Kontrapunkt: Zum Teufel mit der Story!

Wer braucht die schon? Lasst gefälligst die Bilder wirken! Das ist Film: Leben in Bewegung! Lebendigkeit in den Figuren, Realismus! Oder wenigstens ein paar Effekte, wenn der Rest schon nicht passt…

Crazy Heart (USA 2009)

Die hier erzählte Geschichte ist wahrlich keine originelle, nein. Man hat sie schon tausend Mal gesehen. Zuletzt bspw. In „The Wrestler“. Auf jeden Fall gibt ein abgehalfterer Ex-Star seiner Branche, der sich mit seiner Familie verkracht hat und mit mies bezahlten Jobs herumplagt, auch storytechnisch nicht viel her. Doch wissen gerade solche Filme Mickey Rourke oder eben auch der großartige Jeff Bridges in beeindruckenden Performances aufzu- werten. Dazu gesellt sich ein Score, der zum Mitgehen und –fühlen einlädt, auch wenn man Countrymusik sonst nicht viel abgewinnen kann. Da verzeiht man auch die reichlich unglaubwürdige Beziehung zu einer jüngeren Reporterin (Maggie Gyllenhaal) – wieder diese wenig taugende Story – gern. Dank des Hauptdarstellers und der Musik großes Kino.

Scanners II – The New Order (CDN 1991)

Köpfe-Zerplatzenlassen die Zweite, etwas weniger unterkühlt als David Cronenbergs Erstling. Bei der dünnen Story um einen machtgierigen Polizeichef, der mithilfe der gefügig gemachten „Scanner“, Menschen mit telepathischen Fähigkeiten, die Gesellschaft kontrollieren will, wartet man sowieso nur auf die blutigen SFX. Schade nur, dass die ebenso wie Actionsequenzen nur spärlich gesät sind und die mediokren Darsteller mit Schauspielern diesen Mangel nicht übertünchen können. Für Fans der Reihe nett, wer etwas mehr Gekröse mit vergleichbarer Thematik sehen will, greift jedoch zu „Scanner Cop“, auch wenn der weniger auf Spannungskurve setzt.

Mit Herz und Hand (NZ/CH/USA/J 2005)

Fährt ein alter Mann aus Neuseeland zur „Speed Week“ nach Bonneville, Utah, holt nen Weltrekord und fährt wieder heim. Das ist die ziemlich simple Story dieses Films. Und genau so läuft der Film auch ab. Soll heißen: Konflikte, Bangen um das Erreichen des Ziels oder Exkurse sind nicht vorhanden. Getragen wird diese glatt gebügelte Heile-Welt-Schmonzette von einem omnipräsenten und wie immer – ja, auch als Kannibale – sympathischen Anthony Hopkins, der den Film an sich reißt. Das macht den zwar nicht besser, aber immerhin erträglicher und die hübschen Bilder und ein wenig kauziger Humor bekommen in Sachen Highlights Gesellschaft. Ein bisschen sehr viel ausfühlicher habe ich mich nach längerem Fernbleiben einmal mehr in der OFDb geäußert.

Kontrapunkt: Trash VI

Was haben nackte, masturbierende Frauen, ekelhafter Schleim und angreifende Plastikmonster gemein? Eigentlich nichts – außer dass ich vergangene Woche allesamt von ihnen heimgesucht wurde.

Engel mit schmutzigen Flügeln (D 2009)

Unfreiwillig komische Tanzeinlagen, eine theaterhafte Inszenierung, hölzern umgedichtete und aufgesagte philosophische Zitate (“Ich ficke, also bin ich”), unterdurchschnittliche Darsteller(innen)leistungen, und keine Story. Diese in ihrer Konsequenz misogyne Aneinanderreihung von unmotivierten Fahrten mit Motorrädern und Antje Mönnings entblößten Geschlechtsteilen ist eine plumpe Provokation, die nur selten nach- denkenswerte Ansätze um Selbsterkenntnis und Ich-Konstitution liefert. Da kann das rebellische Credo des gänzlich unabhängigen Filmemachens in Amateurfilmoptik mit wenig Geld, aber umso mehr Herzblut noch so radikal verteidigt werden: das Ergebnis ist haarsträubend einfältiger Trash ohne Sinn und Verstand!

Das Bildnis der Doriana Gray (CH 1976)

Ja, man liest richtig: Dieser Film handelt vom Bildnis der Doriana, nicht dem Dorian Gray, dessen x-te Verfilmung mit Colin Firth im April in den deutschen Kinos anläuft. Jess Franco inszenierte seine eigenwillige Oscar Wilde-Adaption mit “Der Mann in der eisernen Maske”-Anleihen als Erotikdrama, in welchem eine lüsterne, aber orgasmusunfähige Schlossherrin, die ihre Lover/-innen beim Sex tötet, und deren Zwillingsschwester in der Psychiatrie (Lina Romay in einer Doppelrolle) in einem ominösen Zusammenhang zueinander stehen. Abseits des wiederkehrenden Einsatzes von Spiegeln als penetranter Metapher zeugt die einfallslose und reißerische Inszenierung dieser miesen Muschiparade von der Unfähigkeit des Regisseurs, der literarischen Vorlage annähernd Herr zu werden. Trotz der Laufzeit von gerade einmal 69 Minuten ein quälend-langweilige und zähe Angelegenheit, die einzig von Franco-Gattin Lina Romays dauerhaft entblößter Weiblichkeit in zahlreichen Masturbations- und Lesbenszenen lebt, immerhin halbwegs erotisch fotografiert.

Power Rangers – Der Film (USA/J 1995)

Wie würde Android Alpha zu dieser Kinoadaption der bekannten (und dümmlichen) TV-Serie sagen: “Eijeijeijeijei!!!”. Da wird bei Bauarbeiten zufällig das Gefängnis des bösen Magiers Ivan Ooze entdeckt und schließlich von den bösen Monstern um Zauberin Rita geöffnet. Ivan Ooze stattet erst Erzfeind Zordon im Power Rangers-Hauptquartier einen fatalen Besuch ab, bevor er die Erwachsenen im Ort Angel Grove durch die Verbreitung seines widerlichen Schleims zu willenlosen Zombies macht. Es ist an den Power Rangers, auf einem fremden Planeten nach mordsmäßiger Ultra-Power zu suchen, um Zordon zu retten und schließlich bei einem finalen Fight gegen das riesige Plastikmonster von Ivan Ooze anzutreten. Über die hanebüchene Story hinaus sind die Mängel des Films vielerlei: extrem entbehrliche Nebenfiguren – wobei Bulk und Skull den Jar Jar Binks-Nervigkeitsgedenkpreis verdienen – mäßige CGI-Effekte und grelle Farben überall, dämliches Rumgefuchtel mit den Armen als martialische Gesten. Trashig und hohl, aber zumindest hin und wieder unterhaltsam.

Kontrapunkt: DVD-Premieren II

Stars im Film und trotzdem ist US-Filmen kein deutscher Kinostart vergönnt? Das könnte an unerfüllten kommerziellen Erwartungen oder an der fragwürdigen Klasse der Filme liegen. Hier der Beweis, dass sich beides nicht unbedingt gegenseitig ausschließt.

Boston Streets (USA 2008)

Regiedebütant Brian Goodman hatte es in seinem Leben bisher nicht leicht. In seiner Jugend rutschte er ins Verbrechermilieu ab, wurde alkohol- und drogenabhängig, schaffte aber nach einer Gefängnisstrafe den Ausstieg und brachte Frau und Kinder auf legalem Wege durch. Das ist zumindest die als autobiografisch präsentierte Geschichte, die in diesem zwar gut besetzten, aber leider eindimensional anmutenden Thriller- drama erzählt wird. Ethan Hawkes Figur ist an Stereotypie kaum zu überbieten und mit Mark Ruffalo als Hauptfigur scheitert jegliche Identifizierung. Zudem beginnt die episodenreiche, reichlich elliptisch Erzählweise alsbald zu nerven. Doch immerhin ist Goodman um die präzise Dokumentation des Alltags der beiden Freunde bemüht, zeigt die (familiären) Konflikte und Probleme auf und trägt sie auch aus. Das taugt trotz einiger Klischees zumindest als eine glaubwürdige Milieustudie.

Ca$h (USA 2010)

Hat man sich diesen gescheiterten Versuch einer launigen Thrillerkomödie angeschaut, ist man reichlich enttäuscht. Man fragt sich stets, was Tarantino und seine Epigonen aus der Storyline (abgezockter Gangster will seine Beute von einem ahnungslosen Pärchen zurück und stiftet selbiges zu Überfällen an) gemacht hätten. Das beginnt bei dem miesen Drehbuch (kaum pointierte Dialoge, kaum Tempo) und endet bei der mit Sean Bean (Boromir!!!) eigentlich gut besetzten Gangster-Hauptfigur. Letztere ist trotz aller Diabolik und Gelassenheit keine coole Sprüche klopfende und wild um sich ballernde Actionikone, sondern ein kühl (be)rechnender Analytiker, der immer den aktuellen „Kontostand“, wie viel Geld noch fehlt, im Kopf hat. So setzt sich der Film mehr aus befremdlichen Zahlenkalkulationen und angespannten Situationen um das vorübergehende unfreiwillige Zusammenleben von Gangster und Pärchen (das zunehmend Verbrechen cool findet) zusammen als aus Actionsequenzen, für deren Generierung bei dem sichtlich schmalen Budget (ca. 15 Mio. Dollar) wohl kein Geld mehr übrig war. Keine flotte, sondern nur ein reichlich schläfrige Räuberpistole ohne Kugeln im Lauf.

Kontrapunkt: Paris

Die Stadt der Liebe wird als Schauplatz für entsprechende Genre-Filme gerne genommen. Aus diesem Grund möchte ich dieses Klischee hier zweimal wirklich und einmal nicht so ganz bedienen.

2 Tage Paris (F/D 2007)

Marion (Julie Delpy) und ihr mürrischer amerikanischer Freund, der Ex-Knacki Jack (Adam Goldberg), reisen auf einem Eurotrip nach Paris, um ihre Eltern zu besuchen. Dieser 2 Tage dauernde Abstecher wird aufgrund der Notgeilheit des Vaters, der Überfürsorglichkeit der Mutter und der Konfrontation mit zahlreichen Ex-Lovern Marions zum Prüfstein der Beziehung. Auch wenn die anhaltende Geschwätzigkeit im Film auf Dauer doch etwas an den Nerven zerrt, gelingt Julie Delpy in ihrem Regiedebüt eine ehrliche, charmante. witzige und unkonventionell inszenierte romantische Komödie mit Seitenhieben auf den Zusammenstoß der französischen mit der amerikanischen Lebenskultur. Denkwürdig: Daniel Brühls kurzer und sehr seltsamer Auftritt als militanter Umweltaktivist in einer Fastfood-Filiale.

Paris je t’aime (F/FL/CH 2006)

Zugegebenermaßen waren die Erwar-tungen an diese Kurzfilmkompilation rund um das Thema „Liebe in Paris“ hoch. Umso mehr konnten sie nicht erfüllt werden. Von den 18 Miniaturen kann nur die Hälfte als wirklich gelungen bezeichnet werden, auch große Regisseure wie Gus Van Sant und Wes Craven fielen mit pointenlosem Stückwerk auf die Nase. Zu den Beiträgen von Walter Salles um das Leben einer Tagesmutter und von Nobuhiro Suwa um Trauerarbeit um ein verstorbenes Kind fehlte mir der Zugang. Hervorstechend: Alexander Paynes Liebeserklärung einer einsamen amerikanischen Touristin an Paris und der tolle Beitrag von Tom Tykwer. Die eigentlichen Überraschungen stellen aber die Segmente „Tour Eiffel“ von Sylvain Chomet (skurrile Komik um einen Pantomimen auf Frauensuche) und die durch Rückblende erzählte, traurige Liebesgeschichte zwischen einem Obdachlosen und einer Sanitäterin von Oliver Schmitz („Places des Fetes“) dar – beide großartig.

An American Werewolf in Paris (USA/GB/L/NL/F 1997)

Drei notgeile US-Teens machen auf ihrem Eurotrip einen Zwischenstopp in Paris. Der Softie von ihnen (Tom Everett Scott) verliebt sich dabei in Serafine (again: Julie Delpy), die sich vom Eifelturm stürzen will. Nach der unkonventionellsten Aschenputtel-Vari- ation der Filmgeschichte (Bungee-Jumping) folgt das erwartete Aufein- andertreffen von Menschen und Werwölfen, die es fast ausschließlich – man beachte die latente Gesell- schaftskritik – auf das kulturlose Volk der Amerikaner abgesehen haben. Die Auflockerung des Ganzen mit einigen (vorwiegend flachen) Gags oder witzigen Einfällen machen diese klischeelastige und mit durchwachsenen Special Effects um die Animation der Werwölfe gespickte Horrorkomödie launig und kurzweilig zu schauen, etwas wirklich Neues bekommt man allerdings nicht geboten, wenn man den ersten Teil kennt.

Kontrapunkt: Film vs. Buch – Homo Faber

Dass beide Medien unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten haben, beim Roman die Sprache, beim Filmen die Bilder und Töne, ist nicht neu. Doch Volker Schlöndorff, der „Die Blechtrommel“ von Günther Grass fürs Kino durchaus adäquat für die Leinwand aufbereitete, ignoriert in Homo Faber (F/D/GR/GB 1991) diesen Fakt. Natürlich will er sich eng an die Vorlage halten, um die Leser des Buches nicht zu verärgern und um Max Frischs Bericht um die letzten Monate eines rational denkenden Logikmenschen gerecht werden zu können. Doch dieses Vorhaben scheitert nicht nur in Anbetracht einiger Freiheiten, die er sich dabei nimmt und auf die noch näher einzugehen sein wird. Wenn Walter Faber im Buch emotional unterkühlt daherkommt, aber der Leser immer wieder tief in seine Psyche einzudringen vermag, für die menschliche Empathie ein Fremdwort zu sein scheint, in seine Lebenslügen und die wehmütige Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit, so endet das Einfühlungsvermögen des Films – ohne Schrift, aber eben mit Bildern – vor den runden Brillengläsern der von Sam Shepard unzugänglich, gar unsympathisch verkörperten Hauptfigur.

Diese Hauptfigur ist ein gestandener Mann, unnötig und unpassend stilisiert zum Womanizer. Auf dem anfänglichen Flug, bei dem er Herbert Hencke kennenlernt, wird ihm bereits eine unglaubwürdige Affäre mit der Stewardess angedichtet, die es im Buch nicht gibt. Faber wird im Laufe der Handlung konfrontiert mit dem Tod seines ehemals besten Freundes Joachim, lernt nach einem Wiedersehen mit seiner Flamme Ivy seine ihm unbekannte Tochter Elsbeth kennen, mit der er schließlich zusammen durch Europa tourt. Am Ende steht dabei Fabers Wiedersehen mit seiner ehemaligen Fast-Ehefrau Hanna und Mutter Elsbeths – unter traurigen Umständen.

Die Figur des Amerikaners Marcel, welchem Faber und Hencke in Palenque begegnen, fehlt ganz, was allerdings nicht weiter stört. Ohnehin ist ein Film darauf angewiesen, die komplexen Bilder und Motive des Buches zu vereinfachen, für die Geschichte Unerhebliches auszusparen. Die Reise zur Farm von Joachim wird verknappt, die Öde in der schwirrenden Hitze von Palenque, im Buch wiederum stimmungsvoll geschildert, fällt weg und wird aufs Nötigste zusammengekürzt. Nahezu unverzeihlich sind jedoch die sich fundamental voneinander unterscheidenden Enden. [SPOILER] Während Faber im Buch seinem Magenkrebsleiden erliegt, rahmt der Film die Geschichte dadurch, indem Hanna Faber zum Flughafen bringt (getaucht in Sepia-Töne). Dieser wohlgemerkt in dem Wissen über die Geschehnisse, die dann – der Struktur des Buches als „Bericht“ sehr ähnlich – rückblickend geschildert werden. Unverzeihlich ist dies deswegen, weil der Film Fabers Zusammenbruch auf der Flughafentoilette zu Beginn als Auswirkung dieses Leidens zeigt, dies aber dann zugunsten eines weniger pessimistischen Endes – in welchem Faber immerhin mit dem Leben davon zu kommen scheint – fallen lässt. [SPOILER ENDE]

Sam Shepard gelingt es dabei in der Hauptrolle nie, Sympathie zu wecken. Dies ist auch seinem – in der deutschen Synchronisation – mehr oder minder lustlos vorgetragenem Off-Kommentar geschuldet. Julie Delpy als jugendlicher Wirbelwind Elsbeth vermag durch ihren frischen Charme aus der Besetzung noch herauszustechen, Barbara Sukowa als Hanna und Deborra Lee-Furness als Ivy gelingt es jedoch kaum, Akzente zu setzen. Über allem thront jedoch Schlöndorffs unentschlossene Regie, die nicht so recht weiß, wo sie der literarischen Vorlage treu bleiben kann und wo sie ihr treu bleiben soll. Das Medium Buch lässt sich vom Medium Film nicht ohne Qualitätsverlust übertragen – das beweist zumindest „Homo Faber“