Ein Quantum Trost (USA/GB 2008)

Unmittelbar an “Casino Royale” anschließend wirft uns Marc Forster zu Beginn von Ein Quantum Trost direkt in eine Verfolgungsjagd und damit ist eigentlich schon alles über diesen Film gesagt. Rasante Action dominiert das Geschehen, während emotionales Drama und selbst die ironischen Dialoge hintenangestellt werden bzw. stellenweise ganz verschwinden. Wer den ersten Re-Boot mit Daniel Craig nicht gesehen hat, wird sich kaum zurecht finden in dieser Story. Aber auch für die Nicht-Kenner gibt es einen Trost: Allen anderen ergeht es nicht einfacher.

Das Konzept einer Entwicklung vom Agenten Bond zu “Bond, James Bond” wird also weitergeführt. So läuft die eindrucksvolle Titelsequenz tatsächlich diesmal zu Beginn des Films und umgehend erbringt sie den Beweis, dass Jack White noch ein paar weitere Bondsongs schreiben sollte. Die Entstehungsgeschichte auf zwei Filme auszuweiten, ist dennoch ein gewagtes Konzept. Anders als der Vorgänger es zunächst vermuten ließ, ist die “Bondwerdung” noch immer nicht abgeschlossen. Es fehlen die Markenzeichen, die Eckpunkte, die das Stereotyp “Bond” von Film zu Film trotz wechselnder Besetzung erkennbar machen. Es sind Kleinigkeiten, die das Fanherz enttäuschen, ob es sich nun um den Vodkamartini, die technischen Spielereien eines Q oder Miss Monneypenny handelt. Eine mehr platte als liebevolle Goldfinger-Referenz erfüllt die Sehnsucht nicht.

Schwerwiegender und für das Gelingen des Films folgenreicher ist die Konzentration auf jene Elemente aus Casino Royale, welche diesen Film als Reaktion auf moderne Agenten-Actionfilme wie die Bourne-Trilogie erscheinen ließen. Anscheinend mit der Mission betraut, Bond im 21. Jahrhundert überlebensfähig zu halten, geraten die Actionszenen in der Fortsetzung ähnlich körperbetont. Daniel Craig musste nicht umsonst einige Stunts selbst machen. Anders als der vom Bond-erfahrenen Martin Campbell gedrehte Vorgänger wirkt Ein Quantum Trost jedoch wesentlich nervöser. Marc Forster inszeniert nicht ganz so orientierungslos wie ein Paul Greengrass, kann zuweilen aber eine extreme Verwirrung beim Zuschauer bezüglich der Ursache-Wirkungs-Beziehungen nicht vermeiden. Bestes Beispiel dafür ist die viel zu lang geratene Verfolgungsjagd zu Wasser. Inwiefern das in diesem Film eingesetzte Stammpersonal der Bourne-Filme dafür verantwortlich ist, gehört ins Reich der Spekulation. Da sowohl der Stunt Coordinator als auch der Second Unit Director dazu zählen, darf ihr stilistischer Einfluss  sicherlich nicht unterschätzt werden.

Die Actionszenen, von denen nicht eine einzige an die Qualität etwa der Parcours-Verfolgung in “Casino Royale” herankommt, müssen als Ergebnis einer realistischeren Bearbeitung des Bond-Stoffes betrachtet werden. Weiteres Element dieser Herangehensweise ist die bereits erwähnte Fortsetzungsgeschichte, der direkte Bezug auf den Neuanfang. James Bond muss schließlich den Tod Vesper Lynds rächen, für den die Verbrecherorganisation Quantum verantwortlich zeichnet. Dabei entfernt er sich zusehends von den Direktiven seiner MI-6-Vorgesetzten, speziell Ms (Judi Dench). Während seines Rachefeldzuges gerät Bond jedenfalls auf die Spur des Quantum-Mitgliedes Dominic Greene (Mathieu Amalric). Akzeptiert man den Ansatz der Weitererzählung – für einen Bond-Fan ist das kein leichtes Unterfangen – muss dennoch festgestellt werden, dass “Ein Quantum Trost” dem neuerfundenen Charakter der Ikone nicht viel neues hinzuzufügen in der Lage ist. Bond wirkt, im Gegenteil, unfreiwillig dumm, wenn er jeden potenziellen Informanten tötet, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Verantwortlich dafür zeichnet wohl das schwache Drehbuch, welches sich primär um die Aneinanderreihung von Actionsequenzen zu sorgen scheint.

Einem Regisseur wie Marc Forster war gerade eine solche Schwäche nicht unbedingt zuzutrauen gewesen. Zog sich Casino Royale gerade in der letzten halben Stunde noch unangenehm lang hin, gerät die Gegenbewegung hin zu einem möglichst großen Maß an Verkürzung nun zum gravierenden Mangel. So fällt auch die Gestaltung des Bösewichts traurig flach aus. Der dennoch überzeugende Amalric tut sein bestes, seine viel zu nichtssagende Vorlage mit einer ungewöhnlichen Mischung aus großäugiger Unschuld und innerer Kaltblütigkeit umzusetzen. Schlussendlich vermisst man allerdings die große Konfrontation der Kontrahenten, welche in “Casino Royale” noch soviel Raum zur Verfügung hatte. Man denke nur an den genervten Mads Mikkelsen am Spieltisch oder die ziemlich unangenehme Folterszene gegen Ende.

Wirkt die Auflösung des geheimen Plots der Bösen diesmal im direkten Vergleich mit den Gigantomanien anderer Bond-Bösewichte auch einigermaßen belanglos, kann wenigstens Olga Kuryenko als Bond-Girl die durch Eva Green recht hoch gelegte Latte problemlos aufrecht erhalten (und das ist nicht zweideutig gemeint). Unabhängig von den oben aufgezählten Schwächen des Films ist die Freude am neuesten Bond-Abenteuer eine Frage der Einstellung. Wer die Reihe primär in Erwartung des wiederkehrenden Schemas verfolgt, also  der Kombination einiger Gadgets, eines überdimensionalen Bösewichts, eines geschüttelten, nicht gerührten Vodkamartinis oder auch nur des Auftritts eines intelligenten, sich am Rande des Anachronismus bewegenden britischen Spions; wer sich darauf freut, wird wohl oder übel enttäuscht werden. Daran ändert auch das vor dem Abspann erneuerte Versprechen nichts, dass Bond als Figur nun endlich komplett ist. Als Actionfilm, der seine Hauptfigur über mehrere Kontinente jagt, wird Ein Quantum Trost wenigstens bedingt seinem Unterhaltungsanspruch gerecht. Die Frage ist nur, ob die Verwendung des  James Bond-Labels dafür überhaupt gerechtfertigt ist.


Zum Weiterlesen:
Meinungen zum Film aus der Blogosphäre von Lalia, Isinesunshine, Symparanekronemoi und Kino, TV und Co.

Eagle Eye (USA/D 2008)

[Die folgende Kritik enthält Spoiler. Wer nicht wissen will, wer Shia LaBeouf in Eagle Eye die ominösen Anweisungen gibt, sollte nur die letzten Absätze lesen.]

Stehe ich gelegentlich mit ein paar Kinogängern herum und philosophiere über Gott und den Film, wird meine Vorliebe für asiatische Werke recht häufig mit einem verwirrten Stirnrunzeln beantwortet. “Mit Martial Arts-Filmen kann ich nichts anfangen”, heißt es dann oder “Die sehen doch alle gleich aus. Da kann ich die Figuren nicht auseinander halten”. Seitdem mir allerdings im Kino mal wieder ein Blockbuster aus Hollywood untergekommen ist, steht auf der langen Liste der Argumente für den asiatischen (Action-)Film ein weiterer Punkt: Eagle Eye. Besagter Film ist der aktuelle Hitchcock-Verschnitt von D.J. Caruso, der sich mit Disturbia zuvor an “Das Fenster zum Hof” versucht hatte. Das Budget von Eagle Eye wird auf rund 80 Mio. Dollar geschätzt. Da man aufgrund der Besetzung davon ausgehen kann, dass dieses nicht allein für Shia LaBeouf und Billy Bob Thornton ausgegeben wurde, scheint das Geld naturgemäß v.a. in die Effekte geflossen zu sein. Einer der positiven Aspekte des Films ist seine handfeste Action. Ganz im Sinne der ersten Hälfte von “Stirb Langsam 4”, verzichtet Caruso weitgehend auf den prahlerischen Einsatz von C.G.I. und setzt stattdessen auf kollidierende Autos und vergleichbare, für den Zuschauer greifbare, Schauwerte. Mit Shia LaBeouf steht ihm ein akzeptabler Hauptdarsteller zu Verfügung. Der ist zwar nicht der geborene Actionstar, bringt aber das nötige Charisma mit, um einen leicht angetrunkenen Zuschauer 90 Minuten auch ohne glaubwürdige Dialoge, glaubwürdige Figuren oder eine glaubwürdige Geschichte bei Laune zu halten.

Eine allgegenwärtige Überwachung amerikanischer Bürger als zentrales Motiv spricht zudem die tief im Bewusstsein verankerte Angst des europäischen Zuschauers vor selbiger an. Caruso integriert sogar den unsichtbaren Großen Bruder in seine filmische Ästhetik und greift immer wieder auf Überwachungskameras als alternatives Auge auf die Handlung zurück. Während wir den Copy Shop-Angestellten Jerry (LaBeouf) dabei beobachten, wir er von einer emotionslosen Frauenstimme durch die Straßenschluchten gejagt wird, schaudert’s uns ein wenig. Zum Glück passiert uns das nicht, denken wir, während wir in der von Kameras überwachten Straßenbahn nach Hause fahren.

Jerrys freier Wille wird ihm durch diese Stimme entzogen, die Ampeln, Anzeigen, ganze Züge kontrollieren und die Bewegungen eines jeden Bürgers nachvollziehen kann. Ganz wie es Hitchcock in “Die 39 Stufen” und “Der unsichtbare Dritte” vorgemacht hat, wird der unschuldige Jerry irrtümlich vom FBI als Terrorist verfolgt. Dabei leistet er den u.a. über Handys gegebenen Anweisungen widerwillig Gehorsam. Unterstützt wird er durch die allein erziehende Mutter Rachel (Michelle Monaghan). Doch keiner von beiden weiß, wohin die Hetzjagd sie führen wird. Außer natürlich die Macher des Films. Caruso ließ sich jedenfalls beim Finale ein wenig von “Der Mann, der zuviel wusste” inspirieren. Und er verwirft mal eben das ganze Potenzial des Films zur Kritik an Heimatschutzgesetzen oder CCTV.

Jeder, der schon mal vom ominösen ADVISE-Programm gehört oder selbst “2001: Odyssee im Weltraum” und die “Futurama”-Parodie des Films gesehen hat, wird beim Anblick des “Hirns” der Überwachung eine rötlich gefärbte Erleuchtung erfahren und das Ende voraussagen. Selbst wenn das nicht geschieht, verliert der Filmgenuss massiv an Spannung und – was ein bisschen schwerwiegender ausfällt – an politischer Brisanz. Indem Eagle Eye die Verantwortung für das totalitäre “Todesspiel” und den damit zusammenhängenden Überwachungsapparat auf eine intelligente Maschine abwälzt, geht der Film den moralischen Fragen jeder kontroversen Heimatschutzpolitik aus dem Weg. Die Verantwortung des Menschen, ja der Regierung selbst, scheint minimal im Angesicht einer alles sehenden Maschine, deren eigener Wille für das ganze Chaos ausschlaggebend ist.

Damit bleibt der Film also anders als “Der Staatsfeind Nr. 1” in der Ausnutzung des Bedrohungspotenzials hinter seinen Möglichkeiten zurück. Aber wer geht schon in der Erwartung, für seine sieben Euro einen kritischen Kommentar zur Rasterfahndung zu sehen, in einen Blockbuster? “Eagle Eye” ist ein Actionfilm. Explodierende Autos, zerschrottete Autos und durch die Luft fliegende, brennende Autos sind ausschlaggebend für die Wahl eines solchen Films an der Kinokasse. Bedenkt man allerdings noch einmal das Budget – umgerechnet rund zwölf Millionen Kinobesuche oder 27 Millionen Jenaer Döner – wirkt “Eagle Eye” nicht selten wie ein Paradebeispiel unsinniger Geldverbrennung.

Da hat man so viele Dollars zu Verfügung  – mindestens 50 Millionen mehr als John McTiernan vor zwanzig Jahren bei Stirb Langsam – und vergeigt dennoch einige bedeutende Actionszenen bis zur Unkenntlichkeit. Bisweilen dürfte sogar ein verzweifelter Schrei aus dem Zuschauerraum niemanden mehr irritieren, der daneben sitzt. Man möchte selbst der Leinwand zurufen: “Gebt dem Cutter seine verdammten Medikamente gegen ADS!” Den Action-Set Pieces von “Eagle Eye” entzieht der überdrehte Schnitt und die ebenso zittrige Kamera systematisch jeden Anlass zur Aufregung; eben zu dieser seltsamen Freude, der man nur bei zerstörten Karosserien und einstürzenden Gebäuden im Kino begegnet.

Einem Low Budget-Film kauft man die schreckliche Kameraführung noch ab, doch die Macher von “Eagle Eye” können wohl kaum einen nachvollziehbaren Grund aufführen, warum sie ihr Budget zu kaschieren suchen. Wie viel mehr mit einem winzigen Budget zu erreichen ist, das zeigen nicht nur asiatische Actionfilme seit Jahren. Deren Storys sind nicht immer logisch und deren Spielzeit überdehnt wie “Eagle Eye” mitunter das dünne Potenzial der Handlung. Doch wenigstens fühlt man sich als Zuschauer nicht um sein Geld betrogen, wenn in den Filmen aus Fernost tatsächlich mal ein paar Autos aufeinander prallen und kein nerviger Reißschwenk die sinnlose Zerstörungsorgie unscharf erscheinen lässt. Letzteres ist nämlich der Effekt, den Eagle Eye erzielt.


Zum Weiterlesen:
Was Kino, TV und Co und der Filmimperator über Eagle Eye denken.

Tears of the Black Tiger (T 2000)

Trau nie einem Cowboy mit aufgemaltem Schnurrbart!” Das scheint die Lehre zu sein, die der Zuschauer nach dem Genuss von Tears of the Black Tiger noch an seine Kindeskinder weitergeben kann. Denn die Geschichte des Bauernjungen Dam, der seiner Liebe zur Gouverneurs-Tochter Rumpoey wegen von der Uni fliegt und sich fortan in einer Bande von Outlaws verdingt, ist ansonsten simpel. Einem anderen Mann zur Ehe versprochen, schmachtet die Schöne mit den roten Lippen in ihrem Elternhaus dahin, während ihr Held vor der untergehenden Sonne auf seiner Mundharmonika spielt. Hin und wieder geht er selbstverständlich auch seinem Beruf nach und liefert sich Schießereien, in deren Verlauf das Blut in wahren Fontänen die bemitleidenswerten Körper seiner Gegner verlässt. Liefert er sich nicht gerade Duelle, reitet Dam mit der Bande seines Bosses durch die thailändische Landschaft. Naturgemäß geschieht das auf Pferden. Ebenso naturgemäß wird das begleitet von einem Soundtrack, der  zuweilen recht auffällig Ennio Morricone zitiert.

Man könnte glatt dem Glauben verfallen, dass es sich um eine Co-Produktion von Douglas Sirk und Sergio Leone handelt. Wären die beiden nicht längst in die ewigen Jagdgründe eingegangen. Schließlich ist das Regiedebüt von Wisit Sasanatieng ein Retrop-Trip in seiner reinsten Form. Irgendwo in den Fünfziger Jahren scheint sich Sasanatieng verlaufen zu haben, als er diese Idee ersponn.

Hier scheint die Welt eingefroren zu sein in strahlende Pastellfarben, ist der Mond noch von Hand gemalt und währt die Liebe von der Kindheit bis zum (Un)Happy End. Dabei beruft sich der Regisseur zum Glück auch oder gerade auf die Popkultur seiner Heimat Thailand. Nicht der Morricone-Verschnitt gibt die Gangart vor, sondern Thai-Oldies. Deren wehmütige Untermalung wird neben dem Look des Films wohl das bleiben, was der Zuschauer am ehesten mit nach Hause nimmt. Mal abgesehen von obiger Weisheit.

Der Look hat es allerdings in sich. Ganz wie es sich für einen Debütfilm gehört, scheint Sasanatieng beständig in Versuchung zu geraten, seinen Film mit visuellen Finessen zu überladen. Nicht nur haftet der Gestaltung die Atmosphäre eines nachkolorierten, etwas vergilbten Stückes vergammelten Zelluloids an. Seine Schießereien sind auch noch überdrehte Gore-Spektakel, deren trashiger Humor erstmal eingeordnet werden muss in die kitschige Geschichte. Als Auflockerung des melodramatischen Geschehens kommen Blutspritzer und zermatschte Köpfe dem Zuschauer gerade recht. Ungeachtet dessen fragt man sich: Was will uns der Regisseur damit sagen? Die Suche nach einer Message scheint hier jedoch unangebracht.

Allenfalls wirkt der Film durch seine Vermischung der Stile wie ein postmodernes Experiment. Ein Hybrid des klassischen thailändischen Action- und melodramatischen Kinos und zeitgleicher westlicher Genrefilme, der auf dem langen Weg zur Leinwand noch Tarantinos Kunstblutvorrat geplündert hat. “Tears of the Black Tiger” ist ein in höchstem Maße artifizielles Werk, dessen Realismusanteil gen Null strebt.

Doch was sagt uns das schon über den Film? Der visuelle Überschwang; der Einfallsreichtum der Farbgestaltung; der bewusst ernste Blick auf die überlebensgroßen Gefühle seiner Protagonisten, welche zur Abwechslung mal nicht ironisch unterhöhlt werden; allerhand Gründe gibt es, diesen Film zu sehen. Sasanatieng hat ihm vielleicht zu viele Spielereien angedeihen lassen, aber eines nicht vergessen: Ein Herz. Tears of the Black Tiger trägt in sich, wie seine beiden Hauptfiguren Dam und Rumpoey, eine ungebrochene Liebe. Es ist die Liebe zum Medium Film und dessen Geschichte. Weisheiten sind da überflüssig.

Sparrow (HK 2008)

Einer wie Johnnie To hat niemanden mehr etwas zu beweisen. Während die Filmindustrie seiner Heimat Hongkong vor über zehn Jahren in die Krise schlitterte, muss To eines Morgens aufgewacht sein und sich beim Genuss einer Zigarre gesagt haben: “Ab heute bin ich ein Auteur. Ab heute gründe ich meine eigene Produktionsfirma und werde zum einsamen Aushängeschild des Hongkong-Films auf den Festivals dieser Welt.” Sofern es tatsächlich einen solchen Moment im Leben des Regisseurs gegeben hat, kann man ihn nur  dazu beglückwünschen. Aus dem Handwerker, der stets im Schatten von Tsui Hark, John Woo und Konsorten stand, ist neben Wong Kar-Wai tatsächlich der bedeutendste Regisseur der Sonderverwaltungszone geworden.

Sein Stil ist mittlerweile unverwechselbar. Grund dafür ist auch ein festes kreatives Team hinter den Kulissen, sowie eine Gruppe von Stammschauspielern, unter ihnen Lam Suet, Simon Yam oder Gordon Lam, deren Anwesenheit den Wiedererkennungswert seiner Filme in die Höhe treibt. Mit der von ihm und Wai Ka-Fai gegründeten Firma Milkyway Image produziert er im Gegensatz zu Wong Kar-Wai nicht von vornherein für die Arthouse-Kinos. Tos Filmografie variiert daher gekonnt zwischen kommerziellen Filmen und kleinen Herzensprojekten. Da kann es schon mal vorkommen, dass er an einem Film drei Jahre arbeitet und während dessen noch bei vier oder fünf anderen Filmen von hoher Qualität auf dem Regiestuhl sitzt. Geschehen ist das bei seinem neuesten, dem federleichten Sparrow. Der lief im Wettbewerb der Berlinale 2008 und erweist sich gerade als äußerst erfolgreich in den Kinos von Hongkong.

Vielleicht hat der Erfolg etwas mit der nostalgischen Note des Films zu tun. Simon Yam, der ausnahmsweise keinen Bösen spielt, sondern den Boss einer Diebesbande, verbringt hier seine Freizeit als Chronist seiner Stadt. Auf seinen Fahrradtouren durch die Straßen Hongkongs schießt er Schwarzweiß-Fotos von ihren Bewohnern. Begleitet wird das ganze von einem minimal anachronistisch wirkenden 60er Jahre-Feeling, das man eher in den Filmen Jacques Demis vermuten würde als in denen Johnnie Tos. Ein höchst künstlicher Film wie Sparrow kann vielleicht nur überzeugend von jemandem gedreht werden, der in seiner Branche so gut wie alles erreicht hat. In diesem Sinne gleicht er Burn After Reading von den Coen-Brüdern, obwohl die beiden Filme ansonsten nichts gemein haben. Nach einem tieferen Sinn sollte man in der Geschichte um vier Taschendiebe, die nacheinander der geheimnisvollen Kelly Lin verfallen, nicht suchen. To verliert sich hier in seinen ebenso skurrilen wie cleveren Einfällen, so dass man am Ende durchaus hart über den Film urteilen könnte. All style, no content usw.

Damit liegt man wahrlich nicht falsch. So reizvoll wie To dreht aber kaum jemand inhaltslose Gaunergeschichten. Das beginnt bei der Leichtigkeit, mit der er die Diebe bei der Arbeit beobachtet und endet bei seinem Hang dazu, Luftballons und Zigaretten als die erotischsten Gegenstände der Welt zu inszenieren. Wenn sich die Diebe mit ihrem Lustobjekt und einem viel zu großen Aquarium in einem engen Aufzug quetschen, spielt die Frage nach dem Sinn des ganzen keine Rolle mehr. Dass dabei eine Marginalie wie die Figurenzeichnung auf der Strecke bleibt, mag hinterher für einen faden Nachgeschmack sorgen. Der wird jedoch durch eine Vielzahl solcher einprägsamer Situationen wieder wettgemacht. To ist schließlich ein Meister darin, den Eindruck, den seine Filme beim Zuschauer hinterlassen, durch ein paar wunderschöne oder schockierende Momente zu manipulieren. Das ist manchmal erfolgreich (Throw Down). Manchmal, wie in PTU, genügt es nicht, um den ganzen Film in ein positiveres Licht zu rücken. Betrachtet man die rund 90 Minuten von Sparrow als das was sie sind – eine als Gaunerkomödie daherkommende Liebeserklärung an Hongkong – ist der Film ein passabler Spaß, der zu keiner Zeit an Tos Großtaten der letzten Jahre heran kommt.

[Ebenfalls veröffentlicht in der OFDb am 26. November 2008]


Zum Weiterlesen:
Da the gaffer in Wirlichkeit eine unverhohlene Fanpage von Johnnie To ist, gibt’s hier sogar eine Kategorie, die sich ausschließlich dem Mann mit der Zigarre widmet.

Burn After Reading (USA/GB/F 2008)

Treffen sich zwei Kinobesucher nach einer Vorstellung von Tropic Thunder, wird sich ihr Gespräch sehr bald auf den Auftritt von Tom Cruise als fetten, haarigen Produzenten drehen. Der eine freut sich dann über die Art und Weise wie der Scientologe und Superstar sein Image als Schönling auf die Schippe nimmt. Der andere wird entgegen halten, dass sein ewiges Herum- getanze doch mehr peinlich als lustig ist. Vielleicht entzünden sich beim Anblick des neuen Filmes von Joel und Ethan Coen ähnliche Diskussionen. In Burn After Reading spielt schließlich Brad Pitt – zweimaliger Sexiest Man Alive – einen etwas dümmlichen Fitness Studio-Angestellten, samt hautengen Shirts und geschmackloser Frisur. Seine Figur Chad Feldheimer ist der Typ Mensch, dessen Mund weit offen steht, wenn das Hirn nicht mehr hinterher kommt. Mit seiner Arbeitskollegin Linda Litzke (Frances McDormand) erpressen sie nach dem Fund vergessener Top Secret-Daten des CIA dessen Besitzer. Oder sie versuchen es zumindest. Man kann sich wohl durchaus vorstellen, dass Chad und Linda, die das Gros ihres Tages mit Ergometern, Laufbändern und anderen hoch interessanten Geräten verbringen, keine geborenen Profis im Geheimdienstgeschäft sind. Seltsamerweise scheint in Burn After Reading keiner von irgend etwas einen Plan zu haben. Auch nicht der betroffene Agent Osbourne Cox (John Malkovich). Von seiner Frau (Tilda Swinton) betrogen und verachtet, von seiner Firma gefeuert, wünscht man dem Alkoholiker Cox eine ordentliche Gruppentherapie.

Auch Harry Pfarrer (George Clooney – ebenfalls zweimaliger Sexiest Man Alive) hat so seine Probleme. Als wären eine Frau und eine Geliebte (Swinton) nicht genug, sucht Harry übers Internet-Dating weibliches Frischfleisch. Und lernt dabei Hobby-Erpresserin Linda kennen. Man könnte großspurig sagen, das Schicksal der Figuren in “Burn After Reading” sei vernetzt, die verschiedenen Lebenspfade würden sich kreuzen, mit verhängnisvollen Folgen usw. Die Feststellung liegt allerdings nahe, dass schlicht alle Figuren in diesem Film unglaublich dumm sind. Die Akzeptanz dieser Gemeinsamkeit genügt jedenfalls, um an diesem Film großes Gefallen zu finden. Nicht alle teilen Chads Grad von Dummheit, aber fast. Ausgenommen Tilda Swinton, deren Eisblock-Anwesenheit zuweilen deplatziert wirkt. Glücklicherweise teilt sie eine der witzigsten Szenen des Films mit Clooney und einem Berg Karotten. Welche Schaupielerin kann das schon von sich behaupten?

Eine Horde beschränkter Figuren dabei zu beobachten, wie sie versuchen ans große Geld zu kommen, muss nicht unbedingt lustig sein. Selbst in der Filmografie der Coen-Brüder existiert der großartige The Big Lebowski neben The Ladykillers, einem weiteren Remake, dass kein Mensch braucht. Burn After Reading ist vielleicht nicht auf der Höhe des Dudes, dafür ist das Geschehen zunächst zu chaotisch, wirkt der ganze Film wie eine Fingerübung nach Feierabend. Einen wie den Dude gibt’s wohl nur einmal im Leben. Dennoch sind die Eskapaden von Linda Litzke und ihren Kollegen höchst amüsant.

Die Coens spielen nämlich mit dem dramatischen Repertoire verschiedener Genres, allem voran denen des Agenten-Films, um deren Regeln genüsslich auf den Kopf zu stellen. Und sie spielen mit unserer Erwartung bezüglich der Besetzung. Wann treffen etwa die beiden “Oceans Eleven”-Stars Pitt und Clooney endlich aufeinander? Die Antwort auf diese Frage aller Fragen wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Ihre Auflösung ist aber nur einer der Gründe, warum Burn After Reading absolut sehenswert ist. Ein anderer ist Pitt selbst, dessen erbärmliche Versuche, auf Cox bedrohlich zu wirken, für die größten Lacher sorgen. Dieser Film ist ziemlich makaber, birst vor schwarzem Humor und wird stets von einem Hauch von Belanglosigkeit begleitet. Aber wen interessiert’s?