Exground Filmfest 2010

Zum dritten Mal in Folge ging es am 12. November nach Wiesbaden, um die 23. Ausgabe des Exground Filmfests in Augenschein zu nehmen. War es letztes Jahr noch etwas mehr als eine Woche, die ich trotz diverser leiblicher Läsionen in Wiesbaden verbringen durfte, beschränkte sich der Trip diesmal auf das erste Festivalwochenende. Unterstützung bekam ich u.a. von den Redaktionskollegen luzifus und vannorden, die ihren Senf zum Festival hier zweifellos noch posten werden. Traditionell in Reihen wie News from Asia, American Independents und Neues aus Deutschland unterteilt, bot das Festival diesmal eine Neuheit in Form einer Hommage an Ulli Lommel. Ja, richtig gehört, an den Ulli Lommel von “Daniel, der Zauberer”, doch mehr zu diesem Meisterregisseur später.

Eröffnungsfilm war schließlich Todd Solondz’ Life During Wartime, ein Sequel wie nur Solondz es zustande bringen kann. Mit einem komplett neuen Ensemble erzählt der Film nämlich die Geschichte der Protagonisten seines Meisterwerks “Happinness” weiter, erzählt wie die Schwestern Joy, Helen und Trish von dem Geschehenen verändert wurden, wie sie nun mit den Traumata zurecht kommen. So wird Joy vom Geist Andys verfolgt, der sich einst auf Grund ihrer Ablehnung das Leben genommen hatte. Eine Situation, welche der Satire nur einige von vielen tragikomischen Momenten beschert. Während Joy sich mit den Geistern ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss, weicht Trish diesen aus. Dass der Vater ihrer Kinder als Pädophiler im Gefängnis sitzt, verschweigt sie diesen. Er sei tot. So einfach ist das. Ein Umzug ins sonnige Florida genügt, um zu vergessen, um zu negieren. Dass Trish sich und ihrer Familie etwas vormacht, dass so gut wie keine der Figuren in “Life During Wartime” einfach vergessen, geschweige denn vergeben kann, ist die bittere Krux eines Filmes, der es erstaunlicherweise schafft,  seinen Figuren respektvoll zu begegnen und zugleich einer gewissen Lächerlichkeit preizsugeben. Hervorzuheben sind an dieser Stelle die Leistungen der Damen, namentlich Allison Janney, Ally Sheedy und Charlotte Rampling.

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Eine runde Überleitung zum russischen Beitrag Pyatnitsa. 12 zu finden, der danach im Caligari Filmtheater gezeigt wurde, ist ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, nicht nur, was den qualitativen Abstieg betrifft. Vladimir Zajkins auf postmodern getrimmte Serienkillerklamotte ist in jeder Hinsicht überladen, zu lang und too much. Eine handvoll netter Ideen – selbstreflexive Reden der Figuren an den Zuschauer wie “Ich bin der Serienkiller soundso”, “Ich bin das Opfer” usw. – machen noch keinen erträglichen Film, weshalb ich gegen Ende in der einladenden Weichheit des roten Kinosessels versunken und weggedöst bin. Am Samstag begann das Festivalprogramm vielversprechend mit Nicolas Entels Dokumentation Sins of My Father (Pecados de mi padre). Darin stellt sich Sebastián Marroquín, Sohn des berüchtigten Drogenbarons Pablo Escobar, den Taten seines Vaters und v.a. dessen Opfern. So verwandelt sich die Begegnung mit den Söhnen von im Auftrag Escobars getöteten Politikern zu einem Symbol der Hoffnung auf die Befriedung des noch heute von Gewalt gebeutelten Kolumbien. Die seltsame Undurchsichtigkeit Marroquíns tut daran keinen Abbruch. Wieviel er von den Geschäften seines Vater wusste und ob er, der zum Todeszeitpunkt des Vaters immerhin 16 war, darin involviert war, wird im Film nicht gefragt. Ebenso seltsam ist Marroquíns Begründung, warum er nicht ins Drogengeschäft eingestiegen sei: Weil das Geld sowieso nichts wert sei, wenn die Polizei vor dem Haus steht. Solche Ungereimtheiten und moralischen Fragwürdigkeiten steigern jedoch den Reiz von Entels beeindruckender Doku.

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Weniger überzeugend war im Vergleich der danach im Murnau Filmtheater gezeigte kolumbianische Beitrag Crab Trap (El vuelco del cangrejo), dessen Held das Festivalposter ziert. Das lag weniger an handwerklichen oder schauspielerischen Defiziten, als an der Tatsache, dass ich diesen Film gefühlt schon zwanzig mal gesehen habe. Ein offensichtlich von einem nicht näher definierten Trauma verfolgter Protagonist begibt sich in die Natur zwecks Flucht und/oder Katharsis. Er trifft urtümlich lebende Menschen, schweigt diese an, sie schweigen ihn an und der Zuschauer darf sich den Rest denken. Das ist alles unglaublich, wahnsinnig modern, weil es auf das europäische Autorenkino der Sechziger zurückgeht, und so. Dank der exotischen Schauplätze bleibt der Zuschauer wach. Es gibt ja schließlich etwas zu sehen, auch wenn es nicht sonderlich einfallsreich inszeniert ist. Letztes Jahr hieß der Film “Delta” oder war es “Herbst”? Keine Ahnung. Mainstream-Arthouse-Weltkino nennt man das wohl und die Festivalprogrammatiker scheinen darauf zu stehen. Nein, danke!

Was schweigsame Protagonisten angeht, stand Northless (Norteado) “Crab Trap” zwar in nichts nach, entschied sich dann aber glücklicherweise dazu, einfach “nur” eine realistische Skizze eines Migrantenschicksals zu sein. Der junge Mexikaner Andrés will in die USA und da das für Leute wie ihn nur illegal möglich ist, versucht er  im Verlauf des Films wiederholt, die Grenze zu überqueren. Von der amerikanischen Polizei aufgeschnappt, landet er in Tijuana und lernt zwei Frauen kennen, die gestrandet zu sein scheinen an diesem Ort, an dem ihre Männer sie auf dem Weg in den Norden verlassen haben. Sparsam und auf’s Wesentliche beschränkt ist “Northless”, kommt so gut wie ohne Verzierungen aus und schildert doch eindringlich das Grenzleben aus Sicht der Zurückgebliebenen. Das man in “Northless” nie den verheißungsvollen Norden zu sehen, nie das Versprechen des sozialen Aufstiegs visualiert bekommt, kann durchaus als Statement des Films betrachtet werden.

Und wieder dieses Problem mit der Überleitung. Dann eben anders: “Northless” lief im Caligari und Ulli Lommels The Boogeyman auch. Reicht das? Ulli Lommel ist, wie oben bereits geschrieben, Objekt der ersten Hommage in der Geschichte des Exground Filmfests. Klar, der Mann hat mit Fassbinder (wer nicht?) und mit Warhol (wer nicht?) gearbeitet, aber der Mann hat eben auch “Daniel, der Zauberer” und besagten “The Boogeyman” gemacht. Letzterer lief nun am Samstag mit einiger Verspätung in der mäßig besuchten Mitternachtsvorstellung, war angeblich ein großer Hit in den US of A, aber wen interessiert das, wenn man das Endprodukt gesehen hat? Dieser Film ist schlecht. Ein inhaltlich bescheuerter (ich versuch gar nicht zu erklären, was der Boogeyman ist) Slasher, der sich im wahrsten Sinne des Wortes seiner Freud’schen Hausfrauenpsychologie brüstet. Ödipuskomplex gone bloody wrong. Nix neues in der Horrorwelt, auch damals 1980 nicht. Verzichtbar, unfreiwillig komisch, furchtbar schlecht geschnitten, Uwe Boll lässt grüßen. Mir fällt nichts mehr ein, außer: “Blubb”.

Ein schönes Festival bleibt das Exground, wenn es sich am ersten Wochenende auch nicht so stark präsentierte wie zuvor. Letztes Jahr liefen da immerhin “Humpday” und “Captain Berlin versus Hitler”. Vielleicht sehen wir uns 2011 wieder.

Call me Joe

Apichatpong Weerasethakul, den man der Einfachheit halber auch Joe nennen darf, hat mit “Syndromes and a Century” und “Blissfully Yours” bereits eine große Anhängerschaft unter den Arthouse-Freunden dieser Welt gewonnen. Nachdem “Tropical Malady” vor einigen Jahren den Preis der Jury in Cannes gewonnen hat, ist ihm mit Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives (der Titel sagt schon alles) vielleicht so etwas wie der internationale Durchbruch gelungen. Der Film bekam nämlich am Wochenende die Goldene Palme. Glaubt man den Kritikerspiegeln, war “Uncle Boonmee” einer der wenigen unstrittigen Lichtblicke des eher unspektakulären Festivals.
Bei CARGO gibt’s ein Audiogespräch mit dem Gewinner, bei MUBI eine begeisterte Review, wie nur Daniel Kasman sie schreiben kann und bei Film-Zeit einen Überblick über die deutschsprachigen Kritiken.
Den Trailer findet man in höherer Auflösung ebenfalls bei YouTube.

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Kontrapunkt: Cellu l'art 2010

Zum nunmehr 11. Mal fand dieses Jahr vom 14. bis 18. April das Jenaer Kurzfilmfestival „Cellu l’art“ statt und ich konnte nach wie vor nicht klären, welche Schreibweise nun die offizielle ist. Aber dafür kam ich in den Genuss, einen Großteil der insgesamt über 50 Filme zu sehen, die sich auf den internationalen Wettbewerb und den Länderschwerpunkt Indien verteilten. Kurz und knapp als akkreditierter Pressevertreter nun also mein Resümee.

Nachdem am Mittwochabend am Johannestor trotz widrigen Witterungsumständen beim Open Air einige Highlights aus den letzten Jahr zu sehen und die Live-Band „Standek“ zu hören war, wurde am Donnerstag (15. April) dann schließlich das Capitol Kino nach über einem Jahr Schließung wieder eröffnet. Und die Besucher kamen – in Strömen. Dabei greife ich vorweg: Gleich im ersten der insgesamt 5 Wettbewerbsblöcke lief der diesjährige Siegerfilm:

Stiller See (D 2010)

Die aus Erfurt stammende Regisseurin Lena Liberta, welche beim Cellulart 2009 bereits für ihren überladenen Problemfilm „Hundesöhne“ mit dem Publikumspreis geehrt wurde, widmete sich wieder ihrem bevorzugten Thema: der Familie und ihrer Probleme. In ihrem mit Klaviermusik buchstäblich durchkomponierten 7-Minüter erzählt sie die Geschichte um das von Unverständnis geprägte Verhältnis eines Vaters zu seinem autistischen Sohn. Die Mutter ist in dem See, an welchem die beiden Urlaub machen, vor einiger Zeit ertrunken. Der in prätentiös anmutendem Schwarz-Weiß präsentierte Film kreist um das Motiv der Musik und der kathartischen Wirkung des Wassers, ist eindrucksvoll gespielt. Ein würdiger Gewinner, auch wenn ich zwei Filme noch besser fand. Und zwar:

Territorio Enemigo (ESP 2008)

Dieses im 2. Wettbewerbsblock am Freitag gelaufene Kriegsdrama beweist nach den Wettbewerbsbeiträgen in den vergangenen Jahren einmal mehr, dass spanische Kurzfilme zu den international besten gehören. Darin verirrt sich ein Soldat auf feindliches Terrain und stellt dort den Gegner. Doch ein Fehltritt auf eine vermeintliche Mine schränkt neben seiner Bewegungsfreiheit auch seine Optionen dem Feind gegenüber ein. Packend, spannend und mit einer ebenso bitteren wie überraschenden Wendung am Ende fungiert der 11-Minüter von Rodrigo Plaza als beklemmendes Psychodrama um Angst und als Statement gegen den Irrsinn des Krieges, eingefangen mit einer bemerkenswerten Kameraarbeit. Auch sehr sehenswert:

Fliegen (D 2009)

… der im fünften und letzten Wettbewerbsblock am Samstag lief. Mit Sandra Hüller („Requiem“) und Jakob Matschenz, der später auch den Preis als bester Darsteller gewinnen sollte, hochkarätig besetzt, wird die Geschichte eines illegalen Einwanderers in Deutschland erzählt. Die Studentin Sarah (Hüller) dokumentiert sein Leben und beginnt eine Affäre mit ihm. Doch das – der einzige Kritikpunkt – ärgerliche Klischee um seine Verbindungen zu kriminellen Kreisen sorgt dafür, dass die Behörden bald auf ihn aufmerksam werden. Intensiv gespielt, authentisch wirkend und ein mutiges Thema: ein großartiger Kurzfilm!

Dabei stand die Qualität der von Kuratoren zusammen gestellten Kurzfilme vom indischen Subkontinent der Klasse dieser Filme nicht nach. Interessierte Zuschauer – und davon gab es erfreulicherweise erstaunlich viele – erhielten einen Einblick in ein Independentkino, welches soziale Probleme wie Armut und Menschenhandel ebenso thematisiert wie eine Gesellschaft im Auf- und Umbruch, in der eine riesige, aber stetig weiterwachsende Film- und Unterhaltungsindustrie immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der skurrile Kurzfilm „The Private Life of Albert Pinto“ um einen Schauspieler, der auf seinen Durchbruch wartet thematisiert letztere ebenso wie „Tumse Milke“, in welchem das Mädchen Meera durch einen Schreibwettbewerb Shah-Rukh Khan kennenlernen will. Besonders im Gedächtnis haften blieb jedoch…

Kavi (USA/IND 2009)

Der oscarnominierte Kurzfilm lief außerhalb des Länderschwerpunkts im das Programm abrundenden „B-Side Special“ am Sonntag, indem Kurzfilme gezeigt wurden, die es trotz hohen Niveaus nicht ins reguläre Programm geschafft haben. Die Themen Kinderarbeit und moderne Sklaverei sind jedoch auch keine leichten, die Gregg Helvey da angepackt hat. Packend erzählt er die Geschichte vom indischen Jungen Kavi (Sagar Salunke), welcher den ganzen Tag Backsteine herstellt, obwohl er lieber zu den Schülern von nebenan gehören würde, die er immer wehmütig beobachtet. Als eines Tages seine Eltern verschleppt werden, hat er die Möglichkeit, aus seinem streng reglementierten Dasein auszubrechen. Trotz einer gewissen Plakativität in der Inszenierung verfehlt der Film seine aufrüttelnde Wirkung nicht und dringt einfühlsam in die Psyche eines Jungens ein, der in diese Form des Leibeigentums hineingeboren wird.

Genug der Rezensionen! Nun noch ein paar letzte Ausführungen zum Festival insgesamt, zusammengefasst in einer knackigen Checklist:

+ hohes Niveau der Wettbewerbsfilme
+ ungewöhnliche Einblicke durch den Länderschwerpunkt Indien
+ tolle Location (geschlossenes Kino quasi wiedereröffnet)
+ gute Cocktails zu noch besseren Preisen
+ viele Filmemacher/Beteiligte anwesend

eine Heizung im Saal wäre schön gewesen
durch Format-Hickhack der aufeinanderfolgenden Filme ein paar Problemchen bei Bild und Ton

Kontrapunkt: Berlinale Special 2010

Zum zweiten Mal ging es für mich zum größten Publikums-Filmfestival der Welt. Dieses Jahr standen 4 Tage Berlinale an (18. bis 21.02.). Folgende Erkenntnisse habe ich dabei gewonnen:

1.) Auch auf der Berlinale laufen nicht nur gute (Kurz-)Filme.

2.) Filme in unverständlichem English without german subtitles zu schauen sucks.

3.) Beim Filmnachwuchs muss sich Deutschland keine Sorgen machen.

4.) Es gibt verdammt viele Kinos in Berlin.

Zur Untermauerung dieser Erkenntnisse nun untenstehend meine filmischen Erfahrungen von den nunmehr 60. Internationalen Filmfestspielen in Berlin.

Berlinale Shorts I.

Spät abends im Cinemaxx gab’s fünf Kurzfilme zu schauen, wovon mir einer ganz besonders in Erinnerung geblieben ist, der da war:

Aramaki

Ein immerhin auf irgendeine Art skurriler Film, der den Zuschauer mit einem einzigen Protagonisten im Wald konfrontiert, der seinen absurd konstruierten Selbstmord vorbereitet. Filme mit einer einzigen (Hand-)Kameraeinstellung über eine Dauer von 20 Minuten können technisch anspruchslos und auch inhaltlich dämlich sein – das beweist dieser Film.

Die anderen Filme dieses Kurzfilmblocks ließen mich mit Ausnahme von Zuti Mjesec um die neue Nachbarin, welche sich bei einer einsamen Schwangeren vorstellt, ziemlich ratlos zurück. Eine zu schwere und durchwachsene Auswahl insgesamt, die freilich zur falschen Uhrzeit gezeigt wurde.

Doch nun zu den Wettbewerbsfilmen im Rennen um den Goldenen Bären. Ich nehme es vorweg: Ich habe keinen der Preisträgerfilme gesehen, aber dafür zunächst den wohl schlechtesten potenziellen Anwärter und folgend sehenswerte Beiträge aus Argentinien, Frankreich sowie den USA.

Jud Süß – Film ohne Gewissen (D/A 2010)

Nomen est omen: Berufsprovokateur Oskar Roehler präsentiert mit seiner eigenen Rekonstruktion der Ereignisse um die Entstehung des berüchtigten Propaganda- films (von historischer Korrektheit kann kaum die Rede sein) ein ungenießbares Schmierentheater, das seinesgleichen sucht. Moritz Bleibtreu blamiert sich in seinem Chargieren als Goebbels ganz dolle und Gudrun Landgrebe wird’s während einer Bombennacht am offenen Fenster kräftig besorgt. Das sind die beiden einprägsamsten Dinge in dieser unfreiwillig komischen Posse, die doch eigentlich großes, dramatisches Kino um Verführung und Gewissen sein will. Nee!

Rompecabezas – Puzzle (RA 2009)

Die Handlung: Eine sich treu um ihre Familie sorgende Hausfrau namens Maria Del Carmen (Maria Ornetto) entdeckt ihre Leidenschaft fürs Puzzeln und beginnt, aus ihrem tristen Alltag auszubrechen. Ähnlich wie Puzzleteile ein Teil eines großen Ganzen darstellen, fragmentieren die über weite Strecken vorherrschenden Groß- und Nahaufnahmen die Bilder des Films. Dabei geizt „Puzzle“ nicht mit Humor, wenn bspw. die Freundin des Sohnes auf vegetarisches Essen besteht oder dramatischen Elementen, wenn Maria ihre neue leidenschaft vor ihrer Familien verheimlichen und sich schließlich zwischen zwei Männern – ihrem Ehemann und ihrem Puzzle-Lehrmeister – entscheiden muss. Herzerwärmend, menschlich, gut.

Mammuth (F 2010)

Ja, Gérard Depardieu ist in den letzten Jahren ziemlich dick geworden, aber was soll’s. Er bleibt ein toller Schauspieler – sonst würde „Mammuth“ schließlich keinen Spaß machen. Er verkörpert den gleichnamigen rabiaten 60-Jährigen, welcher auf seinem Motorrad durchs Land braust und die Rentenbelege seiner zahlreichen ehemaligen Arbeitgeber zusammensammeln muss, um Anrecht auf Rente zu haben. Der Humor ist garstig und kommt stets ohne Vorbereitung. So bspw. die denkwürdige Szene als Mammuth und sein Cousin von der Taille aufwärts zu sehen sind – sich gegenseitig befriedigend. Auf seiner Reise wird der mit seinen langen Haaren und im Job an Mickey Rourke in „The Wrestler“ erinnernde Mammuth nicht nur mit seiner eigenen Vergangenheit, sondern auch mit seinen eigenen Träumen konfrontiert. Ein enorm witziger und dennoch nachdenklich stimmender Film.

The Killer Inside Me (USA 2010)

Der mit Westernmotiven angereicherte Psychothriller lässt den Zuschauer in der ersten halben Stunde schlucken: Wie brutal Provinzpolizist Lou Ford (sollte man nur noch als Psychopath besetzen, weil so etwas spielt er richtig gut: Casey Affleck) die Prostituierte Joyce (Jessica Alba) zusammenschlägt, ist grenzwertig. Auch die häufigen Sexszenen, in denen Anti-Autor Michael Winterbottom nach „9 Songs“ und „Code 46“ ausnahmsweise mal keine weiblichen Genitalien in Großaufnahme zeigt (wenn man mal von in die Kamera ragenden Popöchen absieht), irritieren mit zunehmender Dauer. Doch darüber hinaus erzählt Winterbottom die Killer-Geschichte abgesehen von kleineren Durchhängern spannend und clever, wenn er insbesondere am Ende ohne großspurig angekündigte Wendung subtil Raum für Interpretationen schafft, die die Geschehnisse des Films in ganz anderem Licht erscheinen lassen.

Shutter Island (USA 2010)

Apropos großspurig angekündigte Wendung: In Sachen subtiler Auflösung anstatt merkbarem Daraufhininszenieren hätte sich Martin Scorsese so Einiges bei Michael Winterbottom abgucken können. Sein ähnlich gelagerter Psychothriller um einen US-Marshal (Leonardo Di Caprio), der im Ashecliffe Hospital – einer Anstalt für geistig gestörte Schwerkriminelle – das Verschwinden einer Insassin untersucht, ist zwar rein handwerklich makellos (insbesondere die Kameraarbeit ist lobend zu erwähnen), spannend und sehr atmosphärisch, krankt jedoch insbesondere an seiner uncleveren Auflösung. Etwas detaillierter habe ich mich dazu hier geäußert.

In der Sektion Perspektive Deutsches Kino, in welcher deutsche Nachwuchsfilmemacher ihre Arbeiten vorstellen, wurde ich äußerst positiv überrascht. Vor der entlarvenden, ungemein intimen Dokumentation Die Haushaltshilfe um ein slowakisches Mädchen, welches fernab ihrer Heimat einem deutschen Rentnerehepaar im Haushalt hilft, lief ein Film um die Frauen von Profi-Fußballern:

WAGs (D 2009)

… steht für „Wifes And Girlfriends“ und bezieht sich auf besagte Frauen und Freundinnen von Hertha BSC-Spielern. Zwei von ihnen freunden sich an: Judith (Sonja Gerhardt) ist die Freundin vom Nachwuchstalent Ronny (Gordon Schmidt) und mit dem Leben als Spielerfrau unvertraut, die etwas ältere Dina (Vesela Kazakova), Freundin des bulgarischen Neutransfers Ivo (Alen Hebilovic) desillusioniert, sieht ihre Rolle nur als Beiwerk ihres Mannes ohne eigenes Leben und Recht auf Selbstverwirklichung. Doch als Ronny ein Angebot von Bayern München bekommt, droht sie subtile, frisch entstandene Freundschaft wieder zu zerbrechen. Professionelle Kameraarbeit, zwei großartig aufspielende und authentisch wirkende Hauptdarstellerinnen, eine hintergründige Geschichte die ein bisher wenig behandeltes Thema angeht, dazu noch sehr unterhaltsam: ein durchweg großartiger Kurzfilm. Ein großes Lob an die beiden Regisseure Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf!

Um aus der Breite des Programms auch möglichst viel mitzunehmen, konnte ich mir (irgend)einen Film im Rahmen vom Panorama natürlich auch nicht entgehen lassen. Meine Wahl fiel auf Sex & Drugs & Rock & Roll (GB 2010) im Colosseum, in welchem – meist mit schrillen Bildern und Mitteln – das Leben von Ian Dury, dem Vater des Punkrock, abgehandelt wurde. Andy „Gollum“ Serkis spielt darin mit sehr viel Charme und Coolness die Hauptrolle, nur leider war von seinem Slang-Englisch ebenso nichts zu verstehen wie insgesamt von 80% des Films. Ein Königreich für Untertitel! So könnte ich mich mangels Aufnahmefähigkeit zu später Stunde dem Eindösen leider nicht erwehren (was nicht heißen soll, dass der Film schlecht ist).

Das war’s leider schon. Mehr als drei Vorstellungen am Tag waren bei mir mangels Konzentrationsfähigkeit aufgrund akuten Schlafmangels nicht drin. Ich bedanke mich nicht bei der Academy, meinem Agenten und meinen Eltern, wohl aber bei meinen witzigen Co-Übernachtern Kratzi und Martin, besonders aber bei Christoph und Johannes, die die günstige Überachtung erst ermöglicht haben. Thank You!

Exground Filmfest 2009 (2)

Montag:

My Suicide (USA 2008)

Ein Teenager kündigt in der Medienklasse seinen Selbstmord vor laufender Kamera an. Der sich daraus entfaltende Bildersturm von David Lee Miller hat u.a. auf der Berlinale, beim Raindance, in Seattle und schließlich auch in Wiesbaden Preise eingesackt und jeden einzelnen davon verdient. Die Tour-de-Force-Darstellung von Gabriel Sunday, der auch an Schnitt und Drehbuch beteiligt war, trägt den Film, der behände zwischen existentialistischer Angst,  Vorstadt-Abstumpfung und trauriger Ironie zu manövrieren weiß. Ein kleines Meisterwerk.

Die Anwälte – Ein Deutsche Geschichte (D 2009)

Einzig die monoton und betont dramatisch daher hämmernde Musik würde ich an der Dokumentation von Birgit Schulz kritisieren. Für einen Film, dessen Stars die interviewten Anwälte sind, ist soviel Aufregung gar nicht nötig. Schulz verfolgt die Lebenswege von Horst Mahler, Otto Schily und Hans-Christian Ströbele, die in den 60er Jahren als Anwälte der Außerparlamentarischen Opposition und später der RAF aufeinander treffen und danach Biografien entwickeln, die an Unterschiedlichkeit kaum zu überbieten sind. Auf diese drei Gesprächspartner beschränkt sich die Doku und auf den archivarischen Rückblick auf ihre gemeinsame und später getrennte Zeit. Dabei entstanden sind Porträts von ungleicher Intimität. Während Mahlers radikaler Wandel vom Anwalt der Linken zum Verehrer des Nationalsozialismus bis zum Ende ein  Mysterium bleibt, erscheint Ströbele als unverbesserlicher Idealist (lies: Träumer). Doch herausragende Eigenschaft der Doku ist ihre Annäherung an Otto Schily, dessen Proteste gegen die Abhörmaßnahmen in Stammheim seinem späteren Wirken als Innenminister gegenüber gestellt werden. Und Schily beweist v.a. eins: Ehrlichkeit. Eine Ehrlichkeit, die am Ende vielleicht mehr über ihn aussagt, als ihm lieb ist.

Dienstag:

Delta (U/D 2008)

Arthouse-Kino wie es im Buche steht. Im Buche der ausgelutschten Arthouse-Klischees. Auch wenn der einen Tag später gezeigte “Autumn” in dieser Hinsicht noch problematischer ist, kommt einem “Delta” von Kornél Mundruczó irgendwie bekannt vor. Wortkarge Protagonisten bewegen sich vor dem Hintergrund atemberaubender Landschaften   und das über die Dauer von zwei Stunden. Das mag beim Kino der Fünften Generation in den 80er Jahren noch spannend gewesen sein, bringt einem zumindest in der Form von “Delta” aber nur eine Erkenntnis: Inzest ist keine gute Idee. Ach wirklich?

Not Quite Hollywood – The Wild, Untold Story of Ozploitation (AUS 2008)

Australien, das Land elegischer Kunstfilme über Picknicke an kommerziell ausgeschlachteten Möchtegern-Feiertagen? Nix da! Sex, Gewalt und Action betören auch die Aussies, das beweist die rege Kultur der Exploitation-Filme, die sich in den 70er und 80er Jahren am anderen Ende der Welt entwickelt hat. Die u.a. von Quentin Tarantino kommentierte Doku gibt einen unterhaltsamen, aber auch unübersichtlichen, weil zu unaufmerksamen Überblick über die Sex-, Splatter- und Actionfilmchen, die in diesen Jahren entstanden sind. Für Leute, die “Patrick” nicht von “Alvin Purple” unterscheiden können, liegt die Gefahr der Verwirrung in der Luft. Mark Hartleys Film macht allerdings auch Lust, nochmal einen Blick auf Klassiker wie “Mad Max”, “Long Weekend” und “The Man From Hong Kong” zu werfen. Für Fans der genannten Genres ist die Doku natürlich eine ellenlange Einkaufsliste.

Mittwoch:

Glowing Stars (S 2008)

Filme über die Leiden und Freuden der Pubertät laufen anscheinend immer nach dem selben Muster ab. Diesem, bestehend aus dem Ersten Mal, dem ersten Besäufnis, dem ersten Gesetzesbruch, dem ersten Herzschmerz, der schlussendlichen Akzeptanz des eigenen Daseins, folgt auch der schwedische Beitrag “Glowing Stars”. Überraschend an der ganzen Sache ist nun, dass die qualitative Dichte der Youth Days beim Exground trotzdem überzeugt hat. Ungeachtet einer gewissen Vorhersehbarkeit ist beispielsweise Lisa Siwes Film ein ehrlicher und ungeschönter Blick auf den jugendlichen Trotz seiner Protagonistin, mit dem man nicht immer sympathisieren, den man aber immer nachvollziehen kann.

Autumn (TR/D 2008)

Arthouse-Kino in extremo Part Deux. Ich mag Arthouse-Filme sehr. Ich mag Filme, in denen augenscheinlich nichts passiert, die einem  am Ende aber dennoch zurücklassen, als hätte man gerade in mitten eines Wirbelsturms gesessen. Ich mag Filme, die schwer bis gar nicht zu verstehen sind. Ich mag Filme, die keine Geschichten erzählen, sondern Stimmungen. Aber “Autumn”, nun ja, den mag ich gar nicht. Trotz schöner Landschaften, endloser Aufnahmen vom Meer (bei mir immer ein Pluspunkt), sich anschweigender Figuren, nicht vorhandener Charakterisierungen und hoch symbolischer Aufnahmen am Ende.

Claustrophobia (HK 2008)

Eine office romance, die man nur in dezenten Blickwechseln zu sehen bekommt. Zunächst erzählt die vormalige Drehbuchautorien Ivy Ho (“Comrades – Almost a Love Story”) in ihrem Regiedebüt wie Tom (Ekin Cheng) seine Arbeitskollegin Pearl (Karena Lam) bittet, sich einen anderen Job zu suchen. Anschließend springt sie ein paar Wochen, dann ein paar Monate usw. zurück, um in Episoden Auseinanderbrechen und Entstehen der leisen, nie ausgelebten Liebesgeschichte zu zeigen. Ein weitgehend leiser, subtiler Film, der nur selten fehl tritt in seinen Entscheidungen und in kleinen Gesten die größten Gefühlswallungen zu offenbaren weiß.

Donnerstag:

Zweier Ohne (D 2009)

An die starke skandinavische und amerikanische Konkurrenz bei den Youth Days kam der deutsche Beitrag “Zweier Ohne” in keiner Weise heran. Die Geschichte zweier Kumpels, die sich beim Rudern ein bisschen zu stark miteinander zu identifizieren beginnen, sich daraufhin den Schädel kahl rasieren, die gleichen Klamotten tragen und wie die letzten Trottel herumlaufen, ist dermaßen überkonstruiert, dass es schon wieder wehtut. Ein Haus unter einer nie fertig gestellten Autobahnbrücke, von der sich Nacht für Nacht die Selbstmörder stürzen? Als wäre die Rudermetapher noch nicht genug, wird der Film mit Hausfrauen-Symbolik dermaßen überladen, dass auch die überflüssige, da retardierende Erzählstimme nur noch ein Übel unter vielen ist.

Camino (E 2008)

Ein Film, der jede Beschreibung schwer macht. Eine Leidensgeschichte. Ein Familiendrama. Eine Satire. Eine beißende Kritik am Opus Dei. Ein Fantasy-Film. Ein Märchen. Ein Film über Religion und ihren Ge- und Missbrauch. Ein sehr guter Film eben. Sechs Abstauber bei den diesjährigen Goyas sprechen aber auch für sich.

4bia (TH 2008)

Vier Kurzfilme von vier thailändischen Horror-Spezialisten. Einer eine spannende Übung im Horror mittels einfachster Soundeffekte und einem Handy. Einer ein miserabler, von schlechten Effekten erdrückter übernatürlicher Rachefilm mit grausigem “CSI: Miami”-Schnitt. Ein amüsanter Rafting-Trip gone bad, der sich herrlich über die eigenen Genre-Regeln lustig macht. Ein altmodischer Rache-einer-eifersüchtigen-Ehefrau-aus-dem-Grabe-Film mit einem interessanten Setting (leeres Flugzeug) und einigen Schockern. Fortsetzung ist schon in Arbeit.

Freitag:

West of Pluto (CDN 2009)

Eigentlich passiert nicht viel in “West of Pluto”, doch die Art und Weise, wie die beiden Regisseure Henry Bernadet und Myriam Verreault die Abendgestaltung ihrer jugendlichen Hauptdarsteller in Szene setzen – wie ein zweistündiges Air-Video nämlich – zeichnet ihren ruhigen Film aus. Während andere Jugendfilme ihre Stories mit Dramen anreichern, beobachtet “West  of Pluto” den selten spektakulären Alltag einer Gruppe von Jugendlichen in einer Vorstadt von Québec. Die proben eben mit ihren Metal-Bands, diskutieren über die Unabhängigkeit ihrer Heimat und gehen Abends feiern. Alles kommt einem bekannt vor, alles entwickelt aus den unspektakulären Momenten eine melancholische Kraft, die im Programm der Youth Days einzigartig ist. Und ja, der Film handelt auch alle bekannten Meilensteine der Pubertät in einer einzigen Nacht ab.

Bomber (USA/GB 2009)

Ein alternder Brite möchte sich in einem deutschen Dorf dafür entschuldigen, dass er es während des Zweiten Weltkriegs aus Versehen bombardiert hat. Also macht sich Alistar mit seinem widerwilligen Sohn und seiner Frau auf nach Deutschland. Im Auto natürlich. Ein Roadmovie der  etwas anderen Art hat Paul Cotter mit “Bomber” gedreht, dass zugleich Komödie und Familiendrama ist. Dabei umgeht Cotter die Tücken und Klischees des zu erwartenden Culture Clashs und präsentiert doch eine erfrischende Außenseiterperspektive auf Deutschland. Ein bisschen länger hätte “Bomber” schon dauern können. Das ist aber ein gutes Zeichen.

Samstag:

Daytime Drinking (ROK 2008)

So “Indie” ist “Daytime Drinking”, dass man sich manchmal fragt, wie viel (oder wie wenig) Geld die verwendete Digitalkamera gekostet hat. Unter Liebeskummer leidend findet sich jedenfalls unser Held in der verschneiten Pampa wieder. Eigentlich wollten ihn seine Freunde mit einem Kurztrip aufmuntern, doch sind diese gar nicht aufgetaucht. Ein handfester Kater ist Schuld. Was nun folgt, wird im Titel schon akkurat beschrieben. Unfreiwillig macht der Leidende auf seiner Odyssee Bekanntschaft mit allerhand seltsamen Gestalten und immer wird beim Geplauder getrunken. Kein Wasser, versteht sich. So entwickelt sich aus einem Trinkgelage nach dem anderen eine Art skurrile Katharsis vom Liebeskummer. Auch nüchtern zu empfehlen.

Nokan (J 2008)

Ohne den Oscar wäre “Nokan” (a.k.a. “Departures”) ein drolliger Blick auf ein unbekanntes Gewerbe, der erst am Ende von den Komödienanteilen Abstand nimmt und nach allen Regeln der Kunst ein wohl auch in Hollywood verfilmbares Drehbuch durchexerziert. Nicht schlecht, manchmal dank allzu melodramatischer Musik (Die Streicher kommen! Taschentuch heraus!) und dem grimassierenden Spiel von Masahiro Motoki etwas nervend und in seinen Wendungen ein bisschen schematisch. Ein Film eben, der mehr durch die Tatsache besticht, dass er ein bestimmtes Thema behandelt, als durch die Art und Weise wie er es macht. Geschniegelt, sauberes, rundes Kommerzkino made in Japan. Nach dem Oscar gelten noch immer alle genannten Punkte. Hinzu kommt ein Fragezeichen, das sich ähnlich wie bei “Slumdog Millionaire” schnell wieder in Luft auflöst. Für dieses Jahr eine passende Wahl. Wenn auch keine besonders herausragende.

Black Dynamite (USA 2009)

Hier lass’ ich mal die Bilder sprechen:

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