Kino von gestern – Il Cinema Ritrovato – XXV edizione 2011

Diesen Samstag endete in Bologna die 25. Ausgabe des Cinema Ritrovato. Für die Leser, welche sich für alte Schinken interessieren, hat mich die liebe Jenny nach Italien geschickt, um die Perlen des Festivals vor den Säuen zu retten und euch von diesen zu berichten. Deshalb hier die Top Five der Filme, die ich in den dreieinhalb Tagen meines Aufenthalts im Paradies sah, und der andere Kram.

5. Der Dieb von Bagdad (GB 1940)

Als Alexander Korda dieses Remake des Douglas Fairbanks Klassikers produzierte, stand er mit dem Rücken zur Wand. Es ging um nichts weniger als die Existenz des Denham Film Studios, welches er 1936 geöffnet hatte. Er schickte seine zwei Stars ins Rennen, Sabu und Conrad Veidt, doch fast alles ging schief. Der engagierte Ludwig Berger kam als Regisseur mit der riesigen Produktion nicht zurecht und wurde zwar am Filmset behalten, bekam aber keine Arbeit. Der junge Michael Powell und Tim Whelan wurden engagiert, aber auch die drei Korda Brüder mischten mit. Das Ergebnis ist dementsprechend fahrig und wirkt arg zusammengeschustert. Doch der Film hat zwei Dinge, die ihn zumindest auf einer großen Leinwand ungemein sehenswert machen: die dämonischen Augen Conrad Veidts (Michael Powell hat kein Mitleid mit dem Zuschauer und brennt sie ihm ins Gedächtnis) und, dämlich wie es klingen mag, das Schiff zu Beginn, das, in Technicolor-Weltklasse angemalt, dem Zuschauer heute noch nachfühlen lässt, dass Menschen mal vor projizierten Zügen geflohen sein sollen.

4. Addio, Kira (I 1942)

Die Verfilmung von Ayn Rands „We the Living“ war den Produzenten mit fast 4 Stunden zu lang, weshalb sie in zwei Teile getrennt wurde: Noi vivi und Addio, Kira. Zumindest Letzterer funktioniert auch als eigenständiger Film (hab ihn als solchen gesehen und erst dem Programm entnommen, dass da mehr war). Es geht um Kira, die Affären mit zwei Männern hat. Der eine ist Geschäftsmann und bereichert sich durch die Korruption des stalinistischen Staatsapparates. Der Andere ist der scheinbar einzige Mitarbeiter dieses Apparates, der noch seinen Idealen folgt. Kitsch und Klischees werden oft genug gerammt, aber irgendwie schafft es Addio, Kira immer wieder der Falle zu entgehen und wird so ein mitreißendes Stück Melodrama.

3. Die Maschine Bösetöter (I 1952)

Für alle die es nicht wussten, Roberto Rossellini kann auch beschwingt und witzig … La macchina ammazzacattivi beweist es eindrucksvoll. Ein Fotograf bekommt von einem alten Mann eine Kamera, die, wenn man ein Foto fotografiert, die abgebildeten Personen in der entsprechenden Pose einfriert. Mit diesem Werkzeug soll er das Dorf von allen bösen Menschen befreien. Stimmungsvoll und teilweise mit erstaunlich absurdem Witz bricht der Vorzeigeneorealist mit dem Klischee seinerselbst. (Er wurde übrigens dieses Jahr in Cannes gezeigt. Dort fragten die Verantwortlichen die Zuschauer, wer ihn schon mal gesehen hat. Nur ein Anwesender meldete sich und gab hinterher zu, dass er gelogen hatte.)

2. L’assassino (I 1961)

Der dt. Titel „Trauen Sie Alfredo einen Mord zu?“ steht unter dem Motto: „Trauen Sie den Filmverleihern einer anderen Nation noch dümmere Entstellungen zu?“. Doch Elio Petris Regiedebüt ist deutlich besser als dieser Titel erwarten lässt. Marcello Mastroianni spielt den Antiquitätenhändler Alfredo, der unter Mordverdacht verhaftet wird. Ein kafkaesker Strudel bricht über ihn herein, der ihn hilflos zu verschlingen droht. Doch das Gute an L’assassino ist vor allem, dass er nicht Täter und Opfer zeigt, dass er auf Schwarz-Weißmalerei verzichtet. In der Welt Petris ist niemand ohne Schuld und so ist im Grunde gleichgültig, ob der Verdächtigte der Mörder war oder nicht. Mit Ruhe und Präzision wird gezeigt, wie Alfredo durch eine weltliche Institution des Über-Ichs ein Spiegel vorgehalten bekommt, der ihm alle seine Schuld zeigt. Das Ergebnis ist eine Mischung aus „La dolce vita“ und “The Wrong Man” mit einem Schuss Gaius Baltar … toll.

1. Am blauesten aller Meere (UdSSR 1935)

Ein Wunderwerk. Was soll man über diesen Film sagen, der sich nicht mit Worten erfassen lässt? Weder kann eine Wiedergabe des Inhalts noch eine Erklärung des Erlebten klar machen, was diesen Film ausmacht. Mit naiver Freude und tiefer Melancholie, voll Schönheit und Schmerz ist Boris Barnet ein traumhaftes Meisterwerk gelungen. Ein Meisterwerk, das nie unrealistisch erscheint, aber trotzdem irgendwie parallel zur Realität verläuft. Henri Langlois hat in der Cinémathèque française die vorrätigen Barnet Filme mindestens einmal im Jahr gespielt. Er wusste, was er an ihm hatte.

Was ich noch gesehen habe:

Die letzte Kompanie (D 1930) – ein potentieller Lieblingsfilm Josef Goebbels‘.

Das Leben gehört uns (F 1936) – ein essayistischer Propagandafilm für die KP. Jean Renoir und andere nehmen dabei Godards Stil aus den Siebzigern vorweg. Letzterer hat sich aber nie dermaßen zu einem Werkzeug der Verklärung machen lassen.

Nosferatu (D 1921) – mal wieder. Immer wieder gut.

Die Reise zum Mond (F 1902) – einmal mit Orchester, einmal mit Musik von Air. Das war derselbe Film?

Justin de Marseille (F 1935) – wunderschön fotografiert, aber dümmliche Geschichte. Trotzdem, Maurice Tourneur sollte man im Auge behalten.

Fig Leaves (USA 1926) – Howard Hawks liefert in den ersten 20 Minuten die Blaupause zur Familie Feuerstein. So wacht Adam durch einen Wecker auf, dessen Sanduhrmechanismus eine Kokosnuss auf seinen Kopf fallen lässt. Danach folgt viel Leerlauf.

Winstanley (GB 1976) – Kevin Brownlows Film über den Frühkommunisten Gerrard Winstanley äfft uninspiriert Straub/Huillet nach. Aber irgendwie trotzdem sehenswert. Hm.

Ballerine (I 1936) – Originalton ohne Untertitel, dafür mit Simultanübersetzerin… die nicht vorbereitet wurde und bei all dem Gerede nicht hinterher kam. Schien aber ein ganz netter Film zu sein. Tolles Ende.

Staryj Naezdnik (UdSSR 1940) – nochmal Barnet, doch wieder Simultansprecherin. Nach oben erwähntem Film wurde er von Mosfilm zu weniger Subjektivität angehalten. Der entstandenen Komödie über das Leben auf der Rennbahn fehlt deshalb das gewisse Etwas, auch wenn sie nicht schlecht ist.

The Look (D/F 2011) – Doku über Charlotte Rampling. Zu unterschiedlichen Themen spricht sie mit unterschiedlichen Freunden, zum Beispiel mit Fotograf Peter Lindbergh über „Exposure“. Gleichzeitig werden ihre Karriere und ihre Filme mit ihrer Persönlichkeit ins Verhältnis gesetzt. Ein faszinierender Blick auf eine große Künstlerin und eine spannende Person.

Der Konformist (I 1971) – toller Film über ein Leben unter der Herrschaft Mussolinis, der durch sein dummes Ende verdorben wird.

Fazil (USA 1928) –  Mit Ton hätte Howard Hawks vielmehr Anerkennung hierfür erhalten… verdientermaßen. Ohne ist es ein guter Stummfilm mit viel zu vielen Zwischentiteln. Übrigens ist „Hinter Haremsmauern“ der deutsche Titel.

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