Diary of the Dave #15 – Rock ‘n’ Roll High School

Den Musiklehrer fand ich am allercoolsten! Ein Charakter, der am Anfang des Films noch vollständig ein Teil des Systems ist, jedoch über die sehr bizzaren Rock ‘n‘ Roll-Versuche an Mäusen doch irgendwie anfängt zu zweifeln. Und schließlich merkt, dass die Liebe zu Beethovens fünfter Sinfonie und zu “Blitzkrieg Bop” von den Ramones ein Widerspruch sein kann, aber absolut nicht sein muss!

Was ist ein guter Trashfilm und was kann er leisten? Schwierig zu sagen. Im besten Fall kann er den Zuschauer in höchster Art und Weise entspannen und von seinem erbärmlichen Leben ablenken. Ja und natürlich: geringes Budget, ein Drehbuch das auf einem Blättchen Klopapier Platz findet und meist eine völlig übertriebene Ausführung. Lila Hotpants zu roten Leggings gehören sicherlich zum Ende der 1970er Jahre dazu. Zu Ramones-Fans mutierte weiße Mäuse, schüchterne weibliche Nebenhelden mit dem Namen Rimbaud, ein Groupie mit dem Namen Angel Dust (!!!…!!!), explodierende Mäuse (ja… der Film ist eher für Tierliebhaber konzipiert), Earmail (ich kommentiere das jetzt mal nicht) sind hingegen sogar für die 1970er Jahre ungewöhnlich! Prototypisch hingegen sind die Bösewichte des Films… ja… natürlich… NAZIS!!! Oder besser gesagt, eine Nazi-Domina-Schuldirektorin, die ihre eigene kleine Geheim-Schulpolizei aufrechterhält (bestehend aus zwei notgeilen Schülern älteren Jahrgangs), um die Schüler zu kontrollieren. Und als sie die Kontrolle verliert, macht sie das, was alle Nazis gerne so machen… Kunstwerke verbrennen… hier konkret die Schallplatten ihrer Schülerinnen und Schüler. “Final Solution”, wie sie das nennt (Ja, Trashkultur im Allgemeinen hat im weitesten Sinne immer wieder versucht, die großen Tragödien des 20. Jahrhundert zu verarbeiten, etwa im Gegensatz zu Adenauer-50er-Jahre-Heimatfilmen oder Sissi oder Musikantenstadl…).

Für alle, die jetzt denken, der Film sei schwere Kost… ja… er ist wirklich ein ungewöhnliches Erlebnis.

Also noch einmal zur Ausgangsfrage…. Was ist eigentlich ein guter Trashfilm? “300” ist ein guter Trashfilm (trotz großen Budgets). Ja vielleicht gibt es so was wie ein Trashgeist. Der ideale Trashfilm stellt sozusagen Hegel von den Füßen wieder auf den Kopf! Und Rock ‘n’ Roll High School ist ein absolut großartiger Trashfilm. Mit Rationalität keinesfalls zu ergründen, fragt man sich über weite Teile, ob die Charaktere vielleicht alle bescheuert sind. Nun ja… ist alles eine Frage der Perspektive! Wie eine Naturgewalt arbeitet sich der Film jedenfalls in das Herz des Zuschauers… Sicher! Der Zuschauer sollte einige Voraussetzungen erfüllen! Er sollte geschmacklosen Humor mögen, ziemlich flache „sexual innuendos“ lustig finden. Seine Augen sollten angesichts von Späte-70er-Jahre-Mode krebsimmun sein. Er sollte kein Fetischist des gestochen scharfen Bilds sein (das gilt für alle Trashfilme! GRUNDSÄTZLICH!). Vielleicht sollte er Musicals mögen. Oder zumindest alberne Komödien mit viel Musik. Und ein Ramones-Fan zu sein, schadet wirklich überhaupt nicht.

Also ganz ehrlich gesagt, hätte ich diesen Film selbstverständlich nicht geschaut, wäre ich nicht selbst ein großer Ramones-Fan gewesen. Denn bei lila Hotpants mit roten Leggings (und dazu zitronengelbe Socken) stellen sich selbst bei mir gewisse Fragen. Trashfilme kehren ja gerne mal übliche Rollenbilder um. Die sexy Braut wird zum Ungeheuer, das Trash-Mädel zur Hauptfigur, das Mauerblümchen zur Komplizin der allgemeinen fröhlichen Zerstörung, der schnöde Musiklehrer zum größten Verteidiger des Punkrocks. Darum ging es ja auch im Grunde bei den Ramones. Ein traumatisierter Immigrant, ein merkwürdiger Freak, ein jähzorniges reaktionäres Ekel und ein psychopathischer Junkie haben sich gefunden, um gemeinsam eine völlig neue Art von Musik zu schaffen. Herausgekommen sind die Ramones. Sie haben bewiesen, wie der eigene Status umgedreht werden kann, wenn man den Mut zur Subversion auch auslebt. Und so wurden aus Freaks, die 99 % aller Menschen nur abschrecken würden, absolute Superstars. Nun ja… zumindest Kultfiguren (sie mussten ihre Hotelrechnungen ja immer noch mit Konzerterlösen bezahlen).

Dies ist sicherlich das subversive an Trashfilmen. Die absolute Umkehrung traditioneller Rollenverteilungen. Arte, wie lange willst du noch warten… zeige diesen Film endlich mal Freitag Nachts!

Meine Gewaltfantasien für heute habe ich vorerst ausgelebt. Die Listen-Episode von “South Park” vorhin hat nicht mit einem brennenden Gebäude geendet. Das konnte ich jetzt eben noch nachholen. Ein riesengroßer Mittelfinger gegenüber allen Autoritäten dieser Welt. Besonders gegen jene, die sich etwas… nazihaft gebärden.

Wirres Zeug eine halbe Stunde vor Mitternacht. Aber es war ja auch wirres Zeug, was ich mir in den letzten anderthalb Stunden angetan habe. Wirr ist aber cool.

In diesem Sinne: GABBA GABBA HEY, GABBA HEY, GABBA GABBA HEY… HEY, HO, LET‘S GO! HEY, HO, LET‘S GO! Vielleicht träume ich heute Nacht auch von Dee Dee Ramone, wie er unter meiner Dusche Bass spielt. Oder von Joey Ramone, wie er Pizza (oder Hähnchenschenkel… oder eine Handvoll Sojakeime) isst…

Exkrementelle Angst – Green Lantern (USA 2011)

DC-Entertainment ist im Kampf mit dem ewigen Konkurrenten Marvel nicht den leichten Weg gegangen. Statt „Flash“, „Wonder Woman“ oder andere bekannte Größen ins Kino zu bringen, setzten sie auf den zumindest außerhalb der USA wenig bekannten Green Lantern. In einem von Reboots, Sequels und Prequels beherrschtem Genre ist das eine durchaus spannende Wahl, die vor allen Dingen eines verspricht: der Zuschauer bekommt etwas zu sehen, was er noch nicht zur Genüge kennt. Doch die Enttäuschung könnte herber nicht ausfallen, denn eines hat der Film mit seinem Hauptdarsteller gemeinsam. Keiner von beiden kann mit einer originären Form von Kreativität punkten. So ist der Held im Besitz eines Ringes, der alles verwirklichen kann, was sich sein Träger vorstellt. Im Kampf erdenkt er sich aber nur Schwerter, Go-Cart-Bahnen oder riesige Fäuste. Sein Repertoire spiegelt stets wider, was er aus Filmen und seinem oder anderen Kinderzimmern kennt. Mit Green Lantern verhält es sich ebenso. Wenn man alles in einen Topf wirft, was in den letzten Jahrzehnten in Hollywood Erfolg hatte, gut umrührt und etwas von einem Comic über grüne Männer mit Laternen hinzufügt, dann kann das Ergebnis kaum anders aussehen. Das panische Fliehen von Menschen vor (über)natürlichen Katastrophen könnte direkt aus einem Roland Emmerich-Film stammen. Wie bei „Star Wars“ wird der Film von einer Moral bestimmt, in deren Zentrum die Beherrschung von Gefühlen steht. Und schon Topper Harley war nicht der erste  Jetpilot, der in Angststarre mit Flugzeug und Vater kämpfte. Die Liste könnte ewig weiter gehen. Vielleicht hatten Casino Royale-Regisseur Martin Campbell und seine Drehbuchautoren zu viel Angst. Doch der Reihe nach.

Unendliche Weiten. Ein Wesen namens Parallax, das sich pure Angst zu Nutzen gemacht hat, befreit sich und legt nach und nach das Universum in Schutt und Asche. Ihm steht das Green Lantern Corps entgegen, welches das Universum vor allem Bösen zu schützen trachtet. Doch gegenüber der übermächtigen, braunen Angstwolke, nicht unähnlich einem großen Haufen Kot, sind sie machtlos. Ein gefallener Green Lantern landet mit letzter Kraft auf der Erde, wo sich sein Ring, der mit der Essenz puren Willens angefüllt ist, einen würdigen Nachfolger sucht. Die Wahl des esoterischen Schmuckstücks fällt auf den verantwortungslosen, aber erfolgreichen Kampfjetpiloten Hal Jordan (Ryan Reynolds), der sich schnell beweisen muss, denn nicht nur Parallax gilt es zu besiegen. Auch den Wissenschaftler Hector Hammond (Peter Sarsgaard), der mit Teilen von Parallax infiziert wurde und mit den neugewonnen übernatürlichen Kräften Hals Umgebung bedroht.

Doch nicht die äußeren Schlachten stehen im Mittelpunkt von Green Lantern, sondern die inneren Kämpfe von Hal und Hector, die beide mit ihrem Vaterkomplex ringen. Jeder ist dabei der Spiegel des anderen, da sie sich den ganzen Film im Gleichschritt entwickeln, teilweise sogar in Parallelmontage dargestellt, und auf diametral entgegengesetzte Art mit ihren Minderwertigkeitsgefühlen umgehen. Das ganze Filmuniversum ist dabei die Externalisierung der Zwickmühle, in der sie gefangen sind. Parallax, der alle mit Angst paralysiert, stellt nichts anderes dar als die Furcht, dem Vater nicht gerecht zu werden. Auf der anderen Seite ist der protofaschistische Green Lantern Corps, der auf die Macht des Willens besteht und in Angst nur Schwäche sieht, die Über-Ich Instanz des Vaters. Hal wird von ihnen geradezu logisch als Feigling verstoßen, der eine Schande der Einheit wäre. In dieser zutiefst männlichen Welt gibt es also anscheinend nur ein Problem, den Vater.

Die schwache Umsetzung dieses Grundproblems wird dadurch das größte Problem des Films. Dieser externalisierte Vaterkomplex wird als allgültige Philosophie mit arroganter Penetranz dem Zuschauer auf die dümmste mögliche Art aufgedrängt. Die bedeutungsschwangeren, aber jämmerlichen Dialoge, in denen die Antipoden Angst und Wille immer wieder abgehandelt werden, hinterlassen einen mehr als flauen Nachgeschmack. Alle Probleme des Films werden zwanghaft auf zwei/drei Gefühle runter gebrochen. Der Wunsch der stoischen Philosophie des „Star Wars“-Universums eine ebenbürtige Weltanschauung gegenüberzustellen, scheitert eben daran, dass sich der Vorbilder zu deutlich bedient wird. Besonders da diese nicht ausbaut werden, sondern beschnitten. Beim Kampf mit Parallax kann schon einmal der Imperator vermisst werden, der Hal auffordert, sich seiner Wut hinzugeben. Green Lantern kommt so nie über den Status einer billigen Kopie hinaus.

„And cheapness (…) has nothing to do with the budget of the film, although it helps.“, hat Frank Zappa einmal gesagt. Green Lantern macht auf beeindruckende Weise deutlich, wie wahr dies doch ist. Die Hilfe eines geringen Budgets haben sie bei einem wahrscheinlichen Betrag von 200 Mio. Dollar nicht in Anspruch genommen. Trotzdem schaffen es die Macher, ein Feuerwerk an Kläglichkeit abzuschießen, dass es nur so eine Freude ist. Einzig die 3D-Bilder scheinen mit Verstand komponiert und sind nicht einfach nur aufgeblasenes 2D. Charaktere und Handlung sollen groß aufgebaut werden, doch jedes Potential verläuft sich im Sand. Lieblos wird sich auf die schwache Angstideologie gestützt, wodurch alles eindimensional bleibt. Alleine Ryan Reynolds schafft es, problemlos jeden Ansatz von Charisma zu umgehen, und führt so ein blasses Ensemble an, in dem Charaktermimen wie Tim Robbins oder Angela Bassett nicht einmal die Chance bekommen, ihre Figuren mit Leben zu füllen. Das alles wäre aber gar nicht mal ärgerlich, wenn wenigstens die Action stimmen würde. Doch alles zieht nur vorbei. Die Actionszenen enden, ohne dass Dramatisches geschehen ist. Sie hinterlassen bloß die Frage, ob das alles war. Green Lantern möchte alles sein, Fantasy-Charakterstudie und Actionspektakel, doch nichts davon wird überzeugend umgesetzt. Was bleibt ist ein riesiger Aufbau, der, zumindest die Trash-Fans wird es freuen, talentfrei in sich zusammenbricht.


Zum Weiterlesen:
Die gesammelten Kritiken bei Film-Zeit.de.

Fluchtpunkt (II) – Strafpark (USA 1971)

Halbnackte Studenten werden durch die US-amerikanische Wüste gejagt. Schießwütige Polizisten sind hinter ihnen her. Eigentlich hat Punishment Park kaum mehr an Handlung zu bieten. Kurz nach dem Kent-State-Massaker ruft Richard Nixon den Ausnahmezustand aus. Tribunale werden abgehalten, welche jeden wegen Landesverrat verurteilen, der die Politik der Regierung kritisiert. Mittels eines Wettlaufs durch einen sogenannten Strafpark können die Verurteilten ihrer Gefängnisstrafe entgehen. In 3 Tagen müssen 50 Meilen durch eine Wüste zurückgelegt werden. Man bekommt weder Essen noch Trinken und die Polizei beginnt nach 2 Stunden mit der Verfolgung. Wer es schafft, das Ziel zu erreichen, ohne erneut festgenommen zu werden, ist frei. In diese hypothetische Ausgangsposition begibt sich ein Filmteam und dreht eine Dokumentation. Strafpark ist das Ergebnis ihrer fiktiven Arbeit, welche die Vision eines zutiefst gespaltenen Landes entstehen lässt, eines Landes, in dem keine Kommunikation, kein Ausgleich mehr möglich ist. Doch über den Weg der Fiktionalisierung bietet Regisseur Peter Watkins einen aufwühlenderen Blick auf die Realität der Vereinigten Staaten im Jahre 1970, als es jede reale Dokumentation erreichen könnte.

Punishment ParkMehrere Kamerateams verfolgen die Menschen an beiden Enden der Hetzjagd. Sie filmen Polizisten, die sich im Umgang mit ihren Feuerwaffen üben. Stolz erklären diese, dass selbst Rhinozerosse mit einem Schuss aufgehalten, wenn nicht sogar getötet werden könnten. Die eingefangene Stimmung auf dieser Seite ist vor allem durch Frust bestimmt, wegen ein paar in ihren Augen unbelehrbarer Idioten in der Wüste sein zu müssen. Die Gefangenen sind zwar auch frustriert, aber eher, weil sie sich zumindest darin einig sind, dass die Situation, in der sie sich befinden, nicht akzeptabel ist. So werden sie durch überbelichtete Bilder voller Luftspiegelungen gejagt und stellen sich ständig die Frage, wie sie damit umgehen sollen: gewaltsame Gegenwehr oder friedliches Akzeptieren der Regeln, um den Kreislauf der Gewalt zu entkommen. Dieser Park in der Wüste ist damit nichts weniger als die USA und wie er von den Dissidenten wahrgenommen wird… als Polizeistaat.

Was Strafpark aber davor rettet, eine billige Allegorie auf die Entfremdung zwischen Staatsmacht und Nörglern zu sein, die in blinder Gewalt endet, sind die Szenen aus dem Tribunal. In ihnen werden die Schauprozesse vorgeführt, welche zur Verurteilung führen. In einer riesigen, den gesamten Film andauernden Parallelmontage zwischen Strafpark und Tribunalen gewinnen beide Seiten an Tiefe. Unterschiedliche Menschen stehen sich gegenüber und sind aus unterschiedlichsten Gründen auf den beiden Seiten des Verhandlungstisches gelandet. Die Verhandlungen gleichen dabei einer gewöhnlichen, hitzigen Diskussion bei Markus Lanz oder Anne Will. Unbegreiflich bleibt den Menschen in dem Kreisrund, wie jemand nur so verbohrt und abscheulich sein kann wie die gegenüber sitzenden Individuen. Folglich verliert jeder gegenüber dem Anderen die Contenance und fängt an zu schreien, brabbeln, keifen, geifern oder zieht sich resigniert in sich zurück. Ja, die Dispute scheinen wie aus dem Leben gegriffen. Niemand wird vorm Zuschauer denunziert. Dass alles nur fiktiv ist, kann sehr schnell aus den Augen verloren werden. Zu gut ist die Dokumentation nachgestellt, zu gut sind die Schauspieler und die Dialoge. Die verführende Verlässlichkeit der Bilder reißt den Zuschauer mit in die Arena der Dispute. Ob in der Wüste und während der Schauprozesse, Abgrenzung ist schwerlich möglich.

Das Obszöne der Gerichte sind folglich auch nicht ihre Meinungen, sondern es ist ihre Macht, mit der sie jegliche Argumente von sich abwehren und entwerten. „All I can do to you is call you a dirty name.“ Was bleibt den Angeklagten anderes übrig, wenn sie von einer Horde Polizisten beobachtet werden, die nur darauf lauern ihnen Knebel in den Mund zu stopfen? Folglich verfällt Strafpark nicht in ein ödes Geschwätz, sondern ist der hysterische Aufschrei gegen Unterdrückung und für den Diskurs, der die USA im Herzen traf und den Dissidenten außerhalb der Leinwand Recht gab. Jahrzehntelang war er in den USA nicht zu sehen, aber nicht weil er gerade heraus verboten wurde, sondern weil die Kinobetreiber Angst hatten vor der lauernden Staatsmacht.

Diary of the Dave #14 – Der kalte Sommer des Jahres 1953

Es war im Sommer 1953, ein alter, starrsinniger, bösartiger Mann mit einem lustigen Schnurrbart war vor kurzem gestorben und ein mingrelischer Funktionär machte sich daran, die Weltherrschaft zu erobern. Oder? Wirklich?

Nein… fangen wir noch einmal neu an: wir befinden uns in einem sibirischen Fischerdorf am Arsch der Sowjetunion im Sommer 1953. Stalin ist seit mehreren Monaten tot. Was seitdem im Kreml vor sich geht, ist der absolute Wahnsinn! Lavrentij Berija präsentierte sich nach dem 5. März 1953 sehr schnell als der neue starke Mann in der UdSSR, unterstützt von Georgij Malenkov, dem Vorsitzenden des Ministerrats. Der Geheimdienstchef Berija, der so viele Verbrechen des Stalin-Regimes nicht nur mitgetragen, sondern mit eiskalter Berechnung auch organisiert hatte (die Hinrichtung von etwa 20.000 polnischen Offizieren, die Deportation ethnischer Minderheiten nach Zentralasien, die kontinuierliche Ausübung des Terrors im Zweiten Weltkrieg, die Leningrader Affäre und vieles mehr), der Stalin seit Anfang der 1930er Jahre so treu gewesen war, vollführte mit einem erstaunlichen Aktionismus zahlreiche spektakuläre Kehrtwenden von der stalinistischen Politik. Er wollte eine Neuausrichtung der Nationalitätenpolitik, er beendete die infame antisemitische Kampagne und die damit verbundene Ärzte-Affäre, er verbot die Folterung von Gefangenen und hob Sondergerichte des Innenministeriums auf. In der Außenpolitik näherte er sich wieder dem titoistischen Jugoslawien an und forderte von den kommunistischen Führungen der DDR und Ungarns eine grundlegende Revision ihrer terroristischen und Zwangspolitik. Mehr noch: Berija war wahrscheinlich bereit, die DDR aufzugeben und für ein wie auch immer geartetes neutrales Deutschland einzustehen. Unklar ist, ob Berija tatsächlich bereit war, die Kolchosen aufzulösen, sprich die stalinistische Zwangskollektivierung rückgängig zu machen. Und natürlich: mit einem Federstrich hat er am 27. März 1953, drei Wochen nach Stalins Tod, die Amnestie von etwa 1,2 Millionen Lagerhäftlingen in die Wege geleitet (sprich etwa die Hälfte aller GULag-Häftlinge) und somit zugleich die Auflösung der stalinistischen Zwangsarbeitslager in die Wege geleitet. Hier setzt sozusagen Der kalte Sommer des Jahres 53 von 1987 ein.

Ein echt trostloses Fischerdorf am gefühlten Arsch des ersten sozialistischen Staates der Welt. Die Ereignisse, die heute eine differenzierte und quellengestützte Historiographie zu erklären und einzuordnen versucht, kommen dort gebündelt und chaotisch an. Stalin ist tot, und der Dorf-Milizionär teilt dem Hafenchef des Dorfes mit, dass nun Berija als Volksfeind verhaftet worden ist. In dieser trüben Bauernhütte, in der Stalinporträts als Anwesenheit sowjetischer Staatsmacht herhalten müssen, betrauert der Milizionär auch die brutale Ermordung eines Frontkameraden (Weltkrieg) durch Kriminelle… Auf jeden Fall Leute, die durch/dank/wegen Berija rausgekommen sind. Ob Berijas Bilder aus der Zeitung tatsächlich zerrissen werden müssen, darüber können sich Hafenchef und Milizionär nicht einig werden. Der reiche Bauer (ich nenn’ ihn seiner Kleidung wegen mal so) des Dorfes hält es auf jeden Fall für nützlich, das zerknitterte Zeitungsbild Berijas aufzubewahren, das der Milizionär in seiner Empörung über die Amnestie der ganzen “Kriminellen” zerknüllt hatte. Als eventuelles Beweisstück gegen den Zerknüller. Lenin wollte ja Kontrolle, Stalin hat dann Misstrauen geschaffen (nicht, dass die Übergänge nicht fließend wären). Was passieren muss, passiert schließlich: Das Dorf wird von einer Horde von amnestierten Kriminellen überfallen. Der reiche Bauer wird als Geisel genommen. Wobei er relativ schnell kooperationsbereit ist, ein Verhaltensmuster, das er wohl im Stalinismus gelernt hat? Die Kriminellen machen sich auf jeden Fall breit, trinken “?ifir” und der jüngste von ihnen macht sich auf der Suche nach dem jungen Dorfmädchen, um sie zu… Dazu später.

Zwei Außenseiter hat das Dorf. Ein Verbannter, der durchaus bereit ist, landwirtschaftliche Tätigkeiten im weitesten Sinne zu tätigen, und ein weiterer Verbannter, der nicht so viel Antrieb hat und lieber den ganzen Tag den See anschaut (Thilo S. würde ihn wahrscheinlich in irgendeiner Art und Weise beschimpfen wollen, aber dieser Vergleich ist müßig: 1953 gab es kein Hartz IV in der Sowjetunion). Diese werden von den Kriminellen beauftragt, den mittlerweile erschossenen Milizionär zu begraben. Der Kriminelle, der sie überwachen soll, passt nicht so richtig auf. Deshalb entkommen die beiden Verbannten in den Wald.

Von da aus starten sie einen Vernichtungsfeldzug gegen die Kriminellen. Der Ältere ist ein Ingenieur (einer von “Stalins Ingenieuren”?), der 1939 verhaftet wurde. Der etwas jüngere, der ein bisschen an Scott Glenn erinnert, war hingegen ein Kommandeur in der Roten Armee (deshalb weiß er natürlich, wie man mit Waffen umgeht). Er ist es schließlich, der einen Kriminellen nach dem anderen auch fertig macht: und zwar durch Erstechen (bei der versuchten Vergewaltigung des mehr oder minder hübschen Dorfmädels), Erschießen und Ertränken, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Der Ingenieur stirbt. Scott Glenn kehrt aber zurück in die Stadt (Moskau? Ist ja egal), um den Verwandten des Ingenieurs dessen Tod mitzuteilen, und schließlich im Trubel der Straße zu verschwinden.

Ehrlich gesagt… was war meine Erwartung an den Film? Durch eine gewisse Beschäftigung mit dem Stalinismus und der Zeit nach dem Stalinismus, ob als “Entstalinisierung”, “Tauwetter” oder “Chruš?ev-Ära” bezeichnet, habe ich im Grunde einen Selbstjustizfilm erwartet in der Art, wie er im Westen in den 1970er Jahren diskutiert wurde (Dirty Harry, Straw Dogs etc.). Also ein Film, in dem Polizei- und Justizorgane scheinbar versagen, so dass ein Held Polizist, Untersuchungsleiter, Richter und Henker gleichzeitig spielen muss und dabei vor Gewalt und der Missachtung von Gesetzen nicht zurückschreckt. Ein Stückchen weit habe ich das auch bekommen mit solchen Sprüchen wie zum Beispiel “Wir müssen Schluss machen mit dem Gesindel!” und dem ambivalenten Zitat “Einfach nur so wird bei uns keiner verbannt!”.

M. Dobson hat deutlich gezeigt, dass die Amnestie von 1953 durchaus nicht mit ungehaltener Freude aufgenommen wurde. Das junge poststalinistische Regime versuchte durch eine Pressekampagne unter den Stichworten “sowjetischer Humanismus” und “sozialistische Gesetzlichkeit” eine Akzeptanz für die breite Amnestie unter den Sowjetbürgern hervorzurufen. Zurück kamen mehrheitlich Aufrufe zur harten und gnadenlosen Bestrafung von “Banditen” und “Hooligans”. Nicht nur sollten sie ins Lager zurückgeschickt werden. Mancher “aufrichtiger” Sowjetbürger schlug sogar Körperverstümmelungen vor, um mit den Kriminellen fertig zu werden. Anders gesagt: das Regime sprach eine “neue Sprache” (Menschlichkeit, Gesetzlichkeit), während die Masse der Bevölkerung noch die “alte Sprache” sprach (Sündenböcke jagen, verhaften und vernichten). Fräulein (oder Frau? egal) M. Dobson geht gekonnt mit ihren Quellen um und steht auch nicht alleine in ihrer Bewertung da. D. Kozlov hat herausgefunden, dass Leserbriefe aus dem Jahre 1956 noch weitestgehend von der stalinistischen Sprache geprägt waren, von der Suche nach Sündenböcken, nach Volksfeinden, nach “Würmern”, “Parasiten” etc., etwa wenn es um korrupte Fabrikdirektoren und Manager ging.

Was hat das mit dem Film Der kalte Sommer des Jahres 1953 zu tun? Der Film würde wahrscheinlich von jedem dahergelaufenen Filmkritiker als Leuchtfackel der “perestrojka” behandelt werden, weil es ja irgendwie um GULag und so geht. Wenn man die Thesen von M. Dobson verarbeitet, dann könnte man fast meinen, dass dieser Film von 1987 eine stalinistische Botschaft mit sich trägt. Im Grunde scheint das Lagersystem ja fast schon richtig und gerecht gewesen zu sein, wenn denn so viele Kriminelle dort saßen. Das scheint der Film ausdrücken zu wollen. Die beiden “Helden” des Films saßen vor ihrer Verbannung auch, werden aber im Film als die große Ausnahme dargestellt, als Leute, die tatsächlich völlig unschuldig waren.

Wer Solženicyn liest wird eine ähnliche Interpretation finden. Denn auch er als sowjetischer Dissident (aufgrund seines Antisemitismus ist er für mich keineswegs eine moralische Instanz) teilt die Häftlinge in Kategorien ein. Kriminelle sind für ihn ein Abschaum, der den “GULag” genauso verdient hat wie alle inhaftierten Kommunisten. Diese Lesart der Lagererfahrung wird übrigens von vielen ehemaligen Dissidenten durchaus geteilt.

Also… Der kalte Sommer des Jahres 1953 als echter “perestrojka”-Film? Eher nicht! Vielmehr widerspiegelt er, nein, er setzt eine Paranoia in Szene, die viele Sowjetbürger im Jahre 1953 angesichts der Amnestien verspürten: die Angst vor Leuten, die irgendwie wohl doch rechtmäßig “saßen”. Die Geschichtsschreibung hat gezeigt, dass Verbrechen amnestierter Häftlinge nicht so massenhaft in Erscheinung traten wie die Denunziationen solcher Verbrechen… Sprich: Diskrepanz zwischen real existierendem und gesellschaftlich gefühltem Verbrechen. Interessanterweise ein großes Problem moderner und “postmoderner” Gesellschaften wie zum Beispiel in Deutschland.

Nun also: guter Film, schlechter Film? Ein stalinistischer Film? Mit einer miserablen Synchronisation und einer fürchterlichen Bildqualität wurde die Sperrigkeit der Inszenierung noch ganz besonders hervorgestrichen. Während bei anderen sowjetischen Filmen die „sperrige“ Inszenierung teils wirklich gelingt, hat Der kalte Sommer des Jahres 53 manchmal schwache, und manchmal auch wirklich starke Momente. Höhepunkt sind die paar Minuten im Wald, als “Scott Glenn” das Mädchen rettet und zwei der Kriminellen nach einer Katz-und-Maus-Jagd erschießt. Actionreich und mit einigen interessanten Bildern und Kameraeinstellungen. Der Oberboss der Kriminellen, der ertränkt wird, sieht übrigens ein bisschen wie der ehemalige NKVD-Chef Genrich Jagoda aus, also dem Vor-Vorgänger Berijas. Also… Scott Glenn, Jagoda, Dorfmädels, Verfolgungsjagden und Shoot-outs… ist immerhin auch etwas.

Berija wurde im Juni 1953 verhaftet und kurze Zeit danach hingerichtet. Seine Nachfolger verfolgten nicht mehr ganz so umfassende Reformpläne wie er. Mit größtenteils halbherzigen (bzw. teils wahrhaftig durchgeknallten und verrückten) Reformen wurstelten sie sich bis in die 1980er Jahre durch. Dann kam der Mann, der Chruš?evs Kurs wieder aufgriff… oder doch etwa Berijas?

My hands are a little dirty – Trailer für Nicolas Winding Refns Drive

Normalerweise werden hier nicht so viele Trailer gepostet, aber was soll’s. Die Comic-Con ist in vollem Gange und das heißt, es gibt eine Überdosis an bewegten und unbewegten Bildern kommender Filme. Anstatt hier den Trailer des hundertsten Superheldenfilms zu veröffentlichen, verweise ich aber lieber auf den neuen Film von Nicolas Winding Refn (Bronson, Walhalla Rising). Drive basiert auf einem Roman von James Sallis und hat bei den Filmfestspielen in Cannes dieses Jahr den Preis für die beste Regie abgestaubt.

Im Mai hatte ich bereits eine 2 Minuten lange Sequenz aus dem Film gepostet. Ryan Gosling spielt darin einen Stuntfahrer, der sich in die falsche Frau verliebt (Carey Mulligan) und die falschen Freunde findet (Albert Brooks). Wenn der Trailer eines beweist, dann das Christina Hendricks (Mad Men) in einem Film von Wong Kar-Wai mitspielen sollte, der nur daraus besteht, dass man ihr beim Rauchen zuschaut.

(via filmbeef)