Diary of the Dave #6

Also wenden wir uns hiermit den Herren Achod Malakijan und Moncorgé zu. (Ein wirklich komisches Gefühl: die erste Rezension, die ich nach meiner Einstellung bei the-gaffer.de schreibe). Aber es läuft gerade „All Blues“ aus Kind of Blue. Das sollte von zu vielen Hintergedanken ablenken.

Gestern also habe ich mir ein Double-Feature gegeben. Klammer war die Zusammenarbeit zwischen beiden vorhin genannten Herren: Henri Verneuil und Jean Gabin. Nun ja… zu beiden Filmen hat Michel Audiard die Dialoge geschrieben. Und zwar einiges vom Besten, was er je zustande gebracht hat. Ganz großartiger Gabin-Dialog. Und ganz großartiger Belmondo-Dialog. Als Mensch, der die Freuden des Trinkens nicht nur kennt, sondern sogar schätzt, würde ich am liebsten nur über den zweiten Film (“Un singe en hiver”) schreiben. Aber „Le président“ zu vernachlässigen wäre auch nicht gerade charmant. Also…

Michel Audiard hat wirklich ganz großartige Arbeit geleistet, denn die Dialoge sind das wichtigste bei beiden Filmen. Henri Verneuil als Regisseur bleibt… nun ja… unsichtbar? Die Ästhetik der beiden Filme ist nicht schlecht, aber sie drückt sich nicht in den Vordergrund. Die Ausnahme bei Un singe en hiver (Ein Affe im Winter): die Dialog-Szene zwischen Jean-Paul Belmondo und Jean Gabin am Strand, als sie Meeresfrüchte einsammeln, damit Belmondo paella machen kann… ganz plötzlich diese Totale, wo beide am Bildrand stehen. Sehr beeindruckend. Und natürlich der Moment, wo die Kamera quasi in oder sogar hinter der Geschirr-Kommode steht. Gabin ist hinter der mittleren Schranktür zu sehen. Dann macht er die rechte (eigtl. linke) Schranktür auf: Belmondo erscheint und spricht von der Unterhaltung von letzter Nacht, als er betrunken ins Gasthaus zurückgetorkelt kam. Und dass er sich einen Begriff merken konnte, den Gabin genannt hatte: den Jang-Tse-Kjang. Und bäm: da macht Gabin die linke (eigtl. rechte) Schranktür auf und man sieht das höchst besorgte Gesicht seiner Ehefrau. Denn Jang-Tse-Kjang heisst ja so viel wie… TRINKEN! Und natürlich die Szene nachdem Gabin den betrunkenen Belmondo auf sein Zimmer gebracht hat und Belmondo über Spanien und die Stierkämpfe erzählt. Belmondo rechts, Gabin links… und Belmondo im Spiegel reflektiert. Und dann dreht er sich plötzlich dem Spiegel zu…

Bei Le président (Der Präsident) gibt es eigentlich keine solchen Regie-Tricks. Nichtsdestotrotz ein großartiger Film über Politik, Intrigen, Ehrlichkeit, Betrug… und Eier… Denn der Präsident (=Premierminister) Beaufort hat die Eier, alle begonnenen Sachen bis zum bitteren Ende, bis zu den letzten Konsequenzen zu Ende zu führen. Zentrale Szene des Films natürlich: die Debatte bei der Nationalversammlung. EINFACH HERRLICH. Ein großartiger politischer Selbstmord (aus rein machttechnischer Perspektive, denn aus moralischer Perspektive: sehr „lebensbejahend“)! Im Laufe seiner zornigen und wütenden Rede bringt er fast alle Abgeordneten (bis auf die Kommunisten? auf jeden Fall diejenigen, die ganz links sitzen) gegen sich. Insbesondere durch das Verlesen der „Nebenbeschäftigungen“ der Abgeordneten… Hat irgendjemand gerade „Aktualitätsbezug“ gesagt? Wo denn? Ein französischer Film von 1961! Deutsche Bundestagsabgeordnete haben keine Nebenjobs! Im Gegenteil! Ihr Abgeordnetenmandat ist ihr Nebenjob!!! Also: „Le président“: der ideale Film für Politikverdrossene, und Liebhaber großer Dialoge: „Cette Europe du patronat, vous la fairez, mais vous la fairez sans moi. Le gouvernement maintient son projet. L‘assemblée lui refusera la confiance. Le gouvernement sera obligé de démissioner. Et plus jamais vous n‘aurez à marcher derrière moi. Jusqu‘au jour de mes funérailles… funérailles nationales, que vous voterez à l‘unanimité, et ce dont je vous remercie par anticipation!“ ((“Dieses Europa der Unternehmer werden Sie erschaffen, aber ohne mich. Die Regierung hält die Gesetzesvorlage aufrecht. Die Versammlung wird ihr das Misstrauen aussprechen. Die Regierung wird zum Rücktritt gezwungen sein. Und nie wieder werden Sie hinter mir her laufen müssen. Bis zum Tag meines Begräbnisses… Staatsbegräbnis, das Sie einstimmig beschließen werden und wofür ich Ihnen im Voraus danke!“))

Nun von den Politikern zu den Säufern. WAS? Irgendjemand hat gesagt, das wäre das gleiche? Welch Beleidigung… für die Säufer!

Un singe en hiver ist schon sehr schnell einer meiner Lieblingsfilme geworden. Irgendwie stimmt hier alles: Schauspieler (Gabin, Belmondo, Paul Frankeur, Suzanne Flon, Noël Roquevert), Story (alter müder Mann, der früher trank, dabei von China träumte wird von jungem Mann, der viel trinkt und von Spanien träumt, wieder zu Begeisterung erweckt), Dialoge (– “Nous, nous savons encore tenir le litre sans se prendre pour Dieu le père.” – “Mais c‘est justement ça que je vous reproche.” ((- “Wir können noch saufen, ohne uns für Gott den Allmächtigen zu halten.” – “Aber genau das werfe ich Euch vor.”)) ), Musik (zwischen extrem melancholisch, chinoiserie und espagnolade), Humor (“C‘est moi le Christ” ((“Ich bin Christus.”))) und diese kleinen magischen Momente (Belmondo, der auf Tischen Flamenco tanzt, um den Kneipengästen eines verregneten Kaffs in der Normandie zu zeigen, was Sonne eigentlich ist… „C‘est ça le soleil“ ((“Das ist die Sonne.”)))…

Und am Schluss habe ich fast geweint… wie flüchtig eigentlich menschliche Begegnungen sein können: „et le vieil homme entra dans un long hiver“ ((“und der alte Mann trat in einen langen Winter ein”)).

Der Film wurde, glaube ich, bei seinem Erscheinen erst ab 18 freigegeben: graphische Darstellung von Alkoholismus. Es ist auch ein Film über das Träumen, über das Reisen, über das Trinken… und über das Träumen vom Trinken! Beide Charaktere sind eigentlich Unangepasste, für die Trinken ein Mittel zum „Reisen“ ist. Es gilt hier wahrlich: der Weg ist das Ziel. Das „Picon-bière“ ((Mischgetränk aus dem Norden Frankreichs. Ein Bierglas mit einem Schuss Picon (einem französischen Bitteralkohol) wird mit Bier aufgefüllt. Nach einer gewissen Anlaufphase kann man auch zum Verhältnis 1 zu 1 gelangen, wie dies unser Held Gabriel Fouquet in der legendären Kneipen-Sequenz demonstriert.)) ist dabei ein willkommener Ersatz für den Zug. Vordergründig erscheint natürlich: Eskapismus, Vermeidung von Problemlösungen etc. Übersetzt also: asoziales Verhalten, Zerstörung und Selbstzerstörung… etc…

Dennoch strotzt dieser Film nur so von Menschlichkeit. Gabriel Fouquet ist dabei die sympathischste Gestalt der Welt: höflich, leidenschaftlich, betrunken, redegewandt, smart, gut gekleidet, voller Zweifel und Selbstzweifel, schwankend, suchend, voller Liebe, voller Träume, und irgendwie völlig verloren auf dieser Welt: wie… ein Affe im Winter.

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