Kontrapunkt: Keine Jugendfreigabe

Aufgrund des Fernsehprogramms von Pro 7 am Montag hatte ich kurz überlegt, meine Zeilen diese Woche über die „Wilde Kerle“-Reihe mit den nervigsten und hässlichsten Schauspielerkindern Deutschlands zu tippen. Doch da ich nicht aufgrund von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesteinigt werden möchte, soll es nun um 3 Filme gehen, die dieselbe Zielgruppe bei Anblick der DVDs im Ladenregal aufgrund des aufgepappten FSK 18-Logos in Faszination erstarren lässt.

The Chaser (ROK 2008)

Ungleich der überschwenglichen Ausführungen von jenny hält sich meine Begeisterung durchaus zurück. Aber sie ist bei diesem clever konstruierten koreanischen Serienkillerfilm um einen Zuhälter und Ex-Bullen, dessen Mädchen von einem Psychopathen mit Meisel und Hammer getötet werden, durchaus vorhanden. Von minimalen Logiklöchern und dem (zumindest für mich) zu komplexen Kombinieren abgesehen, vermag dieser atmos-phärisch dichte Thriller durchaus zu fesseln und die wohl dosierten, aber umso blutigeren Gewaltentgleisungen verstören wie selten. Hin und wieder blitzt gar ein noch nicht einmal unpassender absurder Humor durch, wenn Polizisten im Kühlschrank Blut vermuten, welches sich als scharfe Sauce entpuppt. Ein spannender und realistisch anmutender Genrevertreter!

Toxic (USA 2008)

Ein Film, bei dem man sich schon 2 Tage später nicht mehr daran erinnert, worum es eigentlich ging, weil es so verworren ist, dass man es nicht gerafft hat. Statt dafür, eine Geschichte zu erzählen, interessiert sich der mit einigen bekannten Gesichtern wie Tom Sizemore oder Dominique Swain besetzte Thriller nur für seine Bilder. Doch dieser Workshop für hyperaktive Kameramänner und Cutter mit mannigfaltigem Experimentieren bei Farbsättigung, Blenden, Filtern, Mini-Zeitraffern, Texteinblendungen, stylishem Rumgewackel und Jump Cuts nervt ziemlich schnell, zumal sämtliche Übersichtlichkeit bzw. Verständlichkeit dabei verloren geht. Geballert wird oft, dummes Zeug geredet auch (sinngemäß: „Mein Herz ist groß, aber mein Schwanz ist größer!“) und hin und wieder gibt’s nen unerotischen Lap Dance zu sehen. Einfach nur Gift fürs Hirn, dieser überkandidelte Blödsinn.

The Stepfather (GB/USA 1987)

Das – laut Kritiken – eher wenig gelungene Remake dieses Horrorfilms um einen Serienkiller, der in vaterlose Familien einheiratet und diese umbringt, wenn Komplikationen um seine konservativen Idealvorstellungen von intaktem Familienleben auftreten, läuft gerade im Kino. Dieser Low-Budget-Klassiker ist mit der verstörend-guten Leistung von Terry O’Quinn (Locke aus der Mystery-Serie „LOST“) in der Titelrolle und einem ausgewogenen Spannungsbogen sehr solide Genrekost. Zahlreiche Untersichten (man achte auf die Fotografie von Treppen!), hin und wieder expressionistisch anmutende, langgezogene Schatten und einige blutig-brutale Gewaltentladungen tragen effektvoll dazu bei, das Grauen, was in Gestalt des psychopathischen Stiefvaters die Häuser der biederen Mittelschicht heimsucht, zu steigern. Da sieht man auch gern über die dudelige, billig wirkende Synthesizer-Filmmusik hinweg.

Kontrapunkt: Flop Five 2009

Auch 2009 wurden die Kinos der Republik mal wieder von einer Menge schlechter Filme heimgesucht. Davon habe ich jedoch nur bedingt etwas mitbekommen, weil ich meist brav meine Wohnungstür verriegelt habe, wenn ein Dieb meiner Zeit und somit Geldvernichtung ins Haus stand. Doch konnten sich einige filmischen Langfinger anscheinend doch durch den Hintereingang (hätte ich das mal bedacht!) einschleichen. Hier also die ungebetenen Gäste:

5. Männerherzen (D 2009)

… schlagen nicht höher, wenn man sich diese Komödie um eine Handvoll Herren und ihre Probleme im Alltag so anschaut. Die Charaktere um Til Schweiger als Musikproduzent Jerome und Christian Ulmen als Versager-Single Günther stellen neue Tiefpunkte in Sachen klischeehafter Charakterzeichnung dar und Mitfühlen ist bei den vielen verschiedenen Episoden mangels Identifikation mit den Figuren auch nicht drin. Zudem wird das Potenzial an Tiefgang in der traurigen Geschichte von Roland (Wotan Wilke Möhring), der eine Scheidung und den Tod seines Vaters verwinden muss, kaum ausgeschöpft. Und so versandet der im Ansatz zumindest interessante Film mitten in der Bedeutungslosigkeit.

4. Final Destination 4 (USA 2009)

Wenn dieselbe Geschichte minimal variiert zum vierten Mal erzählt wird und sich nur durch einige 3D-Effekte von den allesamt hochklassigeren Vorgängern abhebt, dann ist das kein gutes Zeichen. So gesehen bei diesem zuweilen unfreiwillig komischen Film, der abseits einiger netter (aber dümmlicher und durchwachsener) Splattereffekte nur Kopfschmerzen verursacht.

3. Lieber verliebt (USA 2009)

Eine überraschungsarme Romantic Comedy, bei der sich eine Beziehung zwischen einem kindlichen Jungspund (Justin Bartha) und einer reifen Frau (Catherine Zeta-Jones) andeutet, die mit vulgären Kindern und ekligen männlichen Dates einige Zerreißproben zu überstehen hat. Da ist es weder lustig, noch unterhaltsam, wenn man sich bereits nach einer Filmstunde zu Tode langweilt.

2. The Unborn (USA 2009)

Fade, mit Versatzstücken aus „Das Omen“, „Rosemaries Baby“ und „Der Exorzist“ zusammen gerührte Horror-Paste von „Batman Begins“-Drehbuchautor David S. Goyer um ein dämonisches Kind, welches nach seiner Geburt strebt. Spannungsarm und genau so lustlos vorgetragen wie Gary Oldmans Performance als Exorzisten-Rabbi.

1. Saw V (USA 2008)

Einmal mehr ist eine Fortsetzung der „Saw“-Reihe die Ausgeburt der Hölle Nummer Eins. Warum sich diesen überkonstruierten, verwirrenden und menschenverachtenden Filmabfall immer noch Menschen im Kino anschauen, ist mir ein Rätsel. Ich bin ja eigentlich ein Verfechter der Filmbefreiung (http://www.filmbefreier.de/), aber hier sage ich: Ab in den Raubkopie-Knast, damit der Franchise endlich vor die Hunde geht!


Im Verfolgerfeld – gaaaanz knapp dahinter – befinden sich übrigens folgende Filme:

„Horst Schlämmer – Isch kandidiere!“

„Short Cut to Hollywood“

sowie

„2012“

Bleibt nur noch, dem Leser ein frohes neues und hoffentlich besseres Filmjahr 2010 zu wünschen!

Kontrapunkt: Deutscher Expressionismus

Diese im Kern von 1919 bis 1924 dauernde und nur im Deutschland der Weimarer Republik verbreitete filmische Stilrichtung, bleibt nach wie vor die einzige, welche sich nachhaltig auf das internationale Kino auswirkte. Schiefe Architekturen, von Angst geprägte Stimmungen, harte Hell-Dunkel-Kontraste sowie die Themen der missbrauchten Autorität, des mysteriösen Anderen oder absonderlicher Lebensformen bestimmen die Vertreter dieser Werke, die hier in einem ersten Überblick vorgestellt werden sollen.

Das Cabinet des Dr. Caligari (D 1919)

Der mysteriöse Jahrmarktschausteller Dr. Caligari (großartig sinister: Werner Krauss) schickt im fiktiven Ort Holstenwall einen von ihm willenlos gemachten Somnambulisten los, zu töten. Stilbildender als die etwas zu statische Regie von Robert Wiene ist das Bühnenbild von Hermann Warm, Walter Röhrig und Walter Reimann, wobei vor allem letzterer als Maler zahlreiche gezeichnete Entwürfe für die Kulisse beitrug. Der komplett preisgünstig im Atelier gedrehte Film lebt von seiner Künstlichkeit, seinen schiefen und überdiemsnional empor ragenden Bauten mit abstrakten Formen, die – entsprechend der Thematik des Films – wirken, als seien sei der im Chaos versunkenen Welt eines verwirrten Geistes entsprungen. Aufgemalte, zackige Schatten, schiefe Häuser und verwinkelte Innenräume suggerieren eine von Angst verprägte, nach außen getragene Vorstellungswelt. So verwundert es auch nicht, dass letztendlich die originelle und bis heute in ihrer Omnipräsenz nicht wieder erreichte Form des expressionistischen Dekors über den etwas wirren Inhalt triumphiert. Weitere Ausführungen von mir dazu bei MovieMaze.

Der Golem, wie er in die Welt kam (D 1920)

Die Kulissen von Hans Poelzig, welcher eine alte mittelalterliche Stadt mit engen Straßen und hervorspringenden Erkern ebenso wie gewölbeähnliche Innenräume mit unregelmäßigen Spitzbögen und länglich zulaufenden, gotischen Fenster schuf, gehören zu den eindrucksvollsten Bauten des filmischen Expressionismus. Auch Paul Wegeners Leistung als künstlich geschaffener Lehmmensch Golem, seine Paraderolle, ist in dieser mit Märchenelementen angereicherten Fantasy einmal mehr angsteinflößend. Doch leider stößt der latent vorgetragene Antisemitismus des auf einer Sage basierenden Films bitter auf. Die gezeigten jüdischen Gottesdienste gleichen Teufelsbeschwörungen, die Erweckung des Golems zum Schutz der Juden erfolgt mittels „dunkler Mächte“. Schließlich wird der Golem, welcher als höriges Werkzeug Tod und Zerstörung anrichtet, von einem kleinen blonden Mädchen vor dem riesigen Tor zum Judenghetto gestoppt, welches an das Rassenideal eines 13 Jahre später an die Macht kommenden Regimes erinnert.

Nosferatu, eine Symphonie des Grauens (D 1922)

Eine eindrucksvolle, aber auch unautorisierte Verfilmung von Bram Stokers Roman, die beinahe aufgrund eines Gerichtsurteils vernichtet worden wäre. Dabei ist der Einfluss des filmischen Expressionismus nicht von der Hand zu weisen, doch nimmt Regisseur F.W. Murnau hiermit jenen naturalistisch-romantischen Stil vorweg, welcher auch sein Werk „Faust – Eine deutsche Volkssage“ (1926) durchzog. Gefilmt wurde sehr häufig außen, an Originalschauplätzen, Aufnahmen im Atelier treten seltener hinzu. So sind neben den sich an der Wand abzeichnenden, riesigen Schatten des nahenden Vampirs Graf Orlok und der am Strand neben zahlreichen Kreuzen wartenden Ellen (der Frau des ausgeschickten Maklers Hutter) – Szenen, die man durchaus als expressionistisch bezeichnen kann – auch zahlreiche Naturaufnahmen zu sehen, die in den Film Eingang fanden. Wie in den anderen hier besprochenen Filmen wird im Kern wieder eine Geschichte um missbrauchte Autorität und obskure Lebensformen erzählt, wenn Vampir Graf Orlok den Makler Knock gefügig macht, damit er seinem triebhaften Interesse an Ellen nachgehen kann.

Kontrapunkt: Beware!

2 Filme sind mir in jüngster Vergangenheit untergekommen, vor denen man sich in Acht nehmen sollte. Der eine erfüllt die hohen Erwartungen ob der überschwänglichen Kritiken nicht, der andere ist einfach nur schlecht.

Match Point (GB/USA/IRL/RUS 2005)

Der aus einfachen Verhältnissen stammende Chris (Jonathan Rhys Meyers) heiratet sich in Gestalt von Chloe (Emily Mortimer) in das englische Bürgertum ein, hat aber nebenher eine leidenschaftliche Affäre mit der erfolglosen Schauspielerin Nola (Scarlett Johansson). Es kommt wie es kommen muss: Irgendwann muss sich Chris für eine der Frauen entscheiden – was in Gewalt endet. Das Motiv des Tennisballs, welcher zu Beginn gegen die Netzkante prallt und – so wird im Off erklärt – die Möglichkeiten von Glück und Pech, Erfolg und Misserfolg offen legt, gibt dabei die Entwicklung des mit Operngesängen angereicherten Films wieder. Doch genau darin liegt auch sein größtes Problem: So sachlich die Analyse der möglichen Optionen, so nüchtern und kalt lassend ist das gesamte emotionslos vorgetragene Szenario. Der Konflikt in Chris schwillt langsam an, das bemerkt der Zuschauer. Doch einen echten Spannungsbogen oder echten Thrill sucht man neben dem öde dahin fließenden, pseudo-intellektuellen Charakterdrama mit immerhin guten Darstellerleistungen lange Zeit vergebens.

Lieber verliebt (USA 2009)

Wer denkt, dass diese lausige Romantische Komödie nicht schlimmer sein kann als das dümmliche Wortspiel im deutschen Titel, der irrt. Eine in Scheidung lebende, zweifache Mutter namens Sandy (Catherine Zeta-Jones), deren am deutlichsten gezeichneter Charakterzug ihr Alter von 40 Jahren ist, und ein jüdischer Mitzwanziger namens Aram (Justin Bartha), der mangels klarer Pläne nach dem Studium im Coffeeshop arbeitet, lernen sich zufällig kennen. Als Aram dann von ihr als Nanny engagiert wird und beide sich anfreunden, kommt irgendwann Liebe dazu. Blöd nur, dass das nicht romantisch und kaum witzig ist, weswegen das mit der Genrezuordnung streng genommen nicht so ganz hinhaut. Und auch blöd, dass ein kackender, durchs Baustellenklo kommunizierender Chiropraktiker oder ein Kind, das in der Schulpause Nutte und Zuhälter spielt, die Dinge sind, an die man sich hinterher noch am ehesten erinnert. Wäre immerhin klischeebesetzte Durchschnittsware mit Längen, wenn der abartige Ekelhumor und das gigantische Storyloch ab der 70. Filmminute nicht wären.

Kontrapunkt: Shorts

Gemeint ist dabei kein Bekleidungsstück, sondern die filmische Kurzform – hier preisgekrönt und aus Europa. Film ab!

J’attendrai le suivant (F 2002)

In der U-Bahn sucht ein Single-Mann mit einer quasi-öffentlichen Kontakt-anzeige nach einer Single-Frau. Diese unkonventionelle Methode weckt jedoch tatsächlich das Interesse einer Alleinstehenden, die sich ebenso wie der Werber nach der großen Liebe sehnt. Doch leider gibt es da einen kleinen Haken…

Eine ebenso simple wie großartige Ausgangsidee, eine böse Pointe und authentisch wirkende Darsteller. Das Ganze tragikomische Stück eingebettet mitten in den französischen Alltag: kein Wunder, dass eine Oscar-Nominierung folgte. Eine reduzierte Dramaturgie und eine geradlinige Inszenierung, die sich aufs Wesentliche konzentriert: Das ist Kurzfilm!

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Flatlife (B 2004)

Ein Animationsfilm aus dem filmisch ansonsten so biederen Belgien, in welchem 4 Mietparteien in einem Hochhaus wiederholt miteinander auf urkomische Weise in Beziehung treten. Man wird Zeuge von einem fliegenden Pandabären, einer kaputten Wasch-maschine, einer herunterstürzenden Vase und einem explodierenden Fernseher – in so absurder, aber eben auch situationskomischer und origineller Verquickung, dass man nicht verwundert ist, wenn jemanden im Abspann „for silliness“ gedankt wird. Auch beim vierten Mal schauen (der Film ist einfach zu köstlich) noch zum Schmunzeln! Näheres dazu von mir (nach der 2. Sichtung schon geschrieben) hier.

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The Most Beautiful Man in the World (GB 2002)

Eine Geschichte – ein kleines Mädchen trifft im Sommer auf einen Feld einen Mann und ihre Mutter beäugt das kritisch – die weniger aus Kausalketten, als vielmehr aus lose aneinander gehängten Sinn-Fragmenten besteht, die der Zuschauer selbst deuten muss. Entweder bringt man tatsächlich diese große kognitive Leistung auf oder konstatiert irgendwann, dass es sich bei diesem 6-Minüter um pseudotiefsinnigen Bullshit handelt. Während sich bei „Jade“ (2009) der Mut zur Lücke als wahrer Glücksgriff dafür entpuppte, komplexe Zusammenhänge und Emotionen in minimaler Zeit zu präsentieren, bleibt bei „The Most Beautiful Man in the World“ jegliche Beziehungsanalyse mangels ausdrucksvoller schauspielerischer Leistungen und aufgrund einer fehlenden Bildsprache auf der Strecke. Warum der Film in Cannes seinerzeit im Rennen um den Besten Kurzfilm war, bleibt wohl auf ewig das Geheimnis der Juroren.