10 Jahre // 15 Favoriten (2)

Nachdem ich die ersten fünf meiner Lieblinge der letzten zehn Jahre vorgestellt habe, geht es an dieser Stelle weiter mit dem zweiten Teil. Wie immer gilt: Diese Liste erhebt keinen Anspruch darauf, die “besten” Filme herauszupicken, hingegen versteht sie sich eher als persönlicher Rückblick auf das ausgehende Jahrzehnt. Diskussionen sind natürlich trotzdem erwünscht!


Hero (HK/VRC 2002)

Ich gebe zu, meine Haltung zu “Hero” ist eine zwiespältige. Hätte Zhang Yimou einfach nur kommerziellen Kitsch über die Gründung Chinas abgeliefert, würde die Antwort ganz klar lauten: Die Speerspitze der Fünften Generation hat sich dem Kommerz ergeben usw. Das Martial Arts-Epos “Hero” ist aber bei weitem nicht so einfach abzuwatschen, wie es in den Feuilletons gern gepflegt wird. “Hero” ist, anders als der nichtssagende Nachfolger “House of Flying Daggers”, ein Werk, dessen Subtext die Kontroverse geradezu herausfordert. Es geht um nichts geringeres als das Verhältnis des Bürgers zur staatlichen Autorität, sein Widerstandsrecht und die Verrechnung des Wohles des Einzelnen mit dem der Allgemeinheit. “Hero” ist jedoch gleichzeitig ein Wuxia-Film, der gewissermaßen auf der “Tiger & Dragon”-Welle mitreitet, diese aber in eine andere Richtung führt. Die u.a. von King Hu geprägte Wuxia-Ästhetik der schwebenden Kämpfer wird aufgenommen, doch radikalisiert Zhang sie im Gegensatz zu Ang Lee, der sich auf die Integration moderner Spezialeffekte beschränkt hatte. Visuell ist “Hero” ein bewegtes Gemälde, ein Farbenrausch, der am ehesten mit Wong Kar-Wais “Ashes of Time” verglichen werden kann. Doch statt sich auf die Schauwerte zu beschränken, variiert Zhang die dem Wuxia-Genre innewohnende subversive Kraft auf diskussionswürdige Weise, indem er die staatliche Autorität in Gestalt des ersten Kaisers Qin Shihuangdi die Oberhand behalten lässt. Doch nicht nur das. Zhang lässt die Widerstandskämpfer, die wandernden Schwertkämpfer, im Grunde vor ihm niederknien, was angesichts des geschichtlichen Hintergrundes nicht nur der Einigung Chinas wegen getan wird, sondern auch noch einen autoritären Herrscher in seinem Amt und seinen Methoden bestätigt. In die Geschichte eingegangen ist der erste Kaiser schließlich nicht nur wegen der Reichseinigung, sondern  auch “legendärer” Gräueltaten.

Elephant (USA 2003)

“Elephant” ist ein Film, den ich wohl niemals vergessen werde. Es ist ein Film, den ich nur im Abstand von Jahren sehen kann und will. So geht es natürlich nicht jedem. Es gibt sicher genügend Menschen, die mit halbwegs objektivem Blick auf die Fehler und Vorzüge verweisen können, die ihn einordnen können in das Werk Gus van Sants, die sagen können, dass “Elephant” das Mittelstück seiner Todestrilogie ist, mit der er sich selbst aus dem künstlerischen Niemandsland gezogen hat. Das alles ist schön und gut. Doch für mich ist “Elephant” zuallererst eine Sammlung von Gefühlen und Reaktionen, die sich eingebrannt haben, deren Narben aber nicht verschwinden. Es sind Narben, die sich in den letzten Jahren verwoben haben mit Erinnerungen an den 26. April 2002 und die Tage danach. Als  an einem Freitag Nachmittag die Nachrichten aus Erfurt im Radio liefen und es am Montag darauf wieder in die Schule ging; man Leute traf, die jemanden kannten, der jemanden kannte, der auch das Gutenberg-Gymnasium besucht. Thüringen ist klein. Als die Lehrer wie erstarrt die Klassenräume betraten und im Grunde genauso ratlos waren wie wir, die wir da auf den Latein-, Mathe-, Deutschunterricht warteten und doch nur eine Antwort auf die Frage wollten: Was sollen wir jetzt tun?

Im ersten Semester an der Uni habe ich “Elephant” zum ersten Mal gesehen. Allein zu Hause. Davor lag er von Staub benetzt mehrere Monate im Regal. Natürlich nicht, weil ich keine Zeit hatte. Und da waren sie wieder, diese Gefühle, denn “Elephant” ist keine dokumentarische Wiedergabe eines Amoklaufs, sondern eine Film gewordene Verstörung.

Memories of Murder (ROK 2003)

Nachdem der Serienkillerfilm in den 90er Jahren durch “Das Schweigen der Lämmer” und “Sieben” in neue Höhen getrieben wurde, sah die Zukunft des Genres im neuen Jahrtausend eigentlich recht mau aus. Schließlich konnte einem manchmal schon das Gefühl beschleichen, dass es sich in einer langweilenden Endlosschleife nicht abbrechender Kopiervorgänge befindet. Dass “Memories of Murder” nun als einer der wegweisenden Beiträge auf der Bühne erschien, liegt nicht daran, dass Bong Joon-ho (“The Host”) etwas völlig neues, bisher ungesehenes erschaffen hat. Bong nimmt stattdessen etablierte Topoi der Vorgänger auf und formt daraus ein spezifisch koreanisches Endprodukt, welches sich letztendlich um die südkoreanische Militärdiktatur der 80er Jahre dreht, dieses Thema aber nie ins Rampenlicht stellt. Während die genannten wegweisenden Beiträge zum Genre ihre  am Anfang geradezu unschuldig wirkenden Inspektoren mit der Devise “Schaust du zu lange in den Abgrund…” konfrontieren, ist den zwei Ermittlern (u.a. Song Kang-ho) in “Memories of Murder” von Anfang an jedes Mittel recht, um zu einem Ergebnis zu kommen. Folter eingeschlossen. Erst als ein junger Kollege aus Seoul “moderne” Methoden einbringt, kommt die Untersuchung langsam in Gang. Oder doch nicht?

Auf den kräftigen Schultern von Song Kang-ho ruht der Film, handelt es sich bei Song doch um einen Schauspieler, der wie kaum ein anderer das Gewöhnliche an seinen Figuren mit dem unzweifelhaft vorhandenen Charisma eines Stars verbinden kann. Ganz auf dessen Gesicht vertraut Bong Joon-ho in den letzten Minuten des Films und beweist damit auch, dass weniger manchmal mehr ist. Ein Film, den sich Park Chan-wook des öfteren anschauen sollte.

Throw Down (HK/VRC 2004)

“Throw Down”, Johnnie Tos persönliche Hommage an Akira Kurosawa (“The greatest filmmaker”, wie es in den credits heißt), ist ein Film über Judo und wie in vielen anderen Sportfilmen auch stehen Träume und deren Verwirklichung im Mittelpunkt. Doch nicht irgendeinen Wettkampf muss Szeto (Louis Koo) gewinnen, sondern – und da gleicht er David Dunn in “Unbreakable” – eigentlich sich selbst. Auf kaum einen Film trifft der Ausdruck “Der Weg ist das Ziel” deshalb so gut zu, wie auf “Throw Down”, Tos,  neben “Sparrow”, verspieltesten und bisher wohl optimistischsten Film. In dessen Universum gibt es keine Waffen und auch keine (richtig) Bösen. Alle Konflikte werden durch ein paar Judo-Griffe gelöst. Im Verlauf von Szetos symbolischer Wiedergeburt verbeugt sich das farbenfrohe Märchen vor der Freundschaft und preist das existenzielle Bedürfnis, einen Traum zu haben, an. Ein Bedürfnis, das ist die Lehre des Films, welches selbst vom Scheitern nicht ausgelöscht werden darf. Es ist der rote Ballon in den Baumwipfeln, der verlorene Schuh auf der Straße und das vom Adrenalin hervorgerufene, breite Lächeln auf den Gesichtern der Kämpfer, als sie erschöpft auf der Matte liegen. Es sind unzählige solcher Momente, welche To hier aneinanderreiht, die “Throw Down” zu nichts weniger als seinen schönsten und gleichzeitig erhabensten Film machen.

München (USA/CDN/F 2005)

Das war sicher nicht Steven Spielbergs Jahrzehnt! Große Filme hat er ja gedreht, deren Mängel aber kaum zu verbergen sind. “A.I.” wird ungeachtet einiger Qualitäten immer die Frage anhängen, wie Stanley Kubricks Version ausgesehen hätte. “Minority Report” hat trotz einiger netter Ideen den Science Fiction-Film auch nicht gerade neu erfunden und “Krieg der Welten”, so gut mir der auch gefallen mag, leidet an seinem fluffigen und typisch Spielberg’schen Ende. Von “Terminal” und “Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels” gar nicht zu reden! Sonderlich aussagekräftig ist das Argument, “München” sei Spielbergs bester Film der Dekade, also nicht. Im Rahmen des (Agenten-) Thrillers bewegt sich die Geschichte über die israelischen Vergeltungsaktionen nach der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972. Ohne (damals) große Stars gedreht, schreit “München” weder als Blockbuster nach Aufmerksamkeit, noch ist der Film Spielbergs “Schindler’s Liste” des neuen Jahrtausends. Doch Spielbergs unauffälligster Film der letzten zehn Jahre greift über seine Genrebarrieren hinaus, wird Kommentar zum Nahost-Konflikt, den er unmittelbar behandelt, und auch der amerikanischen Außenpolitik nach dem 11. September. Subtil ist das zu keiner Zeit, aber notwendig und auch noch hochspannend. Belehrt werden wir von “München” nicht, denn eigentlich ist Spielbergs Thriller keine didaktische Abhandlung, sondern ein Blick der Trauer und Resignation auf die Vergangenheit und die Gegenwart, der von dem großen Filmemacher in dieser Form nicht zu erwarten gewesen war.

10 Jahre // 15 Favoriten (1)

Das Jahrzehnt ist zwar nicht vorbei, aber da ich in den nächsten Wochen dank meiner Magisterarbeit sowieso nicht wirklich viel Zeit für Kino/Videoabende/Sozialleben habe, gibt es jetzt schon einen äußerst subjektiven Rückblick auf die vergangene Dekade. Betont wird, dass es sich hierbei um eine Art Lieblings-, nicht Bestenliste handelt. Die ausgewählten 15 Filme haben das ausgehende Kinojahrzehnt für mich in vielerlei Hinsicht geprägt. Größtenteils handelt es sich um Werke, die seit Jahren in meiner ewigen Bestenliste Staub fangen und diesen Status auch nach unzähligen Sichtungen – im Gegensatz zu anderen – nicht verloren haben. Wieder andere mögen noch jung im Gedächtnis sein, haben dort aber einen beträchtlichen Eindruck hinterlassen, von dem natürlich nicht sicher ist, ob er auf Dauer bestehen wird. Für den ein oder anderen gibt es hier vielleicht ein paar Empfehlungen zu entdecken oder einfach eine Anregung, sich selbst mal Gedanken über die Filme der letzten Jahre zu machen und der Welt seine Lieblinge mitzuteilen. Über unverständliche Platzierungen darf natürlich trotzdem diskutiert werden.

Auf geht’s mit Teil 1!


In the Mood for Love (HK/F 2000)

Ob Wong Kar-Wai nach seinem ge- scheiterten Amerikaausflug “My Blueberrry Nights” zu alter Form zurückfindet, wird die Zeit und sein Ip Man-Biopic “The Grand Master” zeigen. Unbestritten ist jedoch, dass sein Einstand zum neuen Jahrtausend, “In the Mood for Love”, ihn auf dem Höhepunkt seiner Kunst zeigt. Wongs Vorliebe für die – nicht nur chinesische – Popkultur, fast ausnahmslos tragische Liebesgeschichten und das Hongkong seiner Jugend, welches er bereits im inoffiziellen Vorgänger “Days of Being Wild” besucht hatte, werden hier noch einmal rekapituliert. Doch anstatt sich in der Reflexion des eigenen Werkes zu verlieren, lässt Wong seine gehetzte Großstadtromantik fallen und erzählt auf geradezu spartanisch engem Raum von zwei Gefangenen, die die offen stehenden Türen ihrer Zellen einfach nicht durchschreiten können. Stilistisch ein großartiger Beweis für die gern übersehene Vielfalt in Wongs Oeuvre. Schauspielerisch ausgezeichnet mit einem der schönsten unter den ikonischen Liebespaaren der Filmgeschichte: Maggie Cheung und Tony Leung.

Unbreakable (USA 2000)

Die Geschichte von M. Night Shyamalans Aufstieg und Niedergang ist schon ein alter Hut. Abnutzungsspuren, die daher rührten, dass das damalige Wunderkind sich selbst mangels abwechslungsreicher Filmauswahl unter eine Tonne Klischees und Erwartungen (Wo bleibt der Twist?) hat begraben lassen, wurden spätestens bei “Signs” sichtbar. Doch davor wandte er sich einem Genre zu, welches das Jahrzehnt auf damals ungeahnte Weise dominieren sollte. “Unbreakable” ist ein Film über Superhelden und das Medium, in dem sie groß geworden sind: Comics. Doch es ist eine Heldengeschichte, deren Wurzeln weniger in einem alternativen Universum als dem grauen, größtenteils ereignislosen Alltag liegen. David Dunn (Bruce Willis) steckt immherin in einer betäubenden Midlife Crisis, die von unerfüllten Träumen und einer zerütteten Ehe genährt wird. Shyamalan folgt bei der Schilderung der Genese des Superhelden der bekannten Konstruktion des Initiationserlebnisses, dem die widerwillige Entdeckung der eigenen Kräfte folgt und schließlich die Erkenntnis und Verwirklichung der eigenen Berufung. Doch “Unbreakable” ist eben auch ein Film über einen Mann, der den Sinn seines eigenen Lebens vergessen hat und neu entdecken muss. Der eingängige Score von James Newton Howard, sowie die Shyamalan-typische, auf erfrischender Statik aufbauende Kameraarbeit von Eduardo Serra mit einem Hang zum Formalismus, bilden weitere Pluspunkte des Films. Ohne Fehler ist dieser bestimmt nicht; das Ende ist überstürzt, der Plot bewegt sich auf dünnstem Eis. Aber auch mit zehn Jahren Abstand bleibt “Unbreakable” eine der ungewöhnlichsten Umsetzungen eines in den Jahren danach (zu) oft beackerten Genres.

Donnie Darko (USA 2001)

Ein Kultfilm via DVD, speist sich die Faszination um Richard Kellys am- bitioniertem Erstling natürlich zunächst einmal aus der Deutungsvielfalt der stellenweise kryptischen Geschichte, für deren Verständnis Grundkenntnisse in der Zeitreisephilosophie nicht gerade störend sind. Nachdem ich mir damals den Film mühsam als UK-Import besorgt und mich durch die englischen Untertitel noch mit Hilfe eines Wörterbuchs gequält habe, wurden erstmal die Message Boards bei der IMDb konsultiert, um die Verwirrung zu lindern. Die Geschichte um einen psychisch labilen Jugendlichen (Jake Gyllenhaal), dem das Ende der Welt prophezeit wird, ist eine seltsame Sci Fi-Mischung aus “Die letzte Versuchung Christi” und “Der Fänger im Roggen” und gleichzeitig etwas ganz anderes, monumentales, unbeschreibliches. Kellys Entscheidung, die späten 80er Jahre als Hintergrund zu nehmen, erweist sich nicht nur dank des großartigen Soundtracks (Echo & the Bunnymen, Joy Division, Duran Duran) als Geniestreich. So unwirklich und verträumt die damalige Vorstadtwelt im Film wirkt, überzeugt dieser v.a. durch seinen Coming of Age-Hintergrund, was ihn zu einem düsteren Bruder der John Hughes-Filme macht. Anders als Kellys überladener Nachfolger “Southland Tales” verharrt “Donnie Darko” trotz der komplexen Geschichte nicht auf dem Status eines sterilen Forschungsobjekts, ist stattdessen vielmehr einer der besten Teenagerfilme der letzten Jahre.

Lantana (AUS/D 2001)

Eine Frau liegt tot in den Büschen von Sydney. Ihr Gesicht sehen wir nicht. Das ist der Auftakt von “Lantana”, einem Beziehungsfilm mit einem Krimigerüst. Denn in den nächsten zwei Stunden wird uns Regisseur Ray Lawrence einige Paare mit all ihren Problemen und Geheimnissen vorstellen, uns raten und bangen lassen, wer da am Ende in den Sträuchern liegen wird. Unspektakulär, aber mit einer unheilschwangeren Stimmung versehen, lässt uns Lawrence die von Fehlern gepflasterten Irrwege seiner Hauptfiguren folgen, von denen nur manche am Ende eine zweite Chance erhalten werden. Mittelpunkt des Ensemblefilms ist Anthony LaPaglia, der, wenn er mal nicht das Fernsehen in “Without A Trace” mit seiner Anwesenheit beehrt, im Kino nur selten Gelegenheit hat, zu beweisen, was in ihm steckt. LaPaglia spielt den in die Jahre gekommenen Cop Leon, der sein Familienleben mit einer Affäre auf’s Spiel setzt und aus Frust Verdächtige schon mal zusammenschlägt. Unzufriedenheit und wohl auch Schuldgefühle scheinen diesen Mann von innen dermaßen zu verzehren, das jederzeit die Implosion droht. Es ist die Meisterleistung LaPaglias, dass wir Leons abstoßende Seite zuerst präsentiert bekommen, diese auch nie ganz verschwindet und er uns dennoch nicht vom Geschehen entfremdet. Leon ist eben, wie die anderen Figuren in “Lantana” auch, ein Mensch aus Fleisch und Blut.

Der Herr der Ringe: Die Gefährten (USA/NZ 2001)

“Die Gefährten” habe ich viermal im Kino und zwischen fünfzehn und zwanzig Mal auf Video, im Fernsehen und auf DVD gesehen. Von den anderen beiden Teilen kann ich das nicht behaupten. Vielleicht liegt es daran, dass ich die Bücher von J.R.R. Tolkien erst nach Kenntnis dieses Films gelesen habe und die Überwältigung des ersten Kinobesuchs einfach nicht reproduzierbar ist, wenn man die ganze Geschichte kennt, anfängt über Auslassungen nachzudenken usw. Vielleicht ist “Die Gefährten” aber auch der beste Teil der Filmreihe von Peter Jackson. Howard Shores Score ist gepflastert von  Melodien für die Ewigkeit. Die Gefährten sind noch neun an der Zahl. Wir sehen Bilbo, das Auenland, das von den Ringgeistern heimgesucht wird, Bruchtal, das Nebelgebirge, Moria, Galadriel, bis hin zum Blick auf das ferne Mordor, das den Zuschauer als dunkle Bedrohung in den Abspann geleitet. Es ist der Teil mit dem geringsten Pathos, den wenigsten Schlachten, dem kleinsten Arwen-Aragorn-Anteil und der längsten Reise. Eine, die uns Mittelerde mit all seinen Völkern, ob gut oder böse, kennen und lieben lernen lässt. Peter Jackson hat mit diesem Film das Fantasy-Kino wieder salonfähig gemacht und zu Beginn des neuen Jahrtausends bewiesen, dass der Umgang mit digitalen Effekten auch anders funktionieren kann als beim leblosen Kitsch eines George Lucas. Mittelerde ist zum Anfassen nah und vielleicht macht es ja auch deswegen soviel Spaß, immer wieder dorthin zurück zu kehren.

Eifersucht tut weh

Es geht doch nichts über faltige britische Schauspieler, die dauerhaft sowas von angepisst sind, als hätte ihnen jemand ihr Pint Guinness zum Frühstück vorenthalten. Da kommt so ein Krimi wie 44 Inch Chest gerade recht, versammelt Newcomer-Regisseur Malcolm Venville hier schließlich ein illustres männliches Personal, bestehend aus John Hurt, Ian McShane, Tom Wilkinson und allen voran den in seiner Angepisstheit immer wieder sehenswerten Ray Winstone a.k.a. Mr. French und Beowulf. Einer von dessen größten Erfolgen war bekanntlich Sexy Beast und so ist es bestimmt kein Zufall, dass bei “44 Inch Chest” die gleichen Autoren am Werke sind.

Ein deutscher Starttermin steht noch nicht fest. Dafür gibt’s jetzt einen Trailer (s. unten) und ein hübsche Website zum Film.

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gelb! #4 [Nicholas Milton]

Verkehrt man in den studentennahen Orten Jenas, liegt einem womöglich schon bald der Eindruck auf der Zunge (ist das physisch möglich?), dass in unserem Studentenparadies nur Indiemucke mit Elektronik-Anteilen, Indiemucke ohne Elektronik-Anteile und Elektronische Musik dargeboten wird. Sicher, die ein oder andere Metaltheke wird zelebriert und der Jazzfrühling ist auch nicht zu verachten. Aber gelb! – das sei hier zugegeben – hat in den letzten Folgen eben jenes Klischee leider bestätigt. Die Indieband lost.minds haben wir vorgestellt und die Indieband The New Economy (beide mit Elektronikanteilen), aber es gibt mehr in der Jenaer Musikwelt. Vielleicht nicht viel mehr, aber eben mehr.

Zu diesem MEHR gehört jedenfalls die Philharmonie. Jena hat kein prachtvolles Theater wie Weimar oder Gera, auch keine Oper wie die Landeshauptstadt. Aber immerhin eine Philharmonie. Deren Generalmusikdirektor ist der extrem sympathische Australier Nicholas Milton, den wir für die vierte Folge von gelb! im Volkshaus besucht haben.

Wer sich nach Ansicht der Folge wundert, dass Mr. Milton so selten in action zu sehen ist, dem entgegne ich nur ein Wort: Termine. C’est tout. Viel Spaß beim Anschauen!

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Exground Filmfest 2009 (2)

Montag:

My Suicide (USA 2008)

Ein Teenager kündigt in der Medienklasse seinen Selbstmord vor laufender Kamera an. Der sich daraus entfaltende Bildersturm von David Lee Miller hat u.a. auf der Berlinale, beim Raindance, in Seattle und schließlich auch in Wiesbaden Preise eingesackt und jeden einzelnen davon verdient. Die Tour-de-Force-Darstellung von Gabriel Sunday, der auch an Schnitt und Drehbuch beteiligt war, trägt den Film, der behände zwischen existentialistischer Angst,  Vorstadt-Abstumpfung und trauriger Ironie zu manövrieren weiß. Ein kleines Meisterwerk.

Die Anwälte – Ein Deutsche Geschichte (D 2009)

Einzig die monoton und betont dramatisch daher hämmernde Musik würde ich an der Dokumentation von Birgit Schulz kritisieren. Für einen Film, dessen Stars die interviewten Anwälte sind, ist soviel Aufregung gar nicht nötig. Schulz verfolgt die Lebenswege von Horst Mahler, Otto Schily und Hans-Christian Ströbele, die in den 60er Jahren als Anwälte der Außerparlamentarischen Opposition und später der RAF aufeinander treffen und danach Biografien entwickeln, die an Unterschiedlichkeit kaum zu überbieten sind. Auf diese drei Gesprächspartner beschränkt sich die Doku und auf den archivarischen Rückblick auf ihre gemeinsame und später getrennte Zeit. Dabei entstanden sind Porträts von ungleicher Intimität. Während Mahlers radikaler Wandel vom Anwalt der Linken zum Verehrer des Nationalsozialismus bis zum Ende ein  Mysterium bleibt, erscheint Ströbele als unverbesserlicher Idealist (lies: Träumer). Doch herausragende Eigenschaft der Doku ist ihre Annäherung an Otto Schily, dessen Proteste gegen die Abhörmaßnahmen in Stammheim seinem späteren Wirken als Innenminister gegenüber gestellt werden. Und Schily beweist v.a. eins: Ehrlichkeit. Eine Ehrlichkeit, die am Ende vielleicht mehr über ihn aussagt, als ihm lieb ist.

Dienstag:

Delta (U/D 2008)

Arthouse-Kino wie es im Buche steht. Im Buche der ausgelutschten Arthouse-Klischees. Auch wenn der einen Tag später gezeigte “Autumn” in dieser Hinsicht noch problematischer ist, kommt einem “Delta” von Kornél Mundruczó irgendwie bekannt vor. Wortkarge Protagonisten bewegen sich vor dem Hintergrund atemberaubender Landschaften   und das über die Dauer von zwei Stunden. Das mag beim Kino der Fünften Generation in den 80er Jahren noch spannend gewesen sein, bringt einem zumindest in der Form von “Delta” aber nur eine Erkenntnis: Inzest ist keine gute Idee. Ach wirklich?

Not Quite Hollywood – The Wild, Untold Story of Ozploitation (AUS 2008)

Australien, das Land elegischer Kunstfilme über Picknicke an kommerziell ausgeschlachteten Möchtegern-Feiertagen? Nix da! Sex, Gewalt und Action betören auch die Aussies, das beweist die rege Kultur der Exploitation-Filme, die sich in den 70er und 80er Jahren am anderen Ende der Welt entwickelt hat. Die u.a. von Quentin Tarantino kommentierte Doku gibt einen unterhaltsamen, aber auch unübersichtlichen, weil zu unaufmerksamen Überblick über die Sex-, Splatter- und Actionfilmchen, die in diesen Jahren entstanden sind. Für Leute, die “Patrick” nicht von “Alvin Purple” unterscheiden können, liegt die Gefahr der Verwirrung in der Luft. Mark Hartleys Film macht allerdings auch Lust, nochmal einen Blick auf Klassiker wie “Mad Max”, “Long Weekend” und “The Man From Hong Kong” zu werfen. Für Fans der genannten Genres ist die Doku natürlich eine ellenlange Einkaufsliste.

Mittwoch:

Glowing Stars (S 2008)

Filme über die Leiden und Freuden der Pubertät laufen anscheinend immer nach dem selben Muster ab. Diesem, bestehend aus dem Ersten Mal, dem ersten Besäufnis, dem ersten Gesetzesbruch, dem ersten Herzschmerz, der schlussendlichen Akzeptanz des eigenen Daseins, folgt auch der schwedische Beitrag “Glowing Stars”. Überraschend an der ganzen Sache ist nun, dass die qualitative Dichte der Youth Days beim Exground trotzdem überzeugt hat. Ungeachtet einer gewissen Vorhersehbarkeit ist beispielsweise Lisa Siwes Film ein ehrlicher und ungeschönter Blick auf den jugendlichen Trotz seiner Protagonistin, mit dem man nicht immer sympathisieren, den man aber immer nachvollziehen kann.

Autumn (TR/D 2008)

Arthouse-Kino in extremo Part Deux. Ich mag Arthouse-Filme sehr. Ich mag Filme, in denen augenscheinlich nichts passiert, die einem  am Ende aber dennoch zurücklassen, als hätte man gerade in mitten eines Wirbelsturms gesessen. Ich mag Filme, die schwer bis gar nicht zu verstehen sind. Ich mag Filme, die keine Geschichten erzählen, sondern Stimmungen. Aber “Autumn”, nun ja, den mag ich gar nicht. Trotz schöner Landschaften, endloser Aufnahmen vom Meer (bei mir immer ein Pluspunkt), sich anschweigender Figuren, nicht vorhandener Charakterisierungen und hoch symbolischer Aufnahmen am Ende.

Claustrophobia (HK 2008)

Eine office romance, die man nur in dezenten Blickwechseln zu sehen bekommt. Zunächst erzählt die vormalige Drehbuchautorien Ivy Ho (“Comrades – Almost a Love Story”) in ihrem Regiedebüt wie Tom (Ekin Cheng) seine Arbeitskollegin Pearl (Karena Lam) bittet, sich einen anderen Job zu suchen. Anschließend springt sie ein paar Wochen, dann ein paar Monate usw. zurück, um in Episoden Auseinanderbrechen und Entstehen der leisen, nie ausgelebten Liebesgeschichte zu zeigen. Ein weitgehend leiser, subtiler Film, der nur selten fehl tritt in seinen Entscheidungen und in kleinen Gesten die größten Gefühlswallungen zu offenbaren weiß.

Donnerstag:

Zweier Ohne (D 2009)

An die starke skandinavische und amerikanische Konkurrenz bei den Youth Days kam der deutsche Beitrag “Zweier Ohne” in keiner Weise heran. Die Geschichte zweier Kumpels, die sich beim Rudern ein bisschen zu stark miteinander zu identifizieren beginnen, sich daraufhin den Schädel kahl rasieren, die gleichen Klamotten tragen und wie die letzten Trottel herumlaufen, ist dermaßen überkonstruiert, dass es schon wieder wehtut. Ein Haus unter einer nie fertig gestellten Autobahnbrücke, von der sich Nacht für Nacht die Selbstmörder stürzen? Als wäre die Rudermetapher noch nicht genug, wird der Film mit Hausfrauen-Symbolik dermaßen überladen, dass auch die überflüssige, da retardierende Erzählstimme nur noch ein Übel unter vielen ist.

Camino (E 2008)

Ein Film, der jede Beschreibung schwer macht. Eine Leidensgeschichte. Ein Familiendrama. Eine Satire. Eine beißende Kritik am Opus Dei. Ein Fantasy-Film. Ein Märchen. Ein Film über Religion und ihren Ge- und Missbrauch. Ein sehr guter Film eben. Sechs Abstauber bei den diesjährigen Goyas sprechen aber auch für sich.

4bia (TH 2008)

Vier Kurzfilme von vier thailändischen Horror-Spezialisten. Einer eine spannende Übung im Horror mittels einfachster Soundeffekte und einem Handy. Einer ein miserabler, von schlechten Effekten erdrückter übernatürlicher Rachefilm mit grausigem “CSI: Miami”-Schnitt. Ein amüsanter Rafting-Trip gone bad, der sich herrlich über die eigenen Genre-Regeln lustig macht. Ein altmodischer Rache-einer-eifersüchtigen-Ehefrau-aus-dem-Grabe-Film mit einem interessanten Setting (leeres Flugzeug) und einigen Schockern. Fortsetzung ist schon in Arbeit.

Freitag:

West of Pluto (CDN 2009)

Eigentlich passiert nicht viel in “West of Pluto”, doch die Art und Weise, wie die beiden Regisseure Henry Bernadet und Myriam Verreault die Abendgestaltung ihrer jugendlichen Hauptdarsteller in Szene setzen – wie ein zweistündiges Air-Video nämlich – zeichnet ihren ruhigen Film aus. Während andere Jugendfilme ihre Stories mit Dramen anreichern, beobachtet “West  of Pluto” den selten spektakulären Alltag einer Gruppe von Jugendlichen in einer Vorstadt von Québec. Die proben eben mit ihren Metal-Bands, diskutieren über die Unabhängigkeit ihrer Heimat und gehen Abends feiern. Alles kommt einem bekannt vor, alles entwickelt aus den unspektakulären Momenten eine melancholische Kraft, die im Programm der Youth Days einzigartig ist. Und ja, der Film handelt auch alle bekannten Meilensteine der Pubertät in einer einzigen Nacht ab.

Bomber (USA/GB 2009)

Ein alternder Brite möchte sich in einem deutschen Dorf dafür entschuldigen, dass er es während des Zweiten Weltkriegs aus Versehen bombardiert hat. Also macht sich Alistar mit seinem widerwilligen Sohn und seiner Frau auf nach Deutschland. Im Auto natürlich. Ein Roadmovie der  etwas anderen Art hat Paul Cotter mit “Bomber” gedreht, dass zugleich Komödie und Familiendrama ist. Dabei umgeht Cotter die Tücken und Klischees des zu erwartenden Culture Clashs und präsentiert doch eine erfrischende Außenseiterperspektive auf Deutschland. Ein bisschen länger hätte “Bomber” schon dauern können. Das ist aber ein gutes Zeichen.

Samstag:

Daytime Drinking (ROK 2008)

So “Indie” ist “Daytime Drinking”, dass man sich manchmal fragt, wie viel (oder wie wenig) Geld die verwendete Digitalkamera gekostet hat. Unter Liebeskummer leidend findet sich jedenfalls unser Held in der verschneiten Pampa wieder. Eigentlich wollten ihn seine Freunde mit einem Kurztrip aufmuntern, doch sind diese gar nicht aufgetaucht. Ein handfester Kater ist Schuld. Was nun folgt, wird im Titel schon akkurat beschrieben. Unfreiwillig macht der Leidende auf seiner Odyssee Bekanntschaft mit allerhand seltsamen Gestalten und immer wird beim Geplauder getrunken. Kein Wasser, versteht sich. So entwickelt sich aus einem Trinkgelage nach dem anderen eine Art skurrile Katharsis vom Liebeskummer. Auch nüchtern zu empfehlen.

Nokan (J 2008)

Ohne den Oscar wäre “Nokan” (a.k.a. “Departures”) ein drolliger Blick auf ein unbekanntes Gewerbe, der erst am Ende von den Komödienanteilen Abstand nimmt und nach allen Regeln der Kunst ein wohl auch in Hollywood verfilmbares Drehbuch durchexerziert. Nicht schlecht, manchmal dank allzu melodramatischer Musik (Die Streicher kommen! Taschentuch heraus!) und dem grimassierenden Spiel von Masahiro Motoki etwas nervend und in seinen Wendungen ein bisschen schematisch. Ein Film eben, der mehr durch die Tatsache besticht, dass er ein bestimmtes Thema behandelt, als durch die Art und Weise wie er es macht. Geschniegelt, sauberes, rundes Kommerzkino made in Japan. Nach dem Oscar gelten noch immer alle genannten Punkte. Hinzu kommt ein Fragezeichen, das sich ähnlich wie bei “Slumdog Millionaire” schnell wieder in Luft auflöst. Für dieses Jahr eine passende Wahl. Wenn auch keine besonders herausragende.

Black Dynamite (USA 2009)

Hier lass’ ich mal die Bilder sprechen:

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