Kurtz & Knapp IV

Men Suddenly in Black (HK 2003)

Edmond Pang soll ja einer der vielversprechendsten Regisseure Hongkongs sein, doch nach seinem Film “Isabella” beschlich mich der Zweifel und es dauerte eine Weile bis zum nächsten Pang. War “Isabella” noch ein ziemlich platter Versuch, einen auf Wong Kar-Wai zu machen und möglichst viele Festivaleinladungen zu sammeln, ist die drei Jahre zuvor erschienene Komödie “Men Suddenly in Black” eine ziemlich geschickte Verquickung von Genres und Stilmitteln, welche die Unterhaltung ihres Publikums nicht vernachlässigt.

Vier Herren (u.a. Eric Tsang und Chapman To) tun sich zusammen um ihre Frauen zu betrügen, die für einen Tag nach Thailand verreist sind. Der ganze Tagesablauf ist genau geplant und natürlich geht alles schief. Mit einer solchen Story hätte der Film ein plumbes Schicksal nehmen können, doch Pang hat anderes mit uns vor.

Inszeniert wie ein knallharter Actionthriller, in dem der Betrug zur Frage der Ehre wird, bedient sich Pang  augenzwinkernd bei den Stilmitteln des Heroic Bloodshed. Da sieht eine Verfolgungsjagd mit Paparazzis schon mal aus wie ein Shootout aus “The Killer”.

Die heimlichen Höhepunkte: Eine längst fällige “Infernal Affairs”-Parodie und der köstliche Auftritt von Tony Leung Ka-Fai (“Election”). Der opferte sich einst, um seinen Kumpels die Flucht zu ermöglichen und wird nun von seiner tyrannischen Frau (Sandra Ng) daheim wie ein Gefangener gehalten wird. Bis zum nächsten Pang wird sicher nicht viel Zeit vergehen.

Full Alert (HK 1997)

Von HK-Altmeister Ringo Lam habe ich vorher auch nur den Chow Yun-Fat Actioner “Full Contact” gesehen, weshalb “Full Alert” im direkten Vergleich ganz schön überraschte. Ersterer war ein beinahe nihilistischer, greller Heroic Bloodshed-Film. So einer, der nur von einem Hongkonger gedreht werden konnte, der als Kind zu vielen amerikanischen Filmen ausgesetzt war.

“Full Alert” ist dagegen ganz auf Realismus aus. Anstatt auf Stereotypen zu setzen, ergießen sich die Grautöne über den Thriller um einen Cop (Lau Ching Wan) und einen Loser/Kriminellen (Francis Ng), die sich ein erbittertes Duell liefern. Weniger die Action steht im Vordergrund als die Psychospielchen der beiden Gegner, die trotz allem einen gewissen Respekt für einander hegen. Keiner von von beiden kann einen anderen Weg wählen, was die letztendliche Konfrontation um so ergreifender macht.

Helden gibt es in diesem hochspannenden, modernen Klassiker des HK-Kinos nicht. Ein Vergleich mit  Michael Manns “Heat” liegt nahe und findet ohne Mühe seine Berechtigung.

The Heavenly Kings (HK 2006)

“The Four Heavenly Kings” wurden in den 90ern die Cantopopstars Andy Lau, Aaron Kwok, Jackie Cheung und Leon Lai getauft. Diese vier quasi als Vorbild nehmend, machen sich in der Mockumentary “The Heavenly Kings” der Schauspieler Daniel Wu und drei seiner Kumpels auf, die Charts zu stürmen. Das einzige Problem, dass ihnen zunächst im Weg steht: Nur einer von ihnen kann singen.

Die im Film gegründete Band ALIVE scheint von vornherein ein Fake zu sein. Wu, der als Regisseur des Films genannt wird, hat sich die Entlarvung der Hongkonger Musikindustrie auf die Fahnen geschrieben. Seine Band, die es tatsächlich für ein Jahr gab, lernt als erstes, wie man per PC falsche Noten korrigiert; wie professionelle Fans engagiert werden, die bei Konzerten ganz besonders laut schreien usw.

Dazu werden Profis aus dem Business interviewt, läuft die versteckte Kamera auch mal während den Verhandlungen mit der Plattenfirma. Das entblößt die fragwürdigen Methoden der Industrie, etwa wenn ein Manager versucht, den Jungs einen Zehnjahresvertrag unter zu schieben; erfreut allerdings primär durch die dargebotene Selbstironie der untalentierten Boyband. Am Ende weiß man nur leider nicht, was tatsächlich wahr ist und was gestellt. So verliert der Film einiges an Biss.

Hellboy II: Die Goldene Armee (USA/D 2008)

Der Trailer von Guillermos del Toros neuesten Streich ließ mich schon Angst und Bange werden, der Film werde in seinen unzähligen Spezialeffekten ertrinken wie einst George Lucas in seiner Klonarmee. Im Kino erwies sich die Furcht vor einem seelenlosen C.G.I.-Spektakel als unbegründet.

Au contraire! “Hellboy II” ist sozusagen die inoffizielle Bewerbung für die Verfilmung von J.R.R. Tolkiens “The Hobbit” und sollte als Lehrvideo dem Herrn Lucas noch im Schlaf untergeschoben werden.

Was del Toro hier an Kreaturen und Maschinen auffährt, sieht nicht nur beeindruckend aus. Denn das Getier wurde geformt mit Hilfe eines anscheinend überbordenden Vorrats an Persönlichkeit. Beispielhaft dafür ist der Besuch auf dem Trollmarkt und ein ziemlich großes Monster, das dem ein oder anderen Abgeordneten der Grünen als Maskottchen dienen könnte.

Sind die Monster wie im ersten Teil nicht nur perfekt animierte Schauwerte, wählt del Toro nach der Einführung in das Comicuniversum den weisen Weg, seinen Film nicht mit Handlungssträngen zu überladen. Stattdessen verlegt “Hellboy II” einen nicht geringen Teil seiner Aufmerksamkeit auf Nebenfiguren wie den introvertierten Nerd und Fischmenschen Abe Sapien.

Alles in allem ist der zweite Hellboy-Auftritt ein actionreicher Spaß, der die Comicverfilmung nicht neu erfindet. Stattdessen bietet sein visueller und figurentechnischer Einfallsreichtum und sein Verzicht auf Geschwafel á la “Mit großer Macht…” eine dringend nötige Abwechslung vom Einheitsbrei vieler seiner Artgenossen. Bewerbungsgespräch bestanden, Senor del Toro. Nun geht’s ab nach Mittelerde!

Tears of the Black Tiger (T 2000)

Trau nie einem Cowboy mit aufgemaltem Schnurrbart!” Das scheint die Lehre zu sein, die der Zuschauer nach dem Genuss von Tears of the Black Tiger noch an seine Kindeskinder weitergeben kann. Denn die Geschichte des Bauernjungen Dam, der seiner Liebe zur Gouverneurs-Tochter Rumpoey wegen von der Uni fliegt und sich fortan in einer Bande von Outlaws verdingt, ist ansonsten simpel. Einem anderen Mann zur Ehe versprochen, schmachtet die Schöne mit den roten Lippen in ihrem Elternhaus dahin, während ihr Held vor der untergehenden Sonne auf seiner Mundharmonika spielt. Hin und wieder geht er selbstverständlich auch seinem Beruf nach und liefert sich Schießereien, in deren Verlauf das Blut in wahren Fontänen die bemitleidenswerten Körper seiner Gegner verlässt. Liefert er sich nicht gerade Duelle, reitet Dam mit der Bande seines Bosses durch die thailändische Landschaft. Naturgemäß geschieht das auf Pferden. Ebenso naturgemäß wird das begleitet von einem Soundtrack, der  zuweilen recht auffällig Ennio Morricone zitiert.

Man könnte glatt dem Glauben verfallen, dass es sich um eine Co-Produktion von Douglas Sirk und Sergio Leone handelt. Wären die beiden nicht längst in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Schließlich ist das Regiedebüt von Wisit Sasanatieng ein Retrop-Trip in seiner reinsten Form. Irgendwo in den Fünfziger Jahren scheint sich Sasanatieng verlaufen zu haben, als er diese Idee ersponn.

Hier scheint die Welt eingefroren zu sein in strahlende Pastellfarben, ist der Mond noch von Hand gemalt und währt die Liebe von der Kindheit bis zum (Un)Happy End. Dabei beruft sich der Regisseur zum Glück auch oder gerade auf die Popkultur seiner Heimat Thailand. Nicht der Morricone-Verschnitt gibt die Gangart vor, sondern Thai-Oldies. Deren wehmütige Untermalung wird neben dem Look des Films wohl das bleiben, was der Zuschauer am ehesten mit nach Hause nimmt. Mal abgesehen von obiger Weisheit.

Der Look hat es allerdings in sich. Ganz wie es sich für einen Debütfilm gehört, scheint Sasanatieng beständig in Versuchung zu geraten, seinen Film mit visuellen Finessen zu überladen. Nicht nur haftet der Gestaltung die Atmosphäre eines nachkolorierten, etwas vergilbten Stückes vergammelten Zelluloids an. Seine Schießereien sind auch noch überdrehte Gore-Spektakel, deren trashiger Humor erstmal eingeordnet werden muss in die kitschige Geschichte. Als Auflockerung des melodramatischen Geschehens kommen Blutspritzer und zermatschte Köpfe dem Zuschauer gerade recht. Ungeachtet dessen fragt man sich: Was will uns der Regisseur damit sagen? Die Suche nach einer Message scheint hier jedoch unangebracht.

Allenfalls wirkt der Film durch seine Vermischung der Stile wie ein postmodernes Experiment. Ein Hybrid des klassischen thailändischen Action- und melodramatischen Kinos und zeitgleicher westlicher Genrefilme, der auf dem langen Weg zur Leinwand noch Tarantinos Kunstblutvorrat geplündert hat. “Tears of the Black Tiger” ist ein in höchstem Maße artifizielles Werk, dessen Realismusanteil gen Null strebt.

Doch was sagt uns das schon über den Film? Der visuelle Überschwang; der Einfallsreichtum der Farbgestaltung; der bewusst ernste Blick auf die überlebensgroßen Gefühle seiner Protagonisten, welche zur Abwechslung mal nicht ironisch unterhöhlt werden; allerhand Gründe gibt es, diesen Film zu sehen. Sasanatieng hat ihm vielleicht zu viele Spielereien angedeihen lassen, aber eines nicht vergessen: Ein Herz. Tears of the Black Tiger trägt in sich, wie seine beiden Hauptfiguren Dam und Rumpoey, eine ungebrochene Liebe. Es ist die Liebe zum Medium Film und dessen Geschichte. Weisheiten sind da überflüssig.

Sparrow (HK 2008)

Einer wie Johnnie To hat niemanden mehr etwas zu beweisen. Während die Filmindustrie seiner Heimat Hongkong vor über zehn Jahren in die Krise schlitterte, muss To eines Morgens aufgewacht sein und sich beim Genuss einer Zigarre gesagt haben: “Ab heute bin ich ein Auteur. Ab heute gründe ich meine eigene Produktionsfirma und werde zum einsamen Aushängeschild des Hongkong-Films auf den Festivals dieser Welt.” Sofern es tatsächlich einen solchen Moment im Leben des Regisseurs gegeben hat, kann man ihn nur  dazu beglückwünschen. Aus dem Handwerker, der stets im Schatten von Tsui Hark, John Woo und Konsorten stand, ist neben Wong Kar-Wai tatsächlich der bedeutendste Regisseur der Sonderverwaltungszone geworden.

Sein Stil ist mittlerweile unverwechselbar. Grund dafür ist auch ein festes kreatives Team hinter den Kulissen, sowie eine Gruppe von Stammschauspielern, unter ihnen Lam Suet, Simon Yam oder Gordon Lam, deren Anwesenheit den Wiedererkennungswert seiner Filme in die Höhe treibt. Mit der von ihm und Wai Ka-Fai gegründeten Firma Milkyway Image produziert er im Gegensatz zu Wong Kar-Wai nicht von vornherein für die Arthouse-Kinos. Tos Filmografie variiert daher gekonnt zwischen kommerziellen Filmen und kleinen Herzensprojekten. Da kann es schon mal vorkommen, dass er an einem Film drei Jahre arbeitet und während dessen noch bei vier oder fünf anderen Filmen von hoher Qualität auf dem Regiestuhl sitzt. Geschehen ist das bei seinem neuesten, dem federleichten Sparrow. Der lief im Wettbewerb der Berlinale 2008 und erweist sich gerade als äußerst erfolgreich in den Kinos von Hongkong.

Vielleicht hat der Erfolg etwas mit der nostalgischen Note des Films zu tun. Simon Yam, der ausnahmsweise keinen Bösen spielt, sondern den Boss einer Diebesbande, verbringt hier seine Freizeit als Chronist seiner Stadt. Auf seinen Fahrradtouren durch die Straßen Hongkongs schießt er Schwarzweiß-Fotos von ihren Bewohnern. Begleitet wird das ganze von einem minimal anachronistisch wirkenden 60er Jahre-Feeling, das man eher in den Filmen Jacques Demis vermuten würde als in denen Johnnie Tos. Ein höchst künstlicher Film wie Sparrow kann vielleicht nur überzeugend von jemandem gedreht werden, der in seiner Branche so gut wie alles erreicht hat. In diesem Sinne gleicht er Burn After Reading von den Coen-Brüdern, obwohl die beiden Filme ansonsten nichts gemein haben. Nach einem tieferen Sinn sollte man in der Geschichte um vier Taschendiebe, die nacheinander der geheimnisvollen Kelly Lin verfallen, nicht suchen. To verliert sich hier in seinen ebenso skurrilen wie cleveren Einfällen, so dass man am Ende durchaus hart über den Film urteilen könnte. All style, no content usw.

Damit liegt man wahrlich nicht falsch. So reizvoll wie To dreht aber kaum jemand inhaltslose Gaunergeschichten. Das beginnt bei der Leichtigkeit, mit der er die Diebe bei der Arbeit beobachtet und endet bei seinem Hang dazu, Luftballons und Zigaretten als die erotischsten Gegenstände der Welt zu inszenieren. Wenn sich die Diebe mit ihrem Lustobjekt und einem viel zu großen Aquarium in einem engen Aufzug quetschen, spielt die Frage nach dem Sinn des ganzen keine Rolle mehr. Dass dabei eine Marginalie wie die Figurenzeichnung auf der Strecke bleibt, mag hinterher für einen faden Nachgeschmack sorgen. Der wird jedoch durch eine Vielzahl solcher einprägsamer Situationen wieder wettgemacht. To ist schließlich ein Meister darin, den Eindruck, den seine Filme beim Zuschauer hinterlassen, durch ein paar wunderschöne oder schockierende Momente zu manipulieren. Das ist manchmal erfolgreich (Throw Down). Manchmal, wie in PTU, genügt es nicht, um den ganzen Film in ein positiveres Licht zu rücken. Betrachtet man die rund 90 Minuten von Sparrow als das was sie sind – eine als Gaunerkomödie daherkommende Liebeserklärung an Hongkong – ist der Film ein passabler Spaß, der zu keiner Zeit an Tos Großtaten der letzten Jahre heran kommt.

[Ebenfalls veröffentlicht in der OFDb am 26. November 2008]


Zum Weiterlesen:
Da the gaffer in Wirlichkeit eine unverhohlene Fanpage von Johnnie To ist, gibt’s hier sogar eine Kategorie, die sich ausschließlich dem Mann mit der Zigarre widmet.

Election 2 (HK 2006)

[Wie es sich für die Kritik einer Fortsetzung gehört, verraten die folgenden Absätze das Ende von “Election 1”, enthalten also Spoiler.]

Herr Lok ist eigentlich kein auffälliger Typ. Beim Elternabend würde er wahrscheinlich nur still dasitzen und höflich nicken, wenn über die Verwendung der Klassenkasse diskutiert wird. Vielleicht wundern sich seine Nachbarn über die auffällig gekleideten, meist männlichen Besucher, die Herr Lok in seiner Wohnung empfängt. Sofern sie über seinen Beruf nicht aufgeklärt wurden. Herr Lok ist nämlich der Chef der Triade ‘Wo Shing’. Dieser Herr Lok wird wie auch schon in Election vom vielseitigen Simon Yam gespielt, einen anerkannten Fachmann für Psychopathen. Wenn die oben genannten Kriterien auf ihren Nachbarn zutreffen, sollten sie sich Sorgen machen. Oder Telefonnummern mit ihm austauschen. Nach zwei Jahren, in denen Lok nun die Führung der Triade inne hatte, steht wieder eine Wahl an. Erst scheint es keinen ernsthaften Gegner zu geben, doch dann strebt der junge Jimmy (Louis Koo), Patensohn Loks, plötzlich das Amt an. Eigentlich wäre der lieber ein erfolgreicher Manager, doch seine Verbindungen auf dem Festland (sprich: der Volksrepublik China) zwingen ihn zur Bewerbung: Entweder er wird der Boss und bringt die Triaden unter Kontrolle oder alle wirtschaftlichen Transaktionen sind gestorben.

Dominierte “Election” noch die augenscheinliche Faszination des Regisseurs Johnnie To für die jahrhundertealten Rituale der Triaden, greifen die eleganten 92 Minuten der Fortsetzung nach dem düsteren Potenzial, welches das brutale Ende des Vorgängers angedeutet hatte. Damit wird Election 2 nicht nur ein dichter Spannungsbogen zu Teil, sondern auch eine Story, die offen den Anspruch auf eine epische Erzählung stellt. Anders als die Macher der “Infernal Affairs”-Trilogie verwehrt Regisseur To dem Zuschauer allerdings jene Momente dramatischen Pathos’, in denen die Orchesterbegleitung anschwillt und den Helden am Rande ihrer emotionalen Kapazitäten eine einsame Träne über die Wange läuft. Tos unterkühlter Blick auf das Treiben der Triaden unterbindet eine dermaßen tiefe Identifikation. Wenig überraschend ist es da, dass die Exponenten der Schwarzen Gesellschaft kaum althergebrachte Charakterisierungsversuche erfahren. Lok, Jimmy oder der Auftragskiller Jet (Nick Cheung) lassen ihre Taten sprechen.

Vielleicht lässt sich nur so ein in Mark und Bein gehender Effekt erzielen, wie ihn To am Ende von “Election” auf den Zuschauer los lässt. Der oberflächlich gesehen unscheinbar ruhige Lok sitzt da mit seinem  einstigen Rivalen beim Angeln. Lok hat die Wahl gewonnen, hat längst das Spiel um die Macht für sich entschieden. Doch dann macht sein neuer Verbündeter einen tödlichen Fehler: Er schlägt die Teilung der Macht vor. Und prompt wird ihm vom verstimmten Lok der Schädel eingeschlagen. Die Brutalität dieser (Männer-)Welt kommt problemlos ohne Motive aus, die über Schlagwörter wie Macht, Geld oder Ansehen hinausgehen. Lok, einmal angetan von seinem Führungsposten, will ihn eben nicht mehr hergeben und damit hat sich’s. Für Tos Triadenfiguren in den “Election”-Filmen wäre ein genauer Hintergrund, eine persönliche Geschichte überflüssig. So alt wie die Institutionen sind, denen sie dienen, sind ihre Motive, ihre Handlungsmuster. Mit dem Eintritt werden sie zu einem Rädchen in der Maschine, das sich in dieselbe Richtung dreht, wie schon hunderte andere vor ihm.

Insofern ist Louis Koo als ehrgeiziger Jimmy eine Ausnahmefigur. Sein Geld hat er mit Raubkopien gemacht, seine Kinder sollen einmal Ärzte oder Anwälte werden. Das sind die Träume einer Mittelstandsexistenz, die der Versuch legaler Geschäfte in Festlandchina manifestieren soll. Das Triadenleben soll nur eine kurze Episode sein auf dem Weg zum gut situierten, bürgerlichen Dasein. Mit dem Verlust seiner Distanz zum gewalttätigen  Triadengeschehen, also in der direkten Konkurrenz mit Lok, sind zunehmend auch seine Entscheidungen den blutigen Schablonen des Gangsterlebens nachempfunden. Gewinn und Erhalt der Macht rechtfertigen jedes Mittel.

Von “The Mission” über “Running out of Time” bis hin zu “Election” und “Exiled” gewinnen Johnnie Tos Regiearbeiten häufig durch die Paarung der Hauptfiguren ihre eigentliche Schwungkraft. So stellt er in ersterem den aufbrausenden Francis Ng neben einen stoischen Anthony Wong. “Election” funktioniert durch die Gegenüberstellung des zurückhaltenden Simon Yam mit dem lauten Tony Leung Ka-Fai auf ähnliche Weise. Wenn man so will, verzichtet To in Election 2 auf die besondere Chemie der Gegensätze und setzt auf gleichwertige Gegner. Wie schon die beiden Antagonisten in dem von To produzierten The Longest Nite sind sich Lok und Jimmy in ihrer berechnenden Kaltblütigkeit so ähnlich, dass sie sich zwangsläufig hochschaukeln in ihrer gewalttätigen Vorgehensweise bis einer von ihnen aus der Bahn geworfen wird. Seine Altersfreigabe ab 18 hat “Election 2” also unzweifelhaft verdient.

Einer gewissen Stilisierung seiner Gangster entgeht auch Johnnie To nicht, wenn er die zumeist wortkargen Männer an der Kamera vorbei ins nichts blicken lässt wie Westernhelden, die auf das nächste Duell warten. Dass der Regisseur ein Meister darin ist, auf einer schwarzen Leinwand die Gesichter seiner Figuren mit präzise gesetzten Lichtpunkten  aus dem Dunkel heraus zu schälen, sorgt auch nicht gerade für eine realistische Ästhetik. Diese zuweilen expressionistische Herangehensweise ist am Ende, nach all dem vergossenen Blut und der erlebten Abgründe menschlichen Machtstrebens, aber eine angebrachte Wahl. Tos Leistung liegt schließlich weniger im Realismus als in seiner unsentimentalen Herangehensweise an das organisierte Verbrechen Hongkongs.

Mit dem steigenden Einfluss der Volksrepublik sind die Zeiten endgültig im Wandel begriffen. ‘Früher war nicht alles besser’, sagte uns “Election”. ‘Die Vorzüge der Zukunft werden teuer erkauft’, ist die Weisheit der Fortsetzung. Johnnie Tos im Gewand eines Thrillers daher kommende Verweise auf das Hongkong nach dem 1. Juli 1997, die weder das Gestern noch das Morgen glorifizieren, lassen “Election 2” über unzählige Triadenfilme der ehemaligen Kronkolonie und auch seinen Vorgänger obsiegen. Rund zehn Jahre vorher hatte Simon Yam schon mal einen ruhigen, gerechten Boss in  der erfolgreichen “Young and Dangerous”-Reihe gespielt. Johnnie To reißt in Election 2 diesem viel zu netten Kerl die sympathische Maske vom Gesicht und fördert eine machtgierige, hässliche Fratze zu Tage.


Zum Weiterlesen:
Kritiken zum Hongkonger Kino und natürlich Election.

Kurtz & Knapp III

Während das Sommerloch sich in seiner vollen langweiligen Blüte zeigt und die einzigen Lichter am Ende des Tunnels die deutschen Starttermine von “The Dark Knight” und “Tropic Thunder” sind, will ein Blog natürlich gepflegt werden. Um der drohenden Vernachlässigung entgegen zu wirken, erscheint hier daher eine weitere Folge von Kurtz & Knapp. Die bereits vierteilige Sonderauflage über die Filme des Festivals in Bologna ist  aber noch lange nicht an ihrem Ende angelangt, wird also noch fortgesetzt werden.


Once (IRL 2006):

Seinen Oscar für den besten Song hat “Once” zwar verdient, aber zu mehr als einen  85-minütigen Videoclip über zwei musikversessene Aussenseiter reicht es dann doch nicht. Gewisse Ermüdungserscheinungen setzten zumindest bei mir nach dem dritten oder vierten melancholischen Lied ein und wollten nicht mehr verschwinden. “Falling Slowly” bleibt aber wirklich ein tolles Lied.

Kung Fu Panda (USA 2008):

An Pixar kommen die Filme von Dreamworks Animation auch mit Kung Fu Panda noch lange nicht heran, dazu ist die Story zu konventionell; verlässt sich die (visuelle) Charakterisierung der Nebenfiguren noch zu sehr auf die Verwendung unterschiedlicher Tiere. Dafür begeistert die Geschichte des widerwilligen Kung Fu-Heroen Po mit farbenprächtigen Landschaftsanimationen und rasanter Action – der Ausbruch des Bösewichts Tai Lung aus seinem Hochsicherheitsgefängnis sei an dieser Stelle hervorgehoben. Es ist schon ein wenig traurig, wenn der Kampf des Pandas Po mit seinem Meister Shifu um eine Teigtasche nicht nur aufregender, sondern auch besser in Szene gesetzt ist als das ganze “Grabmal des Drachenkaisers”.

Ein Hauch von Zen (RC 1969):

Lange lag die DVD im Regal bis sie dank eiserner Überwindung  und etwas Kaffee endlich im Player landete. “Ein Hauch von Zen” ist ein, trotz anfänglicher Längen, unerreichter Wuxia-Klassiker, der am Ende – nach fast drei Stunden  – alle Genregrenzen hinter sich lässt und Kubrick’sche Größe erreicht. Wer die Inspiration  für Ang Lees “Tiger and Dragon” sehen will, wende sich bitte an den Film von King Hu. Poetisch und einfach nur schön. Wow!

The Heroic Trio (HK 1993):

Dass gute Superheldenfilme nicht nur aus den USA kommen, bewies Johnnie To bereits 1993 mit seinem heroischen Trio. Invisible Woman (Michelle Yeoh), Thief Catcher (Maggie Cheung) und Wonder Woman (Anita Mui) tun sich hier erstmals im Kampf gegen einen machtgierigen Eunuchen, der reihenweise Säuglinge entführt, zusammen. Typisch Hongkong ist “Heroic Trio” dank der Actionchoreographie von Ching Siu Tung (“Hero,” “A Chinese Ghost Story”) und der unvermeidlichen Brutalität (mal wieder wird auch vor Kindern nicht halt gemacht), die in  ähnlichen Mainstreamfilmen aus Hollywood in dieser Form gar nicht auftauchen würde. Auch wenn die düstere Optik von Tim Burton inspiriert zu sein scheint, verkommt Johnnie Tos Heldinnensaga nicht zur bloßen Kopie von Batmans Abenteuern.

“The Heroic Trio” ist Kult und sehr lustig. Dieser einfachen Feststellung kann selbst das hin und wieder antiquiert wirkende Wire-Fu nichts anhaben. Und Anthony Wong darf als hirnlose Bestie Kau seine eigenen Finger verputzen. Lecker, lecker!

My Name is Fame (HK 2006):

In Anbetracht der Tatsache, dass HK-Edelmime Lau Ching Wan Ende der Neunziger in einen Knaller nach dem anderen zu sehen war – von einer Hauptrolle in Ringo Lams “Full Alert” bis hin zu Milkyway-Filmen wie “The Longest Nite” oder “Running out of Time” – ist die Dichte an mittelmäßigen Komödien, die seine Filmografie im neuen Jahrtausend übersät, doch recht überraschend. Da war der Hong Kong Film Award, den Lau für “My Name is Fame” gewann, schon so etwas wie ein dringend nötiges Comeback. Anders als sein Film Alter Ego Poon war Lau bis dahin unzählige Male für den HK-Oscar nominiert gewesen und am Ende immer leer ausgegangen. Dieser Poon, ein Charakterdarsteller mit einem leichten Hang zum Alkoholrausch, ist nach einem solchen Preis für seinen ersten Film als ewiges Talent abgestempelt wurden. Abgehalftert, ohne Aussicht auf gute Rollen, nimmt er die von einer Filmkarriere träumende Faye unter seine Fittiche und entdeckt ganz nebenbei seine Liebe zur Schauspielerei wieder.

Das in “My Name is Fame” von der Filmindustrie gezeichnete Bild einer großen Familie hat nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun. Alles ist in diesem Film nämlich ein bisschen rosa überzeichnet und weit von einer knallharten Satire entfernt. Der Weichzeichner stört nicht weiter, denn Lau sitzt die Rolle wie angegossen. Löblich ist sicher auch die Zeit, die der Film auf den eigentlichen Prozess des Spielens verwendet; von einfachen Aufwärmübungen über den Ideenaustausch mit dem Regisseur bis hin zum Variieren des Spiels von Take zu Take. So ist der Film am Ende v.a. eine Liebeserklärung an die in Hongkong seltene Spezies des Charakterdarstellers, die sich durchkämpft in einer Industrie, welche die Kinosäle mit untalentierten Models und Popsternchen zu füllen sucht.