WALL·E (USA 2008)

Selten bieten Endzeitvisionen Stoff für bezirzte Oooohs und Aaaahs aus dem Zuschauerraum oder sieht die Welt außerhalb der Matrix zum Knuddeln aus?

Zugegeben, der einstmals blaue Planet, auf dem der Abfallverarbeitungsroboter WALL-E sein Dasein fristet, ist nicht von der wohnlichen Art. Müllberge so groß wie Hochhäuser zieren sein Antlitz. Die Menschen, Verursacher des ganzen Übels, haben ihre Heimat wohlweislich längst verlassen. Nur der eckige, etwas schmuddelige WALL-E ist noch verblieben, um Tag für Tag den Müll schön säuberlich in handlichen Würfeln anzuordnen. Seine Kollegen haben längst das Zeitliche gesegnet, denn das Projekt, die Erde vom Abfall zu befreien, wurde längst für gescheitert erklärt.

Es ist also nicht Mutter Erde, die für verzückte Aufschreie im Kinosaal sorgt, sondern der titelgebende Held, bei dessen Design sich die Kreativen von Pixar mal wieder selbst übertroffen haben. WALL-E, mit seinen großen, traurigen Augen und dem altmodischen Unterbau, reiht sich nahtlos ein in die lange Schlange von Pixar-Helden, die das Herz des Zuschauers in den letzten Jahren im Sturm eroberten. Da ist es nur hilfreich, dass er kaum redet und die meiste Zeit verschroben süße Töne von sich gibt. Sein Äußeres täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass WALL-E keine bloße Kopie früherer Pixar-Helden ist. Der kleine Roboter wirkt vielmehr wie eine Inkarnation von Chaplins Tramp, nur eben aus Blech, versteht sich. So gestalten sich die ersten 40 Minuten des Films passenderweise recht stumm, auch wenn WALL-E Gesellschaft bekommt. EVE lautet ihr symbolträchtiger Name. Auf die Erde wurde sie geschickt, um nach Beweisen für die Bewohnbarkeit des Messie-Planeten zu suchen.

EVE ist im Grunde das beste Product-Placement, dass sich eine Firma nur wünschen kann. Natürlich trägt sie kein Logo, doch wer in seinem Leben schon mal einen iMac, iBook oder irgendein anderes Gerät mit dem “i” gesehen hat, der wird sich wundern, warum EVE der angebissene Apfel fehlt. WALL-E’s glänzend weiße neue Freundin ist eine Ausgeburt an Perfektion, was die ganze Apple-Werbung, die in der Anwesenheit eines iPods in der Wohnung unseres Hauptdarstellers kulminiert, auch irgendwie logisch erscheinen lässt.

In jedem anderen Film hätte EVE in etwa so langweilig ausfallen können wie ein Supermodel ohne Persönlichkeit, das nur zum Anschauen da ist. Nicht so bei Pixar, deren Qualitäten eben nicht nur bei wegweisenden Animationen liegen, sondern gerade der Zeichnung liebenswerter Figuren. EVE, die einen Hang dazu hat, alles zu Schutt zu schießen, was ihr suspekt vorkommt, ist so eine. Nach vierzig Minuten herzergreifender Slapstick-Unterhaltung, wie man sie im heutigen Kino selten zu sehen bekommt, tauchen jedoch Menschen auf. In gewisser Weise erscheint damit der Grund auf der Bühne, warum WALL-E nicht an die Qualität des letzten Pixars Ratatouille herankommt.

Die erste Hälfte des Films ist durch seine weitgehend abwesenden Dialoge wie eine lange Version der unzähligen Kurzfilme, welche das Pixar-Kinoerlebnis so einzigartig gestalten. WALL-E ist im Gegensatz zu diesen für die große Leinwand  mit ihren 90 Minuten geschaffen. Beweis dafür ist schon die Rolle von Kameramaestro Roger Deakins (“Fargo”, “No Country for Old Men”) als visual consultant. Diese Hälfte ist experimentierfreudig, ist charmant und liebenswert; ist pfiffig erzähltes großes Kino. Mit dem Auftritt der Menschen wird der Film nicht nur von Massen an Figuren bevölkert, die in etwa so individuell sind wie die gierigen Möwen in Findet Nemo. An sich wäre die Anwesenheit von kugelrunden homo sapiens nämlich nicht das Problem, schließlich sind sie ein bedeutender Teil der Botschaft des Werkes. Mit den Menschen wandelt sich WALL-E jedoch in ein rasantes Abenteuer, vielleicht am ehesten vergleichbar mit Die Unglaublichen. Es fehlt dem Film von Andrew Stanton damit an Homogenität.

WALL-E ist trotz allem immer noch besser als “Kung Fu-Panda” und Konsorten, weil keiner der Pixar-Konkurrenten dazu in der Lage ist, große Gefühle so glaubwürdig in die Herzen von kleinen Maschinen zu verpflanzen. Szenen wie den Tanz von WALL-E und EVE im Weltall, würde man sonst höchstens einem Steven Spielberg abnehmen und selbst der scheint sein Händchen dafür mittlerweile verloren zu haben. Es ist eben ein Glück, dass es Pixar gibt.

Tropic Thunder (USA/D 2008)

Ben Stiller hat mit Tropic Thunder die Komödie nicht neu erfunden. Es gibt auch bessere Satiren über die Traumfabrik. Noch dazu hat das Drehbuch erhebliche Mängel, was das Gleichgewicht zwischen den Hauptfiguren betrifft, vom qualitativen Auf und Ab des Materials der anderen ganz zu schweigen. Das alles ist ja schön und gut, ändert aber nichts daran, dass jeder Kinofan mit einer Vorliebe für etwas “groberen” Humor sich sofort ins Multiplex seines Vertrauens begeben sollte, um eine Karte für Stillers neuen Film zu lösen. Warum nun diese unverhohlene Werbung nach all den ebenso offensichtlichen Kritikpunkten? ‘Thunder’ ist gerade in der ersten Hälfte schlicht zum Schreien komisch. Allein die fiktiven Trailer sind die Straßenbahnfahrt, den Sprint durch den Regen, das Warten an der Kasse, die Viertelstunde Magnum-Werbung und viele Torturen mehr wert. Wenn es endlich zur langerwarteten “Platoon”-Parodie mit Stiller als Actionstar Tugg Speedman samt perfektionierter Willem Defoe-Gestik kommt, sind alle Schwächen verziehen.

Die Grundidee ist weder genial noch neu: Ähnlich wie im Steve Martin-Vehikel “Drei Amigos!” oder in der Star Trek-Parodie “Galaxy Quest” gerät eine Gruppe von Schauspielern in eine äußerst gefährliche Situation. Problem nur, dass sie glauben, sie machen einen Film. In diesem Fall ist es ausgerechnet ein Vietnamkriegsepos, dass Speedman, der fünfmalige (!) Oscargewinner Kirk Lazarus (Robert Downey Jr.) und der drogensüchtige Comedian Jeff Portnoy (Jack Black) glauben hier zu drehen, zunächst nicht ahnend, dass ihre Kugeln nur Platzpatronen und die ihrer Gegner schmerzhaft echt sind.

Als Zuschauer kann man Stiller und die Co-Autoren Justin Theroux und Etan Cohen nur beglückwünschen zur weitgehend gelungenen Auswahl der Zielscheiben ihres Spotts. Lazarus ist der einigermaßen lächerliche König aller Method Actors (“I don’t read the script. The script reads me.“), der sogar soweit geht, die Rolle eines Afro-Amerikaners zu übernehmen, ungeachtet der Tatsache, dass er aussieht wie Peter O’Toole. Dass Lazarus Australier ist und in seiner Freizeit gern auf Reporter losgeht, ist sicher nur ein Zufall und absolut keine Russel Crowe-Persiflage. Ganz sicher…

Nach einer Pigmentbehandlung verliert sich Lazarus jedenfalls vollends in seiner Rolle, d.h. er bedient alle Klischees, was seinen Co-Star und Gangster-Rapper Alpa Chino (Brandon T. Jackson) nicht sonderlich freut. Auch der Rest der Truppe ist nicht gerade mit Weisheit gesegnet: Der etwas tumbe Actionstar Speedman, dessen Karriere darnieder liegt, versucht sich auf dramatischem Terrain, nachdem sein letzter Film “Simple Jack” (= “I am Sam”) bei Kritikern und Zuschauern durchgefallen ist.

Speedmans und Lazarus’ Diskussion darüber, wie man zu einem Oscar kommt, in dem man einen geistig Behinderten spielt, sollte eine Lehre sein für Sigourney Weaver, Sean Penn und Co. : “You went full retard, man.”, erklärt der Experte Lazarus, “Never go full retard.” Politische Korrektheit ist also nicht die Stärke von “Tropic Thunder”, aber wo darf man, von einem schlechten Gewissen befreit, über solche Witze lachen, wenn nicht im Kino?

Stillers Angriff auf Produzenten, Agenten, Schauspieler und Kriegsfilme wie “Apocalypse Now”, “Die durch die Hölle gehen” und natürlich “Platoon” bezieht seinen Charme v.a. aus Geschmacklosigkeiten der brutaleren Natur. Da fliegen schon mal mörderische Kleinkinder durch die Luft, wird mit allerhand Kunstblut- und Gedärmen hantiert und ein abgetrennter Kopf spielt eine köstliche “Nebenrolle”.

Dass Tropic Thunder funktioniert liegt allerdings weniger am Ekelfaktor, sondern ist v.a. dem Ensemble zu verdanken. Anders als noch in seiner letzten Regiearbeit “Zoolander”, trägt Ben Stiller den Film nicht allein, sondern kann sich getrost auf die Talente seiner Kollegen verlassen. Downey Jr. alias Lazarus wurde das beste Material auf den Leib geschrieben. Lazarus ist ein aufgeblasener, selbstverliebter Egomane, der so in seiner “Kunst” versunken ist, dass er darüber die wirkliche Welt und das, was Kritiker gern als “Authentizität” bezeichnen, aus den Augen verloren hat.

Die Figur des Jeff Portnoy, die an eine Mischung aus Eddie Murphy und Chris Farley erinnert, ist leider weniger gut ausgearbeitet. Dass Portnoy eine weitgehend überflüssige Figur ist, deren Drogensucht kaum für Lacher sorgt, ist weniger die Schuld von Jack Black. Vielmehr muss man Theroux, Cohen und Stiller vorwerfen, dass sie nicht mehr aus den Talenten des Tenacious D-Rockers herausgeholt haben. Steve Coogan hat es mit seiner vergleichsweise kleinen Rolle als genervter Regisseur dank eines höchst amüsanten Monologs und eines ebenso “eingängigen” Abgangs wesentlich besser getroffen. Der Durchbruch in Amerika, den der Mann, der Alan Partridge erschuf, verdient hätte, lässt allerdings immer noch auf sich warten.

Wie bereits in “Zoolander” sind die Cameos das Sahnehäubchen dieser Big Budget-Komödie. Über den Auftritt von Tom Cruise wurde daher im Vorfeld dank geschickten Marketings ausführlich diskutiert. An dieser Stelle sei nur soviel gesagt: Cruise ist nicht wie der Hulk über Nacht zum Schauspieler mutiert. Ganz im Gegenteil: “Tropic Thunder” ist mal wieder der Beweis, dass in diesem Herrn nicht einmal ein winziger Funke komödiantischen Talentes steckt. Cruise ist eben leider nur so lustig wie sein Material, weshalb sein eigentlich viel zu langer Cameo hin und wieder geradezu weh tut, wenn das Drehbuch selbst keine Lacher bereit hält.

Ob er wie Tugg Speedman einen Imagewechsel nötig hat, um seine Karriere zu retten, sei zur Diskussion gestellt. Dem Unterhaltungswert von Stillers Regiearbeit ist sein Auftritt indes nicht abträglich. Denn “Tropic Thunder” gibt einem glatt den Glauben an die amerikanische Filmparodie zurück.


Zum Weiterlesen:
Was ?????????????????, Equilibrium und Kino, TV und Co. über “Tropic Thunder” zu sagen haben.

Election 2 (HK 2006)

[Wie es sich für die Kritik einer Fortsetzung gehört, verraten die folgenden Absätze das Ende von “Election 1”, enthalten also Spoiler.]

Herr Lok ist eigentlich kein auffälliger Typ. Beim Elternabend würde er wahrscheinlich nur still dasitzen und höflich nicken, wenn über die Verwendung der Klassenkasse diskutiert wird. Vielleicht wundern sich seine Nachbarn über die auffällig gekleideten, meist männlichen Besucher, die Herr Lok in seiner Wohnung empfängt. Sofern sie über seinen Beruf nicht aufgeklärt wurden. Herr Lok ist nämlich der Chef der Triade ‘Wo Shing’. Dieser Herr Lok wird wie auch schon in Election vom vielseitigen Simon Yam gespielt, einen anerkannten Fachmann für Psychopathen. Wenn die oben genannten Kriterien auf ihren Nachbarn zutreffen, sollten sie sich Sorgen machen. Oder Telefonnummern mit ihm austauschen. Nach zwei Jahren, in denen Lok nun die Führung der Triade inne hatte, steht wieder eine Wahl an. Erst scheint es keinen ernsthaften Gegner zu geben, doch dann strebt der junge Jimmy (Louis Koo), Patensohn Loks, plötzlich das Amt an. Eigentlich wäre der lieber ein erfolgreicher Manager, doch seine Verbindungen auf dem Festland (sprich: der Volksrepublik China) zwingen ihn zur Bewerbung: Entweder er wird der Boss und bringt die Triaden unter Kontrolle oder alle wirtschaftlichen Transaktionen sind gestorben.

Dominierte “Election” noch die augenscheinliche Faszination des Regisseurs Johnnie To für die jahrhundertealten Rituale der Triaden, greifen die eleganten 92 Minuten der Fortsetzung nach dem düsteren Potenzial, welches das brutale Ende des Vorgängers angedeutet hatte. Damit wird Election 2 nicht nur ein dichter Spannungsbogen zu Teil, sondern auch eine Story, die offen den Anspruch auf eine epische Erzählung stellt. Anders als die Macher der “Infernal Affairs”-Trilogie verwehrt Regisseur To dem Zuschauer allerdings jene Momente dramatischen Pathos’, in denen die Orchesterbegleitung anschwillt und den Helden am Rande ihrer emotionalen Kapazitäten eine einsame Träne über die Wange läuft. Tos unterkühlter Blick auf das Treiben der Triaden unterbindet eine dermaßen tiefe Identifikation. Wenig überraschend ist es da, dass die Exponenten der Schwarzen Gesellschaft kaum althergebrachte Charakterisierungsversuche erfahren. Lok, Jimmy oder der Auftragskiller Jet (Nick Cheung) lassen ihre Taten sprechen.

Vielleicht lässt sich nur so ein in Mark und Bein gehender Effekt erzielen, wie ihn To am Ende von “Election” auf den Zuschauer los lässt. Der oberflächlich gesehen unscheinbar ruhige Lok sitzt da mit seinem  einstigen Rivalen beim Angeln. Lok hat die Wahl gewonnen, hat längst das Spiel um die Macht für sich entschieden. Doch dann macht sein neuer Verbündeter einen tödlichen Fehler: Er schlägt die Teilung der Macht vor. Und prompt wird ihm vom verstimmten Lok der Schädel eingeschlagen. Die Brutalität dieser (Männer-)Welt kommt problemlos ohne Motive aus, die über Schlagwörter wie Macht, Geld oder Ansehen hinausgehen. Lok, einmal angetan von seinem Führungsposten, will ihn eben nicht mehr hergeben und damit hat sich’s. Für Tos Triadenfiguren in den “Election”-Filmen wäre ein genauer Hintergrund, eine persönliche Geschichte überflüssig. So alt wie die Institutionen sind, denen sie dienen, sind ihre Motive, ihre Handlungsmuster. Mit dem Eintritt werden sie zu einem Rädchen in der Maschine, das sich in dieselbe Richtung dreht, wie schon hunderte andere vor ihm.

Insofern ist Louis Koo als ehrgeiziger Jimmy eine Ausnahmefigur. Sein Geld hat er mit Raubkopien gemacht, seine Kinder sollen einmal Ärzte oder Anwälte werden. Das sind die Träume einer Mittelstandsexistenz, die der Versuch legaler Geschäfte in Festlandchina manifestieren soll. Das Triadenleben soll nur eine kurze Episode sein auf dem Weg zum gut situierten, bürgerlichen Dasein. Mit dem Verlust seiner Distanz zum gewalttätigen  Triadengeschehen, also in der direkten Konkurrenz mit Lok, sind zunehmend auch seine Entscheidungen den blutigen Schablonen des Gangsterlebens nachempfunden. Gewinn und Erhalt der Macht rechtfertigen jedes Mittel.

Von “The Mission” über “Running out of Time” bis hin zu “Election” und “Exiled” gewinnen Johnnie Tos Regiearbeiten häufig durch die Paarung der Hauptfiguren ihre eigentliche Schwungkraft. So stellt er in ersterem den aufbrausenden Francis Ng neben einen stoischen Anthony Wong. “Election” funktioniert durch die Gegenüberstellung des zurückhaltenden Simon Yam mit dem lauten Tony Leung Ka-Fai auf ähnliche Weise. Wenn man so will, verzichtet To in Election 2 auf die besondere Chemie der Gegensätze und setzt auf gleichwertige Gegner. Wie schon die beiden Antagonisten in dem von To produzierten The Longest Nite sind sich Lok und Jimmy in ihrer berechnenden Kaltblütigkeit so ähnlich, dass sie sich zwangsläufig hochschaukeln in ihrer gewalttätigen Vorgehensweise bis einer von ihnen aus der Bahn geworfen wird. Seine Altersfreigabe ab 18 hat “Election 2” also unzweifelhaft verdient.

Einer gewissen Stilisierung seiner Gangster entgeht auch Johnnie To nicht, wenn er die zumeist wortkargen Männer an der Kamera vorbei ins nichts blicken lässt wie Westernhelden, die auf das nächste Duell warten. Dass der Regisseur ein Meister darin ist, auf einer schwarzen Leinwand die Gesichter seiner Figuren mit präzise gesetzten Lichtpunkten  aus dem Dunkel heraus zu schälen, sorgt auch nicht gerade für eine realistische Ästhetik. Diese zuweilen expressionistische Herangehensweise ist am Ende, nach all dem vergossenen Blut und der erlebten Abgründe menschlichen Machtstrebens, aber eine angebrachte Wahl. Tos Leistung liegt schließlich weniger im Realismus als in seiner unsentimentalen Herangehensweise an das organisierte Verbrechen Hongkongs.

Mit dem steigenden Einfluss der Volksrepublik sind die Zeiten endgültig im Wandel begriffen. ‘Früher war nicht alles besser’, sagte uns “Election”. ‘Die Vorzüge der Zukunft werden teuer erkauft’, ist die Weisheit der Fortsetzung. Johnnie Tos im Gewand eines Thrillers daher kommende Verweise auf das Hongkong nach dem 1. Juli 1997, die weder das Gestern noch das Morgen glorifizieren, lassen “Election 2” über unzählige Triadenfilme der ehemaligen Kronkolonie und auch seinen Vorgänger obsiegen. Rund zehn Jahre vorher hatte Simon Yam schon mal einen ruhigen, gerechten Boss in  der erfolgreichen “Young and Dangerous”-Reihe gespielt. Johnnie To reißt in Election 2 diesem viel zu netten Kerl die sympathische Maske vom Gesicht und fördert eine machtgierige, hässliche Fratze zu Tage.


Zum Weiterlesen:
Kritiken zum Hongkonger Kino und natürlich Election.

The Dark Knight (USA 2008)

Als Charles Lindbergh am 21. Mai 1927 nahe Paris seine Spirit of St. Louis sicher auf europäischem Boden landete, wurde der Mittzwanziger aus Detroit über Nacht ein amerikanischer Held. Noch rund 80 Jahre später wird er vom Time Magazine in der Liste der 100 wichtigsten Personen des 20. Jahrhunderts in der Kategorie “Heroes and Icons” neben Mutter Theresa, Anne Frank und Rosa Parks geführt. Eine postume Ehrung, der auch Lindberghs latenter Antisemitismus nichts anhaben konnte. Lindbergh, der mit seinem Nonstop-Flug über den Atlantik als ein legendäres Beispiel für die Bezwingung natürlicher Hindernisse durch Erfindungsgeist und Abenteuerlust des Menschen in die Annalen der Geschichte einging, ist nur einer unter vielen heroischen Mythen der amerikanischen Nation. Angesichts der Entwicklungsgeschichte der USA ist es keine Überraschung, dass die amerikanische Gesellschaft zuweilen ein aus europäischer (und besonders deutscher) Sicht fast schon naives Verhältnis zum Heldentum hegt.

Vielleicht kann auch nur ein Land, dessen Sendungsbewusstsein tief geprägt vom Manifest Destiny ist, Herkunft des modernsten aller Heroen sein, des Superhelden. Dessen klassische Vorbildfunktion als selbstloser Verfechter von Recht und Ordnung liegt schließlich nicht allzu fern von der mit dem Schicksal verknüpften Vorstellung des “American Exceptionalism“. Kurz gefasst versteht man darunter die auf der ursprünglich moralischen Überlegenheit der jungen Demokratie gegenüber den tyrannischen Monarchien des Alten Europa basierende, quasi-religiösen Vorstellung, die Neue Welt sei der Boden einer außergewöhnlichen, weil guten, stabilen, egalitären Gesellschaft.

Ihr heutiger Status als Weltpolizei, die eine Achse des Bösen ausgemacht hat und ihr in einem Kreuzzug für Demokratie entgegen geschritten ist, trägt noch immer die Vorstellung puritanischer Siedler in sich, ein Modell, ein Vorbild für den Rest der potenziell verkommenen Welt zu sein. Ist man Verfechter der durchaus zweifelhaften Vorstellung, Filme spiegelten immer auch den Zeitgeist wieder, liegt die Argumentation daher nahe, dass der Boom amerikanischer Comicverfilmungen seit der Jahrtausendwende – nehme man Bryan Singers “X-Men” als Ausgangspunkt – diesen seltsamen Ur-Instinkt, diesen anscheinend verstärkten Wunsch nach Vorbildern und Helden besonders gut zu befriedigen weiß. Anders gesagt: Fault das Selbstbewusstsein einer Gesellschaft vor sich hin, tun Superheldenfilme dem Verlangen nach heldenhafter Kompensation Genüge.

Dieser Logik widerspricht natürlich der unverkennbare Anachronismus einer Figur wie Superman in heutiger Zeit. Zumindest in der von (wieder einmal) Bryan Singer in “Superman Returns” realisierten Form wirkt dieser ideale Mann aus Stahl, stellt man ihn neben moderne Modellen wie Wolverine oder Spiderman, doch leicht angerostet. Spätestens seit den Achtziger Jahren überwinden bevorzugt komplexe Normalos und Anti-Helden die Schwelle zum Superhelden, weil sie trotz ihrer diversen Schwächen und unzähliger Versuchungen den steinigen Weg zur Verbesserung der Gemeinschaft gehen, der ein Scheitern nicht ausschließt.

Auch Batman ist in diesem Sinne keine Lichtgestalt mehr, die allein durch ihre Tugenden und guten Taten zum idealen Fixpunkt einer sich nach einem Retter sehnenden Stadt wird. Einen ur-amerikanischen Helden wie Superman hätte Gotham City nämlich nicht verdient. Darauf läuft zumindest Christopher Nolans The Dark Knight hinaus. Akzeptiert man nun die Zeitgeist-Theorie oder nicht, der neue Batman kann leicht als eine Allegorie auf die USA nach dem 11. September gelesen werden. Der bereits angedeutete Glaube der Bush-Administration an die Rechtmäßigkeit der eigenen Mission wurde ausgehöhlt durch die eingesetzten Mittel, die dem Vorbildcharakter des amerikanischen Rechtsstaates widersprachen. Wenn Bruce Wayne alias Batman (Christian Bale) also den Bösewicht zusammenschlägt, um an für die Rettung Unschuldiger notwendige Informationen zu gelangen, geht dem Kritiker das Herz auf bei all den wunderbaren Parallelen, die sich zur weiteren Analyse anbieten.

Reduziert man jedoch den Film vorerst auf das wesentliche, ist “The Dark Knight” ein äußerst spannender Thriller, der es in der zweiten Hälfte tatsächlich schafft, die immensen Erwartungen weitgehend zu erfüllen. In Zusammenarbeit mit dem Polizist Jim Gordon (Gary Oldman) zieht der Fledermausmann auch diesmal wieder gegen das organisierte Verbrechen zu Felde. Letzteres gerät jedoch in Unordnung durch einen mysteriösen Soziopathen, den Joker (Heath Ledger). Bezirksstaatsanwalt Harvey Dent (Aaron Eckhart), der Gotham ganz vom verbrecherischem Unrat befreien will, gerät bald zu dessen Zielscheibe. Dumm nur, dass Dent ausgerechnet mit Rachel Dawes, der Ex-Freundin von Bruce Wayne, ausgeht.

Als Superheldenfilm besticht “The Dark Knight” durch eine gewagte Interessenverlagerung, die Bruce Wayne mitsamt seiner moralischen Skrupel mehr oder weniger der Faszination rund um die Figur des von Ledger erschreckend intensiv porträtierten Jokers opfert. Christian Bale, dem es leider am sinisteren Charme eines Michael Keaton mangelt, wird vom Drehbuch anders als in “Batman Begins” eine zutiefst undankbare Rolle maßgeschneidert. Den Millionär und Frauenheld Wayne schüttelt Bale locker aus dem Handgelenk, die sich hinter dem Image verbergenden inneren Konflikte werden dagegen zu selten ausgebreitet. Vielleicht war das nach dem in dieser Hinsicht zu ergiebigen Batman Begins eine bewusste Wahl Nolans. Bahnen sich vermeintlich emotionale Momente an, wählt der Regisseur lieber die bedeutungsschwere Pose Batmans, als den Blick ins Innenleben Waynes.

Als Fehlentscheidung stellt sich die Wahl nicht heraus, weil andere Figuren die nötige Persönlichkeit ins Spiel bringen, um “The Dark Knight” zu mehr als nur einem kühlen Actionthriller zu machen. Herauszuheben sind hierbei zum einen Gary Oldman, einer der auffälligsten Casting Coups schon im letzten Film. Endlich mal dem Typecasting entgehend, ist Oldmans Jim Gordon der Inbegriff einer Anständigkeit, die einem auf der Straße begegnet, nicht im Latex-Kostüm.

Eckharts Harvey Dent ist ebenfalls ein Bild der Rechtschaffenheit, besitzt mit seinen leuchtend blonden Haaren, dem eckigen Kinn und dem unvermeidlichen Grübchen aber das Äußere eines All American Guy, der mit Leichtigkeit die Herzen von Gothams Bevölkerung erobert. Schon früh deutet eine gewisse Rücksichtslosigkeit gegenüber seiner eigenen Person glaubhaft Persönlichkeitsmuster an, die spätere Wandlungen schlüssig erklären helfen.

Über allem liegt der Schatten des Jokers und damit Heath Ledgers “Vermächtnis” als Schauspieler, der zweite Casting Coup der Reihe. Schon in Tim Burtons “Batman” verblasste neben der übermächtigen Performance Jack Nicholsons jedes andere Ensemblemitglied. “Scenery Chewing” betreibt Ledger nicht in diesem Maße. Sein Joker ist zwar ein geschminktes Scheusal, wirkt aber realistischer als Nicholsons grinsender Cartoon-Bösewicht.

Dieser Joker ist auch nicht das Böse, sofern man an die Existenz desselben glaubt. Ledger spielt das nihilistische Chaos, das menschliche Gestalt angenommen hat. Der Joker hält Gotham vielleicht keinen Spiegel vor, verkörpert allerdings ein Element, das trotz aller Bemühungen aus dem Leben nicht auszuschließen ist. Er bedroht die Stabilität, drängt die Gemeinschaft in eine Extremsituation, die unliebsamer Entscheidungen bedarf.

Diese aus dem Nichts kommende Naturgewalt ist das genaue Gegenteil von all den ach so sympathischen Bösewichten des Marvel-Filmuniversums wie Magneto, Harry Osborne und Doc Octopus, deren Schritt zur ‘Dunklen Seite der Macht’ ausführlich dokumentiert und mit einem nachvollziehbaren Motiv versehen wurde. Ledgers Joker ist eine willkommene Abwechslung, ein Schurke ohne Herkunft, ohne gewöhnliches Motiv, ohne Gewissenskonflikt. Es ist eine Interpretation, die so erfolgreich ist, dass jeder spätere Schauspieler um die Übernahme der Rolle nicht beneidet werden kann. Dabei bleibt ein Wermutstropfen, dass man von Ledger selbst hier absolut nichts sieht.

Wenn der Joker nun das sprichwörtliche Flugzeug ist, das in ein Hochhaus rast, die Bombe, die in einem vollbesetzten Bus hochgeht und all die schönen Bedeutungsebenen sich in der letzten dreiviertel Stunde zu einem festen Knoten verbinden, der den Film als etwas Großes im Bauchgefühl des Zuschauers zurücklässt, warum gehört er nicht in die Top Ten der IMDb? Gotham sieht eben ziemlich nett aus. Nachteilig für diesen Eindruck ist, dass man die Stadt oft aus Sicht von Penthouse-Apartments und Büros in sauberen Hochhäusern erblickt. Das soll hier kein Plädoyer für das Gothic-Ambiente eines Tim Burton sein, doch unverkennbar ist der Mangel an einer Atmosphäre, welche die verheerenden Wirkungen des organisierten Verbrechens und damit das Bedürfnis nach einer rettenden Lichtgestalt plausibel spürbar macht.

Natürlich, Batman hat aufgeräumt, Harvey Dent auch, doch bei einem Film, der soviel darüber diskutiert, welche Art von Held eine Stadt verdient, welches Vorbild sie braucht, fehlt “The Dark Knight” schlicht der Standpunkt von Gotham selbst. Christopher Nolan schafft es wunderbar, die Aktionen und Reaktionen seiner Hauptfiguren, und deren persönliche Entwicklung in einem wasserdichten Plot unterzubringen. Der atmosphärischen Darstellung gesellschaftlicher Dynamik geht er zu Ungunsten des Films aber aus dem Weg.

Es fehlt das Gefühl einer allgegenwärtigen Bedrohung, die auch existieren sollte, wenn der Joker nicht im Bild ist. Es fehlen die Zersetzungserscheinungen, welche die von Nolan angestrebten zeitgeschichtlichen Referenzen und eben auch Allegorien auf das Amerika von heute mitsamt der Folgen des neokonservativen Kreuzzuges prägnanter auf den Punkt gebracht hätten. Ungeachtet der politischen Haltung des Filmemachers wäre Nolans Gotham ein bisschen mehr Vision gut bekommen.

Auch dieser Batman ist ein amerikanischer Held. Einer, der kaum zum Vorbild taugt, schließlich sind in der Nacht alle Katzen (und Fledermäuse) grau. Anscheinend spricht dieser Mann ohne Superkräfte, der die Hydra des organisierten Verbrechens aus dem Schatten heraus mit High Tech-Waffen bekämpft, den Post-9/11-Zeitgeist treffsicherer an, als ein Alien, das als Messias-Figur auf die Erde kommt und mit nur einer Schwäche belastet, die lächerlichen Pläne seiner von vornherein unterlegenen Gegner zermalmt. Vielleicht ist The Dark Knight aber einfach “nur” ein guter Film.


Zum Weiterlesen:

Eine Auswahl an Kritiken zum Film von Kollegen aus der Blogosphäre:

Blockbuster Entertainment

Kino, TV und Co. (inkl. Kritikerspiegel! Fleißig, fleißig…)

Sneakcast.de

Es gibt auch Menschen, die dem Film nicht 9 oder 10 Pünktchen geben.

Einen wiedermal lesenswerten Artikel zur Frage, ob Comicverfilmungen etwas mit dem Zeitgeist zu tun haben und was denn dagegen spricht, hat David Bordwell auf seinem Blog veröffentlicht. Seinen auch für Hobby-Filmwissenschaftler unterhaltsamen Schreibstil gibt’s gratis dazu.

Zu guter Letzt wird die Frage beantwortet: Wer sind denn die 99 anderen “wichtigsten Personen des 20. Jahrhunderts“?

Die Mumie: Das Grabmal des Drachenkaisers (USA/D/CDN 2008)

Eine Filmindustrie, deren Ertrag von ehemals 200 auf 50 Filme im Jahr geschrumpft ist, befindet sich wahrscheinlich in einer Krise. Das Kino der ehemaligen Kronkolonie Hongkong hat also ein Problem. Das Gros der eigenen Werke wird vom heimischen Publikum nicht beachtet, oft auch zurecht, schließlich sind viele dieser Low Budget-Filme einfach schlecht. Gegen die Millionen Dollar schweren amerikanischen Großproduktionen, welche nach der Übergabe Hongkongs an China zum Niedergang dieser einstmals blühenden Industrie beitrugen, kommen heutzutage nur noch Neujahrskomödien und Starvehikel an.

Bestes Beispiel dafür ist die “Infernal Affairs”-Trilogie, deren Ansammlung an HK-Stars fast schon einem verzweifelten Betteln um Aufmerksamkeit gleich kommt. Gleiches gilt für die unzähligen Historienepen, meist koproduziert mit dem Festland, wie “The Warlords”, in dem Jet Li, Takeshi Kaneshiro und Andy Lau um die Gunst des Zuschauers werben. Das Kino der Sonderverwaltungszone hat seit dem Schicksalstag im Juli 1997 vieles von dem verloren, was es einst einzigartig im internationalen Wettbewerb gemacht hat. Wer körperbetonte Kampfsportfilme sehen will, wendet sich an Tony Jaa. Ist man auf gewagte Genremixe aus, sucht man sie ebenfalls in Thailand. Ungewöhnliche Storys jenseits der bekannten Hollywoodformeln findet man seit einigen Jahren auch in Korea, nur eben professioneller produziert auf gleicher Augenhöhe mit der amerikanischen Konkurrenz.

Sind diejenigen, welche Hongkongs Filmwunder in den 80er Jahren mitverantwortet und von diesem am meisten profitiert haben, nach dem Handover nicht nach Hollywood verschwunden (Tsui Hark, John Woo, Chow Yun-Fat), erfreuen sie sich an den Vorstufen der Frührente (Brigitte Lin, Maggie Cheung) oder haben diese Welt ganz verlassen (Leslie Cheung, Anita Mui). Seltsam nur, dass auf der internationalen Bühne kaum ein Hongkonger Star dauerhaftes Glück fand. Während Jackie Chan immerhin mit Buddy Movies einen Fuß in die Tür bekam, litten besonders die Filme der Martial Arts-Legende Jet Li unter der Unfähigkeit amerikanischer Regisseure, seine Talente zu nutzen. Wurde deren zerstückelnde Actioninszenierung doch an Hollywoodstars geprobt, die vom Kämpfen im wahren Leben nicht mal den Hauch einer Ahnung haben. Noch dazu geht “Romeo Must Die”, “Cradle 2 the Grave” und wie sie alle heißen der Einfallsreichtum eines Tsui Hark oder Ronny Yu ab.

Kein Wunder, dass der Erfolg ausblieb. Statt asiatische Stars mit gewagten Projekten dem amerikanischen Publikum zu verkaufen, geht man auf der anderen Seite des großen Teiches nun dazu über, gezielt den lukrativen Absatzmarkt in Fernost anzusprechen. So kommt es, dass der dritte Teil der Mumie-Reihe am Startwochenende in den USA den Dunklen Ritter nicht vom Sockel stürzen kann, sich dafür aber in Hongkong und Korea als Box Office-Gold erweist.

Die Mumie: Das Grabmal des Drachenkaisers beherbergt schließlich die chinesischen Superstars Jet Li, Michelle Yeoh und Isabella Leong. Die drei werden also letztendlich nach Hollywood gekarrt, um mit ihrer Besetzung in Nebenrollen ihr eigenes, längst erobertes Publikum in die Kinos zu locken. Am Ende verlassen die Stars des HK-Kinos ihre Heimat, um in teuren US-Blockbustern zu ihr zurück zu kehren, die Hongkongs Eigenproduktionen von den Leinwänden vertreiben. Verfolgen die großen Studios diese sich jetzt schon bewährende Taktik weiter, so bleibt nur die Hoffnung, dass die zukünftigen, international besetzten Filme qualitativ mehr aufzuweisen haben, als Rob Cohens Ausflug nach China. Dabei ist die Grundidee, die Abenteuer von Rick und Evey ins Reich der Mitte zu verlegen, noch das beste, was der Reihe passieren konnte. Schon in Die Mumie kehrt zurück erwies sich nämlich der ägyptische Hintergrund als reichlich verbraucht. Nicht zuletzt deshalb versank der Film in einem Meer schlechter Effekte, deren peinlichste Ausgeburt der Skorpionkönig war.

Problem nur, dass der bereits in diesem Teil nervige Sohn des Abenteurerpaares O’Connell nicht über Bord geworfen wurde, sondern im Grabmal noch mehr Platz einnimmt. Gespielt vom 27jährigen Australier Luke Ford, wird Alex O’Connell als überflüssiger zweiter männlicher Actionheld neben Brendan Fraser an den Start gebracht. Dass die beiden als Brüder wesentlich glaubhafter wären, sei mal dahingestellt.

Dieser Alex gräbt im China der späten Vierziger den in Terrakotta versteinerten Drachenkaiser (Jet Li) aus, der dummerweise vom fiesen General Yang (Anthony Wong) zum Leben erweckt wird, um die Herrschaft über China zu erringen. Rick (Fraser) und Evey (Maria Bello) kommen zu Hilfe, John Hannah als Jonathan ist natürlich mit von der Partie. Gemeinsam geht’s nach Shangri-La, um zu verhindern, dass Kaiser Han, der eigentlich dem ersten Kaiser Qin Shi Huang nachempfunden ist, also demjenigen Herrscher, den Jet Li in “Hero” umbringen will – aber das nur am Rande – dass also dieser Tyrann ewiges Leben und was sonst so dazu gehört, erringt.

Der grobe Plot entspricht also dem des ersten Teils. Es gibt einen mörderischen Untoten samt Helfer, zwielichtige Museumsmitarbeiter, geheimnisvolle Wächter des Grabes (Isabella Leong und Michelle Yeoh), sogar einen alten Kumpel, der die O’Connells irgendwo hin fliegt. Da muss man sich unweigerlich fragen, wie Rob Cohen es geschafft hat, seine Mumie sprichwörtlich dermaßen gegen die Wand zu fahren.

Vielleicht kann man den alles durchdringenden Mangel dieses Films an Hand eines Beispiels erklären: Die Helden landen beim sagenumwobenen Tor nach Shangri-La und rüsten sich mit allerhand Maschinenpistolen für den Kampf gegen die Soldaten Yangs. Ganz vielversprechend geht es auch los mit handfesten Schießereien, die Indiana Jones und seine Kristallschädel vor Neid erblassen lassen. Irgendwann kommt Isabella Leongs Figur Lin auf die Idee, in den Bergen des Himalayas nach Hilfe zu rufen. Und was kommt? Yetis! Nicht einer, nicht zwei, sondern drei (!) zottelige Yetis zermalmen die bösen Soldaten.

Die Action hat ein Ende, das C.G.I.-Fest beginnt, denn Cohen versteht es ganz offensichtlich nicht, zwischen Unterhaltung und Maßlosigkeit zu unterscheiden. Dass er das sagenumwobene Shangri-La, das Paradies auf Erden, in genau einer Einstellung zeigt, bestätigt seine Unfähigkeit. Jeder andere Abenteuerfilm würde sich diesen legendären Ort wohl für das Finale aufsparen, für Cohen ist er nur ein Effekt unter vielen.

Natürlich kann man nicht alle Schuld auf den Regisseur abladen, denn die Schwächen des Films sind in all seinen Bereichen zu finden. Das Drehbuch von Alfred Gough und Miles Millar muss als erstes an den Pranger gestellt werden. Schon der Prolog, der erzählt, wie die Hexe Zi Juan (Yeoh) den Kaiser einst verfluchte, vertreibt durch seine platte Schwerfälligkeit jedes Mysterium. Alles, was gezeigt wird, muss aus dem Off noch mal erklärt werden, als handle es sich hier um die Hörfilmfassung. So ergeht es den ganzen 112 Minuten.

Werden die Dialoge nicht gerade durch einen einfallslosen, schon in Dutzenden anderen Filmen gehörten, Oneliner aufgelockert, muss irgendeine (meist chinesische) Figur die Rolle des Basil Exposition übernehmen und uns alle Hintergründe erklären. Selbst wenn die Yetis auftauchen, muss Maria Bello wie eine Führerin im Naturkundemuseum erklären, dass die Viecher in Tibet als Yetis bezeichnet werden.

Dabei hat Bello als Nachfolgerin von Rachel Weisz in der Rolle der Evey schon genug mit der eigenen Fehlbesetzung zu kämpfen. Ein Großteil der Chemie zwischen Fraser und Weisz entstand aus deren Gegensätzen, aus der Kombination des rauen Abenteurers Rick mit dem rehäugigen, naiven Bücherwurm Evey. Bello, beileibe keine schlechte Schauspielerin, verliert im Kampf mit dem britischen Dialekt jede Natürlichkeit und wirkt mit ihrer kühlen, erotischen Ausstrahlung wie eine dem Film Noir entsprungene Femme fatale, die sich unversehens als Mutter eines erwachsenen Sohnes in einem Abenteuerfilm wiederfindet; mit einem Wort: deplatziert.

Ein Glück, dass der Film Jet Li und Michelle Yeoh zusammenbringt, könnte man meinen. Doch Cohen, der es, man weiß nicht wie, geschafft hat, sich als Actionregisseur einen Namen zu machen, versagt selbst, wenn es darum geht, den lang erwarteten Kampf zweier Martial Arts-Haudegen entsprechend mit der Kamera einzufangen. Sicher, der Kampf zwischen Li und Yeoh ist einer der wenigen Höhepunkte des enttäuschenden Films, doch Cohen verwässert die eigenen Schauwerte durch den hastigen Schnitt und die Wackelkamera, die für den Genuss eines Martial Arts-Setpieces nicht geeignet sind. Damit krankt auch dieser Film am bereits oben erwähnten falschen Einsatz der Ikone Jet Li.

Dieser ist als Bösewicht allemal sehenswert, taucht aber im Vergleich zu Arnold Vosloo viel zu selten auf, um ähnlich bedrohlich zu wirken. Meist sehen wir vom Gestaltwandler Han nur sein Terrakotta-C.G.I.-Alter Ego, einen dreiköpfigen Drachen (ein Kopf reicht mal wieder nicht) oder irgendein behaartes Viech, dass den Film auch nicht gerade besser macht.

Yeoh, deren Rolle insgesamt mehr hergibt, besticht durch ihre gewohnte Erhabenheit, der auch schreckliche Dialoge nichts anhaben können. Ohne mit der Wimper zu zucken, spielt sie ihre Filmtochter Isabella Leong an die Wand, deren Hollywood-Debüt im großen und ganzen blass bleibt. Hongkong-Veteran Anthony Wong hat auch schon in besseren (und vielen noch schlechteren) Filmen mitgespielt. Da sich seine erstaunlich große Rolle auf das Schreien von Befehlen, die Darlegung des Plots und eine erinnerungswürdige Todesszene beschränkt, die einem durch Mark und Bein geht, kann auch er seinen bereits in unzähligen Variationen gespielten Bösewichten keine neue Facette hinzufügen.

So bleibt einem am Ende anscheinend nur die Aufzählung von Mängeln, denen Cohen kaum etwas positives entgegen zu setzen hat. Immerhin erreicht der Film einen mäßigen Unterhaltungswert, der immer dann zum Halten kommt, wenn Rick und Co. irgendwie anfangen zu reden und man nur noch mit einem gepflegten Zusammenzucken reagieren kann.

Als großer Sommerblockbuster wird Die Mumie: Das Grabmal des Drachenkaisers sicher auch in Deutschland seine Zuschauer finden und das nötige Geld für einen vierten Teil einspielen. Wer dagegen Jet Li und Michelle Yeoh kämpfen sehen will, sollte sich “The Tai-Chi Master” besorgen. Um den von der dritten Mumie verursachten Augenkrebs zu kurieren, nehme man des Weiteren eine Dosis Li zu sich (vielleicht “Once Upon a Time in China” oder “Fist of Legend”) gepaart mit etwas Yeoh (“Tiger and Dragon” oder sogar “The Heroic Trio”) und einem gut aufgelegten bösen Wong (“Big Bullet” und für Hartgesottene: “Love to Kill”).

Mit anderen Worten: So ziemlich alles ist ansehnlicher als diese eklatante Verschwendung asiatischer Talente durch einen miserablen amerikanischen Film. Die genannten Empfehlungen vereinigen in sich genau das, was das Hongkong-Kino einmal ausgemacht hat. Und dieses wusste immerhin, wie man das Actionpotenzial eines Jet Li ertragreich nutzt. Ist man unbedingt auf einen Trip amerikanischer Produzenten ins chinesische Milieu aus, so ist Kung Fu Panda garantiert die lohnendere Wahl. Der ist übrigens auch ein Hit in China.

(Erstmals veröffentlicht in der Online-Filmdatenbank am 07.08.2008 )


Zum Weiterlesen:
Kritiken ausgewählter Filme aus der Sonderverwaltungszone Hongkong.
Ein lesenswerter Artikel des Time Magazine über den Zustand der Hongkonger Filmindustrie.
Was ist eigentlich Shangri-La?
Wiki hat die Antwort
– und die BBC auch.