Diary of the Dave #16 – This Film Is Not Yet Rated

Diary of the Dave #16 - This Film is not yet rated„I See No Evil“… schreit Tom Verlaine im Abspann von This Film Is Not Yet Rated aus vollem Halse. Wie recht er doch hat. Ein bisschen freiwillige Selbstkontrolle kann ja wirklich nicht schaden, wenn man bedenkt, was ein wirklich ganz ganz ganz böööööser und allmächtiger STAAT doch alles für ganz ganz ganz böse Dinge anrichten könnte! Da ist es doch viel besser, die kinematografische Kultur einer völlig objektiven Behörde mit „durchschnittlichen amerikanischen Eltern“ zu überlassen, die dafür sorgt, dass unsere Kinder keine „unerwünschten Filme“ zu sehen bekommen… auf gut deutsch/amerikanisch: ein demokratisch nicht legitimiertes Organ, das weitestgehend ohne kodifizierte Richtlinien arbeitet, auf Transparenz, formelle Rechtsstaatlichkeit und künstlerische Freiheit scheißt und auf eine so unglaublich kindische Art und Weise funktioniert, dass es doch paradox ist, dass es sich auf den Jugendschutz als seine Legitimationsgrundlage beruft!

Um es ganz klar zu stellen: der Staat hat meiner Meinung nichts in der Klassifizierung und Bewertung von Kunst zu suchen… es sei denn, es geht um strafrechtliche Angelegenheiten. Aber der größte Albtraum auf der Welt scheint mir doch zu sein, einer PRIVATEN (!) Organisation mehr Macht zu gestehen als einer offiziellen Behörde. Denn viele große Konzerne funktionieren doch nach dem Motto „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“. Viel Macht, keine Verantwortung bzw. Verantwortlichkeit! So auch die Motion Picture Association of America (MPAA).

This Film Is Not Yet Rated PosterIn This Film Is Not Yet Rated recherchiert der Filmemacher Kirby Dick über die Funktionsweise der Rating-Behörde der MPAA, die die verschiedenen Filme mit G, PG, PG-13, R und NC-17 (früher X) klassifiziert (die deutsche Entsprechung: 0, 6, 12, 16, 18). Klingt langweilig, ist es aber ganz und gar nicht. Thesenartig zusammengefasst kann man folgendes feststellen: die Darstellung von Frauen, die beim Sex Spaß haben, ist völlig inakzeptabel (bringt meistens NC-17), aber Gewalt gegen Frauen und auch sexuelle Gewalt – sprich: Vergewaltigung – sind völlig in Ordnung (höchstens R). Lächerlicher Puppensex geht gar nicht (NC-17), aber die Verherrlichung militärischer Gewalt, vor allem wenn es sich um Gewalt durch die heldenhaften US-Soldaten handelt, ist OK (manchmal nicht über PG-13). Cool, dass Matt Stone (der Co-Autor von „Team America“) meinte, dass die extralange Puppensexszene (die wohl lächerlichste Sexszene aller Zeiten, wenn man von ein paar Momenten aus South Park mal absieht!) extra hinzugefügt wurde, um die MPAA-Leute anzupissen. Wo waren wir stehengeblieben… ach ja: Filme von großen Studios (die die MPAA ja betreiben) bekommen meist ein leichteres Rating als Independent-Filme (Todd Solondz kann ein Lied davon singen). Denn: „art-films make people feel funny“! Weiterhin kommen Homosexuelle grundsätzlich sehr viel schlechter weg als Heteros: Apfelkuchen auf dem Küchentisch ficken geht klar (American Pie, R), aber wenn eine völlig bekleidete homosexuelle junge Dame sich selbst befriedigt, ist das für MPAA-Zens… ich meine „Raters“, inakzeptabel (deshalb NC-17). Übrigens mögen die Zenso… ich meine die MPAA-“Raters“ auch nicht den Anblick weiblicher Schambehaarung (NC-17).

Wie bin ich eigentlich zu diesem Film gekommen? Wenn man lange genug bei einem großen Video-Online-Portal zu South Park, Trey Parker und Matt Stone recherchiert, kommt man irgendwann mal auf die Interview-Ausschnitte mit Matt Stone, und schließlich auch zum Trailer und zu ganzen Filmausschnitten. Da ich ab und zu in einsamen Momenten gerne über Filme was lese, kann auch was über Filmzensur dabei sein… Jetzt ist das Wort raus: ZENSUR!!! Denn… geht es wirklich um Jugendschutz? Darum, den Eltern eine Orientierung zu geben? In den USA kann der Unterschied zwischen R und NC-17 einige Millionen Eintritte, ausgedehnte öffentliche Werbekampagnen etc. an Einbußen bedeuten. Oder Anfang der 1970er hieß es: Filme wie „Clockwork Orange“ und Italowestern in Pornokinos zu schauen. Und ehrlich gesagt: welcher Pornokinobesucher möchte schon Italowestern gucken. Und welcher Kubrick-Fan fand es angenehm, in ein „spezialisiertes Kino“ zu gehen…

Aber das war in den USA der Preis dafür, dass man Ende der 1960er Jahre nicht mehr einfach wie in den frühen 1950er angebliche Kommunisten auf eine schwarze Liste setzen konnte. Da brauchte man eben einen Jack Valenti, der den alten Hays Code ein bisschen aufpeppte… natürlich nur um die Jugend vor „undesirable films“ zu schützen (O-Ton der Gründungsnachrichten).

Nun… ich schweife ab… Was taugt dieser Film nun eigentlich? Von 5 möglichen Sternen würde ich ihm 3,5 geben. Natürlich weil wieder mal, wie in so zahlreichen Dokus, dieser VÖLLIG UNNÜTZE MIST gezeigt wird, der keinen interessiert: der Regisseur Kirby Dick engagiert eine Privatdetektivin, um über die Mitglieder der MPAA zu ermitteln. Was so spannend oder für das Argument des Films wirklich bedeutend ist an minutenlangen Zuschauen beim Aufschreiben von Autonummerschildern und ähnlichem, bleibt unklar. Auch die „Reenactments“ (ich hasse sie, ICH HASSE SIE) der Telefonate mit dem MPAA sind etwas grenzwertig.

Nichtsdestotrotz regt der Film zum Nachdenken über Selbstkontrolle, öffentliche Meinung, Bürokratie und Zensur in einer eigentlich demokratischen Gesellschaft an. Auf der IMDB meinten einige amerikanische Kommentatoren, dass der Film wohl außerhalb der USA kein Interesse wecken könnte, da es sich nur um einen Film über die bürokratische Klassifizierung von Kinofilmen in den USA handle. Und ich sage… Nein! In Deutschland gibt es schließlich auch so eine komische nichtstaatliche Behörde, die sich nicht „Zensurbehörde“ nennt, sondern besonders scharf darauf ist, den freiwilligen Aspekt der Kontrolle und Selbstkontrolle zu betonen. Und im Grunde genommen könnte man, glaube ich, durchaus ein deutsches Remake von This Movie Is Not Yet Rated machen. Die Parallelen würden sehr wahrscheinlich erschreckend sein.

Für alle, die denken, ich würde die Gemüter kleiner Kinder durch meinen Werterelativismus absichtlich verwirren wollen: Das will ich nicht! Ich stelle nur fest, dass ich nicht deswegen psychopathisch und pervers bin, weil ich zu früh die falschen Filme gesehen habe. Wenn ich also eines Tages Amok laufe, werden NICHT Gewaltfilme daran schuld sein! Das sei betont! Ich frage mich eigentlich überhaupt grundsätzlich, ob eine Alterseinteilung von Filmen sinnvoll sein kann. Die systematischen Fehleinschätzungen sind einfach zu groß, um von einer grundsätzlichen Nützlichkeit dieses Systems auszugehen. Kann ein System, in dem ein gewaltverherrlichender, rassistischer, volksverhetzender Film FSK-0 bekommt (Birth of a Nation) und humanistisch fundierte, antifaschistische Filme entweder für lange Jahre verboten werden (Rom offene Stadt) oder FSK-18 bekommen (The Train) wirklich grundsätzlich in Ordnung sein? Entziehen sich viele Filme nicht jeglicher Klassifizierung: mit 23 Jahren hat mir „Idi i smotri“ (Geh und sieh) eine schlaflose Nacht bereitet (zurecht!!!), trotzdem er schon ab 16 frei ist.

Sollten vielleicht nicht einfach die Eltern selbst die Filme schauen, die ihre Kinder sehen? Und das meine ich nicht nur deshalb, weil ich heute die „Hundemelken“-Folge von South Park geguckt habe! Sollte sich nicht jeder selbst fragen, welche Filme er seine eigenen Kinder sehen lassen sollte, statt sich auf eine Zen… ich meine Kontrollbehörde zu verlassen, die ohne jegliche kodifizierte Kriterien arbeitet. Vielleicht sind kodifizierte Kriterien ja einfach auch unmöglich? Könnte ja sein! Also ein ganz ganz großes F-Wort an die MPAA… und an die sonstigen Z… ich meine Kontrollbehörden dieser Welt. Es lebe die Kunstfreiheit und der Artikel 5 des Grundgesetzes.

Zwei Dinge über „American Psycho“, die ich noch loswerden wollte. Erstens: war total lustig, die Regisseurin Mary Harron im Interview zu sehen. Sie sieht aus, als könnte sie eine Sozialkundelehrerin in Mitteldeutschland sein: klein, zierlich und Sozialkundelehrerin-haft. Find ich nett… erinnert mich an… eine meiner Sozialkundelehrerinnen. Zweitens: im Film wird die legendäre Visitenkarte-Szene gezeigt. Die sehen alle aus wie Karl-Theodor von und für bei zu Guttenberg aus. Ich glaube, wenn der in seiner Freizeit Frauen sezieren würde… der würde Bundespräsident auf Lebzeiten werden (mit expliziter Unterstützung der „Blöd“).

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