Kontrapunkt: Eine Höhlenexpedition in die weibliche Seele

Nachdem mir vergangene Woche mit High Lane – Schau nicht nach unten! ein eher mediokrer Genrebeitrag über den Weg lief, der bei The Descent – Abgrund des Grauens viel abkupferte und wenig selbst erfand, bekam ich Lust, den noch einmal zu schauen. Dieses Mal darauf achtend, fiel mir dabei die in Horrorfilmen beinahe schon typische Kodierung der Frauenfiguren ebenso ins Auge wie das Maß, in welchem „The Descent“ darüber hinausgeht. Klar, vordergründig betrachtet bleibt am Ende auch hier die Traumatisierte, die sich im richtigen Moment als clever und wehrhaft entpuppt, übrig, und Dummheiten (Karte absichtlich im Auto liegen lassen, tsts) werden bestraft, doch offenbart sich hinter diesem Standardrepertoire im Subtext eine tiefere Bedeutungsebene. Diese möchte ich versuchen offenzulegen, doch zugleich der Hinweis: Abgeschlossen ist die Deutung des Films damit nicht, sondern dies ist lediglich eine Interpretationsmöglichkeit. Lesern, die den Film noch nicht gesehen haben, sei dieser Text dabei aufgrund zahlreicher Spoiler nicht ans Herz gelegt.

Betrachtet man die Figurenkonstellation in „The Descent“, so wird schnell klar, dass sich zwischen den weiblichen Protagonisten gleich zu Beginn ein Konfliktherd auftut. Dieser besteht zunächst nur zwischen Sarah (Shauna Macdonald) und Juno (Natalie Jackson Mendoza). Sarah hat bei einem Unfall ihren Ehemann Paul und ihr Kind verloren, Juno hat sie bei der Trauer gleich danach ziemlich schnell allein gelassen. Dieser Konflikt wird später noch verschärft, als Juno bei einem Angriff der Mutanten aus Versehen Beth (Alex Reid) tötet, diejenige der sechs Frauen umfassenden Höhlenexpeditionsgruppe, welche Sarah damals – vor einem Jahr – am meisten beigestanden hat. Beth ist es auch, die Sarah aus einem einstürzenden Schacht zieht, sie nicht allein lässt. Dem Einsturz dieses Schachts geht jedoch ein schlüpfriger Witz Beths unmittelbar voraus („Wie bringt man eine Zitrone zum Orgasmus?“). Aus dieser Thematisierung des Sex, und sei es auch nur scherzhaft, resultiert das Hereinbrechen des Unheils in Form der nicht ausgelebten Libido. Selbiges gilt auch für den Autounfall zu Beginn, bei dem Sarah Ehemann und Kind verliert. Sarah spricht mit ihrer Tochter auf der Rückbank unmittelbar vor dem Unfall darüber, dass sie doch auch einmal Jungs zu ihrer anstehenden Geburtstagsfeier einladen könne, der geistesabwesend wirkende Paul denkt über seine unterdrückten Gefühle für Juno nach. Bezeichnender Weise werden Paul und Tochter bei dem Unfall von phallusartigen Metallstangen durchbohrt. Diese sexuelle Aufladung kann in beiden Fällen also nicht ohne Konsequenzen geduldet werden.

Fortan, mit dem Tod ihres Kindes, hat Sarah immer wieder surreal erscheinende Träume von ihrer Tochter, wie sie die Kerzen ihres Geburtstagskuchens auspustet. In Sarahs Gedanken ist sie real. Doch in den Mutanten in der Höhle, die dem weiblichen Sextett nach dem Leben trachtet, scheint ihre Tochter eine pränatale Manifestation im Realen gefunden zu haben. Diese Mutanten sind „unvollständig“, können nicht sehen, ihr Körper scheint nicht fertig geformt. Sie gleichen ungeborenen Kindern, Föten, die im wahrhaftigsten Sinne nie das Licht der Welt erblickt haben. Sie leben in einer feuchten Höhle, gleich dem Bauch ihrer Mutter. In diese Höhle dringen die sechs Frauen während ihrer Höhlenexpedition ein und greifen in das Leben der Mutanten, sozusagen der „Ungeborenen“ ein, die endlich die Möglichkeit sehen, sich an ihnen zu rächen, gegen die „Abtreibung“ zu wehren. „Abtreibung“ kann dabei sowohl mit dem Tod von Sarahs Tochter (durch Sarahs sexuell aufgeladenen Dialog; so verschuldete sie indirekt den Unfall) als auch mit dem emanzipierten Lebensstil der Frauen konnotiert werden. So bleibt das lesbisch aufgeladene Verhältnis zwischen der letztlich in ihrer Libido unbefriedigten Juno (schließlich ist der begehrte Paul tot) und der burschikosen Holly (Nora-Jane Noone) ungeklärt, aber schwingt latent über den gesamten Film hinweg mit.

Juno ist es auch, die ihr Im-Stich-Lassen Sarahs bei der Trauerarbeit wieder gut machen und dafür sorgen will, dass diese ihr Trauma nach einem Jahr durch die gemeinsame Höhlenexpedition endlich überwinden kann. Doch Sarah kann nicht über ihre Trauer hinwegkommen, sie nimmt immer noch Tabletten und ist gebrochen. Als sie schließlich in der Höhle im Angesicht der Bedrohung durch die Mutanten herausfindet, dass Paul und Juno mehr füreinander empfunden haben („Love every day“-Kette), schlägt dieser psychisch fragile Umstand in Todessehnsucht und blinde Zerstörungswut um. Hätten beide Frauen zusammen unter Umständen gegen die Rache der „Ungeborenen“ bestehen können, so rammt Sarah Juno schließlich aus Rache einen Haken ins Bein, der sich fluchtunfähig werden lässt und verlässt sie. Sarah hat indes mit ihrer Schuld den „Ungeborenen“ gegenüber abgeschlossen, verspürt nur noch Hass gegen sie und sich selbst. Auffällig: Sie fällt auf der Flucht vor einem weiblichen Mutanten in ein riesiges Loch, welches aufgefüllt ist mit dem Blut der Opfer. Sarah besinnt sich ihrer Menstruation, ihrer Fruchtbarkeit, ihrem Recht auf Selbstbestimmung (auch gegen ihre Rolle als Mutter) und sagt der Unterdrückung (Tod) ihrer Auffassung von Weiblichkeit den Kampf an. So träumt sie ein letztes Mal von ihrer Tochter, als sie sich damit abgefunden hat, dass dieser Kampf, das Beharren auf Selbstbestimmung, nur den eigenen Tod bedeuten kann, weil sie sich mit ihrem Innersten der Weiblichkeit (die Höhle als Analogie zum Uterus) konfrontiert sieht. Eine Verweigerung und ein Kampf gegen die eigene Natur, ihre eigene Sexualität und Libido, den sie nicht gewinnen kann.

Das ist nur eine in der Filmkritik oftmals angerissene, aber selten ausdeklinierte Deutungsweise des Films, der abgesehen davon ein ziemlich spannender, klaustrophobischer und ziemlich fieser Horrorthriller geworden ist. Für Freunde des Genres also ein klarer Tipp!

Kontrapunkt: Film vs. Buch – Traumnovelle/Eyes Wide Shut

Insbesondere Georg Seeßlen hat in seinem Kubrick-Buch Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ und dessen Verfilmung, Stanley Kubricks Eyes Wide Shut, sehr intensiv und reich an der sich aufdrängenden psychoanalytischen Deutung (Schnitzler und Freud waren Wiener Zeitgenossen) herausgearbeitet. Aus diesem Grunde sollen sich meine Ausführungen auf eher formale wie inhaltliche Kriterien des Vergleichs beschränken.

Zunächst einmal ist zu erwähnen, dass Kubrick Schnitzlers literarische Vorlage, deren erster Entwurf von 1907, seine Veröffentlichung in seiner fertigen Form von 1926 datiert, aktualisierte. Pferdekutschen und Kerzen sind Taxen und elektrischem Licht gewichen. Auch der Ort des Geschehens wurde verändert: aus Wien wurde New York, gedreht größtenteils in London. Die Hauptfiguren wurden entsprechend anders benannt, aus Fridolin wurde Bill (gespielt von Tom Cruise), aus Albertine Alice (gespielt von Nicole Kidman). Und doch sind die Figuren in ihrer Charakterisierung gleich: Hier der anständig erscheinende, in der Ehe scheinbar glückliche Arzt, dort die unbefriedigte Hausfrau, die Bill eines schicksalsträchtigen Abends von einer Beinahe-Urlaubsaffäre erzählt. Die Entfremdung der Eheleute bricht in dieser Szene zu Tage, während Alice dem fassungslosen Bill ihren gedanklichen Ehebruch, ihren Ausbruch aus den Fesseln ihrer unterdrückten Lust gesteht. Im Buch heißt es: „Zu allem glaubte ich mich bereit; dich, das Kind, meine Zukunft hinzugeben, glaubte ich mich so gut wie entschlossen, und zugleich – wirst du es verstehen? – warst du mir teurer als je.“ ((Arthur Schnitzler (2005): „Traumnovelle“ (inklusive „Die Braut“) Reclam. S. 14.)) Sie überkommt das unbekannte Triebverlangen, was in ihr schlummerte, welches er nicht befriedigen kann. Dankbar für einen Anruf, hat Bill die Möglichkeit, dieser unangenehmen Situation zu entgehen – vorerst. Er wird zu einem Toten gerufen, mit der Liebe einer bald unglücklich verheirateten jungen Frau konfrontiert, widersteht trotz Neugier einer Prostituierten und schließlich den Versuchungen eines mysteriösen Maskenballs.

Letzterer bildet den Kern von Kubricks Film, dem es besser gelingt, das Surreale von Schnitzlers Vorlage zu betonen als die Psyche der Figuren. Die Zeremonie in einem Herrenhaus, derer Bill als ungeladener Gast Zeuge wird, ist in Schnitzlers Vorlage, in welcher die Frauen Nonnenkleider und die Männer Mönchskutten tragen, die sie vor ihrem Näherkommen ablegen müssen, mit Symbolen stärker aufgeladen als in Kubricks Verfilmung, der diese Szenerie als sinnliches, mystisch aufgeladenes Tableau nackter Körper und buchstäblich gesichtsloser Fratzen inszenierte. Nach seinem Ertappen als Fremdling und der „Opferung“ einer Frau für ihn, fährt er schließlich nach Hause, wo er seine lachende Frau aus einem Traum erweckt. Diesen erzählt Alice Bill sogleich ausführlich. Dabei fällt die Version in der Verfilmung weitaus weniger psychoanalytisch aufgeladen und detailreich aus als in Schnitzlers Vorlage, wo die Unterdrückung der weiblichen Sexualität in der Ehe und die Aggression des erotischen Verlangens gegenüber dem sittlichen Ehemann, der seine Frau durch Geschenke zu besänftigen wie befriedigen sucht, offen ausbricht. Diese durch männliche Arroganz geprägte soziale Fürsorge trägt nur dazu bei, dass Sie in ihrer Unmündigkeit belassen wird ((Diese Ausführungen stammen vergleichend von Hartmut Scheible aus dem Nachwort zur „Traumnovelle“, (ebd., S. 116).)), wogegen Sie rebelliert. Während in der Traumerzählung des Buches abermals christliche Symbolik (Kreuzigung Fridolins) herangezogen wird, ist diese im Film nicht zu finden. Nur die Sehnsucht des Stillens der weiblichen Lust durch Gruppensex und die Bestrafung Bills, der zuschauen muss. Kubrick thematisiert dabei den Sex, indem er ihn grafisch zeigt (zahlreiche Sexszenen bei der Orgie), verfällt ihm aber nicht. Trotzdem wendet er sich damit von der auf Tiefenpsychologie und auf Andeutungen setzenden literarischen Vorlage plakativ ab und der filmischen Möglichkeit des Zeigens zu.

In der Folge tritt der Hass von Ihm gegen die im Traum ehebrecherische Sie im Buch heftiger zu Tage als im Film. Während Schnitzler von Hass spricht, mit dem Er Ihr aufgrund der erzählten Träume begegnet und den Besitzanspruch des Mannes auf die Frau betont, nimmt Bill in Kubricks Film diese Ausführungen abermals konsternierend hin. Sein „Ausflug“ ins Nachtleben wirkt eher wie eine Erörterung der Frage, ob auch er der Versuchung erliegen kann (und sei es auch real), nicht – wie bei Schnitzler – dem Verlangen danach, es der sündigen Frau heimzuzahlen.

Während Kubricks Film Schnitzlers Novelle über weite Strecken folgt, unterscheiden sich beide Werke jedoch nachdenkenswert in ihrer Auflösung. Während die Personalie der an einer Überdosis Verstorbenen im Buch nicht eindeutig geklärt wird (die „Retterin“ auf der ominösen Orgie?), breitet Kubricks Film eine endgültige Auflösung aus, die sich durch ein längeres Gespräch zwischen Bill und Victor (Sydney Pollack) bis auf den Anfang des Films – als Bill ihr schon einmal bei einer anderen Party begegnete und das Leben retten musste – zurück bezieht. Nach Bills Nachhausekommen und dem Vorfinden seiner verschwundenen Maske auf seinem Bett und seines anschließenden Geständnisses um die Ereignisse der letzten beiden Nächte, schließt sich im Film – der im Unterschied zur Vorlage um Weihnachten spielt – ein Besuch in einem Spielzeugladen an. Dialoge in Buch in Film sind dabei fast identisch, wenn es darum geht, dass Träume nicht nur Träume, Wirklichkeiten des Lebens nicht innerste Wahrheiten sind. Das Erwachen im Buch bedeutet wieder eine Rückkehr zur Intimität, zur Vertrautheit und Offenheit des Ehepaares untereinander. Im Film jedoch scheint noch etwas Anderes nötig, um die Entfremdung (vorerst) zu beseitigen: Sex. Evident: Das letzte gesprochene Wort im Film.

Obwohl Kubrick dabei tief in das Innenleben seiner Figuren eindringt, vermag er auch durch Gedankenbilder (Bills wiederkehrende Vorstellung des Ehebruchs seiner Frau) nicht gänzlich das auszudrücken, was Schnitzler mit Worten, die die Gedanken und Regungen von Ihm nachvollziehbar werden lassen, auszudrücken imstande ist. Bills Verhalten bleibt in den Absichten vieldeutig (will er seine Frau betrügen, hasst er sie?), während Fridolins Verhalten eindeutig ist (er hasst sie, will sie verletzen). „Eyes Wide Shut“ handelt „nur“ von Versuchungen und unerfülltem erotischen Verlangen, während bei der „Traumnovelle“ eine Kritik an der Dekadenz der Oberschicht und die Infragestellung religiöser Moralvorstellungen zusätzlich motivisch mitschwingt. Das lässt Kubricks Verfilmung vermissen, obwohl er einige Leerstellen der Vorlage (z. B. ist die Party-Szene gleich zu Beginn bei Schnitzler wenig ausgearbeitet) durchaus bravourös zu kompensieren vermag.

Kontrapunkt: Kino pur V

Da bin ich ja mal wieder sehr kreativ bei den Filmen, die ich innerhalb der letzten Tage gesehen habe, aber was soll’s.

Repo Men (USA/CDN 2010)

Ein abartig blutiges und brutales Herumgeschnetzel mit wenig originellen Ideen, das von „Die Insel“ über „Repo! The Genetic Opera“ bis hin zu „Blade Runner“ die Filmgeschichte der letzten fast 30 Jahre plündert. In einer merkwürdigen Zukunftswelt können dabei Organe synthetisch erzeugt und dem zahlenden Kunden eingepflanzt werden. Doch wenn der nicht zahlt, werden die ihm wieder entnommen. Eines Tages gerät – na klar – einer der „Entnehmer“ (blass: Jude Law) in dieselbe missliche Lage und will zusammen mit einer weiblichen Ansammlung von Ersatzorganen das System zerstören. Hübsch anzuschauen mit einem ziemlich kranken (unfreiwilligen?) makabren Humor, aber bar jeglicher Intelligenz und mit einem Forest Whitaker, der sich als dümmlicher Sidekick gehörig blamiert. Mehr dazu von mir bei MovieMaze.

Easy Virtue – Eine unmoralische Ehefrau (GB/CDN 2008)

Oder: Wie man den Zuschauer über 90 Minuten mit der Unvereinbarkeit von lockerer amerikanischer Lebensart und britischer Aristokraten-Etikette nervt. Die Fettnäpfe, die Amerikanerin Larita (Jessica Biel) beim Besuch der Familie ihres englischen Mannes nicht auslässt, sind hin und wieder witzig (versehentlich getöteter Hund, Entehrung einer blankziehenden Tochter der Familie), vermögen aber diesen zähen und wendungsarmen Mischmasch aus Familiendrama und Lebensart-Komödie nicht zu tragen. Öde schleppt sich der Zickenkrieg zwischen Larita und der argwöhnischen Schwiegermama (Kristin Scott Thomas) mit einigen Lachern und – das Highlight – einem souverän agierenden Colin Firth als sarkastischem Familienvater bis zum offenen Ende dahin, das man irgendwann auch flehend herbeisehnt. Dann doch lieber weniger Cultureclash und noch einmal „Meine Braut, ihr Vater und ich“ schauen.

Kontrapunkt: Kino pur IV

Nach einer längeren Kreativpause einmal mehr mein Senf zu den miesen Ausgeburten, die durchs Lichtspielhaus geistern/geistern werden. Hier also die aktuellen und bald anlaufenden Kinofilme, vor denen man gewarnt sein sollte.

Iron Man 2 (USA 2010)

Mehr noch als im ersten Teil darf Milliardär Tony Stark (gewohnt lässig: Robert Downey Jr.) hier wieder seinen Narzissmus und seine Zerstörungswut ausleben, was seine genervte Umgebung und der russische Bösewicht (kommt viel zu kurz: Mickey Rourke), welcher von einem dümmlichen US-Waffenfabrikant hofiert wird, deutlichst zu spüren bekommen. Bei dieser dekadenten Materialschlacht mutet das riesige Budget von 200 Mio. Dollar gar noch bescheiden an. Der ganze Film ist dabei ein riesiges Werbeprodukt, was schon vor der Opening Scene mit DIESEL-Parfum beginnt, im Film mit auffälligen Audi-Product Placement fortgesetzt wird und im obligatorischen „The Avengers“-Cliffhanger endet. Tricktechnisch eindrucksvolles, inhaltlich jedoch arg banales Popcorn-Kino zum Weggucken.

The Other Man (USA/GB 2008)

Eine arg aufgeblasene, sinnlos verschachtelt erzählte Verfilmung einer Bernhard Schlink-Kurzgeschichte, in der einzig Laura Linney zeigen kann, was für ein schauspielerisches Schwergewicht sie ist. Der biedere Liam Neeson als Ehemann, der nach dem Verschwinden seiner Frau die klischeehafte Latin Lover-Liaison Antonio Banderas aufsucht, taugt dabei nicht als Sympathieträger. Und was sich Regisseur Richard Eyre („Tagebuch eines Skandals“) bei der wirren Zusammenstückelung seines Films auf mehreren Zeitebenen, die öfters durcheinander geraten, gedacht hat, weiß wohl auch keiner. Dann doch lieber noch einmal „Der Vorleser“ gucken.

A Nightmare on Elm Street (USA 2010)

Eins, zwei, Freddy kommt schon wieder vorbei. Sieben Jahre nach Robert Englunds letzten Auftritt in seiner Kultrolle in „Freddy vs. Jason“ prügelt Produzent und Krawallbarde Michael Bay dieses Remake des Slasher-Klassikers in die Kinos. Mit Jackie Earle Haley (Rorschach aus „Watchmen – Die Wächter“) wurde zwar ein ganz passabler Freddy-Ersatz gefunden, doch darf dieser leider keine hübschen Sprüchlein beim Traummetzeln aufsagen, die auch nur Anflüge schwarzen Humors beinhalten würden. Noch mehr Baustellen: die dummen Teenie-Darsteller, das einfallslose Skript, mangelnde Spannung, zu viel Getöse wie Gekröse. Etwas detailierter sind meine Einschätzungen bei MovieMaze und DAS MANIFEST.

Kontrapunkt: Cellu l'art 2010

Zum nunmehr 11. Mal fand dieses Jahr vom 14. bis 18. April das Jenaer Kurzfilmfestival „Cellu l’art“ statt und ich konnte nach wie vor nicht klären, welche Schreibweise nun die offizielle ist. Aber dafür kam ich in den Genuss, einen Großteil der insgesamt über 50 Filme zu sehen, die sich auf den internationalen Wettbewerb und den Länderschwerpunkt Indien verteilten. Kurz und knapp als akkreditierter Pressevertreter nun also mein Resümee.

Nachdem am Mittwochabend am Johannestor trotz widrigen Witterungsumständen beim Open Air einige Highlights aus den letzten Jahr zu sehen und die Live-Band „Standek“ zu hören war, wurde am Donnerstag (15. April) dann schließlich das Capitol Kino nach über einem Jahr Schließung wieder eröffnet. Und die Besucher kamen – in Strömen. Dabei greife ich vorweg: Gleich im ersten der insgesamt 5 Wettbewerbsblöcke lief der diesjährige Siegerfilm:

Stiller See (D 2010)

Die aus Erfurt stammende Regisseurin Lena Liberta, welche beim Cellulart 2009 bereits für ihren überladenen Problemfilm „Hundesöhne“ mit dem Publikumspreis geehrt wurde, widmete sich wieder ihrem bevorzugten Thema: der Familie und ihrer Probleme. In ihrem mit Klaviermusik buchstäblich durchkomponierten 7-Minüter erzählt sie die Geschichte um das von Unverständnis geprägte Verhältnis eines Vaters zu seinem autistischen Sohn. Die Mutter ist in dem See, an welchem die beiden Urlaub machen, vor einiger Zeit ertrunken. Der in prätentiös anmutendem Schwarz-Weiß präsentierte Film kreist um das Motiv der Musik und der kathartischen Wirkung des Wassers, ist eindrucksvoll gespielt. Ein würdiger Gewinner, auch wenn ich zwei Filme noch besser fand. Und zwar:

Territorio Enemigo (ESP 2008)

Dieses im 2. Wettbewerbsblock am Freitag gelaufene Kriegsdrama beweist nach den Wettbewerbsbeiträgen in den vergangenen Jahren einmal mehr, dass spanische Kurzfilme zu den international besten gehören. Darin verirrt sich ein Soldat auf feindliches Terrain und stellt dort den Gegner. Doch ein Fehltritt auf eine vermeintliche Mine schränkt neben seiner Bewegungsfreiheit auch seine Optionen dem Feind gegenüber ein. Packend, spannend und mit einer ebenso bitteren wie überraschenden Wendung am Ende fungiert der 11-Minüter von Rodrigo Plaza als beklemmendes Psychodrama um Angst und als Statement gegen den Irrsinn des Krieges, eingefangen mit einer bemerkenswerten Kameraarbeit. Auch sehr sehenswert:

Fliegen (D 2009)

… der im fünften und letzten Wettbewerbsblock am Samstag lief. Mit Sandra Hüller („Requiem“) und Jakob Matschenz, der später auch den Preis als bester Darsteller gewinnen sollte, hochkarätig besetzt, wird die Geschichte eines illegalen Einwanderers in Deutschland erzählt. Die Studentin Sarah (Hüller) dokumentiert sein Leben und beginnt eine Affäre mit ihm. Doch das – der einzige Kritikpunkt – ärgerliche Klischee um seine Verbindungen zu kriminellen Kreisen sorgt dafür, dass die Behörden bald auf ihn aufmerksam werden. Intensiv gespielt, authentisch wirkend und ein mutiges Thema: ein großartiger Kurzfilm!

Dabei stand die Qualität der von Kuratoren zusammen gestellten Kurzfilme vom indischen Subkontinent der Klasse dieser Filme nicht nach. Interessierte Zuschauer – und davon gab es erfreulicherweise erstaunlich viele – erhielten einen Einblick in ein Independentkino, welches soziale Probleme wie Armut und Menschenhandel ebenso thematisiert wie eine Gesellschaft im Auf- und Umbruch, in der eine riesige, aber stetig weiterwachsende Film- und Unterhaltungsindustrie immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der skurrile Kurzfilm „The Private Life of Albert Pinto“ um einen Schauspieler, der auf seinen Durchbruch wartet thematisiert letztere ebenso wie „Tumse Milke“, in welchem das Mädchen Meera durch einen Schreibwettbewerb Shah-Rukh Khan kennenlernen will. Besonders im Gedächtnis haften blieb jedoch…

Kavi (USA/IND 2009)

Der oscarnominierte Kurzfilm lief außerhalb des Länderschwerpunkts im das Programm abrundenden „B-Side Special“ am Sonntag, indem Kurzfilme gezeigt wurden, die es trotz hohen Niveaus nicht ins reguläre Programm geschafft haben. Die Themen Kinderarbeit und moderne Sklaverei sind jedoch auch keine leichten, die Gregg Helvey da angepackt hat. Packend erzählt er die Geschichte vom indischen Jungen Kavi (Sagar Salunke), welcher den ganzen Tag Backsteine herstellt, obwohl er lieber zu den Schülern von nebenan gehören würde, die er immer wehmütig beobachtet. Als eines Tages seine Eltern verschleppt werden, hat er die Möglichkeit, aus seinem streng reglementierten Dasein auszubrechen. Trotz einer gewissen Plakativität in der Inszenierung verfehlt der Film seine aufrüttelnde Wirkung nicht und dringt einfühlsam in die Psyche eines Jungens ein, der in diese Form des Leibeigentums hineingeboren wird.

Genug der Rezensionen! Nun noch ein paar letzte Ausführungen zum Festival insgesamt, zusammengefasst in einer knackigen Checklist:

+ hohes Niveau der Wettbewerbsfilme
+ ungewöhnliche Einblicke durch den Länderschwerpunkt Indien
+ tolle Location (geschlossenes Kino quasi wiedereröffnet)
+ gute Cocktails zu noch besseren Preisen
+ viele Filmemacher/Beteiligte anwesend

eine Heizung im Saal wäre schön gewesen
durch Format-Hickhack der aufeinanderfolgenden Filme ein paar Problemchen bei Bild und Ton