Space Madness – Christmas on Mars (USA 2008)


“Where is heaven when you’re outer space.”

Die Flaming Lips sind vielleicht am besten, wenn sie mit naiver Selbstverständlichkeit Schnapsideen umsetzen. Ideen, für deren Umsetzung jeder andere Bewohner dieses Planeten zu viel gesunden Menschenverstand oder zu wenig weltvergessenes Selbstvertrauen hat. Sie haben mit „Zaireeka“ ein Album aufgenommen, das sich auf 4 gleichzeitig abzuspielenden CDs befindet. Auf Konzerten kann es passieren, dass zu glücksversprühenden Melodien Sänger Wayne Coyne in einer Kunststoffblase über das Publikum läuft und selig lächelt, während auf der Bühne umringt von außerirdischen Cheerleadern und Santa Clausen der Rest der Band im Konfettiregen untergeht. Doch was die Lips so groß macht, ist, dass hinter all dieser Naivität und Freude die Welt mit einer wahnsinnigen Fratze hervor lugt. So kann sich in selben Moment des Konzertes auf der Leinwand hinter der Band gerade jemand per Pistolenschuss das Leben nehmen. Ihr just erschienener Song 7 Skies H3 versprüht in seiner imposanten Spielzeit von 24 Stunden auch eher besessene Beklommenheit als Lebensfreude.

Nach der Jahrhundertwende wollte sich nun besagter Wayne Coyne einen lang gehegten Traum verwirklichen. Er wollte einen Science-Fiction-Weihnachtsfilm drehen. Da er aber kaum über die ausreichenden Mittel verfügte, diese vielleicht auch gar nicht haben wollte, weil Selbstbasteln viel mehr Erfüllung bereithält, drehte er in seinem eigenen Garten und in umliegenden, leer stehenden Industriehallen in selbstgezimmerten Kulissen. Das Problem mit dem Endprodukt Christmas on Mars ist, dass die Leidenschaft an jeder Ecke zu spüren ist, aber genau so der Umstand, dass hier jemand etwas tut, mit dem er nicht vertraut ist. Das Wayne Coyne vielleicht etwas macht, was er liebt, aber bei dem er sich nicht mit derselben intuitiven Zielsicherheit bewegen kann, wie in der Musik.

Besagte Kulissen stellen aber noch ein geringes Problem dar. Dafür ist die Geschichte von der abgeschnittenen Raumstation, die von einem stummen Alien (Wayne Coyne) im Santa Kostüm heimgesucht wird, eine dramaturgische Gurke sondergleichen. Christmas on Mars folgt fast die gesamte Zeit dem ständig durch die Station laufenden Mayor Syrtis (Steven Drozd), der sich auf der Suche nach seinem Santa-Darsteller für die Weihnachtsparty befindet. Endlos wandert er durchs Nichts. Nebenbei erfährt der Zuschauer zwar, dass die Station immer mehr auseinanderfällt und die letzte Frau Komplikationen bei ihrer Schwangerschaft hat. Das Ende der Station und vielleicht der Menschheit scheint zu nahen. Doch durch die dahin plätschernden Dialoge und die nichtssagenden Handlungen bleibt alles ein riesiger Brei. Die stark gestreckte Handlung endet zudem so plötzlich, wie der Aufbau langwierig war. Christmas on Mars gleicht so dem Blick auf eine Sanduhr … erst zieht sich die zeitlose Monotonie ewig hin, aber sobald das letzte Korn fällt, scheint alles nur vorbeigerast zu sein.

Die größte Schwierigkeit ist aber, dass hinter der offensichtlichen Symbolik eine geradezu lächerlich hochtrabende Fragestellung lauert. Hinter dem mehrmals gesagten „Human beings weren’t meant to live in space.“ verbirgt sich nichts weniger als die Frage, ob die Menschheit, welche nicht in der Lage ist, mit seinesgleichen und seiner Umwelt zu leben, Überlebenschancen hat. Auf seltsame Weise rettet sich Christmas on Mars aber gerade dadurch vor dem totalen Scheitern. Den Schlüssel dazu liefert Hauptdarsteller Steven Drozd, Gitarrist, Drummer und Keyboarder der Flaming Lips.

Wer weiß, dass der Film auf dem Höhepunkt seiner Heroinsucht entstand, am Rande zu dessen Tod, dem kann sein Spiel merklich erschüttern. Er starrt orientierungslos an seiner Umwelt vorbei, ringt mit seinem Text und damit sich nicht zu verlieren. Nach zwei Worten kämpft er schon mit der Erinnerung, was er eben sagte. Ständig scheinen seine Gedanken abzuschweifen und in seinem Gesicht steht eine riesige Anstrengung nach Konzentration geschrieben. Aber die anderen Darsteller benehmen sich kaum anders. Ob gewollt oder nicht, entwickelt Christmas on Mars so eine beindruckende Darstellung von „Space Madness“, die selbst „Ren & Stimpy“ alt aussehen lässt. Durch die andauernde Isolation verlieren sich die Astronauten in ihren Gedanken und die Verbindung zu ihren Kollegen scheint unmöglich. Verloren stehen sie sich gegenüber und können nichts miteinander anfangen, weil sie Rätsel füreinander sind. Paranoia und Hilflosigkeit sind nur der Anfang. Stammeln und Orientierungslosigkeit kumulieren in einer halluzinierten Blaskapelle, deren Mitglieder keine Köpfe, sondern weibliche Genitalien haben. Zwischen den Menschen herrscht eine Kälte wie im sie umgebenden All, die sie geistig aufzufressen droht.

Dieser beängstigende zwischenmenschliche Wahnsinn wiegt zwar nicht alle ermüdenden Unzulänglichkeiten auf, schafft es aber, sich langwierig im Kopf zu verankern und große Teile der zweiten Hälfte des Films zu einem wirren Erlebnis zu machen. Einem breiigen Erlebnis in dem der Erfolg sich zur Abwechslung mal nicht in einem langen, harten, klar strukturierten Gegenstand findet, sondern sich hinter mehrmalige Griffe in undefinierbaren Massen versteckt. Geradezu utopisch.

Zartes Zerreißen – Ein Platz an der Sonne (USA 1951)

In vielerlei Hinsicht ist A Place in the Sun (oder eben “Ein Platz an der Sonne”) ein schizophrener Film. Oder nein. Er ist ein zutiefst menschlicher Film, der nicht kohärent sein kann, weil es die Menschen nicht sind. Zu reich an Emotionen, Erfahrungen und Vorstellungen sind sie. Zu widersprüchlich ihre Wünsche, zu unvereinbar ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Ein Platz an der Sonne zeigt uns einen solchen Menschen, lässt uns tief in ihn Blicken und uns einen unermesslichen Reichtum erfahren.

George Eastman (Montgomery Clift) ist ein Tagelöhner, geflohen vor dem religiösen, asketischen Leben seiner Eltern, der nach Los Angeles zu seinen reichen Verwandten kommt. Von diesen wird er mit einer Stelle an einem Fließband abgespeist. Was von dort beginnt, könnte eine filmische Ruptur genannt werden. Er wird zerrissen zwischen seinen Möglichkeiten, seinen Träumen, seiner Herkunft und der Realität. Er wird unter unerträgliche Spannungen gesetzt und aufgespannt. Regisseur George Stevens zeigt uns folglich nicht einen Film, sondern zwei. Mindestens.

Da ist einmal das realistische Drama. Allein in der Großstadt fängt er, trotz des expliziten Verbotes, eine Affäre mit der Kollegin Alice Tripp (Shelley Winters) an. Einsamkeit? Trotz? Zuneigung? Wer kann sagen, was die Motivation für die Beziehung ist. Die von Hollywood so prominent propagierte Liebe ist es jedenfalls nicht. Zu deutlich hängt er seinen Träumen von Modell Angela Vickers (Elizabeth Taylor) hinterher. Doch die Kamera (William C. Mellor) zeigt nichts, was George Grund zum Träumen gibt. Die dunklen Straßen, die kleinen Räume, der triste Arbeitsplatz, nie scheint die Sonne zu strahlen, nichts als Realismus über das Leben von Arbeitern am unteren Lohnniveau. Wahrscheinlich findet er sich einfach nur mit seiner Situation ab. Doch auf George wartet eine Überraschung. Sein Onkel erinnert sich seiner, befördert ihn und führt ihn in die gehobene Gesellschaft ein. Er lernt Angela Vickers kennen und beide verlieben sich. Die Bilder leuchten … und Elizabeth Taylor glitzert weit mehr, als es die Diamanten um ihren Hals könnten. Ein riesiger Schmachtfetzen macht sich neben dem Realismus breit. George landet in einem Märchen sondergleichen, dass sich wie in einer Parallelwelt abzuspielen scheint.

Die ellenlangen Überblendungen, welche die Übergänge zwischen den beiden Realitäten darstellen, lassen aber keinen Zweifel daran, dass George nur in einer Welt lebt. Eine Welt, in der alle seine Träume wahr zu werden scheinen, eine Welt, in der Alice schwanger ist, eine Welt, in den 50er Jahren, wo schwangere Frauen Ehemänner brauchen, eine Welt, in der George gefeuert wird, wenn seine Beziehung zu Alice publik wird, eine Welt, in der er sich entscheiden muss … zwischen seinen Träumen oder auf welcher Leiche er diese aufbaut.

Bis zum Ende gibt es keine einfache Lösung, keine einfache Moral. Ein Platz an der Sonne ist genauso zerrissen, wie George Eastman, dessen Geschichte George Stevens erzählt. Die Sensibilität und Vieldeutigkeit der Kargheit eines Robert Bresson steht neben der Charakterzeichnung und ausufernden Bildsprache eines Melodrams von Douglas Sirk. Einerseits herrscht eine unerbittliche Härte … jederzeit wird über George Gericht gehalten, seine Taten hinterfragt und geprüft, wie in keinem anderen Film wird die schmerzliche Unumkehrbarkeit unserer Handlungen deutlich. Nichts kann er tun um seinen Traum zu retten, nie wird er seine andere Realität los. Er kann sich winden, wie er will, nichts lässt ihn eine einheitliche, klare Welt erlangen … oder Erlösung. In jedem der beiden Realitäten, in denen er gefangen ist, wird er von der anderen verfolgt … mit unerbittlicher Härte. Doch gleichzeitig ist Ein Platz in der Sonne voller Mitgefühl und Verständnis, denn das Urteilen wird den Protagonisten überlassen. Es herrscht eine süße, zärtliche Schmerzhaftigkeit von der eine grenzenlose Wärme für das Leben mit all seiner Härte ausgeht.

Eine der wichtigsten Qualitäten, mit denen dieser Prinz unter den Melodramen gekrönt wird, ist die den Bildern vertrauende Erzählweise. Wenn Marcel in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit in ein Pissoir geht, dann wird er mit Erinnerungen überflutet, die Proust Seite um Seite vor uns ausbreitet. Marcel selbst und seine Vergangenheit werden so für den Leser greifbar. Georg Stevens und William C. Mellor schaffen dasselbe mit ihren einfachen Bildern, die Räume für Unausgesprochenes aufreißen. Wenn George beispielweise vor singenden Kindern aus einer Predigergemeinde steht, spiegelt sich nicht nur seine Kindheit. Seine Herkunft, sein Verhältnis zum Jetzt, seine tiefe Zerrissenheit werden deutlich. Hinter Montgomery Clifts Gesicht wird ein dunkler, unendlicher Raum geöffnet, der Bände spricht, obwohl er nie mehr als Ahnungen beinhaltet. Alles was er nicht sagt und vielleicht nicht sagen kann, steht in diesen schlichten Fenstern zu seiner Welt und seiner Seele.

Ausflug ins Insektarium – Red Angel (J 1966)

Schwarz-Weiß können die Bilder kaum genannt werden. Schwarz-Dunkelgrau trifft es eher. Selbst wenn in Red Angel die Sonne scheint, ist die Leinwand wie von Schmutzrückständen bedeckt. Lediglich die weißen Verbände oder Ärztekittel leuchten aus der Düsternis der Bilder. Der Blick auf den japanisch-chinesischen Krieg ist der Blick in einen Abgrund, in einen dunklen, enigmatischen Krater. Mit stöhnenden und schreienden Körpern überfüllte Krankhäuser und Lazarette bilden den ständigen Hintergrund des Geschehens. Das schummrige Licht gibt einem gerade so viel zu erkennen, dass dieses verworrene, undurchdringliche Regen der Glieder von einem Loch voller Insekten unterschieden werden kann. Der siebente Kreis der Hölle scheint um die Ecke zu liegen.

Krankenschwester Nishi Sakura (Wakao Ayako) wird 1939 an diesen verdammten Platz versetzt. Oder vielmehr sind es zwei Plätze: das Armeekrankenhaus weit hinter der Front und ein Feldlazarett direkt hinter der Linie. Während das Grauen in Ersterem eher dezent und unterschwellig daherkommt, ist es im Zweiten unerträglich in seiner Deutlichkeit. Regisseur Masumura Yasuz? lässt seine Hauptdarstellerin zwischen diesen beiden Polen pendeln. Immer wieder erhält sie die Möglichkeit, sich von der Front zu erholen. Immer wieder sucht sie nach Wegen, das Erlebte geistig gesund zu überstehen. Einen Sinn scheint sie nur in hingebungsvoller, selbstverleugnender Hilfe zu finden. Sie wird zum titelgebenden roten Engel. (Akai tenshi, so der Titel im Original, wurde im Österreichischen Filmmuseum als „Der rote Engel“ gezeigt, aber da es bisher zu keiner deutschen Veröffentlichung kam, verwende ich weiter den englischen Titel „Red Angel“)

Für die Soldaten im Krankenhaus ist sie nur ein Stück Fleisch, ein Objekt für ihren irren, verzweifelten Eros. Die Berichte von chronischen Dauererektionen in den Lazaretten der Weltkriege macht Masumura zur fürchterlichen Realität. Gleich zu Beginn wird Nishi vergewaltigt … ohne Konsequenzen für den Täter. Womit soll dieser auch noch bestraft werden? Doch sie akzeptiert die Umstände.  Durch den Schmerz der Anderen verliert sie den Blick auf sich selbst. Oder kann sie ihre Identität nur durch Helfen und Vergeben retten, durch das Hintenanstellen der eigenen Empfindungen? Jedenfalls versucht sie diesen erbärmlichen Teufeln etwas Erlösung zu verschaffen, physisch und metaphysisch. Aber retten kann sie niemanden, die einen sterben, die anderen dürfen nicht nach Hause zurück, weil Krüppel, die Kriegsmoral untergraben würden. Die Welt (des Krieges) widersteht Nishis Rettungsversuchen. Die Welt (des Krieges) schaut auf alle herab und zerdrückt sie wie Insekten zwischen den Fingern.

Doch das wahre Grauen wartet an der Front. Dort liegen Unmengen an Verwundeten einfach rum, Unmengen werden unaufhörlich angeliefert und da keine Zeit und keine Medizin vorhanden sind, wird schlicht und einfach amputiert. Unaufhörlich amputiert. Die Gliedermasen stapeln sich schon in überfüllten Fässern. Doch Masumura braucht keine Bilder, um den Schrecken einzufangen. Sein Sounddesigner Tobita Kimio unterlegt alles mit markerschütternden Stöhnen, Schreien, Ächzen, Schluchzen, Knacken und Sägen. Das, was die elegisch dahin schwelgenden Bilder an Explizität doch noch vermeiden, das bringt der Ton um so deutlicher ins Bewusstsein. Statt zu zeigen, lässt Red Angel die Phantasie walten. Und das nicht zu knapp.

Entmenschlichter und aufreibender wurde Krieg vielleicht nie dargestellt. Das Würgen der Cholera-Infizierten, die Schreie des unfassbaren Schmerzes, die Verrohung des Menschen, das magische Schwarz des Blutes (wie lächerlich würde rot an dieser Stelle wirken). Und trotzdem ist Red Angel wunderschön. Masumura erhebt nie den Finger. Er zeigt das persönliche Leiden Nishi Sakuras in einem enigmatischen Kunstwerk, das alle Grenzen des gezeigten hinter sich lässt. Es geht nicht darum zu zeigen, das Krieg fürchterlich ist. Es wird nach Erklärungen gesucht, wie Menschen unter solchen Bedingungen existieren können, wie sie weiterhin Glück empfinden können, wie sie vor der sie umgebenden Hölle bestehen können. Er zeigt eine Frau auf der Suche nach Rettung … für sich und alle anderen. Eine Hölle, in der sich Nishi in einen morphiumsüchtigen Arzt verliebt. Einen Arzt, der ihr Hoffnung, verzweifelte, unerreichbare Hoffnung schenkt. Wenn sie ihn trifft ist die Szenerie von getragener barocker Musik untermalt. In dieser Musik liegt alles, was den Film ausmacht: Schönheit, Geborgenheit, Resignation und Tod.

Manische Bilder – Possession (F/BRD 1981)

Mark (Sam Neill) sitzt im Schaukelstuhl. Unaufhörlich wippt er und starrt vor sich hin. Er starrt und scheint nicht loslassen zu können. Sein Geist dreht sich und er starrt. Starrt wie ein Verrückter. Doch es ist nicht Wahnsinn, der aus diesen Augen spricht, oder schlechtes Schauspiel, sondern es ist Manie. Er tobt, schreit und peinigt jemanden geistig. Fiebrig gibt er sich seinen Gefühlen hin. Mark wird überflutet von Hass, Unverständnis, Liebe, Rachegelüsten … alles rast, so dass er erstarrt … in seinem Stuhl, mit seinem Blick.

Doch nicht nur Mark wird von seiner Manie fortgeschwemmt. Possession ist berauscht und verliert sich in seiner Phantasie, seiner Paranoia. Aus jeder Pore schwitzt es schreckliche Möglichkeiten, welche die Macht haben, alle Sicherheit hinweg zu nagen. Mark kommt von einer Geschäftsreise wieder und seine Ehe liegt in Trümmern. Seine Frau Anna (Isabelle Adjani) verlässt ihn ohne jegliche Informationen. Sie möchte sich nicht mehr mit ihm auseinandersetzen, sondern einfach nur noch verschwinden. Und er überlässt sich seiner Vorstellungskraft. Eine irrsinnige Welt bricht über ihn hinein, in der alle Potentiale des Schreckens wahr werden. Regisseur Andrzej ?u?awski reißt jede Verbindung zu rationalen Realitäten ab. Manie fällt über alles und jeden her und verbeißt sich in sie.

Die erste Phase der Trennung wirkt wie ein Heroinentzug. Scheinbar von seiner Liebe, seiner schrecklichen, alles konsumierenden Liebe geheilt, nimmt Mark das Ruder in die Hand. Er ist auf Rache und Klarheit aus. Doch der Wahn lässt ihn nicht los. In Form einer unsicheren, ständig wiederkehrenden Anna, die so unberechenbar handelt, dass jede Klarheit wie Sand zwischen den Händen zerfließt … zwischen den Händen von Mark und dem Zuschauer. Sie kommt wieder und will sich um ihren gemeinsamen Sohn kümmern. Doch ihre Blicke wandern irre umher, sie hetzt von Nervosität getrieben durch die Wohnung. Am Ende stehen hysterische Auseinandersetzungen, Raserei und Geschrei zwischen einer Frau, die ihr altes Leben nicht mehr erträgt, und einem Mann, der nicht verstehen will oder kann, dass seine Liebe nicht mehr erwidert wird … und dass es keine rationelle Erklärung dafür gibt. Possession zerlegt Marks Leben, nein seine Welt in einen Trümmerhaufen.

Mark sucht aber weiter nach Sicherheit. Er findet Liebhaber. Annas Liebhaber, die ganz von seiner Phantasie gezeichnet werden. Heinrich, der neurotische Künstler, der erst unbezwingbar scheint. Mit all seinen Büchern und seiner Kampfkunstfertigkeiten. Der aber nur noch lächerlich ist, sobald Mark klar wird, dass Anna bei einem sexuell übermächtigen Phantasma mit acht Armen/Penissen Zuflucht nimmt. Der Oktopus als liebestolles Wesen, wie es nicht von ihm zuerst ausgedacht wurde (siehe hier). Er findet aber auch das Spiegelbild seiner Frau. Eine Doppelgängerin, die alle guten, vielleicht nie dagewesenen Züge von Anna vereint. Einen Engel, der ihm Hoffnung gibt. Doch all diese Funde einen die Welt nicht mehr. Sie lassen das Fieber nur mehr anschwellen und die paranoiden Zwangsvorstellungen nur schneller laufen. Überbordent verrennt sich dieses Phantasmagorium in unzähligen Sackgassen.

Die Erfahrungen seiner realen Scheidung verarbeitet ?u?awski in einem flirrenden Fiebertraum. Die Kamera ist manisch, die Figuren sind manisch, der Ton ist manisch. Alles ist meilenweit entfernt von gutem Filmemachen. Die zwanghaften Kamerafahrten, die Schreie, das Blut und andere Körperflüssigkeiten … nirgends wird Zuflucht geboten. Vielleicht ist Possession ein fürchterlicher Film, vielleicht ist das aber auch nur eine Perspektive, um ihn auf Distanz zu halten. Wer sich auf ihn einlassen kann, findet süßes Unbehagen, denn er schlägt tief. Körperlich erfahrbar werden all die Blicke, die beklemmenden Situationen, das unwürdige Verhalten. Kreischen, flehen, schreien, all das Erbärmliche, was tendenziell aus achtbaren Filmen verdrängt wird, als overacting gebrandmarkt, kehrt hier wieder und nimmt keine Gefangenen.

Vor allem aber ist es Druck, der überall zu spüren ist. Anna fühlt sich von Mark eingeengt und verfolgt. Mark wir eingezwängt von Gefühlen von Minderwertigkeit, durch das Verlassenwerden. Der Film spielt in Berlin und die Mauer ist regelmäßig zu sehen. Soldaten stehen auf ihr und beobachten das Treiben. Die Paranoia und der Verfolgungswahn drücken als Alp auf alles hernieder. Am Ende spiegelt ?u?awski seinen nicht minder verschrobenen (ver-rückten) Debütfilm „Ein Drittel der Nacht“ (Trecia cz??? nocy) und damit bessere Zeiten seiner Ehe. Es ist ein irrationaler Versuch einer religiösen Kommunion, des Abwerfen der drückenden Last des Seins durch Verklärung. Doch es folgt keine Erlösung. Bestenfalls reicht der Wahn über Possession hinaus.

Kulinarische Gewaltaufbereitung – Benny‘s Video (A 1992) & Sword of Justice (J 1972)

„Und niemand sollte verbieten/was er vielleicht selber fühlt.“ (Mutter)

In einem Interview bei „Zelluloid“ hat Michael Haneke einmal gesagt, dass er mit seinen Filmen der Gewalt den Charakter der Unerträglichkeit wiederzugeben trachtet. Vielleicht möchte er mit Streifen wie „Funny Games“ wirklich bessere Menschen aus uns machen. Vielleicht ist er wirklich der humorlose Oberstudiendirektor, der auf die abgestumpften Zuschauer herabblickt und ihnen den Weg aus der Minderwertigkeit weisen möchte. Vielleicht ist er aber auch ein passionierter Verführer, der uns kitzeln, verletzen, etwas spüren lassen möchte. Ein Sadist, der seine Mitmenschen gerade liebt, wenn sie es etwas härter brauchen. Eventuell ist er auch ein Poet der Düsternis, der in die Untiefen menschlicher Seelen schauen möchte. Aber wen interessiert es, was Michael Haneke dachte, als er seine Filme schrieb und drehte? Viel wichtiger ist, was diese Filme mit uns machen, weil sie all das, neues Fleisch und mehr enthalten.

1992 hat Haneke die Welt mit Benny’s Video beglückt. Einem Film voller Fernseher und VHS-Bänder. Darin zu sehen beziehungsweise darauf sind unter anderem die Tötung eines Schweins, Nachrichten aus dem Bosnienkrieg, „The Toxic Avenger“, ein Urlaub und ein Blutfleck auf einem nackten Bauch. Audiovisuelle Magnetbänder werden in all ihren Möglichkeiten dargestellt, als Konservierungsmöglichkeit, als Beweismittel, als Unterhaltungsvehikel oder als Identitätsversicherung. So kann zum Beispiel das geschlachtete Schwein immer wieder angeschaut werden. Es kann durch Rückspulen wieder zum Leben erweckt werden. Es kann versucht werden diese schreckliche Erfahrung zu verarbeiten oder die eigene Position zu dem zu Sehenden gesucht werden.

Benny (Arno Frisch) ist ein ziemlich normaler Teenager, nur das er ein Zimmer voll Videoequipment hat. Die ganze Welt scheint er damit zu verarbeiten. Eines Tages lädt er ein Mädchen zu sich nach Hause ein und zeigt ihr seine Möglichkeiten, alles aufzeichnen zu können, und schließlich auch die Aufnahme des Schweins. Er zeigt ihr den Schlachtschussapparat, mit dem es getötet wurde. Aus einer intimen Szene wird schnell der Horror als er in totaler Sinnlosigkeit das Mädchen anschießt und in Panik tötet. Er versucht, die Tat zu verarbeiten. Er macht sauber, geht aus oder betrachtet das Video und steht ohnmächtig vor den Konsequenzen. In einer erschreckenden, gleisend erotischen Szene betrachtet er seinen Körper, auf dem Blutsprenkler des Opfers sind. Was, wenn der Schrecken nicht nur Schrecken ist? Schließlich zeigt er seinen Eltern das Video mit dem Mord und erhofft sich von ihnen eine Lösung. Doch sie denken nur daran, ihren Sohn zu schützen und den Mord zu verdecken.

Michael Haneke hat eine spannende Geschichte geschrieben. Eine Geschichte, die keine einfache Lösung bereithält und keine Möglichkeit gibt, aus den entstehenden Widersprüchen zu entfliehen. Sanft nähert er sich den Charakteren und den Geschehnissen an. Eine komplexe Situation, in die sich verbissen werden kann. Das Problem ist aber, dass Hanekes audiovisuelle Umsetzung dazu führt, dass alles wieder ausgekotzt werden muss. Sein kalter, anklagender Blick hält nichts als Denunziation bereit. Die ständig gezeigten Fernseher werden nicht emotionslos angeschaut, sondern mit kalter Verachtung. Der starre Blick auf Benny beim Erledigen seiner Hausaufgaben, während im Hintergrund Videos laufen und Metal ohrenbetäubend dröhnt, führen zu brechreizerregenden Beklommenheitsgefühlen. Nun kann eingestimmt werden, dass Hardrock, Comics, Actionfilme, Fernsehen und Videospiele Schuld sind an einer diagnostizierten menschlichen Verrohung oder es wird einem eingeimpft, ob von Haneke gewollt oder nicht, dass solche Lösungen zu kurz greifen und, in einer solchen Form dargestellt, fast so schlimm sind wie Bennys Tat. Amibivalent steht Haneke vor seiner Handlung und ist einerseits hingezogen und fasziniert, andererseits malträtiert er sich und andere genau dafür.

Ganz anders Goyôkiba (Hanzo the Razor – Sword auf Justice), der erste, der drei Filme über den fiktiven Polizisten im mittelalterlichen Japan, der da Kamisori Hanzo („Rasiermesser“ Hanzo) heißt. Knietief wird hier durch Populismus und Sexismus gewatet, dass es nur so eine Freude ist. Statt verschämt wegzuschauen oder argwöhnisch zu verteufeln, geben sich Regisseur Misumi Kenji und Drehbuchautor Koide Kazuo ihren Phantasien hin. Und Kameramann Makiura Chikashi fängt all das in betörenden Bildern ein.

Kamisori Hanzo ist knallhart und unbestechlich. Auf niemanden nimmt er Rücksicht. Nicht auf sich und schon gar nicht auf seine Vorgesetzten. Aus Misstrauen gegenüber einem der Letzteren verhört er einen Bettler, der von seinen Kollegen gejagt wird. Er erfährt, das Profikiller Totenfluss-Kanbei nicht ins verfügte Exil ging, sondern von seinem Chef gedeckt wird. Unaufhaltsam kommt er einem Verbrechen auf die Spur, das bis in die höchsten Kreise der Regierung ragt. Doch dem Plot wird kaum Beachtung geschenkt. Folglich ist es kaum verwunderlich, dass er ins Leere läuft. Er kennzeichnet nur den Einzelkämpfer Hanzo, der sich für die Gerechtigkeit auch gegen „die da oben“ wendet. Er ist der Verteidiger des kleinen Mannes. Ein Mann, der nicht so handelt, weil er so ein guter Mensch ist, sondern weil er muss. Jede Entspannung würde ihn erschlaffen lassen, er braucht den Druck um hart zu bleiben.

An anderer Stelle habe ich einmal geschrieben, dass „Conan der Barbar“ ein einziger riesiger Phallus sei. Gegenüber Sword of Justice erscheint er aber geradezu lappig. Hanzo ist pure Männlichkeit … oder besser eine extreme Form einer Vorstellung von Männlichkeit. Er ist ein Masochist, der sich selbst foltert, um zu wissen wie weit er mit einem anderen Menschen gehen kann, was er machen muss, um Antworten zu bekommen. So sagt er zumindest. Er foltert aber den Film lang niemanden außer sich selbst. Vielmehr scheinen es Methoden, mit denen er dem Umfeld jede Kraft, Härte und Männlichkeit raubt. Neben ihn werden alle anderen Menschen zu präpubertären Kindern. Die Einzigen, denen er außerhalb eines Kampfes Gewalt antut, sind Frauen. Wenn er Informationen braucht, entführt er die Frauen der Gangster und vergewaltigt sie. Nicht, dass es ihm sonderlich Spaß bereiteten würde. Solche weichlichen Dinge wie Spaß kennt er nicht. Aber sein durch Schläge mit dem Bambusstab gestärkter Phallus stellt für die Frauen solch eine Beglückung dar, dass sie alles erzählen, wenn er nur weiter macht.

Sword of Justice könnte ein abscheulicher Film sein und auf seine Art ist er es auch. Alles ist so übertrieben, dass es schwerlich ernst genommen werden kann. Gleichzeitig ist es so ernst, dass jeder Genuss mit genau so viel Ekel aufgewogen wird, dass eine Identifikation mit dieser nicht verwirklichbaren Figur unmöglich wird. Anstatt die eigene Phantasie zu tabuisieren, schauen Misumi, Koide und Makiura genau hin und stellen sie dar … in all ihrer Realität, ihrer Lust, ihrer Abscheulichkeit und in all ihrer Lächerlichkeit. Ein unverschämter Blick in die Phantasien von Männlichkeit, der diese nicht nur auslotet, sondern in seiner Übertriebenheit ad absurdum führt … Feier und Persiflage zugleich.