K&K: Edizione Speciale II

The Great Consoler (UdSSR 1933)

Lew Kuleschows Vorliebe für amerikanische Sujets in seinen Spielfilmen setzt sich in The Great Consoler, seinen zweiten Tonfilm, fort. Im Amerika des Jahres 1899 schreibt der Häftling Bill Porter in seinen Geschichten Happy Ends für seine Mitgefangenen. Anstatt sich wegen der miserablen Haftbedingungen gegen die Gefängnisleitung schriftstellerisch aufzulehnen, mimt der feige Porter nur den großen Tröster.

Kuleschows Film kann zugleich als Plädoyer für die revolutionäre Funktion der Kunst und als Eingeständnis der eigenen Resignation gegenüber der stalinistischen Diktatur gesehen werden. Sind die an Stillleben erinnernden Bilder der ausgezerrten Gesichter der Häftlinge noch so effektiv, die Aufteilung der Handlung in drei Erzählstränge verhindert eine kohärente, d.h. in diesem Fall eine effektvolle Erzählung.

Zwar findet der Film im letzten Drittel, wenn es zum Aufstand der Häftlinge kommt, zu seinem eigentlichen Thema zurück. Der als Stummfilm gestaltete Mittelteil, der eine von Porters Geschichten darstellt, ist allerdings viel zu lang und nichtssagend geraten.

Die Konzentration auf die Physiognomie der inhaftierten Hauptfiguren, die oftmals erstarrt ins Leere blicken, lässt The Great Consoler zäh erscheinen. Kuleschows Vertrauen auf die Ausdrucksstärke dieser Bilder und sein damit einhergehender Verzicht auf die eigentliche Schilderung der Haftbedingungen, machen das Experiment des neuen Schauspielertyps, des naturshchiks, schlussendlich dennoch zum Erfolg.

Jeder Teil des menschlichen Körpers müsse dabei als Modul behandelt werden, das in Kombination mit anderen zu einer komplexen Pose wird. Diese von der Gefangenschaft erdrückten Posen sind letztendlich aussagekräftiger als jede Aufnahme madiger Mahlzeiten.

Auf eigene Faust (USA 1959)

Diesen CinemaScope-Film im Kino zu sehen, ist ein 3-D-Erlebnis der Extraklasse. Alle Vegetationsformen geht Budd Boetticher in Auf eigene Faust (Ride Lonesome) durch. Es gibt Schießereien zu Pferde zwischen Dünen, Ritte (zu Pferde) durch Wälder und endlose Dialogszenen (zu Pferde und ohne Schnitt) vor dem Hintergrund einer felsigen Steinwüste, deren plastische Wiedergabe noch immer beeindruckt. Dass der Film übliche Westernkonventionen umgeht, ist dabei fast nebensächlich.

Eine zufällig zusammengewürfelte Gruppe (u.a. Randolph Scott, James Coburn und Pernell Roberts) eskortiert einen Mörder zum Galgen. Jeder hat natürlich seine eigenen Motive dafür, welche nicht unbedingt dem Wohle der Begleiter dienen. Die entstehende Gruppendynamik dominiert auf Grund dessen die Narration. Der eigentliche Bösewicht (Lee Van Cleef) bleibt nur eine Randnotiz.

Mit seinen 70 Minuten Spielzeit leidet der Film nicht weiter unter den langen Dialogen. Die Psychospielchen der Reisegesellschaft sorgen meist für ungetrübte Unterhaltung, auch wenn die einzige Frauenfigur im Film fast lächerlich auf feminin getrimmt wirkt. Ist die Wahl des Schlussstriches der einfache Weg zum Abspann, so doch nur, weil der Plot nicht ergiebiger ist. Das stört nicht weiter, stellen doch Boettichers Ausnutzung des CinemaScope-Formates und die sehenswerten (männlichen) Darsteller jeden Westernfan zufrieden.

Lola Montès (F/D 1955)

Auch wenn Max Ophüls’ Lola Montès zuweilen Gefahr läuft, sich in melodramatischen Männergeschichten zu verlieren, ist das Werk doch einer der größten Filme aller Zeiten.

Die Art und Weise, wie Ophüls in dieser Ausstattungsorgie das CinemaScope- Format ausnutzt, raubt auch dem abgeklärtesten Zuschauer den Atem.

Peter Ustinov führt uns in der Manege seines Zirkus’ durch die Lebensgeschichte der Kurtisane Lola Montès, Geliebte u.a. des bayrischen Königs Ludwig I. (Anton Walbrook). In Flashbacks sehen wir ihren Aufstieg und Fall, während die gesundheitlich geschwächte Lola (Martine Carol) Kostüm für Kostüm wechselt, um in einem perversen Akt der Selbsterniedrigung ihr gescheitertes Leben für die neugierige Öffentlichkeit unter dem Zirkuszelt nachzustellen.

Ausgedehnte Kamerafahrten, die unserer Heldin beim abstrakten Balanceakt im Zirkuszelt, wie im wirklichen Leben folgen, der detailversessene Perfektionismus in Ausstattung und Inszenierung lassen den modernen Zuschauer nachvollziehen, warum später Stanley Kubrick Ophüls als künstlerischen Einfluss nennen sollte.

Daher lädt Lola Montès zum Vergleich mit dem 20 Jahre später entstandenen Barry Lyndon ein. Ustinov fungiert im Grunde als düstere Version des Erzählers aus Kubricks Film, welcher vom Aufstieg und Niedergang eines Mannes handelte, dessen Lebensweg durch Europa und dessen politische Verwicklungen führt.

Im Gegensatz zur eher an literarischen Gestaltungsformen orientierten Erzählung in Barry Lyndon, erlangt Lola Montès eine ungebrochene Modernität durch die Handlungsrahmung des Zirkus, der einen artifiziellen Überbau des Geschehens darstellt.

Wenn wir die Eskapaden einer Amy Winehouse mit einer makaberen Distanziertheit am heimischen Bildschirm verfolgen, scheint der Schritt zum für die gaffenden Massen präsentierten Untergang der Kurtisane nicht weit.

Nicht zufällig ist die Zirkusmanege von einem kühlen, blauen Licht erfüllt. Sie strahlt eine gespenstische Aura aus, als würde man aus der Unterwelt einen Blick ins vergangene Leben werfen. Diese Zirkusmanege ist der morbide Leinwandersatz, das Äquivalent zum Fernsehbildschirm heute.


Zum Weiterlesen:

 

Alle Beiträge zum Festival Il Cinema Ritrovato in Bologna.
Ein erhellender Text über Lola Montès von Rodney Hill.
David Bordwells und Kristin Thompsons Eindrücke vom Festival in Bologna und von den Filmen Lew Kuleschows.

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