Vengeance (HK/F 2009)

Im Gegensatz zu vielen Kollegen hat Johnnie To dem sicherlich vorhandenen Ruf Hollywoods weitgehend widerstanden. Seine Filme seien untrennbar mit Hongkong verbunden, hat er in Interviews geäußert. Wohl deshalb wurde der Handlungsort des nun auf Eis liegenden Remakes des Melville-Klassikers “Le Cercle Rouge” in seine Heimatstadt verlegt. Mehrere Jahre lang wurden Liam Neeson und Orlando Bloom mit diesem Projekt in Verbindung gebracht, doch 2009 verkündete To in Cannes, dass wohl nichts aus diesem Traum werden würde. Den vermeintlichen Ersatz desselben stellte er damals vor, eine chinesisch-französische Koproduktion mit dem Namen Vengeance. Man kann To sicher nicht vorhalten, dass er immer nur den selben Film dreht. Vielmehr jongliert er eine Reihe von Serien mit jeweils unterschiedlichen thematischen und strukturellen Eigenheiten. Da sind diverse Filme mit psychisch/physisch kranken Helden, den “Fulltime Killers” und “Mad Detectives” seiner Filmografie. Dem gegenüber steht u.a. die Hitmen-Trilogie, welche 1999 mit “The Mission” in Gang gesetzt, 2006 in Gestalt von “Exiled” wiederbelebt wurde. Im Gepäck eine begrenzte Zahl visueller und narrativer Topoi, nähert sich To diesen Filmen wie einem spaßigen Genrespielplatz an. Ob ironische Entblößung der Heroic Bloodshed-Klischees durch die Inszenierung des absoluten Gegenteils derselben in “The Mission” oder Adaption und Perfektion dieser im Nachfolger, die Filme zeigen To von seiner selbstreflexivsten Seite. Nur so wird aus einem Actionfilm aus HK ein Italo-Western in asiatischem Gewand. Oder eine blutige Hommage an Jean-Pierre Melville. Als solche kann man “Vengeance” zweifellos bezeichnen. Kein Wunder, dass ursprünglich Alain Delon für die Hauptrolle vorgehesen war. Die trägt den Namen Francis Costello und scheint entfernt mit dem eiskalten Engel Jef Costello verwandt zu sein. Wie dieser trägt der Franzose Francis (Johnny Hallyday) einen Trenchcoat und ist alles andere als ein geborener Alleinunterhalter.

Costello reist nach Hongkong, um Rache zu nehmen an den Mördern der Familie seiner Tochter. Ein einfaches “venge-moi” der schwer verletzten Überlebenden (Sylvie Testud) genügt. Durch einen Zufall erlangt er die Hilfe von drei Triadenkillern (Anthony Wong, Lam Ka-Tung und Lam Suet), die ihm fortan bedingungslos zur Seite stehen. Wie in den beiden anderen Hitmen-Filmen auch wird eine Gruppe neu zusammengesetzt, um dann Bewährungsproben im Kugelhagel zu bestehen. Wieder findet man einen durchgedrehten Simon Yam auf der Gegenseite. Doch während die Vorgänger dank ihres spontanen Produktionsprozesses (kein Drehbuch, unter 20 Tagen Drehzeit) mit absoluter Reduktion auf das Wesentliche punkteten, ist der Plot von “Vengeance” geradezu aufgeplustert. Zumindest für einen film von To. Das Drehbuch von Milkyway-Mitbegründer Wai Ka-Fai synthetisiert aus Hitman-Filmen und kranker Heldenfigur eine unausgeglichene Genre-Dekonstruktion. Costello verliert nämlich nach und nach sein Gedächtnis. Eine alte Kugel im Kopf trägt die Schuld daran, dass er schon bald nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden kann, geschweige denn weiß, warum er in Hongkong ist. Während einer Schießerei ist das alles andere als beruhigend und davon bietet To genügend, um über einige Durststrecken hinweg zu trösten.

“Vengeance” ist schließlich keineswegs ein runder Film. Waren “Exiled” und zuletzt “Sparrow” visuelle und musikalische Leckerbissen, deren Leichtigkeit einen Meister auf dem Höhepunkt seiner Kunst zeigte, ist “Vengeance” unrhythmisch. Vielleicht ist der Grund für diesen Makel darin zu finden, dass die Gruppe hier niemelas wirklich fehlerfrei funktioniert, dass Hallyday immer ein Fremdkörper bleibt, was weniger an ihm selbst liegt, als an der Schwäche, die ihm das Drehbuch aufbürdet. Die ein oder andere massiv deplatzierte Szene, welche deutlich Wai Ka-Fais Handschrift trägt, entschuldigt das nicht. Dazwischen: Ungewöhnlich viel stille, viel tote Zeit wie einst bei Melville, die von (zu) kurzen Musikausbrüchen unterbrochen wird, wenn die Waffen im Einsatz sind. Da werden dann die filmischen Mittel des Genres auf eine Weise in Erinnerung gerufen, die jedem Genuss im Weg steht.  Die Selbstreflexivität, welche (hoffentlich) dahinter steht,  distanziert, nimmt den Spaß, verbannt auf den Posten reiner Bewunderung aus der Ferne.

Eine an einen Endzeitfilm erinnernde Schießerei zwischen Müllwürfeln wird Gesprächsstoff liefern, doch wirklich groß ist nur eine Sequenz im Wald. Unter dem flimmernden Licht des Mondes jagen da zwei Gruppen von Killern einander, während Laub auf sie nieder sinkt, gefolgt von sporadischer Dunkelheit, will es eine Wolke so. Hier findet To zu seiner Perfektion. Die Gewalt verblasst, die Schießerei wird zum Tanz, hin- und hergerissen von Stillstand und Bewegung, Licht und Schatten, Realität und Traum. Diese Minuten sind nicht nur unglaublich schön, sie konzentrieren auch die Essenz eines Films in sich, der von zahlreichen Spiegelungen gezeichnet ist. Wieder stehen Hitmen mit einer Mission im Mittelpunkt, doch ein Drehbuch-Coup schenkt ihnen,wie schon in “The Mission” Doppelgänger auf der Gegenseite. Ihr eigener Boss (Yam) hatte nämlich den Auftrag zur Ermordung der Familie erteilt, nur eben – der Zufall will es so – an drei andere Kollegen. So problemlos sich “Vengeance” als Weiterentwicklung zu den beiden anderen Hitmen-Filmen gesellt, so enttäuschend ist am Ende das Resultat. Die Pinselstriche von Johnnie To und Wai Ka-Fai stehen hier einander im Weg, passen ganz einfach nicht zusammen. So ist “Vengeance” ein qualitatives Auf und Ab, dessen Einzelteile überzeugender sind, als der Gesamteindruck.

Frame(s): Cameron Frye’s Day Off

Ferris macht blau ist wahrscheinlich John Hughes bester Film. Im Vergleich zum gefährlichsten Konkurrenten um diesen Titel  – “The Breakfast Club” – verhandelt “Ferris” ähnliche Themen im subtileren Mantel der Highschool-Komödie. Reiht der Coming of Age-Experte im “Club” unterschiedliche Schülertypen auf, nur um zu zeigen, dass sie tief drinnen alle nur unsichere Teenies sind, gestaltet er “Ferris” weitaus cleverer.

Schon der Titel verweist auf die augenscheinlich belanglose Leichtigkeit des Geschehens. Ferris (Matthew Broderick), die Hauptfigur, ist ein Traum ((Es ist sicher kein Zufall, dass Ferris mit Sloane ausgerechnet vor einem Chagall sitzt (den “America Windows”), während Camerons intensive Betrachtung einem Bild des Pointillisten George Seurat gilt. Die komplette Liste der zu sehenden Kunstwerke findet man hier. Die Sequenz gibt’s in voller Länge bei YouTube zu sehen.)). Respektlos, intelligent, lustig, von den Mitschülern verehrt – nicht gerade der typische Protagonist eines Films über das Erwachsenwerden. Deswegen macht nicht er die Entwicklung durch, sondern sein Freund Cameron (Alan Ruck). Jeder wäre in seiner Jugend gern ein Ferris gewesen, doch die meisten ähnelten eher letzterem. Schritt für Schritt verlagert Hughes im Verlauf des Films den Fokus auf Cameron und insbesondere dessen Konflikt mit seinem dominanten Vater. Die Sequenz im Art Institute of Chicago kann man nun als Wendepunkt bezeichnen, der den Höhepunkt in der Garage von Camerons Vater gegen Ende des Films vorbereitet.




















Trailer: The Social Network

Der überambitionierte “Benjamin Button” war eine große Enttäuschung, doch David Fincher lässt sich davon nicht einschüchtern. Auf einer ähnlichen Ebene, was die Ambitionen betrifft, wagt er sich nun an die Geschichte des sozialen Netzwerkes Facebook. Mehr noch als der leicht durchwachsene erste Trailer, sprechen jedoch Cast und Crew für den Film. Jesse Eisenberg gibt den Mitbegründer Mark Zuckerberg, der neue Spiderman Andrew Garfield (“Red Riding”) seinen Konkurrenten. Justin Timberlake und Joseph Mazzello sind ebenfalls dabei. The Social Network startet in Deutschland am 7. Oktober. Die Zielgruppe besteht grob geschätzt aus 400 Millionen UsernMenschen. Interessant wird sicherlich, die Frage, ob und wie Finchers Ästhetik durch sein Thema beeinflusst wird.

Bis dahin kann man sich schon mal den Trailer ansehen oder das hervorragende Teaser Poster.

Seven Men From Now – Der Siebente ist dran (USA 1956)

Nachdem Fluss ohne Wiederkehr Otto Preminger bei einem Abstecher in ein ihm fremdes Genre zeigte, ist Seven Men from Now eine Arbeitsprobe eines v.a. mit Western identifizierten Regisseurs. Budd Boetticher hatte zuvor schon Western gedreht, doch “Seven Men” bildete den Auftakt des “Ranown-Zyklus”, einer Serie von Filmen mit Randolph Scott, die seinen Ruhm zementieren sollte. Mehr über Boetticher kann man u.a. bei Heise.de nachlesen.

“Dies ist in der Tat der intelligenteste Western, den ich kenne”, schrieb André Bazin 1957, “aber auch der am wenigsten intellektuelle, der raffinierteste und der am wenigsten ästhetisierte, der einfachste und der schönste.”[1. Bazin, André: Ein exemplarischer Western. Seven Men From Now, In: ders.: Was ist Film? Berlin: Alexander Verlag, 2009², S. 283] Lauter scheinbare Widersprüche versammelt Bazin in seinem Urteil über Budd Boettichers “Seven Men From Now”. Das Drehbuch weist er als in seiner Struktur simpel aus. Ein Mann muss sieben Männer töten. Ein Achter kommt womöglich hinzu. In den Folgejahren drehte Boetticher diesen “einfachen” Film immer wieder. Man kann ihn “Ride Lonesome” nennen, “The Tall T” oder eben “Seven Men From Now”. Was die politique des auteurs den ‘großen’ Regisseuren als Methode zugeschrieben hat – Wiederholung und Variation –  treibt Boetticher mehr noch als Ford oder Melville auf die Spitze. Wundersam spricht deshalb für sein Werk, dass man es erst in seiner Gänze wirklich zu schätzen lernt.

Der Ranown-Zyklus, jene B-Western, welche von Hauptdarsteller Randolph Scott und Harry Joe Brown produziert wurden, gestaltet sich deshalb als Sammlung einander gleichender Ausschnitte aus einer entfernten Sagenwelt, die von wenigen Wesen/Figurentypen beheimatet wird. Scott ist Siegfried, Beowulf und andere in einer Person. Sein Gentleman-Cowboy kommt aus dem Nichts, besteht ein Abenteuer, verschwindet wieder. Dieses Motiv ist elementarer Bestandteil des frontier-Mythos und wurde von keinem treffsicherer verkörpert als von John Wayne. Boettichers Filme jedoch gehen jeder Historizität aus dem Weg. Während andere Genre-Kollegen die Eroberung des amerikanischen Westens mythologisieren, bewegen sich Boettichers Sagenwesen durch eine vorzeitliche, eine archaische Welt. Nicht weniger mythisch ist diese. Doch während der Western Dichotomien von Wildnis und Zivilisation, Westen und Osten, Mann und Frau verhandelt, erwecken Boettichers Filme zu keinem Zeitpunkt auch nur den Anschein, sie würden irgendeinen gesellschaftlichen Diskurs – und wenn es nur jener um den Gründungsmythos der USA ist – aufgreifen. “Seven Men From Now” handelt ebenso wenig wie “The Tall T” von Amerika. Allenfalls dreht sich der Film um einen Mann, dessen Frau bei einem Überfall ermordet wurde, einen Mann, der nun die Rache sucht.

Den Weg der Rache gestaltet Boetticher in verschiedenen Urszenen. Ein nächtliches Gewitter. Bei strömenden Regen gesellt sich ein Fremder zu zwei schutzsuchenden Männern in eine Höhle. Es werden die ersten beiden Häkchen auf der Todesliste sein. Selbiger blickt wenig später auf ein Tal hinab. Ein Siedlerehepaar versucht, einen Planwagen aus dem Schlamm zu befreien. Es ist eine jener Zufallsbegegnungen, die im Ranown-Zyklus immer wieder auftauchen, genau wie das gemeinsame Kaffeetrinken mit dem Schurken oder der vereinsamte Außenposten in der Wildnis. Scotts Gentleman bandelt natürlich mit der verheirateten Dame an. Einer Sirene gleich umgarnt ihr Gesang Held und Ehemann, während sie ein Bad nimmt. Das ist so eine Szene, die man dem harten Hemingway-Verehrer nicht zutrauen würde, doch Boettichers Filmen ist eine wilde Romantik immanent, welche den Frauen – entgegen seiner eigenen Ausführungen – alles andere als nur die Rolle des Beiwerks zukommen lässt.

Man könnte ebenso gut über Randolph Scotts würdevolle Darstellung reden oder Lee Marvins exzentrisch unterhaltsamen bad guy, doch begnügen wir uns mit Boettichers eigentlicher Heldin: der Landschaft. Wie Ford vom Monument Valley war der frühere Matador besessen vom kargen amerikanischen Westen. Lone Pine in Kalifornien, eine Gegend, welche er mehrfach auf Film gebannt hat, ist mit seinen unwirklichen Gesteinsformationen, der Steppe, den Sanddünen mehr Wüste als Garten Eden; ein menschenfeindliches Fleckchen Erde, in dem man ohne weiteres auch Urzeitfilme mit leicht bekleideten Starletts hätte drehen können. Statt Riesenskorpionen beherbergen die an Geister gemahnenden Indianer diese Wildnis. Sie sind eine, wie die sie umgebenden Berge, sprachlose Präsenz, welche die guten und bösen Cowboys daran erinnert, wessen Heimstatt dieser Teil der Neuen Welt noch immer ist.

Der B-Natur entsprechend effizient inszeniert, ein bisschen als würde Hitchcock einen Western drehen, ist in “Seven Men From Now” keine Minute überflüssig. Die zur Abstraktion neigende Kunstfertigkeit spürt man zudem in jedem Frame, etwa wenn sich eine Schießerei zunehmend von der weiten Landschaft in enge Felsspalten verlagert, all das eingefangen mit einer stummen Unvermeidlichkeit. “Seven Men From Now” ist nicht nur ein “exemplarischer Western”, um Bazins Einschätzung wieder aufzugreifen, sondern einer der besten Vertreter seines Genres.