Ebola Syndrome (HK 1996)

Ebola Syndrome

Kai ist schon ein widerlicher Typ. Seinem abstoßenden Verhalten mangelt es an Umgangsformen, er betrügt seinen Boss mit dessen Frau und zur Vergewaltigung sterbender Afrikanerinnen neigt er auch noch. Das Potenzial zum Heldentum besitzt dieser Loser nicht gerade. Im Gegenteil: Er ist ein Antiheld par excellence, ein unsympathischer Protagonist, dessen Anblick allen Sittenwächtern dieser Welt nicht nur die Schuhe ausziehen würde.

Denn als Kai (Anthony Wong), der sich naturgemäß nicht weiter darüber wundert, dass besagte Afrikanerin spuckend unter ihm dahin stirbt – als also unser “Held” unwissentlich zum Träger des Ebolavirus wird, dürfen wir mit ansehen, wie er munter das Virus in Südafrika und später in seiner Heimat verbreitet. Selbst als er, um seine Wirtseigenschaften wissend, von der Polizei verfolgt durch die Häuserschluchten Hongkongs hetzt, spukt er noch wild um sich, um einen möglichst großen Teil seiner tödlichen Fracht unters Volk zu bringen.

Ebola Syndrome

Die Ausgangslage des Films mag den ein oder anderen Leser bereits davon überzeugt haben, dass Ebola Syndrome kein Stoff für die Oscars oder irgend einen anderen geschmackvollen Preis auf dieser Erdkugel ist.

Herman Yaus Film ist stattdessen das so ziemlich ekelhafteste, abscheulichste und politisch unkorrekteste Filmwerk, dass einem jenseits enthusiastischer Amateurfilmerei begegnen kann. Dieses Cat III-Schmankerl, das hierzulande niemals auf DVD, geschweige denn ins Kino kommen könnte, ist aber auf eine recht kranke Art ziemlich lustig. Lustig im Sinne von Braindead, nicht Monster AG.

Während andere Filme dieses Genres, etwa Red to Kill, Dr. Lamb oder The Untold Story, die gezeigten Verbrechen mit einer ebenso mörderischen wie intensiven Schaulust beobachten, so dass jede komische Einlage unpassend wirken muss, ist Ebola Syndrome von vorherein die pure Anarchie.

Die alles durchdringende Auskostung der Beleidigung jedweder Moralvorstellungen erhebt Ebola Syndrome geradezu in den Status einer krönenden Parodie des Genres. Nicht zufällig werden hier ganz im Sinne der Wong-Yau Kollaboration The Untold Story infizierte Tote als Burger an hungrige Restaurantgäste verkauft.

Ebola Syndrome

Den Widerling Kai, dessen geringstes Vergehen das Spucken ins Essen seiner Gäste ist, spielt Genreveteran Wong mit derselben Hingabe und Intensität, die er auch seinen anspruchsvollen Rollen zuteil werden lässt. Die Tatsache, dass die einzige Hauptfigur des Films keine noch so winzige positive Charaktereigenschaft für sich verbuchen kann, wird hier nicht zum Stolperstein, vielmehr zum Ansporn, ein kultverdächtiges Schwein von einem Mann auf die Leinwand zu bannen.

Unser bescheuerter Held ist allerdings nur der Anlass der Macher, ihrem Film jeglichen Ernst zu entziehen, denn hier kriegt jede Partei ihr Fett weg. Ob nun Kai bei einer Pinkelpause von einem Leoparden gestört wird oder sich eines seiner früheren Opfer jedesmal übergeben muss, wenn er in der Nähe ist, sozusagen ein Äquivalent zum Spinnensinn Peter Parkers. Da ist es nur treffend, dass das zuckende Sterben der Ebolakranken zuallererst den Charme stümperhafter Todesszenen versprüht, nicht das schleichende Grauen von Wolfgang Petersens Outbreak.

Ebola Syndrome

Auf Grund dessen erreicht das Gezeigte zwar nur selten den Grad der Brutalität anderer Cat III-Filme – vor einer expliziten Obduktionsszene wird an dieser Stelle gewarnt – für den noch nicht zum gore hound mutierten, normalen Kinogänger ist ein solcher Film hingegen kaum zu empfehlen.

Die vielfältige Tötung unschuldiger Tiere (vom Hahn bis zur Maus) macht aus Ebola Syndrome auch nicht gerade einen Werbefilm für Vegetarismus. Ausgesprochen tolerante Cineasten, die das extreme Kino aus Fernost nicht scheuen, können die Anthologie der Eskapaden Kais als eines der erträglicheren Cat III-Exponate ansehen.

Den Unterhaltungswert der Frühwerke eines Peter Jackson erreicht Ebola Syndrome eher selten, denn ein paar Längen gegen Ende und die sich in unzähligen Hongkonger Filmen findende Vorstellung, gute Comedy gehe einher mit unkontrolliertem Over-Acting, behindern die komischen Aspekte des Films bei ihrer vollen Entfaltung. Zumeist schüttelt man einfach nur den Kopf über den derangierten Geist, der das absurde Drehbuch zusammengezimmert hat. Freunden trashigen Extremkinos kann man daher begeistert zurufen: “Let’s spread Ebola together!”

Ebola Syndrome


Zum Weiterlesen:

Herman Yaus anderer Cat III-Klassiker The Untold Story.

Weiteres zum Kino aus Fernost in diesem Blog.

Eine Review zu Ebola Syndrome samt der Beschreibung der hervorragenden DVD-Veröffentlichung von Discotek Media, die auch auf RC 2 Playern läuft.

Election (HK 2005)

Election

Über 50 Triaden soll es in Hongkong heute geben. Die größten dieser “schwarzen Gesellschaften” zählen bis zu 25.000 Mitglieder. Diese chinesische Mafia macht ihr Geld mit Drogenhandel, Prostitution, Auftragsmorden, Raubkopien von DVDs… Die Liste ist endlos. Ihrem Gründungsmythos nach entstanden ihre Strukturen aus Untergrundgesellschaften, die im 18. Jahrhundert gegen die Fremdherrschaft der mandschurischen Quing-Dynastie aufbegehrt hatten.

Dieser Mythos einer Schar von Widerständlern findet sich heute wohl kaum im “Geschäftsethos” der Verbrecherorganisationen wieder. Gepflegt wird er im Ritual aber noch immer. Einen solchen Akt zeigt uns zumindest Johnnie To in seinem Thriller Election, der im Original ??? (Kantonesisch: hak se wui) heißt, “Schwarze Gesellschaft”.

Die alten Herren, die Tee trinkend über den zukünftigen Führer der Triade abstimmen, verteidigen die Tradition, den Ablauf der Wahl. Dieser althergebrachte Pfeiler der ehrenvollen Gesellschaft ist längst morsch. Die Übergangsriten verbergen die innere Zersetzung, denn Boss wird, wer die meisten “Wahlmänner” schmiert. Big D (Tony Leung Ka-Fai), der impulsive Bewerber für die zweijährige Amtszeit, glaubt, er habe genau das getan. Doch dann wird der zurückhaltende Lok (Simon Yam) von der Altherrenrunde zum Führer bestimmt. Der Konflikt eskaliert, als Big D die Wahl in Frage stellt und das Übergaberitual sabotiert.

Election

Ohne die Triaden würden den Gangsterfilmen Hongkongs wohl die Themen ausgehen. Auch Johnnie To hat sich hier des typischen Sujets seiner heimischen Filmindustrie angenommen. Während andernorts und auch durch ihn selbst das organisierte Verbrechen als Aufhänger für actionlastige Thriller genutzt wird, gräbt Election unangenehm genau die Mechanismen der Triadenhierarchie aus. Einem Wissenschaftler gleich, der die Implosion einer Zelle durch das Mikroskop beobachtet. Das geschieht entsprechend ruhig, mit einem distanzierten Blick für das Schachspiel der Bosse und die Katz-und Maus-Jagd ihrer Handlanger.

Wenn die Jagd nach dem jahrhundertealten Zepter der Triade, dessen Besitz den neuen Führer legitimiert, von den Kontrahenten noch aus der Untersuchungshaft dirigiert wird; ihre Helfer sich im nächtlichen Hongkong das begehrte Objekt vor der Nase wegschnappen; dann ist das die düstere Fassung der raffinierten Perfektion, die man von To spätestens seit The Mission erwarten kann.

Election

So sehr zielt er auf die Inszenierung komplizierter Abläufe ab, dass sein Interesse für Details den Blick auf eine mitreißende Erzählung verbaut. Ein Vergleich mit Der Pate ist daher hier nicht angebracht. Election sucht nicht das Drama Shakespeares, das epochale Lied vom Aufstieg und Niedergang. Sein nüchterner Blick auf das Treiben der Triaden ist To selbstverständlich nicht vorzuwerfen. Schließlich ist nach den Jahren der fragwürdigen Young and Dangerous-Reihe jede realistische, statt glorifizierende, Bearbeitung dieses Stoffes wünschenswert.

Die ihrem Wesen nach recht magere Story, der es an Überraschungen fehlt, fällt jedoch zu nichtssagend aus, um mehr als eine gehobene Film Noir-Spielerei darzustellen. Einzelne Segmente präsentieren den stilsicheren Regisseur immer wieder in Bestform, etwa die unvermittelt brutalen letzten Minuten, deren rohe Härte den wenig zuvor ausgiebig beschworenen Ehrenkodex der Triadenbruderschaft effektvoll pervertiert.

Seinen Höhepunkt erreicht Election damit zu spät. Angesichts des überlegenen Sequels wird der Vorgänger allenfalls zum hochwertigen Prolog degradiert, der qualitativ nicht viel besser ist, als die Summe seiner Teile.

Election


Zum Weiterlesen:
Weitere Kritiken zum Hongkonger Kino.
Ein ausführlicher Artikel zur Geschichte der Triaden mit 36 traditionellen Eiden (Bitte nicht zu Hause nachmachen!).
Ein Special über Johnnie To der immer wieder sehenswerten Arte-Sendung Tracks.

Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels (USA 2008)

Indiana Jones und das Königreich des KristallschädelsWissenschaftler erklären uns die Welt mit einer rationalen Beweisführung, die jeglichen Rückgriff auf mythische Kräfte jenseits unseres Erkenntnishorizontes entbehrt. Henry Jones Jr. ist so ein Wissenschaftler, ein Archäologe, ein Professor, der verstaubte Bücher wälzt, in den Ruinen untergegangener Kulturen nach Tonscherben gräbt. Indiana Jones ist seine Superheldenidentität, sein Kostüm ist der Fedora, die Peitsche, die Lederjacke. Ein Abenteurer mit der Persona eines Wissenschaftlers, der am Ende der Suche, ob nach dem heiligen Gral oder der Bundeslade, stets zur Erkenntnis gezwungen wird, dass Dinge existieren, die sich rationalen Erklärungsmustern entziehen. Indiana Jones sucht nach Artefakten, doch sein Weg verläuft nicht selten am Rande einer Epiphanie.

Wenige Minuten nach dem Ende des Vorspanns von Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels wird einem bewusst, dass Indy diesmal dem Göttlichen nicht begegnen wird. Das bekommt seinem vierten Abenteuer nicht. Unerklärliche Dinge passieren in Steven Spielbergs neuesten Streich allerdings zu Hauf. Damit ist nicht der Fakt gemeint, dass eine Horde kaum Englisch sprechender Russen in den USA der 50er, in den USA der Red Scare (!), frei herumlaufen und harmlose Uniprofessoren durch die Kante jagen können. Unwahrscheinlichkeiten dieses Ausmaßes nimmt man in einem Blockbuster kaum mehr wahr. Vielmehr ist der Mythos, welcher Indiana Jones diesmal von Land zu Land jagen lässt, das kann man bald erahnen, ein Produkt der paranoiden Nachkriegszeit: Area 51 heisst das Schlagwort. Sieht man den titelgebenden Kristallschädel, bleibt kein Zweifel: Altes und Neues Testament müssen ruhen, Science Fiction ist der Quell der Inspiration beim Drehbuchschreiben gewesen.

Indy (Harrison Ford) ist allerdings ein Archäologe, also führt der MacGuffin ihn und seinen jungen Kumpan Mutt (Shia LaBeouf) erstmal zum Grab des Konquistadors Francisco de Orellanas nach Peru, während die Russen, angeführt von der Agentin Dr. Irina Spalko (Cate Blanchett), ihnen auf den Fersen bleiben.

Die Suche nach El Dorado wird das also! Das wäre fast so interessant wie Atlantis. Doch nein, El Dorado allein genügt nicht. Indiana Jones 4 spielt schließlich in den Fünfzigern und zu den Fünfzigern gehört Science Fiction. Alle anderen denkbaren Klischees dieses Jahrzehnts komprimiert Spielberg erstmal zwinkernd, bevor es in den Dschungel geht. Vom Atombombentest, den Indy natürlich überlebt, zum Teenagerleben à la Pleasantville. Er spielt mit den Ikonen der Zeit. Das erste Drittel des Films bezieht seinen umwerfenden Charme genau daraus. Höhepunkt dieses Cartoons, der dem Traum eines Nachgeborenen gleicht, ist der Auftritt Shia LaBeoufs mit der Lederjacke auf dem Motorrad, wie einst Marlon Brando in Der Wilde. Dass diese Referenz nicht in Lächerlichkeiten ausartet, bestätigt LaBeoufs vielbeschworenes Talent, welches dem Hype endlich gerecht wird.

Trotz der popkulturellen Verweise ist Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels vor allem eine Hommage an das eigene Franchise. Visuelle Anspielungen en masse bevölkern die Bilder, leider grenzt ihre Nutzung bisweilen an eine platte Selbstparodie. Die Würdigung des verstorbenen Denholm Elliott (alias Marcus Brody) ist nachvollziehbar, die Verwurstung eines älteren MacGuffins eine sinnlose Entwürdigung. Sagen wir es mal so: Wäre Indy im Dschungel Perus zufällig über den Heiligen Gral gestolpert, hätte das bei diesem Film niemanden mehr verwundert. Diese Freude am Zitat des eigenen Werkes ist aufdringlich und reichlich übertrieben. Nach 19 Jahren Wartepause kann man dafür aber leicht Verständnis aufbringen. Sich zu dem Ursprungsmaterial konsequent in Beziehung zu setzen, dient schließlich der Integrität der Franchise. Die erste Hälfte gibt einem auch das Gefühl, einen Indiana Jones-Streifen zu sehen. Mit dieser tiefen Befriedigung, gestärkt durch den hohen Spaßfaktor, freut man sich auf den Rest des Films, doch dieser fällt im letzten Drittel in ein tiefes, sandiges Loch, in einen CGI-überladenen Akte-X-Abenteuer-Cartoon, der das ganze Filmerlebnis ruiniert, das angesammelte Potential vor die Wand fährt.

Die Bedrohlichkeit ist dahin, das Finale ist eine miese Mixtur aus Tex Avery und einer Sci-Fi-Version von “Die Mumie kehrt zurück”, aber kein Indiana Jones. Nach “Die Unheimliche Begegnung der dritten Art”, “E.T.”, “A.I.” und “Krieg der Welten” kann die Wahl Spielbergs nicht als überraschend bezeichnet werden. Unser Lieblingsarchäologe hat sie nur nicht verdient.

Alles kann man den Machern verzeihen: Die hochkarätigen Nebendarsteller, besonders Ray Winstone und Jim Broadbent, werden verschwendet. Seltsame Urmenschen krabbeln an Bäumen herum, wie schlecht animierte Spidermen und verschwinden unerklärt wieder… Das alles wird heruntergeschluckt, ignoriert zum Wohle der Indiana Jones Experience. Nur das Ende, das kann man einfach nicht vergessen. Der vierte Teil ist kein schlechter Film, ist keine Dunkle Bedrohung. Der Franchise würdig wird dieser Kristallschädel aber nicht.

Brügge sehen… und sterben? (GB/B 2008)

Brügge sehen und sterbenIn Bruges” lautet der Originaltitel von Martin McDonaghs Spielfilmdebüt Brügge sehen… und sterben? (Stichwort “Plagiat” bei deutschen Titeln). Für den frischgebackenen Auftragskiller Ray (Colin Farrell) ist das gleichbedeutend mit “In Hell“. In der flämischen Stadt mit seinem Kollegen Ken (Brandon Gleeson) untergetaucht, kann der an seinen Schuldgefühlen zu zerbrechen drohende Ray nichts mit dem Weltkulturerbe anfangen.

Während sein Partner das volle Touriprogramm durchläuft und dem Genuss der Schönheit des mittelalterlichen Stadtkerns frönt, quengelt Ray wie ein verhätscheltes Kind, sobald wieder eine Kirchenbesichtigung ansteht. Erst als er die Dealerin Chloë trifft, werden seine Lebensgeister geweckt. Sein Interesse für Brügge allerdings nicht. Dumm nur, dass sein Auftraggeber (Ralph Fiennes, der hier sein eigenes Rollenrepertoire herrlich persifliert) noch eine Rechnung mit ihm offen hat.

Die schöne Stadt in Flandern und Belgier im allgemeinen müssen in dieser Gangsterkomödie, deren Kern ein tragischer ist, einiges aushalten. Angesichts all der Witze über Minderheiten, Amerikaner und Kleinwüchsige – oder Gnome, wie Ray sie einfühlsam nennt – ist natürlich die Frage angebracht, ob McDonagh, der auch das Drehbuch geschrieben hat, schon einmal die zwei ausdrucksstarken Worte political und correctness gehört hat. Wie auch immer die Antwort lautet, eine gewisse Aufgeschlossenheit für die schwärzeren, respektlosen Gefilde britischen Humors sollte beim Zuschauer vorhanden sein, um den Film genießen zu können.

Denn ein Genuss ist dieser Genrefilm der etwas anderen Art durchaus. Beginnend bei der ungewöhnlich schwermütigen musikalischen Untermalung des städtischen Kontextes, vermeidet McDonagh den gängigen Schritt vieler (britischer) Gangsterfilme, sich gänzlich auf eine Vielzahl schrulliger Figuren, einen stilisierten Formalismus und eine wendungsreiche, aber im Grunde nichtssagende, Geschichte zu verlassen. Mit anderen Worten: Brügge sehen… und sterben unterscheidet sich erheblich von den Filmen Guy Ritchies und deren Epigonen.

Das darf man natürlich nicht falsch verstehen. Dieser Film ist wirklich urkomisch und beinhaltet einige im Alltag brauchbare Zitate. In ihrer Dichte sind diese in etwa vergleichbar mit Kiss Kiss Bang Bang, nur samt einer größeren Portion Fuck. Die fast schon absurden Dialoge könnte man als tarantioesque bezeichnen, sie rekurrieren indes v.a. auf die europäische (Pop)Kultur.

Abgesehen von ungenierten Witzen über das amerikanische Adipositas-Problem und die jüngere belgische Kriminalgeschichte, verwendet McDonagh sein zutiefst europäisches Setting um eine metaphorische Ebene seiner Geschichte zu etablieren, deren Tiefe den meisten Genrekollegen abgeht. Spätestens wenn Ray und Ken im Museum Werke von Hieronymus Bosch betrachten, wird man das Gefühl nicht los, McDonagh ginge es um mehr als nur um ein kauziges Buddymovie.

Als titelgebender Kontext wird die Altstadt Brügges vereinnahmt für die Handlung und deren Subtext, wie einst Venedig in Wenn die Gondeln Trauer tragen. So gerät das ausgewählte Milieu nicht nur zur Steilvorlage für skurrile Witze. Die ab der ersten Minute suggerierte melancholisch düstere Stimmung des Films lebt von den Postkartenansichten der Gemäuer aus dem “dunklen” Mittelalter. So findet die im Grunde bestürzende Geschichte Rays, der den Tod eines Kindes verschuldet hat und nur noch Sühne leisten will, im katholischen Belgien ein bereicherndes Heim.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlässt man die Vorstellung von Brügge sehen… und sterben. Zwar geraten die bissigen Oneliner manches mal zum Selbstzweck, doch McDonagh garniert seinen Film mit einer in den vielschichtigen Figuren anglegten Ernsthaftigkeit, die ihn über die üblichen Genrespielereien obsiegen lässt.

Seine Cleverness spielt der Film bisweilen zum eigenen Schaden voll aus, unterminiert sie doch die Glaubwürdigkeit der finalen Wendungen. Das bestens aufgelegte Ensemble und die originelle Umsetzung trösten über diese Schwächen jedoch mühelos hinweg und machen Brügge sehen und… sterben? zu einer echten Überraschung des bisherigen Kinojahres.

Iron Man (USA 2008)

Wer meint, E-Gitarren seien in den spießigen Comicverfilmungen unserer Zeit sträflich unterrepräsentiert, sollte sich Jon Favreaus Iron Man ansehen. Während sein Spinnenkumpan zuweilen im melodramatischen Emogesülz unterzugehen droht, ist Tony Starks Superheldendasein purer Rock’n’Roll. Stände ihm nicht seine Rüstung zur Verfügung, würde Stark seine jeweiligen megalomanischen Gegner wohl einfach unter den Tisch trinken. Eine Revolution des Genres ist Iron Man deswegen noch lange nicht. Spätestens nach ein halben Stunde ist der mitdenkende Zuschauer in der Lage, den Plot der nächsten 90 Minuten herbeizubeten, trotz allem erfüllt der Film seine wichtigste Aufgabe bestens: Er unterhält. Wie könnte er auch scheitern mit einer Figur wie Tony Stark (Robert Downey Jr.) im Spotlight? Ein genialer Erfinder, ein Milliardär, ein exzentrischer Playboy, ein Waffenhändler. Dieser Lord of War des Marvel-Universums ist gerade dabei, einen Deal mit den US-Streitkräften abzuschließen, als er in Afghanistan von Terroristen entführt wird.

Am Leben gehalten von einem Magneten in seiner Brust, wird er in der Gefangenschaft damit beauftragt, eine seiner tödlichen Waffen zu bauen. Stattdessen beginnt Stark mit der Konstruktion einer eisernen Hightech-Rüstung, die sein Ticket in die Freiheit wird. Angetan von seiner Erfindung und angewidert vom eigenen Status als Händler des Todes, distanziert er sich von der Rüstungsindustrie und wird zum Iron Man. Doch wer war der Drahtzieher seiner Entführung? Das Skript durchläuft einige altbekannte Stufen der Superheldenentwicklung, von der Entdeckung der eigenen Verantwortung nach einem Schlüsselerlebnis, über das Austesten der eigenen Kräfte zu Lasten der Innenarchitektur, inklusive einiger Slapstickelemente, bis hin zur finalen Konfrontation mit dem übermächtigen Bösewicht.

Dass Iron Man trotz seiner Vorhersehbarkeit nicht langweilt, geht zurück auf die komischen Momente, in denen der Film seinen Helden an den gefährlichen Stellen potenzieller heroischer Überhöhung auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Gerade der Entwicklungsprozess des charakteristischen Anzugs, der von Favreau ausführlich mit komödiantischen Effekten gezeigt wird, sorgt mit seinem höchst amüsanten Trial-and-Error-Format dafür, dass Stark nicht zum gewöhnlichen Superman mutiert. Nun wissen wir auch: Bei einem Test der Schubkraft gleich mit 10% anzufangen, ist eine schlechte Idee.

Eine Actionkomödie ist Iron Man ihrem Wesen nach, welche die Klippen der dem Genre eigenen melodramatischen Momente umschifft und sich zurecht ganz auf das Charisma seines Hauptdarstellers verlässt. Der Film steht und fällt mit Robert Downey Jr., der als Alleinunterhalter seinen Tony Stark zum interessantesten und witzigsten Superhelden-Alter Ego seit Hellboy aufbaut. Unser Zuschauerwissen über seine vergangenen Drogeneskapaden steht dabei in einer unabdingbaren Wechselwirkung mit seiner Darbietung. Man könnte meinen, Downey rekreiere in Iron Man seine eigene Wiedergeburt nach dem Absturz. Mit vergleichbarer Spielfreude glänzt der Rest der hochkarätigen Besetzung: Terrence Howard als Militärkumpel Jim Rhodes, Gwyneth Paltrow als Assistentin Pepper Potts und der kaum wieder zu erkennende Jeff Bridges als zwielichtiger Geschäftspartner Obadiah Stane.

Favreaus Ansatz, auf jeden Pathos zu verzichten und das dramatische Geschehen nicht allzu ernst zu nehmen, resultiert in einem bewusst flachen Actionabenteuer. Gerade das ist der Grund, warum Iron Man einige seiner Konkurrenten hinter sich lässt, schließlich möchte der Film gar nicht mehr sein als Popcornkino mit ein paar eingeflochtenen zeitgeschichtlichen Referenzen. Das für einen Blockbuster ungewöhnliche Schauspielerpersonal, der häufig am Set improvisierte Wortwitz und die weitgehend straffe Erzählweise sorgen dafür, dass Iron Man trotz gigantischer Logiklöcher und der nicht gerade einfallsreichen Geschichte alle im voraus gegebenen Versprechen einlöst. Mehr noch: Er weckt tatsächlich den ehrlichen Wunsch nach einer Fortsetzung.

[Eine Anmerkung am Rande: Ich empfehle jedem Zuschauer, bis nach dem Abspann des Films im Kinosaal zu verweilen.]


Zur Einstimmung der deutsche Trailer:

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