Kontrapunkt: Der frühe Tom Tykwer

Er ist einer der innovativsten deutschen Regisseure der Gegenwart. Er konnte es sich nach dem Erfolg von „Lola rennt“ leisten, Angebote aus den USA auszuschlagen und später dort trotzdem Fuß zu fassen. Dennoch hat es ihn zurück nach Deutschland gezogen. Die Rede ist von Tom Tykwer, der – mit Ausnahme von „The International“ – stets auch seine Drehbücher verfasste, gar für die Musik seiner Filme verantwortlich war. Tykwer kann man dabei unterstellen, dass er ein Auteur ist, zumindest, wenn man sein Oeuvre bis zum Kurzfilm „True“, der eine Hinwendung zur internationalen Filmproduktion bedeutete, betrachtet. Hier soll es jedoch um Tykwers Anfänge gehen. Seine ersten beiden Kurzfilme Because und Epilog, sowie seinen ersten abendfüllenden Spielfilm Die tödliche Maria.

Diese drei Filme handeln von menschlichen Paarbeziehungen, die gestört sind. Während in „Because“ das späte Heimkommen von Tanja (Isis Krüger) einen Streit mit ihren Freund Martin (Thomas Stiller) heraufbeschwört, der in 3 verschiedenen Versionen stets einen anderen Ausgang nimmt, wird diese Struktur in „Epilog“ anders aufgegriffen. Ein Streit zwischen Mann und Frau, in welchem die beiden Versionen durch zwei verschiedene Erzähl-perspektiven legitimiert werden. „Die tödliche Maria“ handelt wiederum von einer Frau, die sich eingesperrt in einem Käfig von Schuldgefühlen, einer aufgezwungenen Ehe und etlichen Pflichten nach Befreiung sehnt. Tykwer erzählt letzteren Film jedoch nicht in der Manier eines Computerspiels, in welchem vom selben Ausgangspunkt durch bestimmte Kausalketten unterschiedliche Wege bis zum angestrebten Ziel (in „Because“: schlechtes Gewissen machen; in „Epilog“: Trennung durch Mord) führen  – perfektioniert in „Lola rennt“ – sondern in Episoden. In die – zumindest durch die summende Musikuntermalung kolportiert – bedrohliche Geschehnisse von „Die tödliche Maria“ sind insgesamt gut 30 Minuten ausmachende episodenhafte Rückblenden neben surrealen Traumsequenzen eingefügt. Verallgemeinernd lässt sich festhalten, dass Tykwer dabei mit „Zeit“ bzw. Zeitebenen spielt, in der sich verschiedene Realitäten miteinander vermischen. In „Because“ fällt zwischengeschnitten ein Glas in Extremzeitlupe von einem Tisch, während der zeitgleich stattfindende Streit in normaler Geschwindigkeit abläuft; in „Epilog“ ist das Raumzeitgefüge auf den Kopf gestellt, da Version Nr. 2 trotz anderem Verlaufs laut männlichem Protagonisten die Vorgeschichte zu Version Nr. 1 darstellen soll – obwohl sie sich gegenseitig logisch ausschließen.

Einen entscheidenden Anteil daran, dass die Filme auch optisch einen innovativen Eindruck hinterlassen, hat dabei Frank Griebe. Der langjährige Wegbegleiter Tykwers weiß insbesondere diese drei Filme visuell sehr eindrucksvoll zu gestalten. Kreisfahrten um 2 Menschen herum, extreme Aufsichten, extreme Zeitlupen, Tiefenschärfe – eine vitale Kamera, die stets in Bewegung ist, stets Tykwers Kino der Bewegung kongenial mit Bildern zu fassen weiß. Insbesondere „Die tödliche Maria“, dieser seltsame und inhaltlich abstruse Mix aus Ehedrama und Thriller mit fantastischen Elementen funktioniert über die Bilder. Bei dem Vollzug des Frühstückzubereitens fährt die Kamera von links nach rechts, von oben nach unten, wechselt zur extremen Aufsicht auf den Kaffeefilter. Abgesehen davon eine auffällige Farbsymbolik. Während Rot die Gefahr, die innerliche Aufgewühltheit im Positiven (Liebe) wie Negativen (Gefahr, Blut) symbolisiert, steht Grün für die Befreiung; eine Assoziation, die sich bei Marias Entscheidung, sich aus dem Fenster zu stürzen (eingehüllt in eine grüne Strickjacke) und somit ihren Schuldgefühlen durch ihren Tod zu entfliehen, durchaus als plausibel erweist.

Doch trotz aller Ansätze, die eine innovative Handschrift und Filmsprache erahnen lassen, handelt es sich bei diesen drei Filmen um inhaltlich wenig ausgereifte Vertreter im Schaffen Tom Tykers. Eher um gute Ideen, die noch einer präziseren Ausformulierung bedurft hätten. Insbesondere „Die tödliche Maria“ wirkt mit ihren Horror- und Fantasyelementen nebst einem Drama um Schuld, Emanzipation und Sühne krude. Doch erwuchs immerhin aus dem Ideenfundus dieser drei Filme Tom Tykwers erstes Meisterstück „Lola rennt“, von dessen Ingredienzien sich ein Teil verteilt auf diese drei Frühwerke wiederfinden lässt.

Kontrapunkt: Cinema Austria

Bei meinem Kurzurlaub in Wien vor nunmehr 3 Wochen habe ich – weil das Filmmuseum Wien gerade Sommerpause hatte – die enttäuschende Ausstellung „Wien im Film – Stadtbilder aus 100 Jahren“ besucht. Warum enttäuschend? Weil bei den thematisch geordneten Ausschnitten allzu oft dieselben Filme auftauchten. „Nordrand“ allein vier Mal – unter verschiedenen Gesichtspunkten, versteht sich. Doch insbesondere, wenn man sich die österreichischen Produktionen in der jüngeren Vergangenheit vergegenwärtigt, die international für Aufmerksamkeit sorgten, ist die Frage gerechtfertigt, warum die Mannigfaltigkeit österreichischer Filme – auch in ihrer Breite – so versteckt wird. Hier nun willkürlich zusammengewürfelt 3 beeindruckende Werke, die durchaus vorzeigbar sind.

Revanche (A 2008)

Das für den Oscar als Bester nichtenglischsprachiger Film nominierte Schuld-und-Sühne-Drama ist eine im positiven Sinne quälend intensive Erfahrung. Durch eine durchgehaltene formale Strenge und größtmöglichen Realismus (keine Hintergrundmusik, nur Originalschauplätze, kaum künstliches Licht) gelingt es Regisseur und Drehbuchautor Götz Spielmann, tief ins Innenleben seiner von Schuldgefühlen und Rachegedanken (heißt: Mordabsichten) geprägten Figuren einzudringen. Hier der Ex-Sträfling Alex (Johannes Krisch), der zusammen mit seiner Freundin Tamara, einer Nutte, mittels eines Banküberfalls aus dem Teufelskreis von Prostitution und Menschenhandel ausbrechen will. Dort der Polizist Robert (Andreas Lust), der Tamara auf der Flucht versehentlich erschießt. Die Szenenauflösung erfolgt dabei zumeist mittels langer Einstellungen und innerer Montage, ohne Schnitt. Das Nachdenken der authentisch gezeichneten Figuren wird nicht abgeblendet, sondern ein schmerzlich offenbarer Prozess entlarvender Ehrlichkeit. Dazu eine Meditation über Leben und Tod unter dem Damoklesschwert der Moral, das immer wieder ins Herz christlicher Gebote sticht. Ein großartiges, hoch spannendes Drama!

Import/Export (A 2007)

Ulrich Seidl, der schon mit „Hundstage“ den kleinbürgerlichen Wahnsinn in der Vorstadt offenlegte, zeichnet auch hier wieder das Bild einer feindseligen Gesellschaft, in der es brodelt. Während die ukrainische Krankenschwester Olga (Ekateryna Rak) in der Hoffnung auf ein besseres in Österreich als Putzfrau zu arbeiten beginnt, verschlägt es den Security-Mann Paul (Paul Hofmann) aus Geldsorgen mit seinem Stiefvater Michael nach Osteuropa, wo er mit den prekären Lebenssituationen der Bevölkerung im tiefsten Winter konfrontiert wird. Während Olga latenter Rassismus und – bei Erfahrungen mit Webcam-Sex – der Sexismus der österreichischen Kunden entgegenschlägt, gibt Michael den Macho-Usurpator, erniedrigt ukrainisches Mädchen gar wie einen Hund. Seidl zeichnet dabei ein grimmiges Bild von den Schattenseiten der Globalisierung – stets mit dem Fokus auf der Borniertheit innerhalb der österreichischen Gesellschaft. Zwar bleibt eine gewisse Schwarz-Weiß-Zeichnung innerhalb der tendenziösen Inszenierung mit sterilen und kargen Räumen nicht aus, doch weiß der Film eindringlich den Arbeitsalltag von und den rauen Umgang mit ausländischen Arbeitskräften darzustellen. Anstrengend, aber lohnend.

Indien (A 1995)

Das satirische Kontrastprogramm zu den anderen beiden Filmen, basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück. Der Yuppie Kurt Fellner (Alfred Dorfer) und Kollege Heinz Bösel (Josef Hader) sind Restauranttester und im Außendienst quer durch Österreich unterwegs. Während sich der schnöselige Grünautonome und Indien-Fan Fellner und der versoffene Prolet Bösel anfangs überhaupt nicht leiden können, wächst alsbald eine Freundschaft heran. Dumm nur, dass alsbald bei Fellner Hodenkrebs diagnostiziert wird und den beiden Freunden nicht mehr viel Zeit bleibt. Insbesondere die Schelmigkeiten, die die Beiden mit Gastwirten verschiedener Couleur abziehen und die zwischen Klugscheißerei, Blödsinn und Lebenserfahrungen angesiedelten Dialoge (einer gar durch die Tür zum Klo) sind sehr kurzweilig und machen „Indien“ zu einem zwar manchmal etwas schwer verständlichen (der Dialekt!), aber dennoch oder gerade deswegen pointiertem Spaß. Ein weiterer Beweis dafür, dass auch mit wenig Geld sehr herzliche Filme entstehen können.

Kontrapunkt: Trash VIII

Never ending story of bad movies. Dieses Mal: Trash meets Kult… irgendwie.

Road House (USA 1989)

Patrick Swayze tanzt diesmal nicht schmutzig mit Frauen, die Baby heißen, sondern brutal mit streitlustigen Störenfrieden in einer Provinzkneipe. Da die Stadt jedoch unter der Fuchtel eines fiesen Wüstlings steht, der Schutzgelder erpresst, addieren sich seine Feinde fleißig weiter, bevor er seinen Rausschmeißer-Kumpel (lässig: Sam Elliott) zur Hilfe ruft und es zum Showdown kommt. Coole Sprüche vom mächtig gestählten Swayze („Wer nicht pariert, marschiert.“) und die flotte Musik von „The Jeff Healey Band“ (auch im Film zu sehen) machen diese tumbe Ansammlung von ausufernden Prügeleien, stereotypen Charakteren und pyrotechnischen Effekten erträglich. Hohler Actionkrawumms, den man am besten – wie ich – mit ein paar Bier in einer Männerrunde genießt.

Mortal Kombat (USA 1995)

Die enervierend wummernde Techno-Mucke dazu ist so 90s, das geht eigentlich gar nicht, ist aber umso kurzweiliger. Die auf dem gleichnamigen Videogame basierende Story um ein sagenumwobenes Turnier, deren Ausgang über das Schicksal der Welt entscheidet, verliert sich in den mehr oder minder sinnfrei und grell aneinandergereihten Prügelorgien in zahlreichen immerhin aufwendig gestalteten Sets und düsteren Kulissen. Die Charaktere sind erwartet stereotyp, die SFX aus heutiger Sicht lausig. „Highlander“ Christopher Lambert versucht mit Coolness gegen unfreiwillige Komik und dämliche Dialoge anzukämpfen, verdient aber als Lord Rayden mit grauer Perücke, Jesuskutte bzw. zerlumptem Strickjäckchen und Strohhut einen Preis fürs bescheuertste Kostüm.

Hercules in New York (USA 1969)

Arnold Schwarzenegger hieß hier noch Arnold Strong und sein Ösi-Englisch war so mies, dass es später nachsynchronisiert wurde. In seinem Filmdebüt griff er der Rolle des „Conan“, die ihm zum Durchbruch als Schauspieler verhelfen sollte, jedoch trotzdem vor: Während er dort ein (echtes) Pferd bzw. Kamel buchstäblich umhaute, war es hier ein Mann im Bärenkostüm. Nicht das einzige unfreiwillig komische Element in diesem Film, wo Hercules (Schwarzenegger) das Leben im arg an einen Stadtpark erinnernden Olymp satt hat („Eim teierd of de same old faces, de same old sings!“) und zum Groll von Zeus New York erkundet. Zwischen all den lächerlichen Kostümen, der preisgünstigen Inszenierung und dem seltsamen Humor beweist Hercules dabei immer wieder seine Kraft bei leichtathletischen Disziplinen und im Vermöbeln zahlreicher Leute – untermalt von alsbald nervigen Sirtaki-Klängen. Ein filmisches Kuriosum und Trash in Reinkultur, den man sich als Arnie-Fan jedoch mal anschauen sollte.

Kontrapunkt: Die Filme von Christopher Nolan

Dieser Regisseur hat einen kometenhaften Karriere-Aufstieg zu verzeichnen: Christopher Nolan. Von der New York Times als „blockbuster auteur“ bezeichnet, gelang es ihm insbesondere durch seine beiden „Batman“-Filme, kommerziellen Erfolg und inhaltlichen Anspruch miteinander zu vereinen. Eine Kombination im hollywood’schen Mainstream-Kino freilich, die selten ist.

Dabei hat Nolan auch einmal klein angefangen, mit einem merkwürdigen Kurzfilm namens Doodlebug. Darin verfolgt ein verängstigter Mann in einem heruntergekommenen Zimmer Ungeziefer, welches er erschlagen will. Wie sich herausstellt, ist das Ungeziefer eine kleinere Ausgabe von sich selbst, desselben Mannes in einer anderen raumzeitlichen Dimension, die durch serielle Wiederholung derselben Tätigkeit(en) gekennzeichnet ist. Dieser Riss im Raum-Zeitgefüge bleibt unerklärt, was diesem kafkaesken Schwarz-Weiß-Film beinahe schon experimentelle Züge um das Spiel mit der (Kamera-)Perspektive verleiht.

Der Übergang zum zweifelsohne narrativen, aber zugleich die standardisierten Sehgewohnheiten aufbrechenden Film gelang Nolan dann mit Memento, auch wenn er sich noch nicht thematisch wie formalästhetisch (zum Teil wieder schwarz-weiß) von seinem Kurzfilm löste. Auch hier greift er den Riss im Raumzeitgefüge wieder auf, macht ihn gar zum zentralen Gegenstand der achronologisch erzählten Story, doch legitimiert er dies durch eine Schädigung des Kurzzeitgedächtnisses der Hauptfigur. Leonard Shelby (gespielt von Guy Pearce) hat darin kein Zeitgefühl, kann Zeit nicht empfinden, weil er nach einigen Minuten nicht mehr weiß, was gerade geschehen ist. Sein Leben ist durch seine eigene Zeitwahrnehmung episodisch strukturiert (so auch der Film) und zirkuliert in ewig gleichen Handlungsmotivationen. Er sucht den Mörder seiner Frau, einen Mann namens „John G.“, immer wieder. Auch wenn er ihn gefunden und ermordet hat, wird dies wieder zu seinem Lebensziel, sobald ihn sein „Zustand“ dieses Ereignis vergessen lässt. Shelbys Leben in seiner abgeschotteten, nach eigenen Regeln funktionierenden Gedankenwelt, die sich von jener der Lebensumwelt drastisch unterscheidet, ist in serieller Wiederholung organisiert, ein abgeschlossenes System im System.

Ähnlich lässt sich auch die durch Halluzinationen geprägte Wahrnehmung von Will Dormer (Al Pacino) in Insomnia deuten, die anders als seine Kollegen und die der Bewohner Alaskas funktioniert. In seinem Kopf konvergieren Traum und Realität, Vorsätzlichkeit und Fahrlässigkeit beim Tod seines Kollegen, im Film metaphorisch dargestellt durch das Grün der Natur (Leben) und Eis (Tod), welche beide nebeneinander existieren, miteinander. Der Film lebt von diesen dualistisch aufgeladenen Schauplätzen und es ist bezeichnend, dass die Schlüsselszenen des Films im Nebel stattfinden, welcher die vernebelte Wahrnehmung und die aufgewühlte Gedankenwelt Dormers exemplifiziert.

Diese Gedankenwelt ist in Inception ein zentraler Bestandteil. Sie wird von Dom Cobb (Leonardo Di Caprio) und seinen Kollegen im Unterbewusstsein eines Träumenden um Ideen bestohlen oder neu angeordnet, indem eine neue Idee ins Unterbewusstsein implementiert wird. Nolan präsentiert dabei atemberaubende Bilder der Schwerelosigkeit und Zeitlupen, die allesamt durch die Traumlogik motiviert sind. Ähnlich „Memento“ und Prestige (Dreiteilung eines Zaubertricks; auch der Film hält am Ende einen überraschenden Twist bereit) wird auch bei „Inception“ das Sujet auf die Struktur des Films übertragen. Dass für Cobb die Grenzen zwischen Traum, Erinnerung und Realität verschwimmen, wird für den Zuschauer durch das wiederholten Hin- und Herspringen zwischen mehreren Traumebenen und dem daraus folgenden Overkill in den Erzählsträngen deutlich. Er erhält einen Einblick in die Funktionsweise der Traummanipulation – stets konfrontiert mit dem Zweifel, ob er seinen Augen trauen kann. Und auch hier wird wieder die philosophische Frage gestellt, ob eine Welt außerhalb der eigenen Gedanken existiert oder einen Wert hat. Das kann man auch als eine Allegorie auf das Filmemachen verstehen: Ohne diese im Innern reifenden Ideen, nur durch die perspektivlose Abbildung der äußeren Welt entstehen keine Spielfilme.

Nolan spielt mit diesen psychologischen Themen. Alle Figuren sind ausgestattet mit einem Makel in den kognitiven Fähigkeiten. Er stellte gar Fragen um die moralische Befindlichkeit eines gebrochenen Helden und einer von Verbrechen erschütterten Stadt, als er sich der Frischzellenkur des „Batman“-Comicuniversums annahm. Stets anspruchsvoll, aber unterhaltsam, stets mainstreamtauglich, aber mit Mut zu außergewöhnlichen Themen. Da freut man sich schon auf Nolans nächsten „Batman”-Film.

Meine detailliertere Besprechung von „Inception“ findet ihr auf MovieMaze.de.

Kontrapunkt: In Memoriam Frank Giering

Als er im Alter von gerade einmal 38 Jahren an einer Gallenkolik starb, war der aus Magdeburg stammende Familienmensch gerade gut im Geschäft. Die drei nachfolgenden, zum Teil unbekannten Filme aus meiner Sammlung zeigen das breite Rollenspektrum, welches von Frank Giering bereits kurz nach seinem Durchbruch Ende der 90er Jahre mühelos abgedeckt werden konnte.

Absolute Giganten (D 1999)

„Freundschaften sind wie Sehnsüchte: Toll, groß, absolut gigantisch. Und wenn sie dich erstmal gepackt haben, lassen sie dich nicht mehr los. Manchmal nie mehr.“ Floyd hat gerade die Sozialstunden von seiner Jungendstrafe in einem Krankenhaus abgeleistet und plant, am nächsten Morgen mit einem Containerschiff Hamburg zu verlassen Richtung Kapstadt. Seine Rückkehr schließt er aus. Zusammen mit seinen beiden Freunden Walter (Antoine Monot Jr.) und dem aufbrausenden Ricco (Florian Lukas) verlebt er eine letzte, ereignisreiche Nacht. Die Rolle des Floyd scheint auf Giering von außen betrachtet am Besten zu passen: Ein melancholisch dreinblickender, nachdenklicher junger Mann, auf der Suche nach seinem Platz in der Welt, nach dem Ort, wo er „hingehört“. Sebastian Schipper zauberte daraus ein ebenso wehmütiges wie witziges Road-Movie mit köstlichen Dialogen („Hitler war faul!“) und wahnwitzigen Szenen (das spannende Kickerspiel). Ein großartiges Werk!

Ebene 9 (D 2000)

In dem Regiedebüt von Maren Ade („Alle anderen“, 2009) spielt Giering einen verschmähten Ex-Lover namens Gregor, der in einem Club zufällig seine Verflossene (Laura Tonke) wieder trifft. Nachdem Beide sich über vergangene Zeiten unterhalten, kommen sie sich wieder näher. Doch als Philipp zu weit geht und Nina ihn zurückweist, kommen bei einem Angsthasenspiel seine psychopathischen Züge zum Ausdruck. Giering spielt diese Rolle mit der gewohnten Lässigkeit, dazu mit latentem Wahn, der frösteln lässt und an seine Performance in Michael Hanekes „Funny Games“ (1997), seinen Durchbruch als Schauspieler, erinnert. Der Kurzfilm-Thriller überzeugt mit einer stimmungsvollen Lichtsetzung in einem schummrigen Parkhaus und generiert dadurch große Spannung.

Die Aufschneider (D 2000)

Die Kleinkriminellen Nick (Frank Giering) und Henry (Jochen Nickel) planen, ihre Chefin zu linken und sich nach einem eigenmächtigen Drogenverkauf abzusetzen. Dumm nur, dass die kolumbianische Kurierin, in deren Körper sich der Stoff befindet, plötzlich im Bad das Zeitliche segnet und die Beiden nur auf blutigem Wege an die Drogen kämen. Giering spielt dabei mit jugendlichem Charme einen verträumten Gauner mit Mut zum Zeigen von Schwäche, der sich sofort in die Kurierin verliebt, während Nickel seinen ausgekochten Kumpanen gibt. Diese absurde Krimikomödie mit urkomischen Dialogen ist der zweite Kurzfilm von der TV-Regisseurin Annette Ernst und spielt nur in einer Wohnung.