Der seltsame Fall des Benjamin Button (USA 2008)

David Fincher braucht einen besseren Cutter. Oder irgendjemanden innerhalb der Produktionsmachinerie, der ihm Einhalt gebieten kann in seinen ausschweifenden, überlangen Filmexerzitien. Nachdem “Zodiac” im Director’s Cut auf 162 Minuten verlängert wurde, erscheint mit Der seltsame Fall des Benjamin Button nun sein längster (166 Minuten), ambitioniertester und leider auch undiszipliniertester Film. Keinesfalls soll an dieser Stelle der Fincher der Neunziger Jahre zurück beschworen werden als die Idealversion des Regisseurs. “Fight Club”, der im Lauf der Zeit anscheinend zum Lieblingsfilm aller noch nicht ganz in der Quarterlife Crisis steckenden männlichen Cineasten geworden ist, erscheint im nachhinein als der treffende Höhepunkt und Abschluss der noch von seinen Videoclip-Tagen geprägten Neunziger Jahre. Der moderne, bürgerliche Großstadtmensch (lies: -mann) in der Krise; dieses Thema hatte er mit “Sieben”, “The Game” und eben “Fight Club” ausgereizt, weshalb man “Panic Room” als noch unbefriedigenden Wendepunkt in seiner Karriere ansehen kann.

Ohne allzu abwegige stilistische Spielereien drehte Fincher da einen recht simplen Thriller, welcher den Wandel, dessen bisherige Quintessenz “Zodiac” darstellt, bereits andeutet, aber nicht voll entfaltet. Manche nennen das den Schritt zum Mainstream, andere sprechen von dem Regisseur, der (endlich) erwachsen geworden ist und wieder andere freuen sich einfach, dass Fincher sein düsteres Erfolgsrezept alter Zeiten nicht bis zum Erbrechen wiederholt. Da ich zu letzteren gehöre, erschien mir die Wahl einer epischen amerikanischen Literaturverfilmung als logischer Schritt, nachdem “Zodiac” sich als realistische Variation des Serienkillergenres erwiesen hatte, welches Fincher zwölf Jahre zuvor so entscheidend prägen konnte. Man mag es auch so ausdrücken: Filme wie “Sieben” oder “Fight Club” wird er nicht mehr drehen und das ist auch gut so. “Benjamin Button” bot sich nun als Chance an, sich als “großer Regisseur” zu profilieren, der ebenso große (amerikanische) Themen auf die Leinwand zaubern und noch dazu mit F. Scott Fitzgerald einem als unverfilmbar geltenden Autor gerecht werden kann.

Bewertet man Finchers neuen Film nach diesen Maßstäben, so muss man das Endergebnis als gescheitert betrachten. “Der seltsame Fall des Benjamin Button” scheitert nicht allein am Willen zur Größe, sondern v.a. an David Finchers fehlender Selbstbeherrschung. Dabei standen ihm gerade dank der weitgehend überzeugenden Spezialeffekte zumindest die formalen Werkzeuge zur Verfügung, um die Geschichte eines rückwärts alternden Mannes glaubhaft zu erzählen. Seltsam ist es daher, dass der gewagteste Teil des Films, in dem Benjamin (Brad Pitt) als alter Herr in Kindergröße in einem Altenheim im New Orleans der 20er und 30er Jahre das Laufen lernt, der überzeugendere ist. Sobald Benjamin das Heim seiner Adoptivmutter Queenie (Taraji P. Henson) verlässt und in die weite Welt hinaus fährt, wirkt der Film von Minute zu Minute zerfahrener.

Erscheinen die eingeworfenen Anekdoten um all die Figuren, die Benjamins Leben streifen, zunächst noch als sinnig und belustigend – der siebenmal vom Blitz getroffene Mann sei an dieser Stelle erwähnt – fragte ich mich spätestens während der Russland- Episode, ob das Maß an Epik für die essenziellen Aussagen des Films überhaupt gerechtfertigt ist. Als Tilda Swinton- Fan fällt mir diese Feststellung umso schwerer. Die Abkanzelung ihres durchaus sehenswerten Auftrittes zu einer weiteren, nicht sonderlich gehaltvollen Episode des Films, manifestiert die Verschwendungssucht der Macher in dieser Phase des Werkes.

Beginnt das Drama des Benjamin Button seine ersten Spuren und Brad Pitt seinen eigenen Körper zu zeigen, verliert die Geschichte leider die nötige Kohärenz und Fokussierung. Denn Benjamins freundschaftliche Beziehung zu Daisy (Cate Blanchett) vollzieht den Wandel zur Liebe, zunächst auf Daisys, dann auch auf seiner Seite. Das tragische ist, dass Daisys Leben einem “konventionellen” Alterungsprozess unterliegt. So verpassen sich die beiden immer wieder in den diametral entgegengesetzten Abschnitten ihres Lebens. Sie leben ihre wilde Jugend aus, doch nie zur selben Zeit. Als der noch reife Benjamin die sich in ihren Zwanzigern befindliche Ballerina seines Herzens in New York besucht, erscheint einer der seltenen Momente des Films auf der Leinwand, in denen das tragische Potential der Beziehung, aber auch das der emotionalen Involvierung tatsächlich ausgenutzt wird. Selbst die Magie der eigenartigen Abschweifungen erstreckt sich kaum auf die große Liebesgeschichte der beiden. Versucht Fincher der reichlich ernst angelegten Beziehung mal den märchenhaft anmutenden Geist der Umgebung zu injizieren, wirkt das Ergebnis, wie bei Daisys Tanz im Mondlicht, bemüht, ja geradezu unpassend.

Doch womöglich muss man die Fehler auch in der Drehbuchvorlage von Eric Roth suchen. Der  hatte schon “Forrest Gump” für die Kinos dieser Welt aufbereitet und scheint den Unterschied zwischen Zemeckis’ und Finchers Herangehensweise nicht ganz verstanden zu haben. Während der Film des ersteren auf Grund der ziemlich flachen Hauptfigur nur durch die eingestreuten popkulturellen Referenzen und Episoden unterhält, birgt der seltsame Fall des Benjamin Button tatsächlich die Möglichkeit zur Meditation uralter Themen wie Vergänglichkeit, der Natur der Liebe oder der schlichten Feststellung, dass man das Leben auskosten soll, solange man es noch hat, schließlich kann einen jeden Tag ein Blitz treffen. Doch die Figur des Benjamin B. kann Forrest G. in Sachen Dreidimensionalität kaum überbieten. So steht Cate Blanchetts mangelbehafteter, menschlicher Daisy mit Brad Pitts Benjamin eine langweilige, eigenschaftslose, etwas schlauere Version von Forrest Gump gegenüber. Für ein tragisches, leicht surreal angehauchtes Epos, das mehr als nur seltsamer Fall, mehr als nur Märchen sein will, reicht dieser Benjamin nicht aus.

Ein Epos wollte Fincher drehen, das verdeutlicht gerade die apokalyptisch anmutende Rahmung vor dem Hintergrund des drohenden Katrina- Desasters in New Orleans. Ist der Kontrast zwischen der tristen, in Blautönen gehaltenen Gegenwart und der warmen, wundersamen Welt der Erinnerung auch noch so angebracht, prägnant auf den Punkt bringt Fincher die beiden Erzählungen nicht. Am Ende seines Lebens erscheint “Benjamin Button” eben nur wie eine z.T. wahllose Ansammlung  etlicher seltsamer Fälle.


Zum Weiterlesen:
Andere Meinungen über Benjamin Button bei Kino, TV und Co und ?????????????????.
Ein Trailer.

Die BAFTAs und andere Preise, die den Normalbürger nicht interessieren

Alle Welt berichtet über die Grammys, nur ein kleiner, unregelmäßig aktualisierter Filmblog wehrt sich dagegen… Nun gut, andere Filmblogs ignorieren den wichtigsten Musikpreis wo gibt auch, sonst wären sie ja keine Filmblogs, aber egal. Was tut man nicht alles für eine fadenscheinige Dramatisierung. Der eigentliche Grund, warum hier nicht über goldene Grammophone geschrieben wird, ist ja, dass Coldplay doof ist. Das meine ich als Parachutes– Jüngerin und Parachutes- Jünger haben immer Recht. Punkt.

Zurück zum Thema: Die BAFTAs, die Oscars der britischen Filmindustrie, wurden verliehen und ganz überraschend hat ein britischer Film den Hauptpreis gewonnen. Slumdog Millionär von Danny Boyle hat sieben Preise, darunter den für den Besten Film und den Besten Regisseur, abgeräumt. Comeback Kid Mickey Rourke (“The Wrestler”) wurde als Bester Hauptdarsteller ausgezeichnet und Heath Ledger als Nebendarsteller. Kate Winslet ging ebenfalls mit einem Preis als Beste Hauptdarstellerin (“Der Vorleser”) nach Hause. Die kompletten Ergebnisse findet man hier.

Viel interessanter als die BAFTA-Gewinner in Hinsicht auf die Oscarverleihung am 22. Februar sind jedoch die Preise der Verbände der Drehbuchautoren, Produzenten und Regisseure in Hollywood. Die können nämlich nicht nur streiken, sondern auch den Oscar Buzz kräftig anheizen, schließlich werden die Academy Awards von den jeweiligen Berufsgruppen gewählt.

Bisher hat Slumdog Millionär schließlich nicht nur den Golden Globe und BAFTA als Bester Film gewonnen, sondern auch folgende Hauptpreise der Gilden:

2009 Directors Guild of America

Won: Best Director – Danny Boyle
2009 Producers Guild of America Awards
Won: Best Theatrical Picture
2009 Screen Actors Guild Awards
Won: Best Cast
2009 Writers Guild of America Awards
Won: Best Adapted Screenplay – Simon Beaufoy
[Quelle: Wiki]

Laut Cinematical haben es bisher nur sieben Filme geschafft, all diese Hauptpreise zu gewinnen und nur einer von ihnen gewann in der Folge NICHT den Best Picture- Oscar. Der Film hieß Brokeback Mountain.

Zur Erinnerung: die Oscarnominierungen.

R.I.P. Variety Asia Online

Viele professionelle Ressourcen für Informationen über aktuelle Entwicklungen im asiatischen Filmmarkt gibt es im Internet nicht. Nun wird die beste, das asiatische Angebot der Variety, auf unbestimmte Zeit stillgelegt. Nicht ganz überraschend werden die Folgen der globalen Finanzkrise als Begründung dafür genannt, dass  die verantwortlichen Redakteure vor Ort entlassen wurden und die VarietyAsiaOnline nicht mehr aktualisiert werden wird.

Seit ein paar Jahren berichtete VAO über aktuelle Entwicklungen in den Filmmärkten Japans, Chinas, Indiens ua. Ob nun News über neue Projekte oder die Situation von Produktionsfirmen, Hong Kong Film Awards oder Festivalnews aus ganz Asien, bei VAO war darüber zu lesen. Waren die Nachrichten zu trocken, wandte man sich Grady Hendrix’ Blog auf der Seite – Kaiju Shakedown – zu, einem der besten, wenn auch unspektakulärsten, Filmblogs im Web. Auf gewohnt witzige Weise schrieb Hendrix über Barak Obama- Actionfiguren, die Geschichte der Pink Eiga- Filme, zukünftige DVD- Veröffentlichungen, die Zensur in der chinesischen Filmindustrie und das ein oder andere seltsame asiatische Fundstück.

Das traurige an der ganzen Sache ist nicht mal, dass es keine wirkliche Alternative für das Angebot gibt. Die asiatischen Märkte können heute von Hollywood einfach nicht ignoriert werden. Die Remakeflut, aber auch transnational anmutende Produktionen wie “The Last Airbender” von M. Night Shyamalan, “Ninja Assassin” von James McTeigue, “Die Mumie 3”, “Dragonball Evolution”, “Kung Fu Panda”, usw. sind ein sicheres Zeichen für den steigenden Wert auch des asiatischen Publikums in den Augen der Hollywood- Produzenten. Im Gegensatz zu den unzähligen Blogs und Seiten wie Twitch darf man aber davon ausgehen, dass die Nachrichten der Variety tatsächlich auch in den oberen Chefetagen ankommen.

Nun schließt eine der verlässlichsten Ressourcen für die wachsenden Filmmärkte in Asien und was bleibt? Das unbefriedigende Angebot des Hollywood Reporter und “Fanseiten” wie Kung Fu Cult Cinema oder das Asienfilmweb, deren Wert hier nicht geschmälert werden soll, die jedoch die trade paper– Qualität von VarietyAsiaOnline kaum ersetzen können und wollen.

Die Abschiedsworte von Grady Hendrix:

Thanks for reading! In case anyone missed it, Kaiju Shakedown is no more. The folks I worked for at Variety Asia who made this possible have been laid off and so we ride into the sunset, ready to hoard canned goods and gasoline in anticipation of the coming apocalypse. Don’t feel sorry for us – we’re going to get a head start on fortifying our homes and buying guns. I just feel sorry for people who still have “jobs.”

Super Bowl Spots: Star Trek, Oben, Transformers 2, G.I. Joe

Heute Nacht spielen die Pittsburgh Steelers gegen die Arizona Cardinals um den 43. Super Bowl. Da Football sowieso niemand versteht, der runde Bälle seltsamen braunen Eiern vorzieht, geht es hier aber nicht um das wohl wichtigste Sportevent in Amerika. Nein, der Super Bowl ist auch eine gigantische Werbeveranstaltung. Die rund 100 Millionen Zuschauer sind wohl Grund genug, für 30 Sekunden Werbung 2 bis 3 Millionen Dollar auszugeben. Bei Trailer Addict sind nun mehrere kurze Spots für die Kino- Highlights des Jahres 2009 aufgetaucht, die da u.a. wären:

Star Trek (Spot) – Die Neuauflage der Kultserie unter Regie von J.J. Abrams.

Deutscher Kinostart: 08. Mai 2009

Oben (Spot 1 und 2) – Der neue Pixar-Film.

Deutscher Kinostart: 24. September 2009

Transformers 2 – Die Rache (Spot) – Fortsetzung des Hits von Michael Bay mit Shia LaBeouf und Megan Fox.

Deutscher Kinostart: 25. Juni 2009

G.I. Joe – Geheimakte Cobra (Spot) – Eine Actionfigur im Kino. Stephen Sommers (“Die Mumie”) steht hinter der Kamera, Dennis Quaid und Sienna Miller davor.

Deutscher Kinostart: 20. August 2009

W.-Ein missverstandenes Leben (USA/GB/AUS/HK/D 2008)

Oliver Stone scheint nach Kritik geradezu zu lechzen. Zumindest darin ähnelt er dem Objekt seiner aktuellen Auseinandersetzung mit amerikanischer –  man traut es sich wenige Tage nach der Inauguration von Barak Obama kaum zu sagen – Historie. Nun gut, zu peinlichen Versprechern vor der Weltöffentlichkeit neigt er nicht und auch  zu einem Krieg unter Vorlage fadenscheiniger Beweise für Massenvernichtungswaffen hat Stone sich bis jetzt nicht hinreißen lassen. Aber ein pathetischer Kriegsfilm inklusive aufgeblasenem Off- Kommentar. Eine verschwurbelte Drogenhalluzination, die sich als Biopic maskiert. Eine ambivalente Hassliebe zu großen Männern der Geschichte, deren Symptome mal die Gestalt von Verschwörungstheorien, mal die von ausgeprägter ödipaler Langeweile annimmt. Das klingt schon eher nach dem Skandalregisseur, der – das soll hier nicht verschwiegen werden – zugegeben auch ein paar gute Filme gedreht hat. “Nixon” gehört dazu, aber auch “Wall Street”.  Das ist aber schon eine Weile her. Und seitdem… reden wir lieber nicht drüber.

Man sollte meinen, das Thema George Walker Bush, ein Film über eine der umstrittensten Persönlichkeiten, seitdem das Oval Office oval ist, würde Stones filmemacherische Kreativität zu neuen artistischen Höhen führen. Immerhin prägen genügend Ereignisse die Amtszeit von W., die für sich stehend schon die neunzig Minuten eines Spielfilms verdient und sie z.T. bereits bekommen haben. Ob es sich nun um fragwürdige Wahlverfahren in Florida oder die desaströsen, aber ignorierten Zerstörungen eines Hurricanes handelt. Und da waren ja noch diese zwei Kriege.

Die sind Stone jedenfalls nicht entgangen. So gestaltet sich W. – Ein missverstandenes Leben passenderweise als eine erzählerische Spirale, die immer engere Kreise um ihr eigentliches Thema zieht – Bushs Entscheidung zum Krieg gegen den Irak – um am Ende ihr Zentrum zu treffen. Ausgehend von Bushs leichtlebigen College- Zeiten, zielt das Biopic darauf ab, das Leben des 43. Präsidenten der USA unter den Stern der Ziellosigkeit zu stellen. Von Alkoholeskapade zu Alkoholeskapade mäandert der Bush Jr. durch die von seinem Vater reichlich subventionierte verlängerte Jugend. Einen Heiratsantrag macht er seiner damaligen Freundin aus Geigel, um wenig später auf Drängen seines Vaters davon abzuweichen. Harter Arbeit bringt er ebenfalls nur Halbherzigkeit entgegen. Und kündigt fluchs. Die diversen Firmen, die der Filius im Lauf der Zeit in den Sand gesetzt hat, haben ja fast schon Legendenstatus und werden von Stone hinreichend erwähnt.

Würde man sich den Film als schwereloses schwarzes Nichts vorstellen, würde George W. Bush (Josh Brolin) darin wohl recht unbekümmert vor sich hinschweben. Sich hier und da mal um die eigene Achse drehend, ohne irgendeine Veränderung seiner Situation herbeizuführen. Doch George Walker hatte Glück in seinem Leben. Als Abkömmling einer reichen Familie mit allerhand Verbindungen – dem ultimativen sozialen Netzwerk – sind es die restlichen Personen, welche sein Leben erst in gewisse Bahnen lenken. Vorrangig dabei bleibt Vater Bush (James Cromwell), der von seinem anderen Sohn Jeb in Sachen Karriere zwar immer mehr gehalten hat, der aber den Junior gerade auch der eigenen Publicity wegen nicht im Alkoholabsturz belassen will. Das problembehaftete Verhältnis zum Vater ist es treffenderweise auch, das W. zu wichtigen Entscheidungen bringt. Wirklich Fuß fast er in der Politik nämlich erst nach dem Scheitern des alten Herrn. Der gewann schließlich den Krieg gegen Saddam, um anschließend nach nur einer Amtszeit von Bill Clinton vom Thron gestoßen zu werden. W. – nun ein wiedergeborener Christ – wird Gouverneur von Texas und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Das zentrale Motiv für die Invasion des Irak erwächst aus diesem Verhaltensmuster. Was der Vater aus guten Gründen vermieden hat, gelingt dem Sohn: Saddam Hussein wird ausgeschaltet. Junior hat den Wettbewerb mit Daddy gewonnen.

Doch wie ergeht es dem Zuschauer? Vordergründig erweckt Stones Film den Eindruck von Ordnung. Zwar springt er äußerst ungleichmäßig von der Bushwerdung zum Bushpräsidenten und wieder zurück. Irgendwie läuft ja auch alles auf das Zentrum der Spirale hinaus. Das ganze soll schließlich zum Wohle der Charakterisierung geschehen. Die schwerelose Ziellosigkeit der Hauptfigur überträgt sich jedoch auf den ganzen Film. Es bleiben zuweilen wahllos herausgegriffene Situationen, die ein chaotisches Gesamtwerk zu ergeben versuchen, dabei aber gnadenlos scheitern. W.’s Drunksucht entgeht der Schilderung nicht, seine Entscheidung für die trockene Wiedergeburt aber schon. In welchem Abschnitt des Schnittprozesses wurde seine Reaktion auf den 11. September aussortiert? Und wie kommt es eigentlich zum Einzug des neokonservativen Kaders seines Vaters in sein Kabinett?

Dick Cheney (absolut überzeugend: Richard Dreyfuss) erklärt dem Präsidenten die Beziehung zum Irak an Hand eines Sandwich- Gleichnisses. Bush ist also wiedereinmal abhängig vom Wirken anderer. Ist es die vergnügte Ignoranz, die die Geschehnisse im Leben W.’s verantwortet, so kann man nur konstatieren, dass für diese Erkenntnis keine 129 Minuten Laufzeit notwendig sind. Es genügt der Blick in die Augen des Originals, ob bei Pressekonferenzen oder Interviews. Es genügt die eigentlich schon arrogante Leere, die Unbekümmertheit dümmlicher Macht.

Diese Augen schreien nach einer Satire. Stones zuweilen platte Symbolik deutet solche Untertöne auch an. Nach zwei Stunden siegt allerdings die chaotische Inhaltslosigkeit der Erzählung. Es ist keine konsequent ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Phänomen Bush, die Oliver Stone hier zustande gebracht hat. Es ist keine komödiantische. Schuld ist womöglich die Zeit. W. kommt sowohl zu spät als auch zu früh. Eine Satire hätte die Welt vor drei oder vier Jahren nötig gehabt. Für ein Drama im Geiste von “Nixon” mangelt es an Abstand, an der Fähigkeit, das Wirken dieses Präsidenten historisch einzuordnen. So bleibt Oliver Stones neueste Abrechnung mit der amerikanischen Politik genauso gehalt- und erkenntnislos wie ihre Hauptfigur.