Kontrapunkt: Das Exground Filmfest in Wiesbaden

Nachdem ich mit meinen Kommentaren schon einige Male Spuren auf diesem Blog hinterlassen habe, hatte die Inhaberin endlich ein Einsehen und gab mir diesen Platz für meine knappen Ergüsse zu Filmen jeglicher Art. Sollten meine Gedanken über einige wenige ironische Spitzen und Bemerkungen hinaus in ausladender Kritikform gebündelt sein, werde ich sie auch weiterhin wie bisher entweder in der OFDb oder auf MovieMaze veröffentlichen, damit ich zumindest hier niemanden damit langweile.

Da wären wir auch schon bei einer kurzen Vorstellung meinerseits. 23-jähriger, eher arbeitsunwilliger Student der Medienwissenschaft mit Namen Lutz Granert, engagierter Redakteur bei einer Hochschulzeitschrift, Filmliebhaber mit Hang zum Senfdazugeben und tollkühner Subjektiv-Bewerter treffen es wohl am besten. Filme sind mein Hobby und das – so hoffe ich – wird man meinen kurzen Kritiken in Expressform auch anmerken. Wenn nicht (oder wenn ganz besonders): sagen und ich mach’s besser/schlechter.

Doch genug des Geplänkels und Vorhang auf für mein Reich im Reich von the gaffer: den Kontrapunkt.


Exground Filmfest Wiesbaden 2008

Wie auch die hiesige Blogbetreiberin ließ ich mich am vergangenen Wochenende von Freitag bis Sonntag nach Wiesbaden zum Exground Filmfest begeben. Ließ deshalb, weil ich nicht selber mit dem Auto fahren musste (danke, Christoph!).

Zwei Stunden im Stau auf der Autobahn ließen unser pünktliches Erscheinen zu Sparrow von the gaffers Regie-Liebling Johnnie To in Gefahr geraten, doch glücklicherweise schafften wir es gerade noch rechtzeitig zur – und das muss ich so undifferenziert sagen – schlicht tollen Caligari-Filmbühne; einem Kino, so wie es sein muss: groß, geräumig, viel Platz, Einrichtungs-Augenschmaus. Die eher gewöhnungsbedürftige Wiesbadener Einbahnstraßen-Manie in der Innenstadt vermochte es – neben des Beinaheausbruchs von Gehirnkrebs beim Mitsingen extrem mäßiger Popsongs zuvor – auch nicht, uns davon abzuhalten.

Sparrow (HK 2008):

Charmante Hongkonger Gauner-Romantikkomödie mit einer sehr brutalen Entgleisung in der sonst eher konventionellen Inszenierung, die jedoch aufgrund der physischen Folgen für die Protagonisten (Gipsverbände) als humoristisches Highlight herhält. Eine schön mit Zeitlupen stilisierte Trickdiebe-Duellszene im Regen lenkt davon ab, dass man alles in allem zwar solide, aber nicht überragende Unterhaltung präsentiert bekommt.

Nach dem Ende dieses Films schlossen sich etwa morgens halb 1 genau 13 Kurzfilme an, von denen mir folgende im Gedächtnis geblieben sind:

Plot Point: Interessanter Experimentalfilm um die Wirkung, die beklemmende Musik u.a. aus Michael Manns „Heat“ auf eine Großstadtszenerie von New York und deren belebte Innenstadt ausüben kann. Originell, mutig, aber auch letztendlich etwas fragwürdig.

Dreams and Desires – Family Ties: Ganz nett animierter, aber in Sachen Inhalt und Humorverständnis grottiger Animationsfilm um eine Frau mit Digitalkamera auf einer Hochzeit. Nicht der schlechteste Film aller Zeiten, aber das auch nur, weil es noch Uwe Boll gibt und man in einer Sequenz sieht, wie ein Hund kackt, was evident für das Niveau dieser Beleidigung aus dem Vereinigten Königreich für den westeuropäischen Verstand ist.

Kwiz: Ein bei einer Lauflänge von 5 Minuten ziemlich prägnanter belgischer Kurzfilm, der seine Idee eines Klassik-Klingelton-Erraten-Duells im Wartezimmer zwischen zwei Frauen konsequent fortführt und gleichsam mit einer beachtenswerten Eskalationslogik, die ironisch gebrochen wird, zum Schmunzeln anregt. Auf das Nötigste beschränkt, ist Kwiz nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Essenz, die für eine brillante Kurz-Komödie benötigt wird: Zwei skurrile Figuren, eine tolle Idee und eine hochgradig köstliche Pointe.

Lightborne (Alumbramiento): Sehr intensiver und deswegen verstörender spanischer Film um eine Todkranke und den Umgang von deren Nachkommen mit dieser Situation. Tief bewegend, buchstäblich todernst, toll gespielt, bleischwer und anspruchsvoll, aber am Ende leider etwas planlos.

Nach einigen weiteren, aber nicht so deutlich im Gedächtnis gebliebenen Kurzfilmen, zu denen ich das ein oder andere überteuerte Bier aus der Kino-Bar genoss, ging es morgens gegen halb 4 noch zum Dönermann um die Ecke, wo wir noch diverse türkische Spezialitäten in unsere knurrenden Mägen hineinstopften, bis schließlich kurz vor 5 in unserem Einzel-Hotelzimmer, welches wir – Schlafsäcke machten es möglich – zu viert bewohnten, die Lichter ausgingen.

Kurzes Innehalten, Nachtruhe.

Nächster Morgen, will heißen Mittag, Samstag: Aufstehen, Frühstücken im „Café Extrablatt“ und dann nach kurzer Stadtbesichtigung wieder ins Kino. Dieses Mal zu The King of Ping Pong.

The King of Ping Pong (S 2008):

Eine wirklich sehr eigenwillige, um nicht zu sagen seltsame – ja wie soll man das nennen? – Adoleszenzdramödie, die mit stets unheilvoller, übermäßig dramatischer Musikuntermalung verstört und mit einem Nichts an Handlung irritiert. Es geht irgendwie um einen etwas beleibteren Jugendlichen (ja, Erinnerungen an die eigene Kindheit werden wach), der mit seiner familiären und schulischen Situation nicht zurechtkommt. Nur im Ping Pong hat er etwas drauf… Bin dann irgendwann im Kino eingepennt (nur 4 Stunden Schlaf in der Nacht machten sich bemerkbar), fand diesen sperrigen, aber narrativ hoch interessanten, zuweilen auch etwas langweiligen Film aus Schweden aber trotzdem irgendwie faszinierend.

20.00 Uhr schloss sich eine Kurzfilmsichtung der etwas anderen Art an: „A Wall is a Screen“. Naja, the gaffer höchstselbst (verdammter Chef!) hat ja schon alles dazu gesagt.

Es schloss sich um 22.15 Uhr die Dokumenatation 9to5 – Days in Porn vom deutschen Filmemacher Jens Hoffmann an, der zwar etwas oberflächlich, aber auch sehr interessant geriet, wobei ich an dieser Stelle mal ganz selbstlos auf meine  ausführliche Kritik dazu verweisen möchte. Nach Filmende schloss sich eine sehr aufschlussreiche, aber durch unzählige Fragen auch ermüdende Diskussion mit Jens Hoffmann und Produzentin Cleonice Comino an, in welcher die Probleme bei der Finanzierung des Films ebenso wie der Produktionsprozess erläutert worden.

Mit einer halbstündigen Verspätung und ewigem DVD-Verlosungs-Gehader (also etwas Punkt 1 Uhr morgens) schloss sich dann eine extrem krasse japanische Trash-Granate namens The Machine Girl an.

The Machine Girl (USA/J 2008):

Extrem brutaler und blutiger Splatter-Spaß, bei dem mit Blut-Fontänen nicht gespart wurde. Die Dialoge sind dünn, die Hauptfigur – der nach der Ermordung ihres Bruders von den gleichen bösen Typen der Arm abgehackt wurde – auch und der Film unterhielt mit seinen unverblümten Hang zum Trash. Das Gegröle der Menge hinter mir im Caligari-Kinosaal hielt mich während der durchaus vorhandenen ruhigeren Szenen vom Einnicken ab.

Gegen 3 war dann aber auch (endlich) Schluss und es ging ab in die Schlafsack-Heia, in der ich einmal mehr nicht wirklich gut und lange schlafen konnte. Am nächsten Tag ging´s dann zum Mittagsfrühstück erst in den Starbucks (verdammte Schleichwerbung) und dann wiederum zum Dönermann unseres Vertrauens. Die Rückfahrt verlief mit Ausnahme einer defekten Sprühanlage (oder wie heißt das Ding?) an der Frontscheibe des Autos und gewagten Experimenten mit Wasserflaschen, die als Ersatz bei 120 darauf entleert wurden, ohne Zwischenfälle.

Fazit: Ziemlich geiles Festival, gerne wieder, aber irgendwie ist Einiges an Geld dabei draufgegangen. Ja, the gaffer wird jetzt sagen, dass ich nur meckern kann. Endlich bin ich zwecks eines Filmfestes mal aus Jena herausgekommen, obwohl Cellu l’art, das hiesige Kurzfilmfestival hier noch mal in aller Form gelobhudelt werden darf!


Zum Weiterlesen:

Ein weiterer Festivalbericht von the gaffer.

Schlaflos in Wiesbaden

ExgroundMit dem Lupo gings aus dem beschaulichen Jena ins hessische Wiesbaden, um wenigstens das letzte Festivalwochenende des 21. Exground Filmfests abzupassen. Das hieß sechs Stunden Arbeit, danach rund drei Stunden (geplante) Fahrzeit in die hessische Landeshauptstadt, um den Rest des Tages voll auszunutzen.

Der befürchtete Winterausbruch blieb der Running Joke, verschneite Straßen die Ausnahme. Da fuhren wir nun mit dem Winterchaos im Hinterkopf, freuten uns über die Ruhe auf der Autobahn, sahen aus der Ferne schon die Skyline Frankfurts.

Und das Auto blieb stehen. Geschlagene zwei Stunden hielten Kekse und eine Summer of Love-Kassette uns Cineasten über Wasser, wenn nicht gerade ein abgestandener “Deine Mutter”-Witz die Zeit versüßte. Das Ziel: Endlich Einchecken im Hotel, 22:15 Uhr Sparrow von Jonnie To im Caligari anschauen.

Nach zwei Stunden Stehparty schienen alle Hoffnungen auf rechtzeitige Ankunft und den Kinobesuch zerstört, als das Auto doch noch zu rollen begann, der Horizont nicht mehr durch den ewig gleichen knallgelben Reisebus beschnitten wurde.

Weiter ging es im Eiltempo, bis sich Wiesbaden schließlich als Einbahnstraßenhölle offenbarte und der Lupo samt Insassen einigermaßen verwirrt durch die Innenstadt kurvte, jede nur denkbare Verkehrsregel aus purer Verzweiflung missachtend. Einzig die Liebe zum Kino war Schuld. Und womöglich auch der Wunsch nach einer warmen Unterkunft, um den tauben Beinen etwas Bewegung zu verschaffen.

Dann war es plötzlich da, das Hotel, ohne Navi, ohne ordentlichen Stadtplan, ungeachtet aller Steine, welche die Straßenverkehrsordnung uns in den Weg gelegt hatte. Nach fünf Stunden Unbeweglichkeit und unzähligen mitgesungenen, quälenden Popsongs standen wir vor der Caligari Filmbühne. Anstatt uns – wieder jeder normale Mensch – erst einmal etwas zu essen zu holen, reichte ein Bierchen, um die nächsten vier Stunden im Kino zu überstehen.

Einen Johnnie To-Film im Kinos zu sehen, selbst wenn es nicht sein bester ist, lässt alle Beschwerden verschwinden. KinoSparrow, diese federleichte Gaunerkomödie, die in einer Welt ohne Sorgen zu existieren scheint, genossen wir in einem angenehm weichen Kinosessel mit ungeahnter Beinfreiheit, so dass sich am Ende die Mühe gelohnt hatte und die absolute Zufriedenheit Einzug hielt.

Wie das Kinoerlebnis einmal war vor dem Aufkommen der Uniformität der Multiplexe, dieses Flair vermittelt das Caligari. Es war der perfekte Ort für das Exground Filmfest, dass vom 14.11. bis zum 23.11 seinen 21. Geburtstag feierte. Neben dem Schwerpunktthema Spanien bot die ehrenamtlich agierende Festivalorganisation u.a. die Reihe “News from Asia”, eine Auswahl an Dokumentationen und die “Youth Days”.

Auch dem Kurzfilm wurde reichlich Platz eingeräumt, schließlich sollte am Sonntag die Preisverleihung des Deutschen Kurzfilmwettbewerbes stattfinden. Einen  Überblick über das aktuelle europäische Geschehen bot der im Anschluss von Sparrow gezeigte Programmblock Short Matters. Dreizehn Filme, alle 2007 für den europäischen Kurzfilmpreis nominiert, wurden hier präsentiert. Das hieß, skurrile Momente der Sprachverwirrung in Tokyo Jim wechselten sich mit einigermaßen prätentiösem Getue in Dad ab.

Die Highlights: Simon Ellis’ Soft, 14 eindringliche Minuten über die außer Rand und Band geratende Jugend Großbritanniens und einen Vater, der seinem gepiesackten Sohn die eigene Schwäche eingestehen muss; Tommy von Ole Giaver, in dem sich eine zufällige Wanderbegegnung zum unangenehmen Psychospiel wandelt und Plot Point. Nicolas Provosts Experimentalfilm ist zunächst etwas langatmig, bis man hinter das Konzept steigt. Dokumentaraufnahmen von New Yorks Nachtleben werden durch einige clever gesetzte Soundeffekte und spannende Musik ergänzt. Aus den alltäglichen Bildern ensteht plötzlich die bedrohliche Atmosphäre eines Thrillers und wider besseren Wissens erwartet man eine Katastrophe.

Eduardo Chapero-Jacksons Alumbramiento versammelte schließlich die Qualität eines ganzen Spielfilms in nur 15 Minuten. Der Gewinner des europäischen Filmpreises für den besten Kurzfilme erzählte mit Hilfe überragender Schauspieler vom Sterben und den Belastungen, welche die Angehörigen auf sich nehmen.

Nach einer kurzen Nacht auf dem harten Boden des Hotelzimmers – der Nachteil, wenn man nur für eine Person bucht – und dem Irrweg durch die Innenstadt auf der Suche nach einer Sparkasse – der Nachteil, wenn man aus den Neuen Bundesländern kommt – hieß es am Samstag, den schwedischen Film The King of Ping Pong anzuschauen.

Jens Jonssons Genremix aus Jugendrama, Thriller und schrulliger Komödie wusste in jeder Hinsicht zu überraschen. Auch wenn der titelgebende Sport im Film etwas zu kurz kommt, konnten v.a. die Jungschauspieler sich gegen die überstilisierte, unterkühlte Kulisse behaupten und dem Film lebensechte Gefühle einhauchen.

Abends wurde die Innenstadt Wiesbadens zum Kinosaal umfunktioniert. Das Hamburger Projekt A Wall Is A Screen lud zur Wanderung von einem an die Häuserwände projizierten Kurzfilm zum nächsten durch die Stadt ein. Abgesehen von der Eiseskälte ein einzigartiges Erlebnis, bei dem der öffentliche Raum z.T. in direkter Beziehung zum gezeigten Film stand. So wurde Cows With Guns nicht zufällig neben einem McDonalds-Restaurant gezeigt, zum Vergnügen aller Zuschauer.

Die Rückkehr in den warmen Kinosaal verhieß kurz vor Elf eine Doku über die Pornoindustrie in den USA. Kein Wunder also, dass der Saal zur Vorstellung von 9 to 5: Days in Porn gut gefüllt war. Im Nachhinein kam der Film von Jens Hoffmann nicht über einen sporadischen Überblick mit einigen komischen Episoden hinaus. Zu viele Akteure – neun Darsteller, Regisseure und Produzenten – ließen den kritischen Tiefgang und damit neue Erkenntnisse vermissen.

Tiefschürfende Erkenntnisse oder auch nur eine sinnvolle Story ließ der letzte Film des Abends ganz vermissen, aber das war bei dem herrlichen japanischen Trashfilm The Machine Girl auch nicht anders zu erwarten gewesen.

FutterNachdem ihr Bruder von einer Yakuza-Gang ermordet wurde, schwört die Schülerin Ami Rache. Zum Machine Girl wird sie, als sie an Stelle ihres Armes ein Maschinengewehr erhält.

Splatterorgien sind da natürlich vorprogrammiert. Regisseur Noboru Iguchi scheint sich irgendwann mal Kill Bill angesehen zu haben, um sich dann hinter her zu sagen, dass er da noch eins drauf setzen kann.

Peinlich gekleidete Killerbanden, die ein wenig den Power Rangers ähneln, stellen sich naturgemäß Ami in den Weg, um von ihr auf blutigste und witzigste Weise ins Jenseits geschickt zu werden. The Machine Girl ist ein origineller Trashfilm, wie man sich ihn nur wünschen kann. Als Abschluss der zwei Festivaltage entließ der den Fan des Genres mit einem Lächeln in die kalte Winternacht.

Die Filmauswahl des Festivals erwies sich im Nachhinein als voller Erfolg für die Zuschauer. Qualitative Dichte und thematische Abwechslung lassen das Exground Filmfest zur absoluten Empfehlung für jeden Cineasten werden, der abseits des amerikanischen Mainstreams sein Lichtspielglück sucht. Dem können ein quälender Stau  und der akute Schlafmangel schlicht nichts anhaben.


Zum Weiterlesen:

 

Ein Erfahrungsbericht zum Festival von Luzifus.

Sparrow (HK 2008)

Einer wie Johnnie To hat niemanden mehr etwas zu beweisen. Während die Filmindustrie seiner Heimat Hongkong vor über zehn Jahren in die Krise schlitterte, muss To eines Morgens aufgewacht sein und sich beim Genuss einer Zigarre gesagt haben: “Ab heute bin ich ein Auteur. Ab heute gründe ich meine eigene Produktionsfirma und werde zum einsamen Aushängeschild des Hongkong-Films auf den Festivals dieser Welt.” Sofern es tatsächlich einen solchen Moment im Leben des Regisseurs gegeben hat, kann man ihn nur  dazu beglückwünschen. Aus dem Handwerker, der stets im Schatten von Tsui Hark, John Woo und Konsorten stand, ist neben Wong Kar-Wai tatsächlich der bedeutendste Regisseur der Sonderverwaltungszone geworden.

Sein Stil ist mittlerweile unverwechselbar. Grund dafür ist auch ein festes kreatives Team hinter den Kulissen, sowie eine Gruppe von Stammschauspielern, unter ihnen Lam Suet, Simon Yam oder Gordon Lam, deren Anwesenheit den Wiedererkennungswert seiner Filme in die Höhe treibt. Mit der von ihm und Wai Ka-Fai gegründeten Firma Milkyway Image produziert er im Gegensatz zu Wong Kar-Wai nicht von vornherein für die Arthouse-Kinos. Tos Filmografie variiert daher gekonnt zwischen kommerziellen Filmen und kleinen Herzensprojekten. Da kann es schon mal vorkommen, dass er an einem Film drei Jahre arbeitet und während dessen noch bei vier oder fünf anderen Filmen von hoher Qualität auf dem Regiestuhl sitzt. Geschehen ist das bei seinem neuesten, dem federleichten Sparrow. Der lief im Wettbewerb der Berlinale 2008 und erweist sich gerade als äußerst erfolgreich in den Kinos von Hongkong.

Vielleicht hat der Erfolg etwas mit der nostalgischen Note des Films zu tun. Simon Yam, der ausnahmsweise keinen Bösen spielt, sondern den Boss einer Diebesbande, verbringt hier seine Freizeit als Chronist seiner Stadt. Auf seinen Fahrradtouren durch die Straßen Hongkongs schießt er Schwarzweiß-Fotos von ihren Bewohnern. Begleitet wird das ganze von einem minimal anachronistisch wirkenden 60er Jahre-Feeling, das man eher in den Filmen Jacques Demis vermuten würde als in denen Johnnie Tos. Ein höchst künstlicher Film wie Sparrow kann vielleicht nur überzeugend von jemandem gedreht werden, der in seiner Branche so gut wie alles erreicht hat. In diesem Sinne gleicht er Burn After Reading von den Coen-Brüdern, obwohl die beiden Filme ansonsten nichts gemein haben. Nach einem tieferen Sinn sollte man in der Geschichte um vier Taschendiebe, die nacheinander der geheimnisvollen Kelly Lin verfallen, nicht suchen. To verliert sich hier in seinen ebenso skurrilen wie cleveren Einfällen, so dass man am Ende durchaus hart über den Film urteilen könnte. All style, no content usw.

Damit liegt man wahrlich nicht falsch. So reizvoll wie To dreht aber kaum jemand inhaltslose Gaunergeschichten. Das beginnt bei der Leichtigkeit, mit der er die Diebe bei der Arbeit beobachtet und endet bei seinem Hang dazu, Luftballons und Zigaretten als die erotischsten Gegenstände der Welt zu inszenieren. Wenn sich die Diebe mit ihrem Lustobjekt und einem viel zu großen Aquarium in einem engen Aufzug quetschen, spielt die Frage nach dem Sinn des ganzen keine Rolle mehr. Dass dabei eine Marginalie wie die Figurenzeichnung auf der Strecke bleibt, mag hinterher für einen faden Nachgeschmack sorgen. Der wird jedoch durch eine Vielzahl solcher einprägsamer Situationen wieder wettgemacht. To ist schließlich ein Meister darin, den Eindruck, den seine Filme beim Zuschauer hinterlassen, durch ein paar wunderschöne oder schockierende Momente zu manipulieren. Das ist manchmal erfolgreich (Throw Down). Manchmal, wie in PTU, genügt es nicht, um den ganzen Film in ein positiveres Licht zu rücken. Betrachtet man die rund 90 Minuten von Sparrow als das was sie sind – eine als Gaunerkomödie daherkommende Liebeserklärung an Hongkong – ist der Film ein passabler Spaß, der zu keiner Zeit an Tos Großtaten der letzten Jahre heran kommt.

[Ebenfalls veröffentlicht in der OFDb am 26. November 2008]


Zum Weiterlesen:
Da the gaffer in Wirlichkeit eine unverhohlene Fanpage von Johnnie To ist, gibt’s hier sogar eine Kategorie, die sich ausschließlich dem Mann mit der Zigarre widmet.