Wollmilchcast #56 – Suspiria von Luca Guadagnino

Gleich vorweg: Die Tonprobleme in der neuen Wollmilchcast-Folge seien zu entschuldigen. Beim nächsten Mal nehmen wir wieder in gewohnter (?) Qualität (??) auf. Hörenswert ist die neue Ausgabe natürlich trotzdem, in der wir uns die Frage stellen, warum man den Horrorklassiker Suspiria von Dario Argento neu verfilmen wollen würde und wie das aussieht. Call Me By Your Name-Regisseur Luca Guadagnino hat es nämlich getan, mit Tilda Swinton in einer Doppelrolle und Dakota Johnson als neue Susie. Im Wollmilchcast ergründet Matthias von Das Filmfeuilleton außerdem die Freuden und Enttäuschungen von Mandy mit Nicolas Cage, während ich meine Charles Boyer-Sucht nachgehe und seinen letzten großen Film vorstelle: Stavisky… von Alain Resnais. Viel Spaß!
Shownotes:

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Intro und Outro: Kai Engel – Slum Canto (aus dem Album Sustains)
Nutzung im Rahmen der CC BY 4.0-Lizenz. (Homepage des Künstlers)
Copyright Titelbild: Capelight/Koch Media/Central

Luftigkeit & Freude um Elf Uhr Nachts – Pierrot le fou (F 1965)

Es gibt Menschen, die schalten Filme von Godard nach spätestens einer Viertelstunde ab. Pierrot le fou gehört im besonderen Maße dazu, denn schon der Produzent Dino de Laurentiis meinte, dass es kein Film sei. Dabei gibt es viele, sehr viele Gründe ihn zu lieben. Aber im Grunde gibt es einen einzigen: Ferdinand Griffon, der sich selbst nie als Pierrot sieht, aber eben der Verrückte, der Narr ist, der dem Film seinen Namen gibt.

Er ist ein Spinner und Phantast … voller Zärtlichkeit für seine Umwelt. Gänzlich wirr im Kopf überschlagen sich seine Gedanken. Es scheint, als ob er brennt und alles verstehen, alles lesen, alles sehen muss, als ob an den kleinsten Dingen der Welt alles hängt. Doch er ist nicht überdreht. In all seinem Handeln verliert er nie die Ruhe. Belmondos lakonische Gelassenheit, Mitte der 60er Jahre die Definition von Coolness, feiert hier ihren einzig wahren Ausdruck. Gleichzeitig lacht und weint er als Ferdinand und sieht keine Möglichkeit, beides zu trennen. Er ist naiv … in seiner Freude und in seinem Vertrauen. Nie kann er im Hier und Jetzt sein, weil das zu klein für ihn wäre. Schmerz und Heiterkeit zerreißen ihn innerlich und schaffen dort eine Wildnis, ein Abenteuer. Er liebt die hohe Literatur, kann sich aber nicht von seinen Kindercomics trennen. Eine Trennung zwischen Hochkultur und Trash kann es nicht geben. Er eint die Dinge. Deshalb scheint es, als ob er die ganze Welt umarmen möchte und doch bleibt er von ihr entfremdet zurück. Seine Umwelt treibt er in den Wahnsinn mit seinem endlosen Rezitieren aus Büchern, die ihm die Welt bedeuten, die er mit den Menschen teilen möchte. Er möchte mit den Menschen reden, doch er versteht sie nicht, wie sie ihn auch nicht verstehen.

Die Größe von Pierrot le fou liegt schlichtweg darin, dass Godard uns die Welt durch Ferdinand Griffons Augen sehen lässt. Der Blick eines Kindes wird uns zurückgegeben. Der naive Blick auf eine wunderschöne, rätselhafte Welt voller Mythen. Er hat einen Film geschaffen, der nur so vor Irrsinn sprüht, der ein Feuerwerk an unfassbaren Ideen abbrennt, wie sie davor und danach nie wieder zu sehen waren. Die Einsamkeit auf der Party von Ferdinands Frau scheint erdrückend und absurd, da alle nur Werbeslogans von sich geben, doch genau das ist die Realität, die Ferdinand wahrnimmt. Kurzzeitig wird die Handlung in einem repetitiven,  unchronologischen Schnittfeuerwerk zerlegt, weil die Realität, die Gegenwart, das Leben nicht immer regelmäßig sind, sondern auch aus den Angeln gerissen werden können. Besonders wenn man aufhört die Welt nur hinzunehmen.

Das Wichtigste ist aber die Leichtigkeit mit der Godard inszeniert. Die Luftigkeit und Freude mit der Ferdinand die Welt sieht, ist die des Filmes. Nur gegen Ende verliert Pierrot le fou diese Unbeschwertheit, doch nur weil sein Protagonist sie verloren hat. Zurück bleibt ein Film voll Freudentaumel, Lebenslust, tiefer Trauer, Melancholie, Ernsthaftigkeit und Albernheit … oh ja jede Menge göttlicher Albernheit … ein Film voll empfindsamen, fröhlichen Wahnsinn. Alleine die Szene als er vor einem Kornfeld steht und mit diesen wunderbarsten aller Worte fragt, was Marianne wohl denkt, wenn sie sagt: „Es ist schönes Wetter“ … Allein diese Szene gehört zum traurigsten, poetischsten und schönsten was das Kino je hervorgebracht hat.


Dieser Text wurde bereits bei der Aktion Lieblingsfilm auf moviepilot.de veröffentlicht.

Diary of the Dave #12 – Außer Atem

Mein erstes Erlebnis mit Godards großem Meisterwerk (auch wenn er selbst den Film wohl inzwischen hasst) war weder besonders erquicklich, noch besonders lang. Im zarten Alter von zwölf, maximal aber vierzehn Jahren habe ich Außer Atem (im Original: A bout de souffle) bei einer Ausstrahlung beim immer wieder geliebten Sender arte geschaut. „Geschaut“ ist sicherlich viel zu viel gesagt, denn ich habe nach etwa zwanzig Minuten (allerhöchstens!) aufgegeben. Für meine zarten und jugendlichen Augen (die zugegebenermaßen damals noch besser funktionierten als heute) war das ganze einfach zu viel… und gleichermaßen zu wenig. Zu viel Herumgehopse (terminus technicus: jump cut) und zu wenig… Story? … Spannung? … “intelligente” Dialoge? Das zweite Mal sah ich den Film im wohl einzigen Ort der Welt, wo man ihn auch sehen sollte, nämlich im Kino. In meinem Fall im “Mon Ami” in Weimar, damals (2002? 2003?) noch das wirklich führende Programmkino der Stadt. Irgendwie bin ich da nicht nach zwanzig Minuten aus dem Film rausgegangen, vielleicht deshalb, weil ich ihn in Begleitung sah… oder vielleicht war es einfach nur ergötzend, die Phasenverschiebung des Lachens zwischen dem französisch-verstehenden Teil des Publikums (also mir) und dem nicht ganz so französisch-sattelfesten Teil der Anwesenden (also der Mehrheit) zu genießen: die frankophilen lachten manchmal vor und manchmal nachdem der Witz in den Untertiteln gefallen war… oder vielleicht begann der Film einfach, mir zu gefallen…

2007 kam er erneut im bereits genannten Kino. Es war der Frühling 2007 und ein kleiner Giftzwerg aus Neuilly machte sich gerade daran, den Élysée zu erobern. Er sitzt übrigens immer noch dort. Ich hingegen machte mich daran wie üblich die Weltherrschaft zu erobern. Und im Frühling 2007 standen die Chancen dafür sogar ziemlich gut. Wie sich herausstellte, wurde ich dann doch etwas zurückgeworfen, aber ich arbeite trotzdem weiter daran. Irgendwie verbinde ich die Sichtung von A bout de souffle im Frühling 2007 mit der französischen Präsidentschaftskampagne und mit einer komischen WG-Party, auf der lauter komische Leute waren und die ich, glaube ich, erst um sechs Uhr morgens verließ. Vielleicht passierte alles am gleichen Tag? Michel Poiccard wurde auf Pariser Kopfsteinpflaster erschossen, ich schoss mich auf einer zwiespältigen Veranstaltung ab und Nikolaus der Erste wurde zum Kaiser… ich meine Präsidenten Frankreichs bombardiert…

Im Jahre 2008 hätte ich den Film noch einmal mehr im Ami sehen können/sollen/müssen. Aber im Trubel der Dinge, meines Studiums, meines Lebens, meiner Gier nach Weltherrschaft war mir das Kinoprogramm etwas zu spät in die Hände gefallen. Was auch fast dieses Mal passiert wäre, hätte ich nicht das Filmplakat im Kino gesehen. 3. Dezember: wahrscheinlich hätte ich das Programm unter normalen Umständen erst am 10. oder am 15. in die Hände bekommen und hätte mich dumm und dämlich geärgert. Mir in den Arsch gebissen. Car… “Après tout, je suis con”!

Ist zum Glück aber nicht passiert. Und so ging ich heute Abend zum ersten Mal bei solchen Temperaturen ins Kino (-12 Grad). Erstaunlich und verwirrend zugleich, dafür dass ich den Film doch mit frühlinghaften Impressionen und ihren entsprechenden Temperaturen verbinde. Und für sechs Euro (Eintritt plus Becks) kam ich in den Genuss, mich in einen der Ami-Sessel niederlassen zu können. Wie gesagt: der Ami ist nicht mehr das, was er früher einmal war. Die schönen Schwarz-Weiß-Poster von Audrey Hepburn und Robert De Niro, die im Kino-Saal an den Wänden hingen, vermisse ich. Die Zusammenführung von Ticket-Kasse und Getränkeverkauf wirkt fast wie eine Überstülpung von Hartz IV auf die Programmkino-Landschaft. Die jiddische Tango-Musik, die den Kinogänger auf den Film einstimmen sollte, war aber durchaus nicht unangenehm. Das Kinoprogramm fing dann so an, wie jedes Kinoprogramm anfangen sollte: mit den Trailern. Zugegeben: für Filme, die bereits vor einem halben Jahr herausgekommen waren oder auch vor vier (nicht nur Jean-Luc Godard, sondern auch Woody Allen hat in diesen Tagen Geburtstag).

Und dann fing es richtig an. Mein allererster Eindruck, den ich bei meiner allerersten Sitzung des Films hatte, wurde nur zum Teil bestätigt: auf keinen Fall zu wenig, auf jeden Fall zu viel… und zwar im positiven Sinne. Mit schlechteren Augen aber einem besseren Verständnis für Film im Allgemeinen genoss ich das, was mir zehn Jahre zuvor verwehrt geblieben war. Der erste relative Ruhepunkt des Films ist die Szene in Patricias Zimmer (wohlgemerkt: nur “relativ”). Bis dahin kann der Film einem durchaus den Eindruck vermitteln, dass man zum ersten Mal in seinem Leben einen Kinofilm sieht. Die Schnitte, die berühmten jump cuts, die teils verwirrende Verwendung der Filmmusik, gekoppelt, man möchte sagen verzahnt, mit Dialogen und vor allem Monologen, die so bedeutungsschwanger und sinnfrei zugleich sind… und die Posen Belmondos, die zwischen extremer Künstlichkeit und völliger Natürlichkeit schwanken.

Die Ambivalenz zwischen einem schroffen Realismus, und einer teils bis zur Absurdität geführten Künstlichkeit durchzieht den ganzen Film. Der Realismus wird am deutlichsten an den Straßenszenen mit Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg, weil da immer so zahlreiche Passanten in die Kamera reinschauen: wie Godard Raoul Coutard auf einem Rollstuhl durch die Straßen schob, war sicher einen Hingucker wert. Die extreme Künstlichkeit erreicht ihren Höhepunkt in dem Interview am Flughafen Orly mit dem rumänisch-stämmigen Schriftsteller, gespielt von Jean-Pierre Melville! Endlos cool mit seiner Sonnenbrille und seinen bizarren Antworten auf meist auch bizarre Fragen. “Devenir immortel, et puis mourir!”

Da heute ganze sechs Zuschauer den Film schauten, von denen wohl nur zwei aufmerksam waren (ich zähl mich mal dazu), war die Phasenverschiebung der Lacher nicht ganz so spaßig wie bei den letzten beiden Sitzungen. Nichtsdestotrotz war es wieder einmal sehr schön, den Film zu sehen, wenngleich in einer Laserdisc-Aufführung: das Bild ist dabei sicher klarer, aber es fehlte der Charme verschlissener Filmrollen.

Zurück bleiben zahlreiche Bilder, die kaum aufzuzählen sind: die Posen Belmondos vor den Kinoaushängen mit Bogart, die “Erwürgung” Patricias, die Straßenlaternen, die angehen und damit die Nacht einleiten, die Kamerafahrten durch Paris, das Treffen Patricias mit ihrem Co-Journalisten in diesem verglasten Restaurant vor den belebten Straßen von Paris, Patricia auf den Rolltreppen, die Auffahrt im Fahrstuhl mit dem unglücklichen Autobesitzer und selbstverständlich die “New York Herald Tribune”-Sequenz. Martial Solals Musik setzt sich ebenfalls für Stunden als Ohrwurm fest, mit dem einen hektischen und dem einen eher romantischen Thema. Die Monologe und manchmal auch Dialoge sind reinste Leckerbissen, insbesondere für jeden Menschen, der französisch zur Genüge versteht. Denn auch darum geht es in dem Film: um sprachliche Kommunikationsprobleme. Und so kann Patricia am Schluss nur instinktiv erahnen, als was sie Michel Poiccard bezeichnet hat.

Warum sich ein Vergleich mit “Taxi Driver”, “Goodfellas”, “El Mariachi”, und “Inglorious Basterds” anbieten würde, liegt selbstverständlich auf der Hand. Nur dass “A bout de souffle” diesen Filmen mindestens sechzehn Jahre voraus war.

Nach der Illusion, den ersten Kinofilm meines Lebens gesehen zu haben, watete ich durch die vom Schnee nicht befreiten Bürgersteige und Straßen nach Hause. Und bevor ich es vergesse: joyeux anniversaire, cher Jean-Luc!

Diary of the Dave #6

Also wenden wir uns hiermit den Herren Achod Malakijan und Moncorgé zu. (Ein wirklich komisches Gefühl: die erste Rezension, die ich nach meiner Einstellung bei the-gaffer.de schreibe). Aber es läuft gerade „All Blues“ aus Kind of Blue. Das sollte von zu vielen Hintergedanken ablenken.

Gestern also habe ich mir ein Double-Feature gegeben. Klammer war die Zusammenarbeit zwischen beiden vorhin genannten Herren: Henri Verneuil und Jean Gabin. Nun ja… zu beiden Filmen hat Michel Audiard die Dialoge geschrieben. Und zwar einiges vom Besten, was er je zustande gebracht hat. Ganz großartiger Gabin-Dialog. Und ganz großartiger Belmondo-Dialog. Als Mensch, der die Freuden des Trinkens nicht nur kennt, sondern sogar schätzt, würde ich am liebsten nur über den zweiten Film (“Un singe en hiver”) schreiben. Aber „Le président“ zu vernachlässigen wäre auch nicht gerade charmant. Also…

Michel Audiard hat wirklich ganz großartige Arbeit geleistet, denn die Dialoge sind das wichtigste bei beiden Filmen. Henri Verneuil als Regisseur bleibt… nun ja… unsichtbar? Die Ästhetik der beiden Filme ist nicht schlecht, aber sie drückt sich nicht in den Vordergrund. Die Ausnahme bei Un singe en hiver (Ein Affe im Winter): die Dialog-Szene zwischen Jean-Paul Belmondo und Jean Gabin am Strand, als sie Meeresfrüchte einsammeln, damit Belmondo paella machen kann… ganz plötzlich diese Totale, wo beide am Bildrand stehen. Sehr beeindruckend. Und natürlich der Moment, wo die Kamera quasi in oder sogar hinter der Geschirr-Kommode steht. Gabin ist hinter der mittleren Schranktür zu sehen. Dann macht er die rechte (eigtl. linke) Schranktür auf: Belmondo erscheint und spricht von der Unterhaltung von letzter Nacht, als er betrunken ins Gasthaus zurückgetorkelt kam. Und dass er sich einen Begriff merken konnte, den Gabin genannt hatte: den Jang-Tse-Kjang. Und bäm: da macht Gabin die linke (eigtl. rechte) Schranktür auf und man sieht das höchst besorgte Gesicht seiner Ehefrau. Denn Jang-Tse-Kjang heisst ja so viel wie… TRINKEN! Und natürlich die Szene nachdem Gabin den betrunkenen Belmondo auf sein Zimmer gebracht hat und Belmondo über Spanien und die Stierkämpfe erzählt. Belmondo rechts, Gabin links… und Belmondo im Spiegel reflektiert. Und dann dreht er sich plötzlich dem Spiegel zu…

Bei Le président (Der Präsident) gibt es eigentlich keine solchen Regie-Tricks. Nichtsdestotrotz ein großartiger Film über Politik, Intrigen, Ehrlichkeit, Betrug… und Eier… Denn der Präsident (=Premierminister) Beaufort hat die Eier, alle begonnenen Sachen bis zum bitteren Ende, bis zu den letzten Konsequenzen zu Ende zu führen. Zentrale Szene des Films natürlich: die Debatte bei der Nationalversammlung. EINFACH HERRLICH. Ein großartiger politischer Selbstmord (aus rein machttechnischer Perspektive, denn aus moralischer Perspektive: sehr „lebensbejahend“)! Im Laufe seiner zornigen und wütenden Rede bringt er fast alle Abgeordneten (bis auf die Kommunisten? auf jeden Fall diejenigen, die ganz links sitzen) gegen sich. Insbesondere durch das Verlesen der „Nebenbeschäftigungen“ der Abgeordneten… Hat irgendjemand gerade „Aktualitätsbezug“ gesagt? Wo denn? Ein französischer Film von 1961! Deutsche Bundestagsabgeordnete haben keine Nebenjobs! Im Gegenteil! Ihr Abgeordnetenmandat ist ihr Nebenjob!!! Also: „Le président“: der ideale Film für Politikverdrossene, und Liebhaber großer Dialoge: „Cette Europe du patronat, vous la fairez, mais vous la fairez sans moi. Le gouvernement maintient son projet. L‘assemblée lui refusera la confiance. Le gouvernement sera obligé de démissioner. Et plus jamais vous n‘aurez à marcher derrière moi. Jusqu‘au jour de mes funérailles… funérailles nationales, que vous voterez à l‘unanimité, et ce dont je vous remercie par anticipation!“ ((“Dieses Europa der Unternehmer werden Sie erschaffen, aber ohne mich. Die Regierung hält die Gesetzesvorlage aufrecht. Die Versammlung wird ihr das Misstrauen aussprechen. Die Regierung wird zum Rücktritt gezwungen sein. Und nie wieder werden Sie hinter mir her laufen müssen. Bis zum Tag meines Begräbnisses… Staatsbegräbnis, das Sie einstimmig beschließen werden und wofür ich Ihnen im Voraus danke!“))

Nun von den Politikern zu den Säufern. WAS? Irgendjemand hat gesagt, das wäre das gleiche? Welch Beleidigung… für die Säufer!

Un singe en hiver ist schon sehr schnell einer meiner Lieblingsfilme geworden. Irgendwie stimmt hier alles: Schauspieler (Gabin, Belmondo, Paul Frankeur, Suzanne Flon, Noël Roquevert), Story (alter müder Mann, der früher trank, dabei von China träumte wird von jungem Mann, der viel trinkt und von Spanien träumt, wieder zu Begeisterung erweckt), Dialoge (– “Nous, nous savons encore tenir le litre sans se prendre pour Dieu le père.” – “Mais c‘est justement ça que je vous reproche.” ((- “Wir können noch saufen, ohne uns für Gott den Allmächtigen zu halten.” – “Aber genau das werfe ich Euch vor.”)) ), Musik (zwischen extrem melancholisch, chinoiserie und espagnolade), Humor (“C‘est moi le Christ” ((“Ich bin Christus.”))) und diese kleinen magischen Momente (Belmondo, der auf Tischen Flamenco tanzt, um den Kneipengästen eines verregneten Kaffs in der Normandie zu zeigen, was Sonne eigentlich ist… „C‘est ça le soleil“ ((“Das ist die Sonne.”)))…

Und am Schluss habe ich fast geweint… wie flüchtig eigentlich menschliche Begegnungen sein können: „et le vieil homme entra dans un long hiver“ ((“und der alte Mann trat in einen langen Winter ein”)).

Der Film wurde, glaube ich, bei seinem Erscheinen erst ab 18 freigegeben: graphische Darstellung von Alkoholismus. Es ist auch ein Film über das Träumen, über das Reisen, über das Trinken… und über das Träumen vom Trinken! Beide Charaktere sind eigentlich Unangepasste, für die Trinken ein Mittel zum „Reisen“ ist. Es gilt hier wahrlich: der Weg ist das Ziel. Das „Picon-bière“ ((Mischgetränk aus dem Norden Frankreichs. Ein Bierglas mit einem Schuss Picon (einem französischen Bitteralkohol) wird mit Bier aufgefüllt. Nach einer gewissen Anlaufphase kann man auch zum Verhältnis 1 zu 1 gelangen, wie dies unser Held Gabriel Fouquet in der legendären Kneipen-Sequenz demonstriert.)) ist dabei ein willkommener Ersatz für den Zug. Vordergründig erscheint natürlich: Eskapismus, Vermeidung von Problemlösungen etc. Übersetzt also: asoziales Verhalten, Zerstörung und Selbstzerstörung… etc…

Dennoch strotzt dieser Film nur so von Menschlichkeit. Gabriel Fouquet ist dabei die sympathischste Gestalt der Welt: höflich, leidenschaftlich, betrunken, redegewandt, smart, gut gekleidet, voller Zweifel und Selbstzweifel, schwankend, suchend, voller Liebe, voller Träume, und irgendwie völlig verloren auf dieser Welt: wie… ein Affe im Winter.

Kontrapunkt: Thriller

Spannende Filme mit Action-Elementen prägen dieses Genre. Dabei gibt es verschiedene Herangehensweisen: Bedächtig und gemächlich, als Studie über die Einsamkeit mit latenter Angst vor Verfolgung oder aber auch hochbrisant und rasant. Man lese das Folgende.

The Limits of Control (E/USA/J 2009)

Jim Jarmusch meldet sich mit dieser fragwürdigen, aber auch einzigartigen Mischung aus Thriller und Philosophie zurück. Obwohl er hier mit einem Kino der variierenden Wiederholung, der Imagination und der Langsamkeit etwas ganz eigenes schafft, fasziniert dies nur bis zu einem gewissen Punkt – dann stellt sich Ermüdung ein. Streichholzschachteln mit Codes werden immer wieder weiter gegeben, mit Geheimnissen umwobene Menschen, die mit ähnlichen Phrasen bedeutungsschwangere Dinge erzählen („Are you interested in … at any chance?“) kommen zu einem einsamen Killer (großartig reduziertes Spiel: Isaach de Bankolé) und gehen, bis dieser in Spanien endlich seinen Auftrag erledigt. Der Zuschauer weiß, was er bei einem Jarmusch-Film geboten bekommt: auf jeden Fall kein Tempo, aber Stil. Schade nur, dass „The Limts of Control“ darüber hinaus einzig auf der assoziativen Ebene auf sich selbst oder die Zustände der amerikanischen Gesellschaft verweist. Dadurch kann man in diesen prätentiösen Film viel hineininterpretieren – oder es auch lassen.

Die Millionen eines Gehetzten (F/I 1963)

Ein Film, den ich mir irgendwann vor Ewigkeiten einmal in einer Videothek kaufte (das Gütesiegel „SZ Cinemathek“ war schuld) und von dem ich bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Jean-Paul Belmondo spielt in diesem Film von Jean-Pierre Melville („Der eiskalte Engel“) einen ehemaligen Boxer namens Michel Maudet, der seine Freundin sitzen lässt und den skrupellosen Millionär Ferchaux in die USA als sein Sekretär begleitet. Während ihrer gemeinsamen Flucht vor den Behörden bzw. der eigenen Vergangenheit kehren sich jedoch bald die gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnisse um. Bestimmt der autoritäre Ferchaux zunächst über den von ihn bezahlten Maudet, nimmt sich dieser immer mehr Freiheiten in dem Wissen heraus, dass der hypochondrisch nach Gesellschaft begehrende Ferchaux aus Angst vor der Einsamkeit auf ihn angewiesen ist. Weniger ein latent vorgetragener Thriller, ist Melville vor allem eine psychologisch beeindruckende Studie um die Gier und Einsamkeit des Menschen gelungen, die jedoch aufgrund der unsympathisch gezeichneten Charaktere und der distanziert-unterkühlten Inszenierung leider weitgehend kalt lässt.

State of Play – Stand der Dinge (USA/GB/F 2009)

Ein hoch brisanter Thriller um die Verwicklung eines Abgeordneten (blass, aber besser als sonst: Ben Affleck) und eines paramilitärischen privaten Sicherheitskonzerns in mehrere Mordfälle, was von einem alteingesessenen Enthüllungsreporter (hat für die Rolle zugelegt: Russell Crowe) aufgedeckt wird, nachdem dieser selbst ins Fadenkreuz des Mörders geriet. Das Drehbuch von u. a. „Michael Clayton“-Regisseur Tony Gilroy ist komplex, obwohl ich die gleichnamige britische TV-Miniserie, die als Vorbild fungierte, nie gesehen habe. Auf jeden Fall ist der Film ein Hohelied auf die Presse, die aussterbende Art des Enthüllungsjournalisten, die in ihrer ewigen Suche nach der Wahrheit auch nicht bei Freunden halt macht, die Dreck am Stecken haben und ein Plädoyer für den Zeitungsjournalismus, der in den USA zur Zeit eine große Krise erlebt. Wendungsreich, spannend, gut besetzt: so muss ein moderner Journalisten-Thriller aussehen!