Die Rückkehr der Apokalypse – Dredd 3D (GB/ZA 2012)

Die Zeit der Hoffnung ist vorbei. Der Fall des Eisernen Vorhangs hatte sie nach Hollywood gebracht. Aber auch darüber hinaus. Mir wurden auch noch in der 10. Klasse vor 14 Jahren die nicht enden wollenden Freuden der Sozialen Marktwirtschaft nähergebracht … nur mit leichten Zweifeln konterminiert. Der Kalte Krieg war vorüber und die Angst vor einem nuklearen Holocaust purzelte den Menschen von den Schultern. Blühende Landschaften erschienen am Horizont und das seit Ende der 70er florierende Geschäft mit postapokalyptischen Welten brach ab. Diese wurden Osteuropäern überlassen. Wenn Tarr Bela seine Menschen durch eine zerstörte Landschaft stolpern lies, dann interessierte das den Glücksbetrieb des Westens aber nur geringfügig. Dort waren inzwischen auch die düsteren Visionen der Zukunft eher rosig. Waterworld machte da weiter wohin Mad Max verkommen war und stellte nette kleine Orte aus, wo es etwas zu viel Wasser statt zu wenig gab. Terminator 2: Judgement Day vergaß die Zukunft fast vollständig. Und Judge Dredd schließlich hatte Rob Schneider, der einem kunterbunten Film den debil grinsenden Todesstoß gab.

Sicherlich hatten alle diese Filme ihre erschreckenden Phantasien einer heruntergekommenen Zukunft, aber sie waren nur vergängliche Zwischenstationen, die schon niemand mehr so richtig ernstnehmen konnte. Kevin Costner ließ sich zweimal Jesus spielen, der die Menschen aus ihrer misslichen Lage erlöste. Er und die Seinen ließen die zerstörten Menschen mit ihrer alten Welt hinter sich und begannen einfach neu. Der T-800 zerstörte sich 1992 selbst, auf dass der Alptraum des ersten Terminators nie wahr werden möge. Zu unwirklich war diese Vision inzwischen geworden. Und Judge Dredd, der protofaschistische Held schlechthin, erkannte die Verkommenheit des Polizeistaats, für den er stand. Auch er war eine messianische Figur, die die Menschen von einer Maschine befreite, von der der Film nie klar machen konnte, warum es sie überhaupt gab. Nur die Verschlagenheit einiger Einzelwesen konnte zu so etwas geführt haben. Dagegen war selbst Running Man noch düster. Die Zeiten von eisernen Ladys und eskalierenden Schauspielerpräsidenten waren wie ein Traum vergangen. Selbst Helmut Kohl erschien zeitweise fast schon als ein, wenn auch unfähiger, so doch netter alter Mann. In Twelve Monkeys taumelte die Menschheit schließlich selbstgewählt in den Abgrund. Die Welt war selbst für die Menschen zu gut geworden.

Dredd kennt solche Probleme nicht. Die Wirtschaft zerstört. Die Umwelt zerstört. Die Gesellschaft zerstört. Das Genmaterial zerstört. Die Hoffnung zerstört. Nur die Gewalt herrscht, die Macht des Stärkeren und der Wille zu überleben, warum auch immer. In einem heruntergekommenen Moloch, der sich Mega-City One schimpft und von Boston bis Washington reicht, steht die Welt in Brand. Die Judges des Justizpalastes, die Einmannarmeen, Polizisten, Richter und Henker in einem und die letzte Bastion der vergangenen Zivilisation sind, können nur 6% der gemeldeten Straftaten nachgehen. Sie haben keine Zeit für gefühlvolles Verständnis, denn es herrscht Krieg. Dieser neue Judge Dredd (Karl Urban) ist das Gesetz und er vertritt es mit eiserner Hand und skrupelloser Pistole. Er ist der feuchte Tagtraum vieler Republikaner, Tories, CDUler und der nackte Alptraum aller Hippies und jugendlicher Anarchisten. Er würde lieber erst fragen und dann schießen, aber dafür bleibt ihm selten Zeit, denn anders als in Judge Dredd wird hier die Ausgangssituation ernst genommen und nicht dafür genutzt, den Faschismus seiner Hauptfigur vorzuführen. Judge Dredd ist ein widerlicher Arsch, aber wen gibt es sonst noch? Zumindest ist er nicht die letzte Wahrheit, die sich sonst niemand auszusprechen traut. Er ist einfach nur da und jemand muss schon sehr verzweifelt sein, um in ihm die Hoffnung einer besseren Welt verkörpert zu sehen. Nicht einmal die niedergeschmetterten Menschen in Mega-City One sind so vom Leid zerfressen.

Dredd ist ein schillernder Alptraum in rauschhaft, verängstigten Bildern. Die Kamera jagt durch das Elend eines Slums, eines Hochhauses, das nur aus Dreck und kalten, heruntergekommenen Steinwänden besteht. Die Betonwüste einer Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, die manch einem so schon kalte Schauer über den Rücken jagte, ist hier vollkommen eskaliert und die einzige Wahrheit. Die Hoffnung liegt unter Äonen von Pessimismus vergraben. Doch das comichaft stilisierte 3D betont nicht die Kümmernis, sondern den Rausch des Blutes, des Selbstgerechten, des Unerbittlichen, des Irrealen. Ein Film gewordener wohlig warmer Schauer des Entsetzens.

Mit der Realität kann in dieser Wirklichkeit kaum noch jemand umgehen, weshalb der Drogenhandel floriert. „Slo-Mo“ ist die neuste Errungenschaft, welche die Zeiterfahrung auf 6% der normalen Geschwindigkeit verlangsamt. Eher zufällig landet Judge Dredd mit einer Rekrutin in dem 200-stöckigen Hochhausslum von Peach Trees und damit im Zentrum des Slo-Mo-Kartells. Drogenbaronin Ma-Ma kann den Richter nicht gehen lassen, ohne ihre Macht zu gefährden. Sie verwandelt das Hochhaus in ein Gefängnis, in dem der Krieg der Mega-City sich auf sein Wesen beschränkt. Hilflos stehen die Bewohner zwischen zwei Seiten, die sich nicht die Möglichkeit lassen, etwas anderes zu tun, als alles in Schutt und Asche zu legen. Dredd ist ein Action-Film und schwelgt im Adrenalin von Maschinengewehrfeuer und Explosionen. Doch am Rande sind sie zu sehen, die Opfer, die unter dem Stiefel dieser alptraumhaften Wirklichkeit zertreten werden. Helden gibt es keine.

Am Ende wird ein Kopf auf der Leinwand zerplatzen. Es wäre das unerbittlichste Ende, das ein Hollywood-Film je bereitgehalten hätte. Es wäre ein Abgrund, an dem auch der Kopf der Zuschauer zerschellen könnte. Kein Ausweg, nur Verdammnis. Doch Dredd läßt noch 5 Minuten Handlung folgen, die als Hauch von Hoffnung interpretiert werden können, aber im Grunde sind sie nur da, um das Erlebnis dieses Films zu verwässern, um ein Gros der Zuschauer nicht vor den Kopf zu stoßen, ihnen den Weg nach Hause zu erleichtern. Der düstere, pulsierende Nihilismus dieses Films ist aber stark genug, auch das zu verkraften, denn eines bleibt zweifellos klar: Die Zeit der Hoffnung ist vorbei.

Top 100 – Der ausschweifende, komplett überbordende Prolog

Es folgt eine Ansammlung egozentrischer Gedanken mit Nostalgie geschnürrt. In erster Linie wird es um den Verfasser gehen und wie er Filme sah und nicht um Filme selbst. Soll niemand sagen, er sei nicht gewarnt worden.

Der gläserne Pantoffel läuft relativ häufig im deutschen Fernsehen. Bis gerade eben wusste ich nicht, wie der Film heißt. Bis ungefähr 2006, als ich noch einen Fernseher hatte und zufällig reinschaltete, war mir nicht bewusst, dass er existierte. Als ich ihn also vor 6 Jahren plötzlich vor mir sah, wurde mir binnen Sekunden ganz anders, dabei saßen Estelle Winwood und Leslie Charon einfach nur im Grün an einem See. Selbst jetzt, wenn ich nur Screenshots sehe, fühle ich Beklemmungen. Meine Gedärme ziehen sich zusammen. Dumpfes Pochen. Es ist schwer zu erklären, ich habe jedenfalls fast schon Panik, beim Gedanken diese sicherlich nette Aschenputtelvariation zu sehen. Unverarbeitete Berge hängen an diesem Film, den ich in meiner Kindheit schon einmal gesehen hatte. Aber nicht nur das, in der folgenden Nacht hatte ich davon geträumt – in einen Traum, den ich nie vergessen habe. Der an diesem See begann, mit dem Prinzen, Ella (der Aschenputtel hier) und der Fee Estelle Winwood, der aber dann ganz andere Bahnen nahm. Ganz andere.

The childs fragile eggshell mind (Jim Morrison)

Wenn ich an meine Kindheit zurück denke, dann habe ich viele lebhafte Erinnerungen. Die Lebhaftesten hängen zumeist mit Filmen zusammen. Der Schrecken nach Tod auf dem Nil und Die Einsteiger, als ich im Bett lag und mich zu Tode fürchtete, vor meinen Mitmenschen bzw. Vampiren. Ein vernebelter Fluss, der einen Wikingerfilm eröffnet und den ich nie sehen sollte, weil ich ins Bett musste. Die regelmäßigen Besuche bei einem Freund, den ich immer wieder nötigte, Mad Mission 2 oder American Fighter 2 zu gucken, weil ich keine Videoaufnahme davon hatte. Seinen zunehmenden Unwillen. Der Zauber der ersten Videoaufnahme, die über den Fernseher flimmerte – einen brutalen Lorenzo Lamas-Film mit recht freizügigen Szenen (ich glaube, es war Kickboxer U.S.A., den mein Vater auf meinen Wunsch extra aufnahm, ich war wohl 10). Die Eskalation, als mein Vater mir ein Kabel vom Videorekorder in mein Zimmer legte und ich unabhängig war. Die unfassbare Menschenmenge bei Asterix bei den Briten, weshalb ich erst nach der römischen Invasion in der ersten Reihe landete. Der gescheiterte Versuch, sich in Stirb langsam – Jetzt erst recht zu schmuggeln. Wie ich krank alleine zu Hause saß und mir die ganzen Karate Tiger-Filme am Stück anschaute und Suppe trank. Wie ich mit 15 das erste Mal Sylvester mit Freunden feierte und vorschlug, diesen japanischen Porno zu gucken, den ich entwendet hatte. Wie immer mehr den Raum verließen und nur einer mit mir bis zum Ende durchhielt, weil es Im Reich der Sinne war und spätestens mit der Kastration in Großaufnahme für alle anderen der Spaß vorbei war. Feivel der Mauswanderer im Wilden Westen in Endlosschleife. Weinen bei E.T. im Kino. Wie ich tausend Mal mit meiner Mutter Dirty Dancing guckte … gezwungenermaßen natürlich. Und und und. Die Magie, das Staunen, die lächerlichen Versuche wie der Highlander oder Mister Miyagi zu sein. Unendlich viele solcher Erinnerungen habe ich, aber keine kann auch nur im Entferntesten einfangen, wie ich Kino und Film liebte und heute noch liebe. Nur Der gläserne Pantoffel kann es … und ein anderer für mich namensloser Film.

Als Kind kämpft wohl jeder mit der Realität und versucht sie zu verstehen. Das klappt mal mehr, mal weniger gut. Filmen können einem dabei helfen, weil sie erklären wie Menschen und vor allem wir selbst funktionieren, was in ihnen/uns vorgeht, was sie sich/wir uns wünschen. Sie können die Welt aufregender machen, als sie ist, sie können vor der Tristesse retten oder zeigen, dass sie gar nicht so trist ist. Sie können aber auch einfach nur den Verstand aushaken, jedes Verständnis von sich und der Welt zerstören und einen einfach nur ratlos zurücklassen. Nur sie konnten mir den süße Schrecken bereiten, wenn das, was ich gesehen hatte, wie eine schrecklich hohe Klippe war, vor der ich stand, die rational nicht fassbar war, die mich in Terror hinterließ und die in mir den nicht nachvollziehbaren Wunsch weckten, mich hinein zu stürzen. Das war vielleicht das, was ich am wenigsten verstand. Ich weiß nicht, wie alt ich war, meine Märchentapete hing noch über meinem Bett, vielleicht war ich 8 und ich träumte von Der gläserne Pantoffel, nur dass der Traum in einem riesigen Keller im Schloss endete. Es war wie eine gewaltige Bibliothek mit vielen bis zu 6 Meter großen hölzernen Regalen. In ihnen waren keine Bücher. Es waren parallel auf Schienen befindliche Holzwände, die herausgezogen werden konnten und an ihnen waren nackte Frauen angebracht. Ich wusste nicht wieso, ich verstand es einfach nicht, aber aus irgendeinem Grund konnte ich aus ihnen auswählen. Und ich war interessiert daran, aus ihnen auszuwählen. Sehr interessiert. Aber warum? Die Dunkelheit im Keller, die Steinmauern, das Grauen sich selbst nicht mehr zu verstehen, was doch so einfach sein sollte. Die Welt fiel in einen dunklen Abgrund. Dieses Gefühl kommt schon bei den Stills wieder. Der süße, schöne Schrecken.

Zu der Zeit bin ich samstags auch immer um 6 Uhr frühs aufgestanden und habe mir Zeichentrickserien angeguckt. Manchmal bin ich auch früher aufgewacht und musste mich durch das langweilige Erwachsenenprogramm kämpfen, bis der Spaß anfing. Es war zumindest immer aufregend, weil mein Vater manchmal am Samstag auf Arbeit musste und um die Zeit vor meinem Fenster stand und auf seinen Kollegen wartete. Ich weiß noch, wie er einmal „Licht aus!“ hereinrief. Es war also so schon gefährlich als Kind sich in die Nacht herauszutrauen und gegen jede Regeln vor um sechs den Fernseher anzuschalten. Vielleicht hat diese Atmosphäre des Verbotenen dazu beigetragen, dass wieder so ein Moment wie bei Der gläserne Pantoffel mich packen sollte. Es kam ein Kostümfilm, der wohl so um die Zeit des Absolutismus bis zur Französischen Revolution spielte. Es ging um Cassanova, denke ich und ein Bild von Alain Delon, was ich neulich sah, hat den Verdacht in mir geweckt, dass er ihn spielte. Jedenfalls gab es diesen Moment, wo er eine Frau mit nacktem Oberkörper gegen eine hängende Schweinehälfte presste. Er hinter ihr, das Schwein vor ihr. Sie hatten keinen Sex, soweit ich das nachvollziehen kann. Es war nur dieses Bild, so simpel und natürlich dargeboten, welches mich in den Abgrund stieß. Es ergab keinen Sinn, ließ die Welt um mich verschwinden, war schön und unfassbar erschreckend, weil es mich packte, mich in seinen Klauen hatte, ohne dass ich gewußt hätte warum.

Ich liebe Filme, weil sie das können. Noch immer. Vielleicht nicht so stark wie damals, die Abgeklärtheit und die Verkommenheit greifen im zunehmenden Alter um sich. Aber wenn ich denke, dass mich nichts mehr schocken kann, dann kommen Filme wie Herbstromanze oder Lisztomania und wieder fühlt sich mein Verstand, wie ein zerschlagenes Ei an. Neue Perspektiven öffnen sich immer wieder.

Now the shit is explained […] let me take a trip down memory lane (Nas)

Das hört sich vielleicht pervers und verkommen an. Ist es aber nicht … denke ich. Ich pflege ja noch die Hoffnung ziemlich normal zu sein. Von der Genese ist mein Filmgeschmack wenn auch nicht übermäßig typisch, so doch alltäglich. Der Anfang ist natürlich nicht mehr auszumachen, welche die Filme waren, die im Fernsehen gekommen sein müssen, während ich unansprechbar (O-Ton meiner Eltern) davor hockte. Die erste große Liebe war Asterix und schnell folgte darauf ein riesiges Faible für Epik – Sandalen, Piraten, Wikinger, Zorro, Musketiere und natürlich Ritter. Je edler und tragischer, je besser. Über allem thronte Charlton Heston als El Cid, den besten aller Menschen, der dafür von seinem Umfeld bestraft wird. Wie er wollte ich sein. Er war alles, was diese Filme für mich ausmachten.

Lex Barker als Tarzan hat sich mir emotional aber viel tiefer eingebrannt, weil er im Gegensatz zum Cid, viel atavistischere Schichten von mir ansprach. In den Bildern, die bis heute durch meinen Kopf, durch meinen Körper spuken, kämpft er ständig mit dem Tod. Immer wieder scheint er tot. Sein lebloser nackter Körper in irgendwelchen Armen hängend, sein Leben für etwas Besseres gebend, mit dem Leben belohnt. Die Sinnlichkeit seines Körpers dabei genauso wichtig, wie seine Opferbereitschaft. Kein Gramm Rationalität diese Bilder begleitend. Da konnte nur Steve Reeves (König der Seeräuber, Romulus und Remus) mithalten … oder Winnetou … an den Marterpfahl gebunden.

Je näher ein zweistelliges Alter kam, desto wichtiger wurde dann weniger astrale Helden. Vor allem kamen Bud Spencer und Terence Hill (und die ständig wiederkommende herzliche Freude meines Vaters, der sich bei Vier Fäuste für ein Halleluja bis heute an der Vorstellung verschreckter amerikanischer Edelwesternfans erfreut). Mit ihnen verschwand die Epik zusehends und eine entspanntere Sicht zum Leben öffnete sich. Kurz nach der Wende hatte ich relativ schnell eine anschauliche Playmobilsammlung und es gab immer diesen einen Cowboy, der auf einer Liege von seinem Pferd gezogen wurde. Ähnlich meines geliebten Huck Finn, der sich auf einem Floß durchs Leben tragen ließ, war dieses Bild immer das Paradies. Ohne Pläne durchs Leben zu ziehen und gucken, was kommt. Diese Figuren der laxen Tagediebe kamen mir sehr entgegen.

1992 machte ich mit meinen Eltern Urlaub in der Nähe von Barcelona. In einer mit Touristen überströmten Nacht entdeckte ich einen Laden mit Schwertern, vor allem japanische. In meinem Kopf war nur noch weißes Rauschen und der Wunsch eines zu besitzen. Ich hatte die Martial Arts entdeckt und zog mir alles rein, wo jemand mitspielte, der einem anderen ins Gesicht treten konnte … vor allem wenn ein Ninja mitspielte. Mein Vater gab mir zudem wertvolle Tipps für alte Hongkong-Filme (zum Beispiel Die Herberge am Drachentor von King Hu). Jackie Chan war ein gern gesehener Gast in meinem Zimmer, aber Michael Dudikoff und Chuck Norris war natürlich die Größten. Bis mir die ab 1995 gekaufte TV Spielfilm langsam offenbarte, dass einige der Filme militärverherrlichend waren. Der am Horizont aufziehende jugendliche Hippie fand das gar nicht cool. In Spanien kauften mir meine Eltern übrigens nur eine Spiderman-Figur. Deshalb habe ich jetzt wahrscheinlich noch beide Ohren.

Langsam flaute mein Liebe zu Filmen in der Mitte der Teens ab. Ich interessierte mich zunehmend für Musik und Bücher. Mit Schwarzenegger und Willis, so sehr ich ihre Filme liebte, kam die Zeit, in der Film immer mehr zu einer guten Unterhaltung wurde, einem netten Zeitvertreib.

Erst 1998, als ich Dead Man im Ersten aufnahm und sah, weil Neil Young die Musik gemacht hatte, änderte sich das wieder. Es war der langweiligste Film, den ich je gesehen hatte. Diesen Film durchzustehen war für meine damaliges Ich eine riesige Leistung … nur erreicht, weil ich wiedereinmal nichts verstand, weil wieder die Sicherheit im Film zerbrach. Die Zeit war reif, auch mal mit einem Film zu kämpfen. Und es war wunderbar. Ein ganz neuer, völlig unbekannter Kontinent abseits des Pro7-Abendprogramms lag plötzlich zu meinen Füßen und jeder Schritt ins Landesinnere ließ ihn immer unermeßlicher werden. Ich fing an, die TV Spielfilm alle zwei Wochen zu durchforsten und mir Listen zu machen, mit allen kommenden Terminen der potentiellen Bomben. Ich entdeckte komplett unbekannte, ungewürdigte Wahnsinnige, Träumer, Meister. Godard, Antonioni, Tarkowskij, Abel Ferrara, alle schaute ich, weil sie interessant klangen, weil es ungerecht war, dass sie niemand zu kennen schien und ihre seltsamen Meisterwerke nur in der Nacht liefen. Sowohl Die Chinesin, Blow-Up oder Bad Lieutnant nahm ich auf, schaute sie und überspielte sie gleich wieder, weil sie interessant waren, aber ich mir sicher war, dass ich sie nicht nochmal schauen würde. Ich war 18, dumm und bereute es schon wenige Tage später.

Ich kaufte mir Bücher und las darin, dass diese Filmemacher mitnichten unbekannt waren, dass es Film auch außerhalb des Fernsehens gab. Umberto Lenzi und Mario Bava tauchten am Horizont auf, verschwanden aber wieder. Ich arbeitete mich zunehmend am Fernsehen ab. Vor allem weil diese Filme leichter zu sehen waren. Für Peter Jacksons Meet the Feebles oder diversen Schlingensief-VHS‘ zahlte ich damals 60 DM. Preise, die ich mir nur alle zwei Monate leisten konnte. Alles was über das Fernsehen hinausging, konnte ich mir nicht leisten und im Fernsehen entdeckte ich genügend Unfassbarkeiten … zumindest eine zeitlang.

Auch die Liebe zum Kino packte mich, wie noch nie. Im Schillerhof, einem kleinen, etwas abgelegenen Kino in Jena, dass ich durch eine Jim Jarmusch-Retro entdeckte, war ich Dauergast. Die Frage zwischen 2001 und 2006 war nie ob, sondern wann ich mit meinen Freunden im Kino saß. Mindestens einmal in der Woche kam etwas Interessantes und ich war selten enttäuscht. Retros, Artsy Fartsy, Genre, Aktuelles auch mal in OmU, Pink, die Grenzen waren offen. Doch auch das änderte sich, dass Programm vertrübte sich und ich wurde immer abgeklärter. Immer seltener ging ich, immer öfter allein. Heute ist der Schillerhof nur noch ein Schatten seiner selbst (und das Jenaer Kinopublikum hat auch nichts besseres verdient … aber das ist eine andere Geschichte). Erst als mir meine Freunde 2008 an meinem Geburtstag sagten: “Pack deine Sachen, wir spendieren dir ein Wochenende Berlinale. In zwei Stunden fährst du los.”, wurde das Kino bei allen Macken der Berlinale wieder ein Ort des Zaubers … etwas.

Das Internet brachte dann die Rettung vor dem nahenden Erstickungstod. Ich war an einem Punkt, wo ich die unbekannten Filme im Fernsehen nicht mehr ertrug. Lisandro Alonsos Los Muertos war das Ende. Was im Fernsehen als Kunst lief, war steril, langweilig und vor allem eintönig und damit noch schlimmer, als die ständig selben „Filmklassiker“, die ich großenteils kannte. Erst die Möglichkeit Filme zu laden brachte wieder Lust neue Filme zu sehen. Und dann lernte ich Lutz kennen und mit ihm Jenny und durch sie bekam ich wieder Lust am Spaß im Kino, den Zauber des Actionfilms brachte sie wieder. Ich wurde eingeladen hier zu schreiben und das Ende des edlen Geschmacks, der mich fast zehn Jahre in den Klauen hatte, war gekommen.

Aber das sind alles nur arge Verkürzungen, welche die langsamen Übergänge gar nicht einfangen können, es sei denn ich würde das auf Größen aufblasen, die niemand lesen möchte. Außerdem kann ich es eh nicht mehr wirklich nachvollziehen. Alles, was aus einem Kopf kommt, ist Fiktion.

Schreiben kann also auch eine Art Filmschauen sein. (Sano Cestnik)

Seit zwei Jahren veröffentliche ich hier Texte. Vorher habe ich seltenst welche geschrieben. Ich habe auch äußerst selten überhaupt über Filme geredet. Alles was ich zu sagen hatte schien mir so nichtssagend, so unangemessen. Vielleicht habe ich durch das Schreiben begonnen, Filme aus anderen Perspektiven zu sehen (neben dem schlechten Einfluss von Christoph, der mir diesen Kommentar verzeihen möge). Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass sich viel getan hat. Ich schaue Filme, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie mir gefallen könnten, und ich genieße Filme, die ich vorher öde fand. Vor allem schreibe ich über sie und plötzlich sehe ich sie mit anderen Augen. Wer schreibt, legt sich fest … oder besser, die Wörter legen einen fest. Die schwammigen, labyrinthischen, durchdrehenden Möglichkeiten im Kopf können nicht beibehalten werden. Ich jedenfalls habe beim Schreiben dauernd diese aha-Effekte, wenn ich plötzlich verstehe, warum ich einen Film mag oder nicht mag, oder das ein Film gar nicht so ist, wie ich dachte … weil es plötzlich schwarz auf weiß vor mir steht. Es kann einem neue Perspektiven liefern. Aber durch das Schreiben werden auch die jugendlichen, springenden Möglichkeiten in dement brabbelnde, verknöcherte Greise eines Textes, welche die Dinge profan machen können. Es kann auf jeden Fall so einflussreich sein, wie über Filme zu lesen und über sie zu reden … oder sie einfach zu schauen.

Warum diese lange Einleitung jetzt hier steht? Weil es hier demnächst eine Top 100 geben soll. Meine Top 100 und es ist bei solchen Listen wichtig zu wissen, wer sie macht. Ich weiß, dass ich seit der 7. Klasse Listen mache, wahrscheinlich schon länger. Alles wurde festgelegt. Top Ten meiner Lieblingsbands, Alben, Bücher, Filme und so weiter. Es gab mir eine Möglichkeit mir und anderen zu zeigen, wer ich bin. Dabei haben Listen diesen wahnwitzigen Aspekt, dass so eine Liste zeigen solle, wie toll man ist, was aber nur unter der Voraussetzung funktioniert, dass alle einen Geschmack teilen. Ein Projekt zum Scheitern. Es ist die Freude all diese Qualität zu nehmen, mit ihr zu jonglieren und mich festzulegen. Gleichzeitig ist es eine Qual, weil jede Menge Qualität ausgeschlossen werden muss und geliebte Filme auf unfassbar schlechten Plätzen landen. Ein Freund wollte mal eine Top Ten von mir, weil ich dauernd sagte, dass der und der Film zu meinen zehn liebsten gehörte. Am Ende war es eine Top 50.

Es ist fast schon ein Fetisch bei dem ich aus all den Filmen, die mich sprachlos zurücklassen, eine flüchtige Essenz auspresse. In dem ich aus der Wolke der Begeisterung das Skelett meines Geschmacks herausschabe. Eine Liste ist immer in Bewegung und wahrscheinlich kurz nach dem Posting, werde ich mich nur noch bedingt damit identifizieren können, aber für einen kurzen Moment, einen sehr kurzen Moment stand etwas fest. Was beruhigend sein kann und einen Punkt liefert, von dem losgesprungen werden kann. Wie ein Stein im Fluss inklusive aha-Effekten.

Mit einer Liste irgendeine Realität einzufangen, ist natürlich unmöglich. Manche Filme werden mit jeder Sichtung besser, mache immer weniger faszinierend. Manche fahren Achterbahn. Wirklich fair wäre nur, wenn ich alle Filme gleich oft und als letztes gesehen hätte, unter den selben Bedingungen. Aber so ist es einfach mit der Wissenschaft, wer sich die Hände an der Realität schmutzig macht, wird nie Objektivität erreichen. Die kommende Liste wird nicht fair sein und auch auf niemanden ein Licht werfen, als auf mich zur Zeit der Entstehung. Sie ist im Grunde auch nur für mich. Was nicht heißt, dass sie niemanden interessieren könnte. Hoffe ich.

Im Booklet von … And Justice for All schreiben Metallica, dass sie auf eine Dankesliste verzichten, weil die eh niemand liest. Ich lese Listen. Je subjektiver, je besser. Ein Grund, warum ich die Sight & Sound-Listen so langweilig finde, ist, denke ich, dass die Beteiligten versuchen, objektiv die wichtigsten Filme der Filmgeschichte zu bestimmen. Citizen Kane ist sicherlich ein super Film, aber ich bezweifele, dass er dermaßen persönlichen Einfluss auf die Teilnehmenden hatte. Er wird genannt, weil er eben Citizen Kane ist und das ist nicht wenig. Aber meine Güte, es ist eben auch nur Citizen Kane. Aber vielleicht entgeht mir da einfach etwas. Mir, meinem Leben und meinem Filmverständnis sagt er nur bedingt etwas.

 And now the end is near (Paul Anka)

3200-3500 Filme habe ich bisher gesehen. Viel zu wenig. Wer einen ungefähren Einblick haben möchte, erhält hier in meiner imdb-watch-list Auskunft. Sie kann nach diversen Aspekten geordnet werden, außer nach den sinnvollsten, nach Veröffentlichung oder Produktion. Da ich sie auch erst letztes Jahr nachgeholt habe, sind riesige Lücken drin. Es fehlen einige Filme, weil ich nicht weiß, wie sie heißen (da ist zum Beispiel dieser asiatische Film, wo eine Schülerin eine sado-masochistische Beziehung mit ihrem Lehrer anfängt, den ich im Schillerhof sah, und wo das Mädchen auf dem Schulklo ihrer Freundin stolz die blauen Striemen auf ihrem Arsch zeigt), und andere, weil ich sie vergessen habe. Viele, unendlich viele Filme fehlen mir noch und ich werde nicht ruhen, bis ich sie alle gesehen habe … oder das Interesse verliere. Von dem, was ich bisher sah, ist das demnächst Folgende objektiv das Beste :D


Appendix I

DIE Lieblingsfilme, eine Entwicklung in chronologischer Abfolge (ohne Gewähr):
König der Seeräuber [Morgan il pirata] ( I/F 1960)
Die rechte und die linke Hand des Teufels [Lo chiamavano Trinità…] (I 1970)
Mad Mission II [Zuijia paidang daxian shentong] (HK 1983)
American Fighter II – Der Auftrag [American Ninja 2: The Confrontation] (USA 1987)
Die Feuerwalze [Firewalker] (USA 1986)
Missing in Action II – Die Rückkehr [Missing in Action II: The Beginning] (USA 1985)
Stirb langsam – Jetzt erst recht [Die Hard: With a Vengeance] (USA 1995)
The Untouchables [Die Unbestechlichen] (USA 1987)
– (Interregnum)
The Addiction (USA 1995)
Stalker (UdSSR 1979)
L’eclisse (I 1962)


Appendix II

Acht Szenen, die mich verfolgen, die ich immer wieder ansehe, die mir fast alles bedeuten.

Die rechte und die linke Hand des Teufels und ein Pferd und eine Liege
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=BrDR13Qpt5o[/youtube]

Bei Leben und sterben lassen wird jemand beerdigt. Nur wer?
[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=-ZPZWZDlkaY[/youtube]

James Woods peitscht in Videodrome
[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=P0XwWXgISXI[/youtube]

Glenda Jackson tanzt fiebrig mit ein paar Büffeln in Liebende Frauen.
[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=fYCQok8xVbo[/youtube]

Die roten Schuhe tanzen mit Moira Shearer weit über das Fieber hinaus.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=xmC1bGPq7Js[/youtube]

Vor dem Crash wird ein Auto gekauft
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=F_I-LCbNE60[/youtube]

Ein tristes Frühstück voll Wahnwitz und Herbstromanzen.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=SiNxOijYMQc[/youtube]

Pierrot le fou prätentioniert im Schilf
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=UpyGhcu_n_4[/youtube]


Top 100
jetzt, ohne weitere Vorrede, geht es los
100. Cliffhanger [Cliffhanger – Nur die starken Überleben] (USA 1993)

Geifert, ihr Nonnen, ihr Exorzisten, ihr Menschen – Die Teufel (GB 1971)

Des Lebens Wirklichkeit ist zu mannigfaltig, um nur solche abstrakten
Gegensätze auszuweisen wie den zwischen einer Verzweiflung,
die vollkommen unbewußt ist, und einer, die sich des Zustandes völlig
bewußt ist. Meist freilich befindet sich der Verzweifelte, mit mannigfachen
Nuancierungen, in einem halbdunkel über seinen eigenen Zustand.

(Søren Kierkegaard)

Vor einigen Monaten hat das Britisch Film Institute The Devils von Ken Russell als aufwendige DVD-Edition mit hervorragender Bildqualität und mit einem Haufen an Boni auf den Markt gebracht. Jede Menge Arbeit haben sie sich gemacht, um den Zuschauer etwas nach dem Tod des Regisseurs zu bieten. Dokumentationen, Kurzfilme, Interviews – Informationen satt. Nur eines hat das BFI nicht geschafft: Warner dazu zu bewegen, die Lizenz für die wiederhergestellte Version von 2004 rauszurücken. Als der Film 1971 in die britischen Kinos kam, waren mehrere Szenen gekürzt worden und zwei Sequenzen entfernt. Im frankistischen Spanien wurde er verboten und in anderen Ländern (besonders der USA) noch stärker beschnitten. 2004 fand Mark Kermode eine der verschollen geglaubten Szenen und diverse andere Einstellungen. Statt nun die originalgetreuste Version zu veröffentlichen, kommt wieder nur ein altes Schwein in neuen Schläuchen auf den Markt. Bis heute scheint die Kermode-Version nur auf Festivals gezeigt worden zu sein.

Doch auch die britische X-rated Version hat es immer noch in sich und zog jede Menge Kontroversen nach sich. Nichts dergleichen war bis dahin im Kino zu sehen gewesen. Die Szenerien überschlagen sich förmlich. Eine bucklige Nonne leckt voll Lust die blutenden Wunden Christis. Eine bucklige Nonne, die sich unbewusst ein Kruzifix in die Handfläche bohrt, als sie krampfhaft versucht, ihre Leidenschaft aus sich herauszupressen, auf das ein reiner Geist zurückbleibe. Vor verdrängter Geilheit tropfende Exorzisten und Ärzte derwischen durch die irrealen Szenerien und verpassen vor Hysterie platzenden, nackt tanzenden Nonnen Einläufe, um sie vor Satan zu retten. Diese Geschichte, die auf realen Geschehnissen basiert, wird wie eine perverse Zirkusdarbietung behandelt. 8 Meter große Türen, die mit Popartkreuzen versehen sind, bestücken ein Gefängnis. Wohl nicht nur 1634 waren solche Pforten nirgends zu sehen. Viele letzte Ecken von Unschuld im Kino wurden aufs Gröbste geschändet. Für viele war es kaum auszuhalten. Anderen kam es einer Befreiung gleich. Als ich The Devils das erste Mal sah, war ich niedergeschmettert, angewidert und perplex. Ich hatte mit 18 erst angefangen zu begreifen, was es abseits des Mainstreams für Filme gab und dann landete ich in solch einem Film. Es war wundervoll. Nach diversen Sichtungen konnte ich die meisten Dialoge mitsprechen.

Hysterie und Wahnsinn sind die zentralen Punkte von The Devils, mit denen wahrscheinlich jeder zuerst konfrontiert wird … in den Berichten und in der eigenen Wahrnehmung. Doch unter der Raserei und dem Gore, welche einen förmlich anspringen, liegt ein riesiger Reichtum verborgen. Die Oberschwester des Frauenklosters (Vanessa Redgrave) von Loudun denunziert aus Eifersucht einen charismatischen, promisken Priester (Naturgewalt Oliver Reed). Er sei ein Diener des Teufels. Kardinal Richelieu und seine Handlanger nehmen diese Anklage dankbar auf. Der Kardinal will Frankreich unter seinen Fittichen zentralisieren und in Loudun, dem Tor zu Westfrankreich, trifft er auf den Widerstand in Form dieses Priesters. Die intrigante Machtpolitik, die mehr auf Neid und Heuchelei baut, als auf reale Anschuldigungen, wird genauso entlarvt wie die weltfremde Vergnügungssucht des Hofes. Im Kloster herrscht der kalte Zwang zur Reinheit/Keuschheit und folglich zieht eine Atmosphäre von Geilheit und Selbstgeißelung durch die Gänge. Damit sind die Nonnen die Versinnbildlichung der Zustände in der Stadt und gleichzeitig deren Spiegel. Denn in der Stadt steht Priester Urbain Grandier den Eiferern und Quacksalbern im Weg und kann sie in Zaum halten. Sie fühlen sich in ihrem eitlen (Erfolgs-)Wahn unterdrückt. Der eintreffende Hexenjäger verändert das alles. Er schreit jeden nieder, der auch nur einen rationalen Gedanken äußert und damit nicht im Einklang mit seinem lüsternen Kampf gegen die Lüsternheit ist. Er hat Erfolg, weil er all diesen unterdrückten Sehnsüchten und Selbstgerechtigkeiten die Möglichkeit zum Ausbrechen gibt. Die Nonnen beginnen, sich in ihrer Lust zu suhlen. Da sie vom Teufel besessen seien, können sie ja auch nicht anders. Unter dem Deckmantel der göttlichen Gerechtigkeit kann jeder seinen privaten Begierden nachgeben. Aus den Menschen wird ein Haufen geifernder Schakale … zum Nachteil aller. Und mitten in diesem Karussell der ausbrechenden Lüste steht Ken Russell wie ein Hexenmeister. Die Dimension, die Politik, die Religion, die Suche nach Glück, die Unterdrückung, das Ausbrechen, Pest, Quacksalbertum, Liebe, Neid, Eifersucht, Phantasie, Realität und so weiter, diese Heuschrecken hält er an der Kette. Von außen sehen sie kompakt aus, wie eine Wand. Aber wehe jemand landet in seiner Meute. Mannigfaltig werden die Angriffe sein … in denen er selbst für die zarten Momente des Glücks Platz findet.

The Devils wird im Grunde durch einen einfachen Gegensatz zusammengehalten. Auf der einen Seite stehen die Menschen, die sich ihrer Hemmungen entledigen und gerade ihren schlimmsten Fehlern erliegen, weil sie sich ihre Fehlerhaftigkeit nicht eingestehen wollen. Wie sehr sie fehlen, wird aber erst durch Grandier sichtbar. Jesusgleich wandelt er durch die Geschehnisse und kämpft nicht nur für die Freiheit seiner Mitbürger, sondern auch für seine eigene innerhalb der (katholischen) Kirche. Ohne Berührungsangst schläft er mit den jungen Frauen der Stadt. Er vertraut auf einen vergebenden Gott und hat folglich keine erdrückende Zweifel an seinem Seelenheil. Kierkegaards Krankheit zum Tode hat bei ihm keine Chance. Er hält seiner prüden Umgebung einen Spiegel vor, in dem er seine Fehlerhaftigkeit akzeptiert und damit zum Besten aller Menschen wird, ein großartiges Charismamonster, an dessen Lippen jeder hängt, neben dem jeder kläglich erscheint. Wie fair das ist, möge jeder selbst entscheiden, auf jeden Fall ist es effektiv. Denn gerade wenn die Passionsgeschichte des Priesters beginnt, fängt der Zirkus seiner Mitmenschen erst an wirklich garstig zu wirken.

Grabrede für das Grauen – L’ultima orgia del III Reich (I 1977)

Es gibt keine richtige Subjektivität ohne die Vorstellung, dass ich aus
einer anderen Perspektive betrachtet bloß ein Stück Scheiße bin.

(Slavoj Žižek)

Leser! Cineasten! Von Google-Gestrandete! Hört mich an: Begraben will ich L’ultima orgia del III Reich, nicht es preisen. Wenn Filme ernste Tatbestände nicht kultiviert darstellen, dann wird das ihnen häufig nachgetragen. Sie seien Trash, stumpf oder ungebührliche Machwerke. Die spannenden, faszinierenden Aspekte werden mit ihnen oft begraben. So sei es auch mit L’ultima orgia del III Reich! Filme wie Schindlers Liste haben euch gesagt, wie schrecklich die Verbrechen der Nazis waren. Den Opfern der Konzentrationslager wurde so ein gebührliches Denkmal gesetzt, das ihnen wenigstens Ehre erweist, nachdem ihnen damals jede Menschlichkeit verwehrt wurde. Exakt wird die grauenhafte Realität porträtiert. Auf Klamauk, billige Verallgemeinerungen oder reißerische Lüsternheiten wird zum Glück verzichtet. L’ultima orgia del III Reich begeht fast alle diese Fehler und das ist ein schweres Vergehen. Schindlers Liste hingegen ist ein ehrenwerter Film.

Vieles kann Schindlers Liste vorgeworfen werden. Er sei zu kitschig, die Nazis zu sehr als Ausnahme in der guten Menschheit porträtiert oder, wie Michael Haneke (seinen verbohrten Snobismus unterstreichend), er sei ein billiges Produkt für naive Amerikaner. Das stimmt vielleicht sogar alles. Schindlers Liste ist naiv und bewahrt sich so den größtmöglichen Grad an Unschuld im Angesicht solcher Verbrechen. Diese Unschuld ist L’ultima orgia del III Reich völlig fremd. Wer ihn anschaut, findet sich im Herzen der Verderbtheit wieder. Diese Phantasmagorie suhlt sich in der Verkommenheit. Es beutet Niederträchtigkeiten begierig aus, um den Zuschauer zu schocken, ihn anzuwidern. Das Grauen macht er zum Objekt einer perversen Peepshow, die auf die Geilheit der Zuschauer zählt. Vergewaltigung, Folter und Mord werden von sadistischen Wahnsinnigen ausgeführt … in diversen Variationen. Im Grunde ist L’ultima orgia del III Reich eine einzige große Widerlichkeit. Schindlers Liste hingegen ist ein ehrenwerter Film. Ein wichtiges Mahnmal.

In schönen Bildern, die klar sind, ausdrucksstark, ohne Fremdschämpotential, wird das Leid in Schindlers Liste eingefangen. In größter Sorgfalt werden die Kulissen nachgestellt, so dass dem Zuschauer an der Authentizität der Trostlosigkeit keine Zweifel kommen. So wird die Verderbtheit der Schandtaten der Nazis für jeden klar verständlich. Anders als in L’ultima orgia del III Reich gibt es kaum Falschheit, wovon es im italienischen Film von Regisseur Cesare Canevari nur so strotzt. Schlechte Szenerien, schlechte Kostüme, schlechte Schauspieler verdeutlichen dort nicht nur die Knappheit des Budgets, sondern auch die Billigkeit des ganzen Ansatzes. Ein billiger Film wird eben nie mit der realistischen Darstellung verwechselt werden. Aus diesem Grunde ist Schindlers Liste, nicht wie L’ultima orgia del III Reich, ein ehrenwerter Film.

Das größte Übel ist aber, dass sich L’ultima orgia del III Reich den Geschehnissen aus der Sicht der Nazis nähert. In Rückblenden werden großenteils die Erinnerungen eines SS-Offiziers an seine Zeit im KZ wiedergegeben, wie er, seine Geliebte und andere SS-Angehörige Gefangene aufs Abartigste misshandeln und antisemitische Wahnvorstellung von sich geben. Rauschhaft ignorieren sie jedes Erbarmen und zeigen auf, wozu Menschen fähig sein können. Das alles ist je nach Verrohungsgrad des Zuschauers mehr oder weniger abstoßend. Aber immer wieder kehren zwischendurch die Bilder eines Sees zurück. Eine ruhige, warm glitzernde Idylle nimmt die Leinwand ein und glitzert über sie. Die Sehnsucht des Offiziers nach der guten alten Zeit springt auf den Zuschauer zu. Unkommentiert. So poetisch wie verführerisch inszeniert, dass sie vielleicht das Gefährlichste und Ekligste von  L’ultima orgia del III Reich ist. Nicht nur das Leid der Opfer oder die kleinen Heldentaten der offenen oder verdeckten Oppositionellen stehen im Mittelpunkt, sondern auch die morbiden Begierden eines Mannes, der sein Paradies gefunden hatte, in dem ihn niemand davon abhält, seinen perversesten Neigungen nachzugeben. Vielleicht. Und Schindlers Liste ist ein ehrenwerter Film, der zum Glück nur Sympathien für die Opfer hat.

Ich muss gestehen, dass ich Schindlers Liste erst ein einziges Mal gesehen habe. Vor vielen Jahren als er das erste Mal auf ProSieben lief und es eine riesige Diskussion gab, ob ein so ehrenwerter Film, ein so wichtiges Mahnmal von Werbung unterbrochen werden dürfte. Bis heute bin ich überzeugt, dass Werbung bei einem solchen Film eine noch größere Geschmacklosigkeit ist, als es Unterbrechungen eh schon sind. Interesse, diesen ehrenwerten Film wiederzusehen, habe ich aber nicht, weil ich nicht denke, dass er mir noch etwas zu sagen hat. Dass Nazismus, Faschismus, Progrome oder Massenmord, an wem auch immer, schlecht sind und hoffentlich nie wieder auftreten (vielleicht ein irrationale Hoffnung), sagt einem der gesunde Menschenverstand … was auch immer das heißt. Ich denke wirklich, dass Schindlers Liste ein wichtiger Film ist. Als Mahnmal tendiert er aber dazu, Menschen in süßlichem Mitleid und dem zweifelhaften Gefühl, dass jeder selbst in einer solchen Situation wie Schindler handeln würde, erstarren zu lassen.

L’ultima orgia del III Reich ist kein ehrenwerter Film. Zwischen all den Widerlichkeiten, zieht er einen verführerisch auf eine Seite, auf der niemand sein wollen sollte. Er kann einen anekeln und vor allem mit schrecklichen Dingen konfrontieren, die in einem schlummern, egal wie sehr sie verdrängt werden. Das vermittelte Bild der Menschheit ist schrecklich. Die Angst vor den Mitmenschen und den eigenen verborgenen Potentialen werden bis zur Schmerzgrenze ausgereizt. Horrorfilm und Melodrama gehen eine infernalische Verbindung ein. Im Melodrama kämpfen die Protagonisten gegen die Fesseln der Gesellschaft. Hier haben sie ausnahmsweise gesiegt und unterwerfen jeden, der ihrem Glück im Weg steht, machen jeden zum Werkzeug ihrer pervertierten Lust … und schmachten Jahre später nach ihrem verlorenen Paradies. Der Wahnsinn und das Dämonische ist menschlich wie unerträglich. Durch die Unfertigkeiten werden einem aber genügend Distanz geboten, um nicht von ihnen verschlungen zu werden (neben dem ambivalenten Melodrama um eine Lagerinsassin, aber das würde den Rahmen hier sprengen). „Man soll mit Filmen nicht die Welt retten wollen“ hat einmal jemand geschrieben. Nichts lag Cesare Canevari ferner. Stattdessen hat er einen schändlichen, erschreckenden, aber mitunter auch erschreckend schönen Film gemacht, der einem sehr viel über einen selbst sagen kann. Immer wieder.

ERSTER BÜRGER. O kläglich Schauspiel.
DRITTER BÜRGER. O jammervoller Tag.

 

Pariser Vorhölle – Am Rande der Nacht (F 1983)

Das Fegefeuer ist ein Ort, der den reuigen Sünder auf den Himmel vorbreitet. Dort werden Menschen mit Feuer von  ihren Sünden reingewaschen. Diese vulgär(christlich)e Vorstellung von Gerechtigkeit und Unbeflecktheit sieht aber tendenziell einen positiven Ort vor sich … einen Ort masochistischer Hoffnung. Körperliche Qual als Hintertür zur Reinheit des Himmels. Als Sinnbild ist das Fegefeuer aber deutlich negativer besetzt. Es beschreibt ein mit seelischen Qualen durchs Leben taumelndes Individuum, das ignorant gegenüber den eigenen Sünden dahinlebt. Wie blind schlägt es auf sich oder seine Umwelt ein, um sich zu heilen. Doch das grundsätzliche Leiden wird so nur vergrößert.

Lambert (Coluche) befindet sich in diesem Fegefeuer. Nacht für Nacht sitzt er in einer heruntergekommenen Tankstelle in Paris. Er hat keine Freunde und keine Freude. Bestenfalls arbeitet er lustlos und toastet sich ab und zu etwas zu essen. Ansonsten ist sein Zustand mit vegetieren am besten beschrieben, denn biologisch ist er vielleicht noch am Leben, aber innerlich ist er tot. Seine Existenz ist nur noch die selbstauferlegte Strafe für seine Vergangenheit. Wissen tut er dies wahrscheinlich nicht.

Coluche, der 2-3 Jahre zuvor in einer aufreibenden Schlammschlacht um das französische Präsidentenamt genug Inspiration bezüglich Depression und Desillusion sammeln konnte, ist Lambert. Angsteinflößend wischt er jede Grenze zwischen sich und der Figur hinweg. Wer den französischer Komiker nur als Sohn von Louis de Funès in Brust oder Keule kennt, wird ihn kaum wiedererkennen. Sein Äußeres geht mit den ständig feuchten Straßen und dem Dreck in diesem unheimlichen Paris eine allumfassende Symbiose ein. Ein riesiger Sumpf umgibt ihn, der ihm keinen Ausweg bietet und Tchao Pantin (Am Rande der Nacht) ist dieser Sumpf, der aus seinem Inneren ausgeht und alles in sich aufsaugt. Schon die schmierige Frisur und die hängenden Mundwinkel sind bar jeder Hoffnung. Wer Coluche/Lambert ins Gesicht schaut, blickt in einen gespenstigen Abgrund absoluter Resignation.

Dem jungen Araber Bensoussan (Richard Anconina) geht es ähnlich. Er ist verloren in seiner Welt und überspielt dies mit Rüpeleien und Darbietungen von dreister Selbstüberschätzung. Er schlägt sich als Drogendealer durch, stellt sich aber mehr oder weniger bewusst immer wieder selbst ein Bein. Er ist agiler als der Tankwart, doch der Mittelfinger, den er seiner Umgebung entgegenstreckt, ist nicht am Leben interessiert, sondern am selbstzerstörerischen Kampf um Anerkennung. Er macht sich lieber jeden zum Feind, als von seinem Lebensweg zurückzutreten.

Beide freunden sich an, als Lambert Bensoussan eines Nachts Unterschlupf vor der Polizei gewährt. Doch sie werden nicht ziemlich beste Freunde, sondern verlangsamen nur ihr Ertrinken. Das bisschen zwischenmenschliche Wärme zwischen ihnen ist nur ein hauchdünner Ast, der in dem Moment bricht, als Bensoussan vor der Tankstelle ermordet wird. Lambert geht daraufhin auf einen Rachefeldzug gegen das Drogenkartell, welches seinen Freund umbringen ließ. Aber auch gegen sich. Er fängt wieder an zu handeln, aber das Fegefeuer in ihm bleibt bestehen und frisst ihn langsam auf.

Regisseur Claude Berri, der 1967 mit Der alte Mann und das Kind (Le vieil homme et l’enfant) einen der klassischen Wohlfühl-unterschiedliche-Freunde-Filme drehte, lässt sich hier niemanden wohlfühlen. Selten einmal herrscht Tag in einem zersprengten Moloch, in der jeder auf sich gestellt um sein Überleben, um seine geistige Gesundheit kämpft. Coluche/Lambert hat anscheinend ganz Paris an der Seele gepackt. Die Kälte am Rande dieser Pariser Nacht lässt die Menschen verwildern, denn nur das allumfassende Fegefeuer ermöglicht ihnen zu leben. Tchao Pantin ist aber nicht rasend wie seine Figuren. Ruhig beobachtet er, gibt allen ihren Raum und lässt Paris flirren. Mit zurückhaltender Betörung zieht er den Zuschauer in seinen Bann und reißt sie mitten in den Morast.

Gegen Ende erfahren wir Lamberts Vorgeschichte. Claude Berri schafft es damit beinahe den ganzen Film durchzupsychologisieren. Fast erstickt er damit alle Figuren in rationalen Erklärungen über die Hauptfigur. Sie verlieren ihre Eigenständigkeit und ihr Leben und sind fast nur noch Teile eines hölzernen Plots. Nur Lola (Agnès Soral), eine Punkerin, die Bensoussan kurz vor seinem Tod kennenlernt und Lambert seltsam ambivalent bei seiner Rache unterstützt, bleibt nicht zu fassen. Sie erhält Tchao Pantins Widersprüchlichkeit. Das Zentrum der Nacht ist klar, nur was sich am Rande abspielt, wird immer ein Rätsel bleiben.