauer rettet, ist ziemlich unterhaltsamer, aber nicht sonderlich herausragender Fantasytrash. Warum er trotzdem in die Filmgeschichte einging? Effekte-Pionier Ray Harryhausen wendete hier letztmalig seine damals schon in die Jahre gekommene Stop-Motion-Technik bei der Animation der zahlreichen Kreaturen an. Dies bringt die Beschränkungen mit sich, dass die entsprechenden Figuren immer nur in einer Totalen aufgenommen werden konnten und/oder dann in das bereits ohne Effekte gedrehte Filmmaterial eingepasst werden mussten. Ob indes das in nahester Zukunft in den deutschen Kinos startende Remake denselben Charme des bisweilen effekthascherisch wirkenden Originals aufweisen wird, darf ernsthaft bezweifelt werden.

Torpedo (D 2008)

Das im Alter von 16 Jahren realisierte Regiedebüt von der jungen Skandal-Autorin Helene Hegemann um eine unangepasste Fünfzehnjährige (Alice Dwyer), die bei ihrer süchtigen Tante aufwächst, weißt autobiographische Bezüge auf. Leider vergisst Hegemann, die auch das Drehbuch beisteuerte, eine Geschichte zu erzählen und verliert sich in etlichen, kaum zusammenhängenden Episoden mit Figuren, die scheinbar relevant sind, aber teilweise nie wieder auftauchen. „Torpedo“ wirkt also etwas planlos in seiner Ausrichtung – weder ein wirklicher Spiel-, noch Experimentalfilm, weder Lang-, noch Kurzfilm. Als radikaler Einblick in die aufgewühlte, ungeordnete Gedankenwelt einer verunsicherten Teenagerin ist dieses absurdhumorige Drama dennoch interessanter als manch andere Adoleszenzgeschichte.

I love you, Phillip Morris (F/USA 2009)

Die Biografie vom echten Steven Jay Russell, dessen Geschichte hier nach Steve McVickers Roman erzählt wird, war sehr wechselhaft: Frau und Kind, Outing als Homosexueller, Betrü- gereien, Knast, die große Liebe im Knast, Ausbruch, Betrügereien, Knast, Ausbruch, Betrügereien… und so weiter, bis ihm 1998 eine 144-jährige Haftstrafe aufgebrummt wurde. Gespielt wird er von Jim Carrey, der etwas ernster als gewohnt, aber in seiner Rolle als windiger Berüger nicht humorlos agiert; Ewan McGregor spielt Phillip Morris, seine große Knacki-Liebe. Der Film weiß dabei als stimmige Tragikomödie mit hohem Unterhaltungswert durchaus zu gefallen, weißt sogar einige großartige Pointen auf. Negativ zu bemerken bleibt einzig die Reaktion des Publikums der Sneak Preview, die ich nach langer Zeit wieder einmal besuchen konnte: ausgiebige Küsse unter Schwulen oder die ironische Oralsex-Szene auf einem Boot bringen auch heute noch Ressentiments gegen Homosexuelle zum Ausdruck.

Throw Down (HK 2004)

Ab und zu muss ein Regisseur mal Abstand nehmen von brutalen Gangsterepen und Actionfesten. Ab und zu, den Eindruck macht zumindest die Filmografie von Johnnie To, ist ein persönliches Projekt von Nöten. Wie ein Jazzmusiker schüttelt der Fachmann für den stylischen Blutverlust dann eine gut gelaunte Improvisation aus dem Ärmel. Im Gegensatz zu den Neujahrskomödien, mit denen To einen Teil des letzten Jahrzehnts verbracht hat, prägt Filme wie “Sparrow” eine Exzentrik, die an kommerziellen Erwägungen vorbei schielt. Ein Gaunermusical ohne Gesang, welches Hongkong mit dem Blick eines französischen Films der Sechziger inszeniert, darf durchaus als Wagnis betrachtet werden.

Mit Tos Akira Kurosawa-Hommage Throw Down verhält es sich ganz ähnlich. Zunächst einmal: Es gibt Gangster, aber keine Waffen in “Throw Down”. Doch das ist natürlich nicht alles. In der Welt des Films betätigt sich nämlich jeder Mann als Judoka. Würden im Normalfall des Hongkong-Kinos die Gegner einander meucheln, dominiert hier der japanische Sport das Geschehen. Eine ausgekugelte Schulter ersetzt sozusagen die Schusswunde. Judo ist nicht der naheliegendste Kampfsport in der von Martial Arts-Filmen geprägten Sonderverwaltungszone. Genauso wie “Sparrow” später den Taschendiebstahl zu einer Fantasie-Subkultur werden lässt, reichert “Throw Down” seinen fantastischen Gehalt an durch die Wahl dieser abwegigen “Umgangsform”. Das passiert eben, wenn man als Hongkonger Regisseur eine filmische Verbeugung vor einem japanischen Meister vollbringt. Angelehnt ist “Throw Down” schließlich an Kurosawas Regiedebüt “Sugata Sanshiro”, in dem es – genau! – um einen Judoka geht.

Szeto (Louis Koo), dauerbetrunkener Barbesitzer, war einst ein talentierter Vertreter dieser Kampfkunst, doch nun lebt er ziellos in den Tag hinein und verwettet ebenso planlos sein Geld. Doch dann kommt Tony (Aaron Kwok) in die Bar. Er spielt zwar Saxofon, aber eigentlich will er gegen Szeto kämpfen. Der hat allerdings längst den Glauben an sich selbst und seinen Sport verloren. Komplettiert wird das seltsame Trio durch Mona (Cherie Ying), die nach Hongkong gereist ist, um nichts geringeres zu werden als ein Star.  Tony und die angehende Sängerin sind so etwas wie die personifizierten Träume, die in Szetos Leben eindringen und ihn unwissentlich daran erinnern, dass Sehnsüchte und Wünsche es sind, die einen Menschen am Leben erhalten können.

Szeto wird natürlich früher oder später aus seinem Koma geweckt und wieder ein Ziel in seinem Leben finden. In ihm erwacht der Judoka und damit die Vitalität. Die Stationen des Sportfilms abzuklappern, ist jedoch nicht im Sinne Tos. Das Drumherum macht die Musik und dazu gehören die in tiefe Gelb- und Rottöne getauchten, wunderbaren Figuren, deren skurrile Eigenarten er virtuos, aber liebenswert zu einem  sympathischen Kuriositätenkabinett arrangiert. Beispielhaft dafür ist eine großartig montierte Szene, in der allerhand verschiedene Parteien etwas von dem ungewöhnlichen Dreiergespann wollen. Zwischen mehreren Tischen in der Bar und ebenso vielen Dialogsträngen hin und her springt To elegant, ohne dabei Faden oder Timing zu verlieren. Verkörpert wird die  ungewohnt optimistische Lebendigkeit des filmischen Unterfangens namens “Throw Down” insbesondere durch Eddie Cheungs Gangsterboss Savage. Der ist ein zwanghafter Spieler und das ist ernst gemeint. Da kann ein Air Hockey-Spiel gegen einen kleinen Jungen schon mal zur Herzenssache werden. Doch Savage ist wie alle Figuren in diesem Judofilm im Grunde echt nett.

Was die formalen Merkmale betrifft,  gibt sich “Throw Down” durchaus als typischer To. Eine gewisse Überstilisierung mit einer Vorliebe für starke Noir-Kontraste teilt der Film u.a. mit dem Policier “PTU” und auch späteren Arbeiten, die sich im Gangstermilieu aufhalten. Weder die düstere Lichtsetzung, noch die kräftigen Farben oder der Zeitlupen-Einsatz stehen der vergleichsweise gut gelaunten Story im Weg. Zurückzuführen ist dies auf das grundlegende Anliegen des Films. Schießereien werden mit Judo-Kämpfen ersetzt und in den Auseinandersetzungen geht es nicht um den  blutigen Heldentod. Gleichwohl bewegt sich To thematisch gesehen auf seinem Lieblingsterrain: Menschen und die Jobs, denen sie nachgehen. Ihre Missionen, ob Gangster, Taschendieb oder Judoka, bestimmen ihr Schicksal. Die Frage, welche To in seinen besten Filmen bewegt, ist jene nach dem Spannungsverhältnis zwischen der Prädestination durch ein System (das Syndikat, die Gemeinschaft der Judoka…) und den Widerstand gegen dasselbe. So wie die Gangster in “Election” seit ihrer Jugend in der Triade sind und dies bis zum Tode bleiben werden, wurde Szeto als Judoka geboren. Er muss nun auf den ihm gegebenen rechten Pfad zurückfinden.

Wie in seinen Gangsterfilmen ist To auch hier von Ritualen fasziniert. Diese Haltung verwandelt die Ausübung des Sports in einen quasi-religiösen Akt, der in der Inszenierung entsprechend mythisch aufgeladen dargestellt wird. Im Zeitlupen- und Farbenrausch gipfelt etwa der Kampf dutzender Sportler auf offener Straße. Dessen ungeachtet ist der ästhetische Genuss des Spektakels in “Throw Down” keinesfalls das Nonplusultra. Die Höhepunkte sind vielmehr in den verträumten, den kleineren Momenten zu finden, welche auf eine große Zärtlichkeit gegenüber seinen Figuren hinweisen. Eine eher selten in solcher Intensität zu beobachtende Seite des Regisseurs offenbart sich hier. “Throw Down” ist gerade deshalb ein feel-good movie, ein leichtes, aber kein leichtgewichtiges Vergnügen, welches  deshalb einer Spielerei wie “Sparrow” überlegen ist. Anders als in den Genrevariationen und Übungen legt To die zuweilen unterkühlte Haltung ab und ergibt sich voll und ganz seiner sanften, romantischen Ader. Es bleibt zu hoffen, dass er dieser Versuchung noch öfter nachgibt.

Kontrapunkt: Zum Teufel mit der Story!

Wer braucht die schon? Lasst gefälligst die Bilder wirken! Das ist Film: Leben in Bewegung! Lebendigkeit in den Figuren, Realismus! Oder wenigstens ein paar Effekte, wenn der Rest schon nicht passt…

Crazy Heart (USA 2009)

Die hier erzählte Geschichte ist wahrlich keine originelle, nein. Man hat sie schon tausend Mal gesehen. Zuletzt bspw. In „The Wrestler“. Auf jeden Fall gibt ein abgehalfterer Ex-Star seiner Branche, der sich mit seiner Familie verkracht hat und mit mies bezahlten Jobs herumplagt, auch storytechnisch nicht viel her. Doch wissen gerade solche Filme Mickey Rourke oder eben auch der großartige Jeff Bridges in beeindruckenden Performances aufzu- werten. Dazu gesellt sich ein Score, der zum Mitgehen und –fühlen einlädt, auch wenn man Countrymusik sonst nicht viel abgewinnen kann. Da verzeiht man auch die reichlich unglaubwürdige Beziehung zu einer jüngeren Reporterin (Maggie Gyllenhaal) – wieder diese wenig taugende Story – gern. Dank des Hauptdarstellers und der Musik großes Kino.

Scanners II – The New Order (CDN 1991)

Köpfe-Zerplatzenlassen die Zweite, etwas weniger unterkühlt als David Cronenbergs Erstling. Bei der dünnen Story um einen machtgierigen Polizeichef, der mithilfe der gefügig gemachten „Scanner“, Menschen mit telepathischen Fähigkeiten, die Gesellschaft kontrollieren will, wartet man sowieso nur auf die blutigen SFX. Schade nur, dass die ebenso wie Actionsequenzen nur spärlich gesät sind und die mediokren Darsteller mit Schauspielern diesen Mangel nicht übertünchen können. Für Fans der Reihe nett, wer etwas mehr Gekröse mit vergleichbarer Thematik sehen will, greift jedoch zu „Scanner Cop“, auch wenn der weniger auf Spannungskurve setzt.

Mit Herz und Hand (NZ/CH/USA/J 2005)

Fährt ein alter Mann aus Neuseeland zur „Speed Week“ nach Bonneville, Utah, holt nen Weltrekord und fährt wieder heim. Das ist die ziemlich simple Story dieses Films. Und genau so läuft der Film auch ab. Soll heißen: Konflikte, Bangen um das Erreichen des Ziels oder Exkurse sind nicht vorhanden. Getragen wird diese glatt gebügelte Heile-Welt-Schmonzette von einem omnipräsenten und wie immer – ja, auch als Kannibale – sympathischen Anthony Hopkins, der den Film an sich reißt. Das macht den zwar nicht besser, aber immerhin erträglicher und die hübschen Bilder und ein wenig kauziger Humor bekommen in Sachen Highlights Gesellschaft. Ein bisschen sehr viel ausfühlicher habe ich mich nach längerem Fernbleiben einmal mehr in der OFDb geäußert.

Vorsicht Sehnsucht!

Selten ist der Wettbewerb eines Filmfestivals so maßgebend für ein Kinojahr, wie jener von Cannes es letztes Jahr gewesen ist. War zunächst Skepsis darüber vorhanden, ob den ungewöhnlich vielen großen Namen auch große Taten folgen würden, versorgten Haneke, Tarantino, Audiard, Campion und andere in den folgenden Monaten die Leinwände der Welt mit einigem Diskussionsstoff. Noch immer wurde der Wettbewerbsjahrgang nicht vollständig bis in unsere Kinos durchgereicht. Auf Gaspar Noes “Enter the Void” warten Fans und Foes noch immer. Weniger skandalträchtig ist der neue Film von Alain Resnais, der immerhin den Spezialpreis der Jury für sich verbuchen konnte, aber neben Nazis und Genitalverstümmlungen geradezu eine sanfte Abwechslung zu bieten schien.

Resnais, Lieblingsfeind all jener, die die Bezeichnung “europäisches Autorenkino” als Warnung ansehen, scheint sich in Vorsicht Sehnsucht seinem zuckersüßen Vorgänger “Herzen” anzunähern. Zumindest die saturierten Bilder und die beiden Hauptdarsteller (Sabine Azéma und André Dussollier) lassen dies vermuten. Die Kritiken dagegen deuten ein etwas schwereres Werk an. Aber wer braucht schon eine Handlung, wenn er solche Bilder bekommt?


“Vorsicht Sehnsucht” startet am 22. April (endlich) in Deutschland. Der Trailer ist auch bei Apple einsehbar.

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Scott Who?

Nachdem das vergangene Jahrhzehnt den altbekannten Superhelden von DC und Marvel zu neuem Leinwandglanz verholfen hat, scheint nun Platz für eine weitere Stufe in der Evolution der Comicverfilmungen, die kein Ende zu finden scheint. Neben Matthew Vaughns Adaption von “Kick-Ass”, der wie Alan Moores “Watchmen” von einer Phase der verstärkten Genre-Reflexion zeugt, lässt dieses Jahr auch Scott Pilgrim vs. the World die Fanherzen höher schlagen. Blickt man zehn Jahre zurück auf “X-Men” und “Spider-Man”, scheint sich nun im Kino ein knallbunter Quantensprung vollzogen zu haben, der die genannten Filme reichlich altbacken, ja fast schon klassisch wirken lässt.

“Scott Piglrim” basiert auf einer Comicserie von Bryan Lee O’Malley, deren erster Band 2004 veröffentlicht wurde. Der Film, bei dem Edgar Wright (“Hot Fuzz”) Regie geführt hat, handelt vom titelgebenden Teen Scott (Michael Cera), der sich in ein Mädel verliebt. Dumm nur, dass deren verflossene Liebhaber(innen) sich daran machen, ihren Konkurrenten ins Jenseits zu schicken. Wie in einem modernen Märchen muss der Neue die sieben Alten besiegen, bevor das Glück zu zweit sich entfalten kann. Das sagt zumindest die Synopsis. Der Trailer sagt folgendes: Edgar Wrights frenetischer Stil ist erkennbar, aber wird er ohne Simon Pegg bestehen können? Michael Cera ist insofern die große Unbekannte, als fraglich ist, ob er in dem Film die nötige Wandlungsfähigkeit beweisen kann, die ihm in den Kritiken zu “Youth in Revolt” zumindest attestiert wurde. Der Trailer meint zu diesem Thema erstmal: Nö.

“Scott Pilgrim vs. the World” wird hierzulande am 4. November 2010 als “Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt” anlaufen. Den Trailer gibt’s in hervorragender Qualität bei Apple.

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