Bridesmaids – Brautalarm (USA 2011)

Fünf  Frauen essen Lammspieße, gehen hinterher zu einer Anprobe und haben dabei mächtige Verdauungsprobleme. Was für ein brillanter und äußerst innovativer Gag das ist. Obwohl Bridesmaids immer wieder gefährlich nah am Erniedrigungshumor eines Bridget Jones-Films vorbei streift, ist Drehbuch-Co-Autorin und Hauptdarstellerin Kristen Wiig zusammen mit Regisseur Paul Feig eine außerordentlich positive Überraschung von einem Film gelungen. Ein klassisches Motiv des Genres aufgreifend, gräbt sich die Komödie mit dem dümmlichen und fehlleitenden deutschen Titel “Brautalarm” tief in die Funktionsmechanismen von Freundschaften, kommt am Ende heraus und feiert die Selbstverwirklichung. Um Frauen geht es übrigens auch. Deswegen wurde “Bridesmaids” im Vorfeld als “Hangover für Frauen” bezeichnet und in gewisser Weise stimmt das auch. Nur ist “Bridesmaids” wesentlich lustiger und weniger infantil. Wie der Hit von Todd Phillips, der derzeit seine zweite Ausgabe in den Kinos zur Schau trägt, konstruieren Feig und Wiig eine Gruppe aus Archetypen, setzen diese in einen Versuchsraum (Verlobungsparty, Restaurant, Flugzeug…) aus, um zu sehen, was dabei herauskommt. Doch wohingegen “Hangover” auf schnellen Staccato-Witzen aufbaute (Ein Tiger! Ein Baby! Mike Tyson!), lebt Bridesmaids von einem Comedy-Know How, das seit Jahrzehnten funktioniert. Statt den Zuschauer mit einer Überwältigungstaktik abzustumpfen, die ihn mit so vielen Pointen bewirft, dass eine irgendwann treffen muss, lebt diese “Frauenkomödie” vom behutsamen Aufbau.

Zurück zu den Lammspießen. Eigentlich beginnt alles in einem Restaurant, in dem sich die fünf Brautjungfern mit der werdenden Braut (Maya Rudolph) treffen. Hier brodeln die Konflikte auf, insbesondere der zwischen Annie (Kristen Wiig) und Helen (Rose Byrne), die beide um die Freundschaft der Braut wetteifern, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Weiter geht’s von Annies äußerlich heruntergekommener Restaurant-Empfehlung zu Helens Lieblings-Edel-Brautmodenladen. Dort nimmt das Unheil der Lammspieße seinen Lauf. Allerdings kommt hier das Drehbuch ins Spiel, denn die Kamera wird nicht einfach nur auf hysterisch herumschreiende Frauen gehalten, die dringend einen Abort benötigen. Natürlich werden diese money shots ebenfalls gezeigt, wir haben hier schließlich eine R-Rated Comedy vor uns, die von Judd Apatow produziert wurde. Dass die Szene funktioniert, ist dagegen auf den scheinbar simpelsten aller Bausteine zurückzuführen: der Figurendynamik. Die schnöselig perfekte Helen hat als einzige nicht vom Fleisch gegessen. Nun steht sie, während rundherum das Chaos ausbricht, der schwitzenden, sich windenden Annie gegenüber, die unbedingt ihre Würde als beste und älteste Freundin der Braut behalten will. Parallelmontage, Spannung – Entspannung, Stillstand – Bewegung und am Ende der große Knall, der sich nicht als das herausstellt, was man bei dieser Konstellation erwartet.

Die Lammspieß-Sequenz ist aber nur eines von vier oder fünf größeren set pieces, welche die Grundstruktur des Films vorgeben. Nicht alle sind gleichermaßen erfolgreich, aber allein der Flug nach Las Vegas sollte angehenden Drehbuchautoren als Unterrichtsmaterial dienen. Ein Setting (Flugzeug), ein paar sehr unterschiedliche, teils exzentrische Figuren, zwei Probleme (Flugangst, Rivalität). Das sind diesmal die Zutaten und heraus kommt ein weiterer größerer Baustein des eigentlichen Konflikts. Denn im Endergebnis werden in “Bridesmaids” nicht nur Sketche aneinandergereiht. Annies Traum von der beruflichen Selbstverwirklichung, der nach der Wirtschaftskrise genauso wie ihr Privatleben in Scherben liegt, fungiert als dramaturgischer Kitt. Nun fürchtet sie, ihre beste Freundin zu verlieren. Solchermaßen basal und effektiv sind die Antriebskräfte der Komödie. Als deren größte Stärke stellt sich abseits ihres Aufbaus sowie der Darsteller (hervorgehoben sei Melissa McCarthy) ihr Mut zum Erwachsensein heraus. Nicht auf popkulturellen Witzchen wird herumgeritten. Die enervierende Geekverherrlichung zeitgenössischer amerikanischer Genrevertreter bleibt ebenfalls außen vor und zur Abwechslung thematisiert Bridesmaids auch nicht das inhärente Doofsein des Erwachsenwerdens, sondern schlicht und einfach das Weitermachen nach einem Rückschlag. Mit dem propagierten feministischen Manifesto haben wir es hier nicht zu tun, sondern mit einer guten amerikanischen Komödie, die dem weiblichen Personal ausnahmsweise den Objektstatus verwehrt. Bitte mehr davon.


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Twilight – Biss zum Morgengrauen (USA 2008)

Diese seltsamen Teenie-Mädchen. Auf was für Zeug die abfahren? Alles Hormone, nix im Kopf. Blah. Das Twilight-Phänomen hat mich bis vor ein paar Monaten nicht wirklich tangiert. Allenfalls saß da mal eine Frau gegenüber in der Straßenbahn, die ihren Kopf tief in eines dieser “Bis(s)”-Bücher verborgen hatte. Hier und da ein paar Witze über schlecht gephotoshop’te Filmposter, nichts ernstes. Seit Anfang Januar sieht das allerdings anders aus. Wenn man die Welle an hauptsächlich männlicher Abscheu gegenüber Teenie-Phänomenen wie “Twilight” oder Justin Bieber immer wieder in Kommentarform mitbekommt, ist eine steigende Neugier unausweichlich. Warum, wieso, weshalb dieser Hass auf ein paar Filme, zu deren Zielgruppe man nicht einmal gehört? Warum bei “Twilight” und nicht bei “Harry Potter”? Eine Antwort auf alle Fragen habe ich nach Ansicht des ersten Teils ganz sicher nicht, aber ein paar Ideen, welche die Kritik des zugegebenermaßen unterdurchschnittlichen Films ein wenig anreichern. Für alle, die weder zu Team Edward, noch zu Team Jacob gehören, lässt sich die handlungsarme Adaption des ersten Romans von Stephenie Meyer folgendermaßen zusammenfassen: Ein klassisches Motiv des Coming of Age-Films eröffnet Twilight – Biss zum Morgengrauen. Bella (Kristen Stewart) wechselt den Wohnort und ist die Neue in der Schule. Dort lernt sie Edward (Robert Pattinson) kennen. “Lust auf den ersten Blick” beschreibt die Beziehung der beiden recht gut. Doch Edward ist ein Vampir, der seinen Bedürfnissen nicht nachgeben kann/will. Ein paar böse Blutsauger verkomplizieren die Story in der zweiten Hälfte, damit der Film nicht nur aus schmachtenden Blicken besteht.

Regisseurin Catherine Hardwicke (Dreizehn) beweist im ersten Viertel ihr weitgehend vergeudetes Händchen für ernsthafte Mädchenfilme. Denn Bella steht zwischen ihren Eltern. Ihr Heim ist im sonnigen Arizona bei ihrer Mutter, doch da diese etwas Zeit mit dem Stiefvater verbringen will, zieht Bella zu ihrem leiblichen Dad ins ewig herbstliche Forks, das von Blautönen durchtränkt ist. Warm und kalt, weiblich und männlich, Gefühl und Ratio. Twilight greift auf uralte Klischees der Geschlechterdarstellung zurück, welche naturgemäß zu einer konservativen Deutung des Films beitragen. Der Umzug ist gleichbedeutend mit Bellas sexuellem Erwachen. Ein davor gibt es nicht. Ins männlich konnotierte Forks (ihr Vater, Jacob, der Freund aus Kindertagen, Edward natürlich) kommt sie und verdreht allen den Kopf. Ausgerechnet auf den Vampir fällt ihre Wahl, für den die Libido gleichbedeutend mit dem Blutdurst und damit der Todessehnsucht ist. Eros und Thanatos vereint in einer Figur, dargestellt von einer hölzern agierenden Frisur auf zwei Beinen. Catherine Hardwicke muss zu Gute gehalten werden, dass sie hier einen der wenigen amerikanischen Mainstream-Filme gedreht hat, der sich tatsächlich auf die Sicht einer jungen Frau in der Pubertät konzentriert. Denn dieses Terrain ist im US-Kino meist männlichen Protagonisten überlassen. Frauen sind die scheinbar unerreichbaren Objekte der Begierde, während die Jungs ihre Libido in den Griff bekommen müssen, um zu Männern, d.h. erwachsen, zu werden. Von “American Pie” bis “Superbad” und noch weiter reichen die Beispiele. Die weibliche Sexualität wird meist in den Objektstatus gezwungen, entweder weil sie bedrohlich oder weil sie schlicht unverstanden ist. Man kann es sich aussuchen. Die feministische Filmtheorie der 70er lässt grüßen, doch leider ist das auch heute die Realität.

Twilight ist bis aus den Handlungsstrang rund um die bösen Vampire Bellas Geschichte. Wie Catherine Hardwicke viele Minuten der ersten Hälfte damit füllt, Bellas Begierde in Blickkonstruktionen auszuloten, ist für Hollywood-Maßstäbe fast schon subversiv, obwohl der Schnitt ein ums andere Mal holprig ist. Eine “Liebesgeschichte” ist “Twilight” nicht wirklich, ist doch zu keinem Zeitpunkt zu erahnen, was die beiden ineinander sehen. Die meiste Zeit sehen sie einander nur an, während sich die Gespräche darum drehen, dass sie ihrer Libido nicht nachgeben können, da dies Bella den Tod, Edward die Schuld daran verheißen würde. Sinnbild für die Fleischeslust ist der Wald rund um Forks. Abseits der Zivilisation gehen die beiden ihrer Ersatzhandlung nach, d.h. er fliegt mit ihr von Baumwipfel zu Baumwipfel. Das ist die einzige Aufregung, die er ihr abgesehen vom vorsichtigen Händeschütteln bieten kann. Bella bleibt uneinsichtig in ihrem Begehren, womit man noch so ein ungewohntes Motiv im Hollywood-Film vorfindet.

Doch der Wald als magischer Ort eines unschuldigen, paradiesischen Zustands wird visuell jäh durchbrochen und das wiederum ausgerechnet durch das Haus der Familie Cullen. Abgelegen und wie ein Fremdkörper steht das Glasgebilde zwischen den Bäumen, so unterkühlt wie seine Besitzer. Aus der Wildheit des Waldes (und ihres Begehrens) wird Bella in die funktionale  Ersatzfamilie der Vampire eingeführt, ein blutleeres Gegenstück nicht nur zur ihrer sonnigen, wenn auch zerütteten Heimat, sondern vor allem auch zu ihr selbst. Dass “Twilight” zuallererst aus Sicht einer werdenden Frau erzählt wird, hat den Erfolg und das Ausmaß der Hasstiraden gleichermaßen zu verantworten.  Schließlich scheint die Beurteilung des irrationalen Verhaltens von männlichen und weiblichen Teenagern arg geschlechtsabhängig zu sein. Die Entscheidung, Bellas natürliches Begehren durch einen älteren, weiseren und natürlich rationaleren Anti-James Dean in Schranken weisen zu lassen, verwandelt Twilight – Biss zum Morgengrauen schlussendlich in ein seltsam reaktionäres Zwitterwesen irgendwo zwischen ungezügelter Begierde und Selbsthass.


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Fast & Furious Five (USA 2011)

Welches Franchise erreicht erst beim fünften Teil seinen Höhepunkt? Die “Fast and Furious”-Reihe zeigt uns, wie genau das gemacht wird. Nach den erfolgreichen Anfängen von Rob Cohen und John Singleton schien sie tot zu sein und niemand war in Trauerstimmung. Vin Diesel, der große Star der Serie – das macht uns auch Fast & Furious Five klar – war viel zu sehr damit beschäftigt, seine drei potenziellen Franchises in den Boden zu rammen (Riddick, F&F, xXx). Allein mit Paul Walker hätte die Reihe ebenso gut ins Direct to DVD-Land verschwinden können. Dann war da “Tokyo Drift”, der, mal abgesehen von einem Cameo, ohne die Stars der Vorgänger auskam. “Toyko Drift”, inszeniert von einem Indie-Regisseur namens Justin Lin, reduzierte die Serie auf ihren größten Schauwert (die Autos) und zeigte den untreuen Stars mit dem sich anschließenden Einspielergebnis einen deutlich sichtbaren Mittelfinger. Selbst ohne zugkräftige oder auch nur charismatische Hauptdarsteller rettete der Film sein Studio Universal davor, in den roten Zahlen zu landen. Driftende Autos an exotischen Schauplätzen hieß die Devise und sie ging so erfolgreich auf, dass die beiden verlorenen Söhne Paul Walker und Vin Diesel für den vierten Teil “Fast & Furious” zurückkehrten. Deswegen ist “Fast & Furious Five” eigentlich der rechtmäßig dritte Teil in einem Franchise, das zwischendurch sein vermeintliches Zentrum verloren hat. Andererseits kann man sagen, Fast & Furious Five sei der dritte Teil einer Reihe, die erst bei “Tokyo Drift” und unter der Regie von Justin Lin richtig an Fahrt aufgenommen hat. Mir gefällt letztere Deutung am besten, Fans der Figuren werden es wohl anders sehen.

Wie auch immer, der faktisch fünfte Auftritt der Autofetischshow ist der ultimative Fast & Furious-Film, der alle möglichen Teilnehmer der vorherigen Beiträge wieder vor der Kamera vereint sowie alles zuvor gesehene durch seinen unglaublichen Klimax in den Schatten stellt. Doch erst einmal zu den Formalitäten: Dominic (Vin Diesel) und Brian (Paul Walker) landen in Rio de Janeiro, wo sie die Einwohner der örtlichen Favelas von einem total fiesen Geschäftsmann befreien und dabei einen Haufen Kohle machen wollen. Doch der Special-Irgendwas Hobbs (Dwayne ‘The Rock’ Johnson) hat etwas dagegen und will Dom einbuchten. Dazwischen: Pläne, die Ocean’s Eleven alle Ehre machen würden, coole Sprüche von The Rock und Autos, Autos, Autos. In Sachen Objektliebe im Actionkino wandelt die ganze Reihe auf Pfaden des B-Films der 70er Jahre, in Sachen Körperlichkeit wehen die 80er durch die Wellblechhütten. Muskelbepackte Helden, wo man nur hinschaut und wem Vin Diesels Bizeps schon immer zu klein war, der bekommt diesmal Dwayne Johnson im Muskelshirt mit seinen ebenfalls aufgepumpten Kollegen von der amerikanischen Ordnungsmacht zu sehen. Vierrädrige Prachtkarren und eine altmodische Hypermaskulinität sind das Motto von Fast & Furious Five, der sich wie ein pickeliger Teenager einen Spaß daraus macht, dass ein wichtiger Handabdruck der Zielperson auf einem Bikinislip zu finden ist. Wie ist der da bloß hingekommen?

Der Multi-Kulti-Ocean’s Fourteen ist eine einzige Absage an alles, was im Mainstream-Kino ernst und nur irgendwie eines Subtextes verdächtig erscheint. Es ist der Jason Statham-Film, den Jason Statham nie gedreht hat. Das Spektakel sind die Körper und die Autos, keine gebrochene Seele, nirgends. Justin Lin ist der richtige Mann, um die Zuschauer mit den dürftigen Zutaten zu fesseln. Mit einem weniger kompetenten Regisseur hinter der Kamera, einem vielleicht, der noch mehr aus der Story (who cares?) herausholen wollte als notwendig, wäre Fast & Furious Five wahrscheinlich zum überladenen Langweiler geworden. Stattdessen weiß Justin Lin ganz genau, worauf es ankommt. Er wusste das schon zu “Tokyo Drift”-Zeiten: Set Pieces zusammengehalten durch Hubschrauber-Aufnahmen von Großstädten und amüsanten, aber bloß nicht zu gehaltvollen Dialogen. Die Stars, die ganze Meta-Explosion allein bei der Idee, das Vin Diesel gegen The Rock antritt, sind hübsche Beilagen, welche die Pausen zwischen den Actionszenen erträglich bis unterhaltsam machen. Um Schauspielerei ging es hier noch nie. Doch das Zugpferd bleiben die Schrottberge. Und was für Schrottberge türmt Justin Lin im Laufe des Films auf! Von der ersten Actionsequenz an lautet der stete Untertitel von “Fast & Furious Five”: Yeah, we’re really doing this! Ein Zwinkern angesichts der technischen Großmannssucht ist immer dabei, wenn ein paar Autos aus einem rasenden Zug geklaut oder das Finanzdistrikt von Rio de Janeiro für einen Heist in Schuttberge verwandelt wird. Das Zwinkern ist gerechtfertigt.

Auch wenn die ersten Absätze dieser Kritik es anders erscheinen lassen: Justin Lin hat die Franchise nicht vereinnahmt. Zumindest in seinen Studiofilmen lässt er nicht den Anschein eines Stils erkennen. Einige seiner visuellen Motive könnten ebenso gut aus CSI: Miami stammen. Mehr als das, was gerade im Frame zu sehen ist, sucht man vergeblich. Aber eben diese Frames, die auf einfachste Inhalte reduziert sind – Leute, die reden; Autos, die fahren – werden mit einer filmemacherischen Kompetenz zusammengefügt, die im modernen Actionfilm aus Hollywood Seltenheitswert besitzt. Vor zwanzig Jahren wäre er vielleicht einer von vielen Handwerkern gewesen. In Zeiten von CGI und shaky cams scheint der handfeste Ansatz von Lin und seinem Studio Universal als erfrischende Abwechslung. Fast & Furious Five, so generisch seine Struktur auch ist, hat atemberaubende Set Pieces zu bieten, die uns zur Abwechslung mal nicht in close-ups präsentiert werden. Nicht nur seinen direkten Vorgänger “Fast & Furious” lässt er damit weit hinter sich.


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Thor (USA 2011)

In Thor von Kenneth Branagh werden die konventionellen Stadien des Superheldendaseins einfach umgedreht. Thor, der Donnergott, muss nicht lernen, wie er mit seinen Kräften im Alltag zurecht kommt, sie sind ihm nicht fremd, sind vielmehr ein Teil von ihm. Stattdessen stellt “Thor” die Heldengenese auf den Kopf, präsentiert uns einen Gott, der erst seiner Kräfte beraubt und unter den Menschen erkennt, was einen Gott (= Superhelden) eigentlich ausmacht. Obwohl Kenneth Branagh so manches Mal an seine Grenzen stößt und dies oft genug freiwillig, obwohl Thor kein perfekter Film ist, sondern von Makeln geradezu gezeichnet, ja obwohl so einige Gründe gegen dieses bunte Epos von Menschen und Göttern und güldenen Himmeln sprechen, ist der neue Streich des Marvel-Universums der im positiven Sinne gewagteste seit Hulk von Ang Lee. An dessen Homogenität und inszenatorische Sicherheit kommt ein Branagh allerdings nicht heran. Es ist wohl kein Zufall, dass Thor nach Hulk der widerspenstigste Marvel-Heroe ist, der seinen Weg auf die Kinoleinwand gefunden hat. Beider Filmabenteuer stehen im Schatten ödipaler Konflikte, erzählen von Vater-Sohn-Beziehungen, in deren Mittelpunkt die Machtfrage als aufzulösender Konflikt steht. Konzentriert sich Ang Lee auf eine ästhetische Auseinandersetzung mit der Comic-Narration, ist Branagh erwartungsgemäß dem klassischen Drama verpflichtet und zeigt die ganze Bandbreite seiner Shakespear’schen Reputation.

Visuell stellt Thor die Vorstellung einer einzigen Welt von Beginn an in Frage. Alles, auch die menschliche Realität, hat eine Kehrseite. Dasselbe gilt für das prunkvolle Himmelreich Asgard, das steril wirkt im Vergleich zum staubigen New Mexico, welches als zweiter Handlungsort eingeführt wird. Da oben bei den Göttern ist alles überladen, erscheint dank der konvertierten 3D-Bilder teilweise wie der Modellbau eines geschmacklosen Kitschfanatikers. Dem gegenüber stellt “Thor” nicht die pulsierende Metropole so vieler anderer Comicfilme, sondern ein einsames Kaff in der Wüste, ein Raum, nicht weniger von der restlichen Welt isoliert als Asgard und damit ein perfektes, dreckig-lebendiges Gegenstück. Der Göttersohn Thor (Chris Hemsworth), der sich selbst überschätzt und andere damit in Gefahr bringt, wird von Odin (Anthony Hopkins) auf die Erde, an diesen trostlosen Ort verbannt, um sich etwas Selbstbeherrschung und göttliche Weisheit anzueignen. Hier kommen wiederum die beiden Kehrseiten von Thor zum Vorschein. Da oben das große Drama um Odin und seinen stets übersehenen zweiten Sohn Loki (Tom Hiddleston), da unten der Göttersohn zum Menschen degradiert, da oben “Hamlet” und “Macbeth”, da unten “Viel Lärm um nichts”.

Dass es Kenneth Branagh gelingt, die beiden vom Ton her völlig unterschiedlichen Handlungsstränge zu einem überzeugenden Endergebnis zusammen zu nähen, ist wahrscheinlich sein größter Verdienst. Zwischen der großen Vater-Sohn- und Bruder-Bruder-Tragödie sowie dem Slapstick eines Gottes auf Erden hin und her zu springen, ohne den ganzen Film in der kinematografischen Luft zu zerreißen, ist eine Leistung, die einem selbst diverse seltsame Entscheidungen der Regie übersehen lässt. Da ist etwa das stellenweise aufblitzende Unvermögen, in den für dieses Genre so wichtigen Actionsequenzen räumliche Orientierung zu schaffen. Zum anderen ist “Thor” völlig am 3D-Effekt vorbei inszeniert, was zuweilen zu verstärkter Desorientierung führt, sobald die Kamera etwas dynamischer agiert. Auffälliger ist Kenneth Branaghs Regie-Manierismus der schiefen Winkel, welcher auf Dauer die Nerven strapaziert. Der Einsatz von schiefen Establishing Shots für die psychologisch hochdramatische Götterwelt Asgard erscheint stimmig im Hinblick auf die kammerspielartigen Kabalen, mutiert bei einer diesseitigen, gemütlichen Kleinstadt dagegen zum aufgesetzten Stilmittel.

Freilich überzeugt Thor als ein Film der positiven Überraschungen. Dazu gehört eine geschmeidige Integration des S.H.I.E.L.D.-Subplots, wie sie Iron Man 2 richtig gut getan hätte. Hauptdarsteller Chris Hemsworth ist nicht der von vielen befürchtete charismalose Muskelprotz, auch wenn seine Physis einschüchtert. Er meistert den Slapstick, die Romantik (mit Natalie Portman als Natalie Portman), das Drama, die Action sowieso. Ein wahrer Schatz des Götterhimmels bleibt Tom Hiddleston als Loki, das fragile, das windige, aber nicht flache Gegenstück des aufgepumpten, arroganten Thor, der sich schon jetzt über einen Platz unter den besten Widersachern der Superheldenfilme freuen darf, gerade weil er kein eindeutiger Bösewicht ist, zeitweilig als verdienterer Erbe des Götterthrons um unsere Sympathien wirbt. Die Arbeit mit den Schauspielern zeugt von Kenneth Branaghs Erfahrung mit Ensembles. “Thor” glänzt mit Namen wie Stellan Skarsgard, Idris Elba und Tadanobu Asano im Cast. Nicht alle erhalten genügend Zeit, um sich zu entfalten, gleichwohl sind sie unschätzbare Mosaiksteine in der Erschaffung des neuen Universums, die – einmal zusammengefügt – Lust auf mehr machen. Die Vater-Sohn-, die Liebes- und die Brüdergeschichte jongliert Thor, ohne jemals vor Überforderung in sich zusammen zu brechen. Selbst dem altbacken wirkenden Vokabular Asgards gelingt es nicht, diese Comicverfilmung ins Joch der unfreiwilligen Komik zu zwingen. Wider Erwarten hat Kenneth Branagh ein gutes, durchweg unterhaltsames Superheldenabenteuer gedreht. Da müssen “The Amazing Spider-Man” und “X-Men: Erste Entscheidung” erst einmal nachlegen.


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Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt (USA/GB/CDN 2010)

Kann ein Film zu rund sein? Wenn ja, dann ist Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt ein Vertreter dieser Spezies. Was Regisseur Edgar Wright in Hot Fuzz angedeutet hat, führt er hier zu einem frühen Höhepunkt, vielleicht sogar zu einer Vollendung: Eine extreme Dynamisierung der Narration mit Hilfe einer Aufweichung der Übergänge zwischen den einzelnen Einstellungen. Alles ist hier im ständigen Fluss, jede Szene droht, in wenigen Sekunden durch die nächste aus dem Bildrand geschoben zu werden, was auf ihren Inhalt aber keine Auswirkungen hat. So ist der Film, den Edgar Wright um die zentralen Kämpfe Scott Pilgrims gegen die sieben Evil-Exes von Ramona Flowers aufbaut, manchmal einfach ein bisschen zu schnell. Und ja, das sage ich als Fan von Tony Scott. Doch dieser, um eine kurze Zeit bei diesem ansonsten abwegigen Vergleich zu verweilen, verzichtet im nicht weniger schnellen Domino meistens darauf, irgendwelche visuellen Information in seiner Bilderflut unterzubringen. Edgar Wright dagegen will nicht das totale Zeigen, sondern das totale Erzählen, bei dem er Leerstellen in der Handlung überspringt, in denen eben nichts zu erzählen ist und den ganzen Film ungeachtet der Grenzen von Zeit, Raum und Popkultur in einen sich überstürzenden Redeschwall verwandelt, den man am liebsten nochmal zurück spulen möchte. Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt will uns all die interessanten Fakten, lustigen Pointen und moralischen Offenbarungen in seiner zu kurzen Spielzeit vorstellen, die er für wichtig hält. Alle sind schließlich irgendwie toll, awesome oder gar epic und müssen – jetzt – gleich – sofort erzählt werden. Zu Atem oder emotionaler Involviertheit kommt man dabei aber nur selten.

Edgar Wright ist einer der interessantesten Filmemacher, die derzeit im Mainstreamgeschäft unterwegs sind. Nach nur drei Filmen und einer Serie hat er einen eigenen, individuellen Erzählstil entwickelt, wobei “Erzählen” und “Stil” bei ihm, anders als bei vielen Kollegen, immer zusammengehen. Jede Einstellung scheint bei ihm seit “Hot Fuzz” entsprechend des Rhythmus der Narration konzipiert, jede Einstellung vermittelt den Eindruck davon, was als nächstes kommt und das ist keinesfalls selbstverständlich. Edgar Wright weiß auch, wie man eine komödiantische Szene auflöst, ohne dass sie nach Fernsehen aussieht, deswegen sehen seine Komödien aus der Cornetto-Trilogie eben auch aus wie Kino, nicht wie Judd Apatow-Filme. Er fluktuiert zwischen den Genres, statt nur innerhalb eines Genres. Daher sehen seine Actionszenen innerhalb einer Ealing-Komödie (Hot Fuzz) genauso gut aus, wie sie in einem reinen Actionfilm aussehen sollten. Doch der beste Beweis für seine Könnerschaft ist vielleicht, dass es “Shaun of the Dead” gelungen ist, die Figuren einer Zombie-Parodie lebensecht wirken zu lassen, so dass man sich sogar dazu gezwungen fühlt, mit ihnen mitzufühlen. Bei einem Genre, welches dermaßen mit der Überzeichnung arbeitet, ist das eine Seltenheit.

Genau dieser entscheidende Punkt will in Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt nicht funktionieren. Alles fließt so schnell vorbei, alles ist so awesome, dass die Mehrheit der Figuren keine Luft zum selbstständigen Atmen bekommt, sondern wie ein Sonnensystem um das Charisma-Loch Michael Cera kreist. Der würde beinahe unter der Last der Coming of Age-Konflikte der Figur Scott Pilgrim zusammenbrechen, würde er Anstalten machen, sich schauspielerisch mit diesen auseinanderzusetzen. Stattdessen steht er Mary Elizabeth Winstead (Ramona Flowers) gegenüber, seiner Film-Schwester Anna Kendrick (Stacey Pilgrim) und  einigen anderen, die alle die Hauptrolle eher verdient hätten, als diese Inkarnation des Scott Pilgrim. Doch der zentrale Stolperstein von Edgar Wrights drittem Spielfilm bleibt der Duktus der Erzählung, bleibt die anscheinende Proklamation der Montage: Jede Szene ist ersetzbar. Warum sich dann mit einer anfreunden?


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