Sparrow (HK 2008)

Einer wie Johnnie To hat niemanden mehr etwas zu beweisen. Während die Filmindustrie seiner Heimat Hongkong vor über zehn Jahren in die Krise schlitterte, muss To eines Morgens aufgewacht sein und sich beim Genuss einer Zigarre gesagt haben: “Ab heute bin ich ein Auteur. Ab heute gründe ich meine eigene Produktionsfirma und werde zum einsamen Aushängeschild des Hongkong-Films auf den Festivals dieser Welt.” Sofern es tatsächlich einen solchen Moment im Leben des Regisseurs gegeben hat, kann man ihn nur  dazu beglückwünschen. Aus dem Handwerker, der stets im Schatten von Tsui Hark, John Woo und Konsorten stand, ist neben Wong Kar-Wai tatsächlich der bedeutendste Regisseur der Sonderverwaltungszone geworden.

Sein Stil ist mittlerweile unverwechselbar. Grund dafür ist auch ein festes kreatives Team hinter den Kulissen, sowie eine Gruppe von Stammschauspielern, unter ihnen Lam Suet, Simon Yam oder Gordon Lam, deren Anwesenheit den Wiedererkennungswert seiner Filme in die Höhe treibt. Mit der von ihm und Wai Ka-Fai gegründeten Firma Milkyway Image produziert er im Gegensatz zu Wong Kar-Wai nicht von vornherein für die Arthouse-Kinos. Tos Filmografie variiert daher gekonnt zwischen kommerziellen Filmen und kleinen Herzensprojekten. Da kann es schon mal vorkommen, dass er an einem Film drei Jahre arbeitet und während dessen noch bei vier oder fünf anderen Filmen von hoher Qualität auf dem Regiestuhl sitzt. Geschehen ist das bei seinem neuesten, dem federleichten Sparrow. Der lief im Wettbewerb der Berlinale 2008 und erweist sich gerade als äußerst erfolgreich in den Kinos von Hongkong.

Vielleicht hat der Erfolg etwas mit der nostalgischen Note des Films zu tun. Simon Yam, der ausnahmsweise keinen Bösen spielt, sondern den Boss einer Diebesbande, verbringt hier seine Freizeit als Chronist seiner Stadt. Auf seinen Fahrradtouren durch die Straßen Hongkongs schießt er Schwarzweiß-Fotos von ihren Bewohnern. Begleitet wird das ganze von einem minimal anachronistisch wirkenden 60er Jahre-Feeling, das man eher in den Filmen Jacques Demis vermuten würde als in denen Johnnie Tos. Ein höchst künstlicher Film wie Sparrow kann vielleicht nur überzeugend von jemandem gedreht werden, der in seiner Branche so gut wie alles erreicht hat. In diesem Sinne gleicht er Burn After Reading von den Coen-Brüdern, obwohl die beiden Filme ansonsten nichts gemein haben. Nach einem tieferen Sinn sollte man in der Geschichte um vier Taschendiebe, die nacheinander der geheimnisvollen Kelly Lin verfallen, nicht suchen. To verliert sich hier in seinen ebenso skurrilen wie cleveren Einfällen, so dass man am Ende durchaus hart über den Film urteilen könnte. All style, no content usw.

Damit liegt man wahrlich nicht falsch. So reizvoll wie To dreht aber kaum jemand inhaltslose Gaunergeschichten. Das beginnt bei der Leichtigkeit, mit der er die Diebe bei der Arbeit beobachtet und endet bei seinem Hang dazu, Luftballons und Zigaretten als die erotischsten Gegenstände der Welt zu inszenieren. Wenn sich die Diebe mit ihrem Lustobjekt und einem viel zu großen Aquarium in einem engen Aufzug quetschen, spielt die Frage nach dem Sinn des ganzen keine Rolle mehr. Dass dabei eine Marginalie wie die Figurenzeichnung auf der Strecke bleibt, mag hinterher für einen faden Nachgeschmack sorgen. Der wird jedoch durch eine Vielzahl solcher einprägsamer Situationen wieder wettgemacht. To ist schließlich ein Meister darin, den Eindruck, den seine Filme beim Zuschauer hinterlassen, durch ein paar wunderschöne oder schockierende Momente zu manipulieren. Das ist manchmal erfolgreich (Throw Down). Manchmal, wie in PTU, genügt es nicht, um den ganzen Film in ein positiveres Licht zu rücken. Betrachtet man die rund 90 Minuten von Sparrow als das was sie sind – eine als Gaunerkomödie daherkommende Liebeserklärung an Hongkong – ist der Film ein passabler Spaß, der zu keiner Zeit an Tos Großtaten der letzten Jahre heran kommt.

[Ebenfalls veröffentlicht in der OFDb am 26. November 2008]


Zum Weiterlesen:
Da the gaffer in Wirlichkeit eine unverhohlene Fanpage von Johnnie To ist, gibt’s hier sogar eine Kategorie, die sich ausschließlich dem Mann mit der Zigarre widmet.

Burn After Reading (USA/GB/F 2008)

Treffen sich zwei Kinobesucher nach einer Vorstellung von Tropic Thunder, wird sich ihr Gespräch sehr bald auf den Auftritt von Tom Cruise als fetten, haarigen Produzenten drehen. Der eine freut sich dann über die Art und Weise wie der Scientologe und Superstar sein Image als Schönling auf die Schippe nimmt. Der andere wird entgegen halten, dass sein ewiges Herum- getanze doch mehr peinlich als lustig ist. Vielleicht entzünden sich beim Anblick des neuen Filmes von Joel und Ethan Coen ähnliche Diskussionen. In Burn After Reading spielt schließlich Brad Pitt – zweimaliger Sexiest Man Alive – einen etwas dümmlichen Fitness Studio-Angestellten, samt hautengen Shirts und geschmackloser Frisur. Seine Figur Chad Feldheimer ist der Typ Mensch, dessen Mund weit offen steht, wenn das Hirn nicht mehr hinterher kommt. Mit seiner Arbeitskollegin Linda Litzke (Frances McDormand) erpressen sie nach dem Fund vergessener Top Secret-Daten des CIA dessen Besitzer. Oder sie versuchen es zumindest. Man kann sich wohl durchaus vorstellen, dass Chad und Linda, die das Gros ihres Tages mit Ergometern, Laufbändern und anderen hoch interessanten Geräten verbringen, keine geborenen Profis im Geheimdienstgeschäft sind. Seltsamerweise scheint in Burn After Reading keiner von irgend etwas einen Plan zu haben. Auch nicht der betroffene Agent Osbourne Cox (John Malkovich). Von seiner Frau (Tilda Swinton) betrogen und verachtet, von seiner Firma gefeuert, wünscht man dem Alkoholiker Cox eine ordentliche Gruppentherapie.

Auch Harry Pfarrer (George Clooney – ebenfalls zweimaliger Sexiest Man Alive) hat so seine Probleme. Als wären eine Frau und eine Geliebte (Swinton) nicht genug, sucht Harry übers Internet-Dating weibliches Frischfleisch. Und lernt dabei Hobby-Erpresserin Linda kennen. Man könnte großspurig sagen, das Schicksal der Figuren in “Burn After Reading” sei vernetzt, die verschiedenen Lebenspfade würden sich kreuzen, mit verhängnisvollen Folgen usw. Die Feststellung liegt allerdings nahe, dass schlicht alle Figuren in diesem Film unglaublich dumm sind. Die Akzeptanz dieser Gemeinsamkeit genügt jedenfalls, um an diesem Film großes Gefallen zu finden. Nicht alle teilen Chads Grad von Dummheit, aber fast. Ausgenommen Tilda Swinton, deren Eisblock-Anwesenheit zuweilen deplatziert wirkt. Glücklicherweise teilt sie eine der witzigsten Szenen des Films mit Clooney und einem Berg Karotten. Welche Schaupielerin kann das schon von sich behaupten?

Eine Horde beschränkter Figuren dabei zu beobachten, wie sie versuchen ans große Geld zu kommen, muss nicht unbedingt lustig sein. Selbst in der Filmografie der Coen-Brüder existiert der großartige The Big Lebowski neben The Ladykillers, einem weiteren Remake, dass kein Mensch braucht. Burn After Reading ist vielleicht nicht auf der Höhe des Dudes, dafür ist das Geschehen zunächst zu chaotisch, wirkt der ganze Film wie eine Fingerübung nach Feierabend. Einen wie den Dude gibt’s wohl nur einmal im Leben. Dennoch sind die Eskapaden von Linda Litzke und ihren Kollegen höchst amüsant.

Die Coens spielen nämlich mit dem dramatischen Repertoire verschiedener Genres, allem voran denen des Agenten-Films, um deren Regeln genüsslich auf den Kopf zu stellen. Und sie spielen mit unserer Erwartung bezüglich der Besetzung. Wann treffen etwa die beiden “Oceans Eleven”-Stars Pitt und Clooney endlich aufeinander? Die Antwort auf diese Frage aller Fragen wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Ihre Auflösung ist aber nur einer der Gründe, warum Burn After Reading absolut sehenswert ist. Ein anderer ist Pitt selbst, dessen erbärmliche Versuche, auf Cox bedrohlich zu wirken, für die größten Lacher sorgen. Dieser Film ist ziemlich makaber, birst vor schwarzem Humor und wird stets von einem Hauch von Belanglosigkeit begleitet. Aber wen interessiert’s?

Trailer: W.

Man mag über Oliver Stone sagen, was man will (und meine Abneigung gegen einen Großteil seiner Filme könnte Bände füllen), aber irgendwie kriegt’s der Mann immer wieder hin, gute Schauspieler auf seine Sets zu locken.

Die Tatsache, dass u.a. Josh Brolin (= W.), Ellen Burstyn (= Mama Bush), James Cromwell (= Papa Bush), Richard Dreyfuss (= Dick Cheney), Scott Glenn (= Rumsfeld), Toby Jones (= Carl Rove) und Jeffrey Wright (= Colin Powell) in seinem George W. Bush-Biopic mitspielen, ist Grund genug, auf W. gespannt zu sein.

Nun gibt es einen zweiminütigen Trailer, der sehr nach Stone aussieht, also verdammt objektiv  und unvoreingenommen daher kommt. Positiv zu vermerken ist an dieser Stelle die Wahl der Talking Heads als Begleitmusik.

Ein deutscher Starttermin für W. steht seltsamerweise noch nicht fest.

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WALL·E (USA 2008)

Selten bieten Endzeitvisionen Stoff für bezirzte Oooohs und Aaaahs aus dem Zuschauerraum oder sieht die Welt außerhalb der Matrix zum Knuddeln aus?

Zugegeben, der einstmals blaue Planet, auf dem der Abfallverarbeitungsroboter WALL-E sein Dasein fristet, ist nicht von der wohnlichen Art. Müllberge so groß wie Hochhäuser zieren sein Antlitz. Die Menschen, Verursacher des ganzen Übels, haben ihre Heimat wohlweislich längst verlassen. Nur der eckige, etwas schmuddelige WALL-E ist noch verblieben, um Tag für Tag den Müll schön säuberlich in handlichen Würfeln anzuordnen. Seine Kollegen haben längst das Zeitliche gesegnet, denn das Projekt, die Erde vom Abfall zu befreien, wurde längst für gescheitert erklärt.

Es ist also nicht Mutter Erde, die für verzückte Aufschreie im Kinosaal sorgt, sondern der titelgebende Held, bei dessen Design sich die Kreativen von Pixar mal wieder selbst übertroffen haben. WALL-E, mit seinen großen, traurigen Augen und dem altmodischen Unterbau, reiht sich nahtlos ein in die lange Schlange von Pixar-Helden, die das Herz des Zuschauers in den letzten Jahren im Sturm eroberten. Da ist es nur hilfreich, dass er kaum redet und die meiste Zeit verschroben süße Töne von sich gibt. Sein Äußeres täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass WALL-E keine bloße Kopie früherer Pixar-Helden ist. Der kleine Roboter wirkt vielmehr wie eine Inkarnation von Chaplins Tramp, nur eben aus Blech, versteht sich. So gestalten sich die ersten 40 Minuten des Films passenderweise recht stumm, auch wenn WALL-E Gesellschaft bekommt. EVE lautet ihr symbolträchtiger Name. Auf die Erde wurde sie geschickt, um nach Beweisen für die Bewohnbarkeit des Messie-Planeten zu suchen.

EVE ist im Grunde das beste Product-Placement, dass sich eine Firma nur wünschen kann. Natürlich trägt sie kein Logo, doch wer in seinem Leben schon mal einen iMac, iBook oder irgendein anderes Gerät mit dem “i” gesehen hat, der wird sich wundern, warum EVE der angebissene Apfel fehlt. WALL-E’s glänzend weiße neue Freundin ist eine Ausgeburt an Perfektion, was die ganze Apple-Werbung, die in der Anwesenheit eines iPods in der Wohnung unseres Hauptdarstellers kulminiert, auch irgendwie logisch erscheinen lässt.

In jedem anderen Film hätte EVE in etwa so langweilig ausfallen können wie ein Supermodel ohne Persönlichkeit, das nur zum Anschauen da ist. Nicht so bei Pixar, deren Qualitäten eben nicht nur bei wegweisenden Animationen liegen, sondern gerade der Zeichnung liebenswerter Figuren. EVE, die einen Hang dazu hat, alles zu Schutt zu schießen, was ihr suspekt vorkommt, ist so eine. Nach vierzig Minuten herzergreifender Slapstick-Unterhaltung, wie man sie im heutigen Kino selten zu sehen bekommt, tauchen jedoch Menschen auf. In gewisser Weise erscheint damit der Grund auf der Bühne, warum WALL-E nicht an die Qualität des letzten Pixars Ratatouille herankommt.

Die erste Hälfte des Films ist durch seine weitgehend abwesenden Dialoge wie eine lange Version der unzähligen Kurzfilme, welche das Pixar-Kinoerlebnis so einzigartig gestalten. WALL-E ist im Gegensatz zu diesen für die große Leinwand  mit ihren 90 Minuten geschaffen. Beweis dafür ist schon die Rolle von Kameramaestro Roger Deakins (“Fargo”, “No Country for Old Men”) als visual consultant. Diese Hälfte ist experimentierfreudig, ist charmant und liebenswert; ist pfiffig erzähltes großes Kino. Mit dem Auftritt der Menschen wird der Film nicht nur von Massen an Figuren bevölkert, die in etwa so individuell sind wie die gierigen Möwen in Findet Nemo. An sich wäre die Anwesenheit von kugelrunden homo sapiens nämlich nicht das Problem, schließlich sind sie ein bedeutender Teil der Botschaft des Werkes. Mit den Menschen wandelt sich WALL-E jedoch in ein rasantes Abenteuer, vielleicht am ehesten vergleichbar mit Die Unglaublichen. Es fehlt dem Film von Andrew Stanton damit an Homogenität.

WALL-E ist trotz allem immer noch besser als “Kung Fu-Panda” und Konsorten, weil keiner der Pixar-Konkurrenten dazu in der Lage ist, große Gefühle so glaubwürdig in die Herzen von kleinen Maschinen zu verpflanzen. Szenen wie den Tanz von WALL-E und EVE im Weltall, würde man sonst höchstens einem Steven Spielberg abnehmen und selbst der scheint sein Händchen dafür mittlerweile verloren zu haben. Es ist eben ein Glück, dass es Pixar gibt.

Trailer 2: Tintenherz

Noch so ein Film, der mehrmals verschoben wurde, ist Iain Softleys Tintenherz, der auf der erfolgreichen Vorlage von Cornelia Funke basiert. Einen ersten Trailer hatte ich ja schon Ende letzten Jahres gepostet, nun nimmt das Marketing des Films langsam Gestalt an.

Vielleicht hat der verschobene Starttermin von “Harry Potter und der Halbblutprinz” den Produzenten ja etwas mehr Vertrauen in ihren Film verliehen.

Am 11. Dezember startet der Film mit Brendan Fraser, Helen Mirren, Andy Serkis, Paul Bettany und Jim Broadbent endlich in den deutschen Kinos.

Aktuelle Trailer sind bei MovieMaze und TrailerAddict einzusehen.

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