Watchmen (USA/CDN/GB 2009)

Watchmen von Zack Snyder besteht zu 80% aus einer Imitation und zu 20% aus einer Adaption. Dieses Verhältnis führt zum Schluss, dass der Film nicht im entferntesten “inspiriert von” der Comicvorlage ist, der Ausdruck “basierend auf” aber auch eine massive Untertreibung darstellt. So profiliert sich Snyder, der zuvor mit dem Remake “Dawn of the Dead” und der Comicverfilmung “300” von sich reden gemacht hatte, als der Anti-Auteur Hollywoods. Den Handwerkern, welche sich ganz in den Dienst der Vorlage oder des Studios stellen, kann man ihn nicht unwidersprochen zuordnen, da sein visueller Stil einem zu prägnant in Erinnerung ruft, man sieht einen Film “directed by Zack Snyder”. Die persönliche Handschrift eines Auteurs sollte hingegen aus den Metaebenen herauszulesen sein. Jenseits vom bloßen Plot sucht man da nach thematischen Verknüpfungen zwischen den einzelnen Werken, die weniger etwas mit der Vorlage als vielmehr mit der Persönlichkeit des künstlerischen “Genius” hinter der Kamera zu tun haben.

Die einzigen Schöpferpersönlichkeiten, die einem bei Ansicht von “Watchmen” in den Sinn kommen, die Menschen also, von denen man in bestimmten Momenten des Films denkt “da hat er/sie etwas künstlerisch wertvolles geschaffen”, heißen Dave Gibbons und Alan Moore. Betrachtet man “Watchmen” mit Kenntnis der Vorlage, beschleicht einem nämlich selten das Gefühl, ein eigenständiger Film laufe da auf der Leinwand ab. So massiv ist Snyder Sklave seiner Vorlage, selbst die einzelnen Kapitel (ursprünglich die einzelnen Ausgaben der Serie) sind im Bewegungsbild, das da projiziert wird, auszumachen. Das Streben nach einer werkgetreuen Adaption mit den Enttäuschungen “From Hell” und “The League of Extraordinary Gentlemen” in unmittelbarer Erinnerung, hat einen “Film” produziert, der die formalen Eigenschaften des Mediums sein eigen nennt und doch als Adaption weniger Existenzberechtigung besitzt, als die beiden genannten. Im Gegensatz zu jenen ist “Watchmen” allerdings ein manchmal fast schon guter Film.

Erzählt wird – wie auch in der später als Graphic Novel vermarkteten Serie von Moore und Gibbons – der Plot eines Krimis vor dem Hintergrund einer alternativen Version der USA in den 80er Jahren. In der sind kostümierte Vigilanten (lies: Superhelden) nicht mehr Stoff der Fiktion von Comicschreibern, sondern Realität. Zwei Generationen kämpften gegen die Unterwelt und ihre Schurken, bis die Helden für Regierungszwecke engagiert und in der Folge auf Grund ihrer fehlenden Popularität durch den Keene-Act verboten wurden. In diesen USA war es nicht mehr nur die Nationalgarde, die auf Protestanten schoss, sondern eben auch die politisch instrumentalisierten Vigilanten. Denen, speziell Dr. Manhattan (Billy Crudup), verdankt Präsident Nixon auch seine fünf Amtszeiten, denn der einzige tatsächlich mit Superkräften ausgestattete Superheld sorgte für den Sieg der USA im Vietnamkrieg. Im Oktober 1985 nun wird einer von ihnen ermordet: The Comedian (Jeffrey Dean Morgan). Während seine maskierten Kollegen in Rente gegangen oder in Regierungsdienste getreten sind, ist Rorschach (Jackie Earle Haley) der einzige in der Illegalität aktive Vigilant und er ist es auch, der eigene Ermittlungen in diesem Mordfall aufnimmt. Rorschach wittert eine Verschwörung, die Schritt für Schritt die Ex-Helden auszulöschen sucht.

Doch “Helden” ist eigentlich schon eine unscharfe Bezeichnung, betrachtet man sie als sich für ein Ideal aufopfernde moralische Vorbilder. Realismus war eine Besonderheit der Herangehensweise von Alan Moore und Dave Gibbons, als sie “Watchmen” schufen, schließlich spielten sie einerseits mit der Frage, wie eine Gesellschaft auf Superhelden reagieren würde, andererseits  zeichneten sie Psychogramme verschiedener Persönlichkeitstypen, die sich ausgerechnet für ein Leben hinter der Maske entscheiden. Da ist der augenscheinlich soziopathische Faschist, der über Leichen geht (The Comedian), die nach Aufmerksamkeit süchtige Mutter (Silk Spectre), die ihre Tochter in die Heldenrolle zwingt (Silk Spectre II), der Idealist und tendenzielle Megalomane (Ozymandias), der unscheinbare Normalo, der erst im Kostüm zu eigener Selbstsicherheit findet (Nite Owl II), der durch einen Unfall verwandelte Wissenschaftler (Dr. Manhattan) und schließlich der psychotische Bestrafer (Rorschach). Moore und Gibbons schufen also ein Comic, dessen Auseinandersetzung mit dem eigenen Medium im Zentrum steht. Ein Comic über Comics, das vor Verweisen auf unzählige Intertexte nur so strotzt, eines, welches mit seinen strukturellen Symmetrien, dem überbordenden Symbolismus, den Geschichten innerhalb der Geschichte nicht nur zum mehrfachen Lesen einlädt, sondern dezidiert dazu auffordert.

In welchen Zeiten ist die Adaption einer solchen Dekonstruktion des Superheldentums für die Kinos besser aufgehoben, wenn nicht in unseren? Seit Jahren schmeißen die Studios in Hollywood eine Comicverfilmung nach der anderen auf den Markt und wie The Dark Knight, Iron Man und Hellboy II letztes Jahr bewiesen hatten, giert das Publikum noch immer nach weiteren Abenteuern ihrer Helden. Doch Snyder hat im Gegensatz zu Nolan, Favreau und Del Toro einen zweifachen Fluch auf sich geladen. Nicht nur den Heiligen Gral des Genres sollte er verfilmen. Watchmen war auch noch eine auf zwölf Ausgaben beschränkte Serie, die nicht über Jahre hinweg verschiedene Geschichten und Inkarnationen durchlaufen hatte. Snyder kann daher wie der Regisseur einer klassischen Literaturverfilmung an einer einzigen konkreten Vorlage gemessen werden. Entscheidend für die Einschätzung des Endergebnisses ist, nach welchen Kriterien man dabei vorgeht. Hier muss jeder Kinobesucher, ob Fan der Vorlage oder nicht, selbst entscheiden. Meine Herangehensweise an Adaptionen lässt sich kurz so zusammenfassen: a) Eine Adaption sollte als eigenständiges (Kunst-)Werk funktionieren, d.h. 1.) dass die Kenntnis der Vorlage nicht von Nöten ist, sowie 2.) die Umsetzung des Stoffes unter Berücksichtigung der Eigenschaften des jeweiligen Mediums vollzogen wird. In der Bewertung einer Verfilmung, sollte b.) die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass Abweichungen vom Original einen Mehrwert erbringen und die Adaption als Werk besonders auszeichnen können. Basis für die Kritik, folgt man diesen Punkten, ist schlussendlich, ob man also die Vorlage kennt oder nicht. Spekulieren über die potentielle Reaktion von “Watchmen”-Neulingen kann ich durchaus, aber die nachträgliche Einschätzung von Zack Snyders Film ist, wie bei jeder Kritik, nicht von meinen Vorkenntnissen, sozusagen den Intertexten in meinem Kopf, zu trennen. Und einer dieser Texte heißt eben leider “Watchmen”.

Snyders Watchmen ist eine äußerst treue Verfilmung, die zuweilen Panel für Panel mit Schauspielern und einem extrem detaillierten Production Design in Bewegung umsetzt und trotz der notwendigen Kürzungen eigentlich nur am Anfang und am Ende markante eigene Akzente setzt. Die Credits seien hier besonders hervorgehoben, da sie dank ihrer von Bob Dylan begleiteten, leicht melancholischen Nacherzählung der bisherigen “Superheldengeschichte”, die fünf Minuten des Films ausmachen, in denen ich der Inspiration der Macher tatsächlich einmal zujubeln konnte. Natürlich, der Film muss besetzt, gedreht, geschnitten, musikalisch untermalt werden. Er ist schließlich kein Trickfilm, der das Comic wie ein Daumenkino als Vorlage verwendet. Das Problem ist nur: Ein Großteil des Films wirkt wie ein stylishes Daumenkino. Im negativen Sinne beispielhaft dafür ist die Beerdigung des Comedians, die Anlass zu Flashbacks der Anwesenden gibt. Nacheinander werden also die Erinnerungen an den Toten ausgebreitet. Die Anhänglichkeit des Films an seiner Vorlage führt hier zu einer unrhythmischen, mit äußerst schwerfälligen Übergängen versehenen, Aneinanderreihung von Flashbacks nach dem Schema Zoom auf Gesicht – Flashback – Zoom auf nächstes Gesicht – Flashback… Anstatt die Erzählung zu straffen, wichtige Informationen mit Hilfe von eigenen Eingebungen (!) zusammengefasst zu übermitteln, überträgt der Film die Narration des Comics unhinterfragt in ein anderes Medium. Ein Medium, das anders funktioniert, bei dem man nicht zurück blättern, in Ruhe die Bilder mit ihren Details betrachten kann, in dem das gesprochene, nicht das gelesene Wort vorherrscht, die Informationsaufnahme beim Rezipienten schlicht anders von statten geht.

Auf den ganzen Film bezogen, führt der letzte Punkt zu einem Übermaß an z.T. expositorischen Monologen und mehreren unfreiwillig komischen Dialogen. Gerade die rahmende Erzählung des Films – Rorschachs Tagebucheinträge – verliert drastisch an Wirkung bzw. erscheint am Anfang ungleichmäßig verteilt und einigermaßen aufgesetzt. Genauso gut könnte jemand hereinplatzen und Shakespeares Zeilen von sich geben. Erschwerend kommt noch hinzu, dass Snyder absolut unfähig ist, wenn es um die Inszenierung von Dialogszenen geht. Jeder Erstsemester-Filmstudent müsste das, was Snyder aus den Gesprächen zwischen Dr. Manhattan und Laurie Jupiter alias Silk Spectre II (Malin Akerman) fabriziert, weniger steif hinkriegen. Da ist es auch nicht gerade hilfreich, dass Akerman alles andere als schauspielerisch zu glänzen weiß. Ein dermaßen wortlastiger Film verlangt eben nach einem Regisseur, der nicht nur darin versiert ist, am Geschwindigkeitsregler im Schnittraum zu spielen. Doch das ist, wie wir spätestens seit “300” wissen, Snyders Lieblingsbeschäftigung, welche er sich auch hier nicht versagt. Seltsames (beabsichtigtes?)  Nebenprodukt seines Zeitlupenfetischismus ist eine weitere Parallele zum Comicmedium des Originals. Von Superheldenpose zu Superheldenpose nähern sich die Bilder immer mehr Momenten der Statik an, die nicht nur dem Fluss der Erzählung abträglich sind. Als Laurie zusammen mit Dan Dreiberg alias Nite Owl II (Patrick Wilson) bei der Rettung von Anwohnern aus einem brennenden Haus, die Liebe zum Adrenalin-geladenen Heldendasein wiederentdeckt, entzieht die extreme Zeitlupe dem Moment jegliche Bedrohlichkeit. Die ausgemachte Künstlichkeit von Snyders Stil beglückt in “Watchmen” nicht zuallererst das Auge – auch wenn der Film offenkundig gut aussieht – er steht dem psychologischem Realismus, der die Geschichte als Dekonstruktion so auszeichnet, im Wege. Entsprechend seines Stils wirken die Figuren in Watchmen in den schlechtesten Minuten des Films wie leblose Puppen, die jemand vor die Kulisse gestellt und abgefilmt hat. Das trifft auf die marionettenhaft inszenierten Actionszenen zu, ebenso wie auf die in einem Blutbad endende Demo gegen Vigilanten und erst recht auf eine miserabel gedrehte, von Leonard Cohen besungene Sexszene. Von dem unglaublich peinlichen  und viel zu oft zu sehenden Nixon mal ganz abgesehen. Da hätte man auch Christina Ricci samt Tricky Dick-Maske hinsetzen können und weniger lächerlich ausgesehen.

Nur in einzelnen “Kapiteln” obsiegt die Stärke der Vorlage über die inszenatorischen Schwächen des Films, etwa als Dr. Manhattan, das blau glühende, von Billy Crudup charismatisch dargestellte Superwesen, das sich Schritt für Schritt von seinen menschlichen Wurzeln löst, auf dem Mars simultan zur Gegenwart seine Vergangenheit samt Superhelden-Werdung nochmal erlebt. Da scheint einmal die Essenz des Comics auf der Leinwand, ungeachtet der Kürzungen, voller Leben und Emotion auf, um anschließend durch einen unreflektierten, harten Übergang zum nächsten Kapitel auch gleich wieder zu verschwinden. So bleibt der positiv hervorzuhebende Verdienst des Films das gute bis brillante Casting von Billy Crudup, Jeffrey Dean Morgan, Jackie Earle Haley und Matthew Goode (Ozymandias). Letzterer bürdet überraschend leicht die Aufgabe, den reichsten und intelligentesten Mann der Welt darzustellen, während die anderen drei mit ihren ambivalenten Figuren immer wieder Interesse und Sympathie der Zuschauer aus dem Tiefschlaf wecken.

Dass Watchmen eine gewisse Faszination auf Zuschauer ausüben kann, denen die Vorlage unbekannt ist, will ich keinesfalls bestreiten. Mit Kenntnis des Comics können die vorangegangenen Worte  jedoch nur zu dem Fazit führen, dass sich irgendwo in den 160 Minuten ein guter Film versteckt hält, der jedoch nie die nötige Sauerstoffzuvor erhält. Stattdessen ist “Watchmen” ein Paradebeispiel fragwürdiger intellektueller Sklavenhaltung, ein Film, der versucht, seine Vorlage zu imitieren, ohne sie oder sein eigenes Medium zu verstehen. Verantwortlich dafür ist eben auch der Regisseur und Anti-Auteur Zack Snyder, der nicht ein Fünkchen eigener Fantasie in das Werk zu investieren in der Lage ist, und sich stattdessen – höchst unangebracht – stilistisch im Kreise dreht.

[Ebenfalls veröffentlicht in der OFDb am 09. März 2009]


Zum Weiterlesen:

 

Blogs:
Symparanekronemoi 1,5/10
Zeitverschwender 6/10
At the Movies 7/10
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Jungle World (negativ) **Vorsicht: Spoiler**
Pajiba (negativ)
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Frau ohne Gewissen – Double Indemnity (USA 1944)

Da nicht jeder Mensch in seiner Jugend mit den Cahiers du Cinéma aufgepäppelt wird, verläuft die Entwicklung zum Cineasten meist auf einem holprigen, selbst auserkorenen Weg durch die Filmgeschichte. Bei mir läuft und lief das immer über Umwege, d.h. über die Verästelungen der Produktionsmachinerie, über Regisseure, SchauspielerInnen, Kameraleute usw. Ich habe z.B. irgendwann zum zweiten mal in meinem Leben “Dr. Seltsam” gesehen und war plötzlich arg begeistert. Daraufhin wühlte ich mich durch die umfangreiche künstlerische Hinterlassenschaft von Peter Sellers, entwickelte einen Faible für britische Filme der Fünfziger und Sechziger, entdeckte auf diesem Wege Michael Powell und Emeric Pressburger, David Lean, und schließlich Hal Ashby, um am Ende nach einer weiteren Sichtung von “Dr. Seltsam” die Stanley Kubrick -Box im örtlichen Müller zu erstehen. Umwege, wie gesagt. Alles aus dem Wunsch heraus nach einem  tiefgreifenden Kick die Sucht nach der Droge zu stillen, um es einmal reißerisch auszudrücken.

Mit Billy Wilder ging es nach dem gleichen Prinzip vonstatten. Nach der obligatorischen Sichtung von “Ein seltsames Paar” mussten natürlich Jack Lemmon und Neil Simon dran glauben und wer ersteren kennt, weiß, Wilder ist da nicht weit. Nur blieb die Reaktion… Ich sage es einmal so: Mehr als drei Filme habe ich mir von Wilder nicht angesehen und relativ schnell mit dem “China-Syndrom” weitergemacht. Womöglich sollte ich seinen (Tragik-)Komödien noch eine Chance geben, schließlich bleibt kaum ein Filmgeschmack über Jahre hinweg gleich. Das hoffe ich zumindest. Bis auf Manche mögen’s heiß hatte es mir Wilder jedenfalls nicht angetan, so dass sich seine Präsenz in meinem imaginären Filmtagebuch auf eine Fußnote belief. Später dann, aus einem längst vergessenen Grund, landete Sunset Boulevard in meiner Sammlung und irgendwie sah der ganz und gar nicht nach dem Wilder aus, der Lemmon und Tony Curtis in Frauenkleider stecken würde. Vielleicht lag es an der Geschichte über einen Drehbuchautor, der auf eine alternde Filmdiva trifft, die gerade dabei ist, die Beerdigung ihres Schimpansen vorzubereiten. Mit “Zeugin der Anklage” verhielt es sich – trotz der wesentlich konventionelleren Story – ähnlich und nun reiht sich Frau ohne Gewissen (OT: “Double Indemnity”) ein in die vorwiegend düsteren Werke des Wilder-Kanons, welche mich wenigstens belehrt haben, warum er als großer Regisseur gefeiert wird.

Dem Zuschauer sei es verziehen, wenn er bei Double Indemnity im nachhinein v.a. an drei Dinge denkt: Schatten. Eine Fußkette. Und Barbara Stanwycks blonde, schrecklich billig aussehende Perücke. Stanwyck ist die Femme Fatale  und an ihrer offensichtlich falschen Haarpracht kann man ihre zwielichtige Motivation, ihr doppeltes Spiel leicht ablesen. Der Versicherungsverkäufer Walter Neff (Fred MacMurray) verfällt der schönen Kundin und auch ihrem Fußbändchen, so dass die beiden schon bald den Mord an Phyllis’ (Stanwyck) reichem Ehemann planen, um die Versicherungsprämie abzukassieren. Wie ein Unfall soll es aussehen, doch bald nach der Tat meldet sich nicht nur Walters Gewissen zu Wort, sondern auch sein Kollege Barton Keyes (Edward G. Robinson), der Zweifel an der Unschuld der Ehefrau hegt, einen Versicherungsbetrug wittert. Erzählt wird die auf einem Roman von James M. Cain (“Wenn der Postmann zweimal klingelt”) basierende Geschichte in Flashback- Form von einem angeschossenen Walter, der sein für Keyes gedachtes Geständnis aufzeichnet.

Eine Femme Fatale. Eine auffällige Licht- und Schattengestaltung. Vom Verlangen nach Geld/Sex in den Abgrund getriebene Figuren, statt klassische Helden. Ein Erzähler. Klingt nach Film Noir und ist es auch. “Double Indemnity” gilt als eines der ersten Meisterwerke dieser sagenumwobenen (und mal wieder von französischen Kritikern erdachten) Stilrichtung und erfüllt den Tatbestand weitestgehend. Mal abgesehen davon, dass die Geschichte hier verständlich, der Plot dank des Drehbuchs von Wilder und Raymond Chandler ziemlich geradlinig ist. Ihre Grundzüge kennt man heutzutage wohl aus jeder zweiten “C.S.I.”-, “Columbo”- oder “Monk”-Folge, doch zu Zeiten als in Hollywood dank des Hayes- Codes noch eine strenge Zensur herrschte,  war die in “Double Indemnity” aufzufindende moralische Verwerflichkeit der Hauptfiguren äußerst gewagt. Auch wenn er nicht an die morbide Dichte von “Sunset Boulevard” herankommt, beeindruckt der Film v.a. durch einzelne, aussagekräftige Momente, die noch einmal auf das Können der Drehbuchautoren verweisen und eben den guten Noir von all den schlechten Kopien (Hallo Brian DePalma) unterscheiden.

Mit äußerster Effizienz schildert der Film etwa, wie Walter seiner neuen Bekanntschaft Phyllis verfällt. Es ist das glitzernde Fußkettchen, als sie die Treppe herabsteigt, welches sein Verhängnis – die Gier nach der Frau und dem Geld – vorwegnimmt, noch ehe wir den Rest seiner Geschichte gehört haben. Es ist Barbara Stanwycks kaltes, zufriedenes Lächeln, während ihr Liebhaber den Ehemann umbringt, das mehr Brutalität in sich birgt, als es eine offenherzig gefilmte Mordszene je könnte. Psychologische Finessen, wie Walters wachsender Verfolgungswahn  ganz im Sinne Edgar Allan Poes, stellen in Double Indemnity trotz aller stilistischer Auffälligkeiten an den Figuren orientierte Bedeutungsebenen her.

Billy Wilders erste große Regiearbeit profitiert allerdings nicht nur von einem erstklassigen Drehbuch, das einiges aus dem nicht gerade neuen Plot  herausholt. Einen Film mit Barbara Stanwyck und Edward G. Robinson gegen die Wand zu fahren, müsste auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vergolten werden. Stanwyck mit ihrem geradezu surrealem Äußeren ist die Sirene, die Walter ins Verderben lockt und uns als Zuschauer gleich mit ihm. Robinson ist der Gute und darf einige geistreiche Reden von sich geben, die ihm wie auf den Leib geschrieben scheinen. Als ausgebuffter Veteran im Versicherungsgeschäft und Freund von Walter nimmt er aber auch die Rolle der Moral ein, des strafenden Gewissens, an das Walter in seinem Geständnis appelliert. Nur ist es nicht das Gewissen, das mit langweiligen Predigten die Filmzeit verschwendet. Eines des enttäuschten Freundes ist’s, ein hochgradig wirkungsvolles noch dazu.

Jerichow (D 2008)

Ali hat es geschafft. Die Stolpersteine der Immigration und ihrer Folgen hat er hinter sich gelassen, denn Ali (Hilmi Sözer) ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Als Besitzer einer Kette von mehr als vierzig Imbissbuden scheint er angekommen zu sein in einem Deutschland, das sich beständig über gescheiterte Integrationsbemühungen echauffiert. Doch Alis perfektes Leben ist eine Illusion. Die Fassade beginnt zu bröckeln, als der Ex-Soldat Thomas (Benno Fürmann) von ihm als Fahrer eingestellt wird. Prompt fühlt der sich nämlich zu Alis Frau Laura (Nina Hoss) hingezogen.

Nach Motiven von James M. Cains Kriminalroman „The Postman Always Rings Twice” legt Regisseur Christian Petzold Jerichow als als eine ruhige, aber nichtsdestotrotz spannende Charakterstudie an, die nur vordergründig mit den Konventionen des Genres spielt. So lässt er sich beispielsweise nicht dazu verleiten, sein Werk allzu häufig mit den stilistischen Spielereien des Film Noir anzureichern. Viel Raum gibt er hingegen den Schauspielern. Besonders Benno Fürmann hat allerdings mit den vielen langen Einstellungen zu kämpfen. In der Rolle des stoischen, wortkargen Einzelgängers ist dem hölzernen Fürmann die latente Überforderung deutlich anzumerken, kann er doch spätestens nach der ersten halben Stunde seiner Figur keinerlei neue Facetten hinzufügen.

Womöglich trägt die Schuld daran aber auch der überragende Hilmi Sözer, der sich mit dem Portrait des self-made man Ali endgültig aus dem Komödien- Ghetto vergangener Jahre befreit. Sözer trägt schließlich souverän den Film. Den Hang zur Selbstzerstörung scheint Ali in jeder Zelle seines Körpers zu tragen. Es ist ein Leben am Abgrund, was Petzold mit einer z.T. allzu platten Bildsprache auch dem letzten Zuschauer klar zu machen versucht. Ali ist ein eifersüchtiger Trinker, der seine Frau nur durch Geld an sich binden kann. Dieser Imbissimperator hält seine Angestellten einzig mit Gewalt, nicht Respekt, unter Kontrolle und sein mühsam erarbeitetes Eigenheim steht versteckt irgendwo in den Wäldern des menschenleeren Nordostens Deutschlands. Er ist eben doch nicht Teil der deutschen Mittelklasse geworden und wird auf ewig ein Außenseiter bleiben. Daran wird auch sein wirtschaftlicher Aufstieg nichts ändern.

Sözers jovialem Äußeren liegt jedoch eine tiefe Melancholie und damit die Erkenntnis seines Scheiterns zu Grunde. Sein betrunkener Tanz am Meer, begleitet von türkischer Musik, ist wohl der beste Ausdruck seiner Unfähigkeit, dauerhaft in diesem Land Fuß zu fassen. Seine Präsenz rettet Jerichow vor dem eigentlich verdienten Schicksal im Eisschrank der Filmgeschichte. Denn Petzolds gemächliche Inszenierung und seine recht oberflächliche Handhabung der anderen beiden Hauptfiguren, deren weitgehend unglaubwürdige Beziehung mit einem Hang zur aufgesetzten Leidenschaft einhergeht, hätten Jerichow durchaus zu einem nichtssagenden, hochgradig unterkühlten Krimi verkommen lassen können. Dass dies nicht geschieht, verdankt er – aber auch der Zuschauer – einzig Sözer, der Seele des Films, gegen den überraschenderweise selbst Petzolds Stammmuse Nina Hoss glanzlos verblasst.

Erstmals erschienen in einer gekürzten Fassung am 11.02.2009 in der interkulturellen Hochschulzeitschrift Unique Jena.

Der seltsame Fall des Benjamin Button (USA 2008)

David Fincher braucht einen besseren Cutter. Oder irgendjemanden innerhalb der Produktionsmachinerie, der ihm Einhalt gebieten kann in seinen ausschweifenden, überlangen Filmexerzitien. Nachdem “Zodiac” im Director’s Cut auf 162 Minuten verlängert wurde, erscheint mit Der seltsame Fall des Benjamin Button nun sein längster (166 Minuten), ambitioniertester und leider auch undiszipliniertester Film. Keinesfalls soll an dieser Stelle der Fincher der Neunziger Jahre zurück beschworen werden als die Idealversion des Regisseurs. “Fight Club”, der im Lauf der Zeit anscheinend zum Lieblingsfilm aller noch nicht ganz in der Quarterlife Crisis steckenden männlichen Cineasten geworden ist, erscheint im nachhinein als der treffende Höhepunkt und Abschluss der noch von seinen Videoclip-Tagen geprägten Neunziger Jahre. Der moderne, bürgerliche Großstadtmensch (lies: -mann) in der Krise; dieses Thema hatte er mit “Sieben”, “The Game” und eben “Fight Club” ausgereizt, weshalb man “Panic Room” als noch unbefriedigenden Wendepunkt in seiner Karriere ansehen kann.

Ohne allzu abwegige stilistische Spielereien drehte Fincher da einen recht simplen Thriller, welcher den Wandel, dessen bisherige Quintessenz “Zodiac” darstellt, bereits andeutet, aber nicht voll entfaltet. Manche nennen das den Schritt zum Mainstream, andere sprechen von dem Regisseur, der (endlich) erwachsen geworden ist und wieder andere freuen sich einfach, dass Fincher sein düsteres Erfolgsrezept alter Zeiten nicht bis zum Erbrechen wiederholt. Da ich zu letzteren gehöre, erschien mir die Wahl einer epischen amerikanischen Literaturverfilmung als logischer Schritt, nachdem “Zodiac” sich als realistische Variation des Serienkillergenres erwiesen hatte, welches Fincher zwölf Jahre zuvor so entscheidend prägen konnte. Man mag es auch so ausdrücken: Filme wie “Sieben” oder “Fight Club” wird er nicht mehr drehen und das ist auch gut so. “Benjamin Button” bot sich nun als Chance an, sich als “großer Regisseur” zu profilieren, der ebenso große (amerikanische) Themen auf die Leinwand zaubern und noch dazu mit F. Scott Fitzgerald einem als unverfilmbar geltenden Autor gerecht werden kann.

Bewertet man Finchers neuen Film nach diesen Maßstäben, so muss man das Endergebnis als gescheitert betrachten. “Der seltsame Fall des Benjamin Button” scheitert nicht allein am Willen zur Größe, sondern v.a. an David Finchers fehlender Selbstbeherrschung. Dabei standen ihm gerade dank der weitgehend überzeugenden Spezialeffekte zumindest die formalen Werkzeuge zur Verfügung, um die Geschichte eines rückwärts alternden Mannes glaubhaft zu erzählen. Seltsam ist es daher, dass der gewagteste Teil des Films, in dem Benjamin (Brad Pitt) als alter Herr in Kindergröße in einem Altenheim im New Orleans der 20er und 30er Jahre das Laufen lernt, der überzeugendere ist. Sobald Benjamin das Heim seiner Adoptivmutter Queenie (Taraji P. Henson) verlässt und in die weite Welt hinaus fährt, wirkt der Film von Minute zu Minute zerfahrener.

Erscheinen die eingeworfenen Anekdoten um all die Figuren, die Benjamins Leben streifen, zunächst noch als sinnig und belustigend – der siebenmal vom Blitz getroffene Mann sei an dieser Stelle erwähnt – fragte ich mich spätestens während der Russland- Episode, ob das Maß an Epik für die essenziellen Aussagen des Films überhaupt gerechtfertigt ist. Als Tilda Swinton- Fan fällt mir diese Feststellung umso schwerer. Die Abkanzelung ihres durchaus sehenswerten Auftrittes zu einer weiteren, nicht sonderlich gehaltvollen Episode des Films, manifestiert die Verschwendungssucht der Macher in dieser Phase des Werkes.

Beginnt das Drama des Benjamin Button seine ersten Spuren und Brad Pitt seinen eigenen Körper zu zeigen, verliert die Geschichte leider die nötige Kohärenz und Fokussierung. Denn Benjamins freundschaftliche Beziehung zu Daisy (Cate Blanchett) vollzieht den Wandel zur Liebe, zunächst auf Daisys, dann auch auf seiner Seite. Das tragische ist, dass Daisys Leben einem “konventionellen” Alterungsprozess unterliegt. So verpassen sich die beiden immer wieder in den diametral entgegengesetzten Abschnitten ihres Lebens. Sie leben ihre wilde Jugend aus, doch nie zur selben Zeit. Als der noch reife Benjamin die sich in ihren Zwanzigern befindliche Ballerina seines Herzens in New York besucht, erscheint einer der seltenen Momente des Films auf der Leinwand, in denen das tragische Potential der Beziehung, aber auch das der emotionalen Involvierung tatsächlich ausgenutzt wird. Selbst die Magie der eigenartigen Abschweifungen erstreckt sich kaum auf die große Liebesgeschichte der beiden. Versucht Fincher der reichlich ernst angelegten Beziehung mal den märchenhaft anmutenden Geist der Umgebung zu injizieren, wirkt das Ergebnis, wie bei Daisys Tanz im Mondlicht, bemüht, ja geradezu unpassend.

Doch womöglich muss man die Fehler auch in der Drehbuchvorlage von Eric Roth suchen. Der  hatte schon “Forrest Gump” für die Kinos dieser Welt aufbereitet und scheint den Unterschied zwischen Zemeckis’ und Finchers Herangehensweise nicht ganz verstanden zu haben. Während der Film des ersteren auf Grund der ziemlich flachen Hauptfigur nur durch die eingestreuten popkulturellen Referenzen und Episoden unterhält, birgt der seltsame Fall des Benjamin Button tatsächlich die Möglichkeit zur Meditation uralter Themen wie Vergänglichkeit, der Natur der Liebe oder der schlichten Feststellung, dass man das Leben auskosten soll, solange man es noch hat, schließlich kann einen jeden Tag ein Blitz treffen. Doch die Figur des Benjamin B. kann Forrest G. in Sachen Dreidimensionalität kaum überbieten. So steht Cate Blanchetts mangelbehafteter, menschlicher Daisy mit Brad Pitts Benjamin eine langweilige, eigenschaftslose, etwas schlauere Version von Forrest Gump gegenüber. Für ein tragisches, leicht surreal angehauchtes Epos, das mehr als nur seltsamer Fall, mehr als nur Märchen sein will, reicht dieser Benjamin nicht aus.

Ein Epos wollte Fincher drehen, das verdeutlicht gerade die apokalyptisch anmutende Rahmung vor dem Hintergrund des drohenden Katrina- Desasters in New Orleans. Ist der Kontrast zwischen der tristen, in Blautönen gehaltenen Gegenwart und der warmen, wundersamen Welt der Erinnerung auch noch so angebracht, prägnant auf den Punkt bringt Fincher die beiden Erzählungen nicht. Am Ende seines Lebens erscheint “Benjamin Button” eben nur wie eine z.T. wahllose Ansammlung  etlicher seltsamer Fälle.


Zum Weiterlesen:
Andere Meinungen über Benjamin Button bei Kino, TV und Co und ?????????????????.
Ein Trailer.

W.-Ein missverstandenes Leben (USA/GB/AUS/HK/D 2008)

Oliver Stone scheint nach Kritik geradezu zu lechzen. Zumindest darin ähnelt er dem Objekt seiner aktuellen Auseinandersetzung mit amerikanischer –  man traut es sich wenige Tage nach der Inauguration von Barak Obama kaum zu sagen – Historie. Nun gut, zu peinlichen Versprechern vor der Weltöffentlichkeit neigt er nicht und auch  zu einem Krieg unter Vorlage fadenscheiniger Beweise für Massenvernichtungswaffen hat Stone sich bis jetzt nicht hinreißen lassen. Aber ein pathetischer Kriegsfilm inklusive aufgeblasenem Off- Kommentar. Eine verschwurbelte Drogenhalluzination, die sich als Biopic maskiert. Eine ambivalente Hassliebe zu großen Männern der Geschichte, deren Symptome mal die Gestalt von Verschwörungstheorien, mal die von ausgeprägter ödipaler Langeweile annimmt. Das klingt schon eher nach dem Skandalregisseur, der – das soll hier nicht verschwiegen werden – zugegeben auch ein paar gute Filme gedreht hat. “Nixon” gehört dazu, aber auch “Wall Street”.  Das ist aber schon eine Weile her. Und seitdem… reden wir lieber nicht drüber.

Man sollte meinen, das Thema George Walker Bush, ein Film über eine der umstrittensten Persönlichkeiten, seitdem das Oval Office oval ist, würde Stones filmemacherische Kreativität zu neuen artistischen Höhen führen. Immerhin prägen genügend Ereignisse die Amtszeit von W., die für sich stehend schon die neunzig Minuten eines Spielfilms verdient und sie z.T. bereits bekommen haben. Ob es sich nun um fragwürdige Wahlverfahren in Florida oder die desaströsen, aber ignorierten Zerstörungen eines Hurricanes handelt. Und da waren ja noch diese zwei Kriege.

Die sind Stone jedenfalls nicht entgangen. So gestaltet sich W. – Ein missverstandenes Leben passenderweise als eine erzählerische Spirale, die immer engere Kreise um ihr eigentliches Thema zieht – Bushs Entscheidung zum Krieg gegen den Irak – um am Ende ihr Zentrum zu treffen. Ausgehend von Bushs leichtlebigen College- Zeiten, zielt das Biopic darauf ab, das Leben des 43. Präsidenten der USA unter den Stern der Ziellosigkeit zu stellen. Von Alkoholeskapade zu Alkoholeskapade mäandert der Bush Jr. durch die von seinem Vater reichlich subventionierte verlängerte Jugend. Einen Heiratsantrag macht er seiner damaligen Freundin aus Geigel, um wenig später auf Drängen seines Vaters davon abzuweichen. Harter Arbeit bringt er ebenfalls nur Halbherzigkeit entgegen. Und kündigt fluchs. Die diversen Firmen, die der Filius im Lauf der Zeit in den Sand gesetzt hat, haben ja fast schon Legendenstatus und werden von Stone hinreichend erwähnt.

Würde man sich den Film als schwereloses schwarzes Nichts vorstellen, würde George W. Bush (Josh Brolin) darin wohl recht unbekümmert vor sich hinschweben. Sich hier und da mal um die eigene Achse drehend, ohne irgendeine Veränderung seiner Situation herbeizuführen. Doch George Walker hatte Glück in seinem Leben. Als Abkömmling einer reichen Familie mit allerhand Verbindungen – dem ultimativen sozialen Netzwerk – sind es die restlichen Personen, welche sein Leben erst in gewisse Bahnen lenken. Vorrangig dabei bleibt Vater Bush (James Cromwell), der von seinem anderen Sohn Jeb in Sachen Karriere zwar immer mehr gehalten hat, der aber den Junior gerade auch der eigenen Publicity wegen nicht im Alkoholabsturz belassen will. Das problembehaftete Verhältnis zum Vater ist es treffenderweise auch, das W. zu wichtigen Entscheidungen bringt. Wirklich Fuß fast er in der Politik nämlich erst nach dem Scheitern des alten Herrn. Der gewann schließlich den Krieg gegen Saddam, um anschließend nach nur einer Amtszeit von Bill Clinton vom Thron gestoßen zu werden. W. – nun ein wiedergeborener Christ – wird Gouverneur von Texas und der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Das zentrale Motiv für die Invasion des Irak erwächst aus diesem Verhaltensmuster. Was der Vater aus guten Gründen vermieden hat, gelingt dem Sohn: Saddam Hussein wird ausgeschaltet. Junior hat den Wettbewerb mit Daddy gewonnen.

Doch wie ergeht es dem Zuschauer? Vordergründig erweckt Stones Film den Eindruck von Ordnung. Zwar springt er äußerst ungleichmäßig von der Bushwerdung zum Bushpräsidenten und wieder zurück. Irgendwie läuft ja auch alles auf das Zentrum der Spirale hinaus. Das ganze soll schließlich zum Wohle der Charakterisierung geschehen. Die schwerelose Ziellosigkeit der Hauptfigur überträgt sich jedoch auf den ganzen Film. Es bleiben zuweilen wahllos herausgegriffene Situationen, die ein chaotisches Gesamtwerk zu ergeben versuchen, dabei aber gnadenlos scheitern. W.’s Drunksucht entgeht der Schilderung nicht, seine Entscheidung für die trockene Wiedergeburt aber schon. In welchem Abschnitt des Schnittprozesses wurde seine Reaktion auf den 11. September aussortiert? Und wie kommt es eigentlich zum Einzug des neokonservativen Kaders seines Vaters in sein Kabinett?

Dick Cheney (absolut überzeugend: Richard Dreyfuss) erklärt dem Präsidenten die Beziehung zum Irak an Hand eines Sandwich- Gleichnisses. Bush ist also wiedereinmal abhängig vom Wirken anderer. Ist es die vergnügte Ignoranz, die die Geschehnisse im Leben W.’s verantwortet, so kann man nur konstatieren, dass für diese Erkenntnis keine 129 Minuten Laufzeit notwendig sind. Es genügt der Blick in die Augen des Originals, ob bei Pressekonferenzen oder Interviews. Es genügt die eigentlich schon arrogante Leere, die Unbekümmertheit dümmlicher Macht.

Diese Augen schreien nach einer Satire. Stones zuweilen platte Symbolik deutet solche Untertöne auch an. Nach zwei Stunden siegt allerdings die chaotische Inhaltslosigkeit der Erzählung. Es ist keine konsequent ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Phänomen Bush, die Oliver Stone hier zustande gebracht hat. Es ist keine komödiantische. Schuld ist womöglich die Zeit. W. kommt sowohl zu spät als auch zu früh. Eine Satire hätte die Welt vor drei oder vier Jahren nötig gehabt. Für ein Drama im Geiste von “Nixon” mangelt es an Abstand, an der Fähigkeit, das Wirken dieses Präsidenten historisch einzuordnen. So bleibt Oliver Stones neueste Abrechnung mit der amerikanischen Politik genauso gehalt- und erkenntnislos wie ihre Hauptfigur.