Wollmilchcast #65 – Captain Marvel

Captain Marvel in der U-Bahn

Elf Jahre nach dem Startschuss des Marvel Cinematic Universe landet mit Captain Marvel der erste MCU-Solo-Film einer weiblichen Heldin in den Kinos. Brie Larson spielt die Hauptrolle, die beiden Half Nelson-Macher Anna Boden und Ryan Fleck führen Regie. Im Podcast besprechen wir, ob Captain Marvel aus dem House Style des MCU ausbricht, wie sich die Action gestaltet und warum ein Film voller 90er-Nostalgie sich eher anfühlt, als würde er in den 80er Jahren spielen.

Eigentlich sollte dieser Abschnitt nur eine halbe Stunde dauern, doch die Diskussion über den neusten Cap im Marvel-Universum sollte nicht enden. Vor Spoilern wird gewarnt! 

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Anna Karenina choreographiert von Joe Wright

Joe Wrights Filme gleichen im besten Falle 90-minütigen Tänzen, egal ob seine Kamera ihre Pirouetten nun durch das England der Regency, über den Strand von Dünkirchen oder in die Unterführung am ICC dreht. Da wundert es nicht, dass der eher in die Vertikale tendierende, jedoch in seinem Wesen statische Solist sich wie ein Fremdkörper in der Filmografie anfühlt. Nun also Tolstoi. Der erste Trailer für Anna Karenina zeigt dem großen Gatsby der Marke Luhrman jedenfalls, wo die Harke in Sachen Literaturverfilmung hängt. Wright scheint hier nun in jeder Hinsicht frei zu drehen und ich freu mich drauf. Am 25. Oktober startet Anna Karenina in den deutschen Kinos.

Sherlock Holmes: A Game of Shadows Trailer

Sherlock Holmes (Kritik) von Guy Ritchie war eine der positiveren Blockbuster-Überraschungen der letzten Jahre, weshalb die Idee eines Sequels zur Abwechslung mal nicht Brechreiz auslöst. Genau das kommt am 22. Dezember in die deutschen Kinos, heißt Sherlock Holmes: A Game of Shadows und kann nun einen ersten Trailer vorweisen. Der sieht ganz nett aus und präsentiert sogar Noomi Rapace (Verblendung) an prominenter Stelle. Jared Harris wiederum spielt Professor Moriarty, von dem wir in den zwei Minuten etwas zu viel zu sehen bekommen. Aber vielleicht hänge ich nur den Brad Pitt-Gerüchten nach, die beim Kinostart des ersten Teils die Runde gemacht hatten.

Falls die YouTube-Version gelöscht wird, kann man den Trailer für “Sherlock Holmes: A Game of Shadows” auch bei Apple ansehen.

(via filmbeef)

Kontrapunkt: Kino pur V

Da bin ich ja mal wieder sehr kreativ bei den Filmen, die ich innerhalb der letzten Tage gesehen habe, aber was soll’s.

Repo Men (USA/CDN 2010)

Ein abartig blutiges und brutales Herumgeschnetzel mit wenig originellen Ideen, das von „Die Insel“ über „Repo! The Genetic Opera“ bis hin zu „Blade Runner“ die Filmgeschichte der letzten fast 30 Jahre plündert. In einer merkwürdigen Zukunftswelt können dabei Organe synthetisch erzeugt und dem zahlenden Kunden eingepflanzt werden. Doch wenn der nicht zahlt, werden die ihm wieder entnommen. Eines Tages gerät – na klar – einer der „Entnehmer“ (blass: Jude Law) in dieselbe missliche Lage und will zusammen mit einer weiblichen Ansammlung von Ersatzorganen das System zerstören. Hübsch anzuschauen mit einem ziemlich kranken (unfreiwilligen?) makabren Humor, aber bar jeglicher Intelligenz und mit einem Forest Whitaker, der sich als dümmlicher Sidekick gehörig blamiert. Mehr dazu von mir bei MovieMaze.

Easy Virtue – Eine unmoralische Ehefrau (GB/CDN 2008)

Oder: Wie man den Zuschauer über 90 Minuten mit der Unvereinbarkeit von lockerer amerikanischer Lebensart und britischer Aristokraten-Etikette nervt. Die Fettnäpfe, die Amerikanerin Larita (Jessica Biel) beim Besuch der Familie ihres englischen Mannes nicht auslässt, sind hin und wieder witzig (versehentlich getöteter Hund, Entehrung einer blankziehenden Tochter der Familie), vermögen aber diesen zähen und wendungsarmen Mischmasch aus Familiendrama und Lebensart-Komödie nicht zu tragen. Öde schleppt sich der Zickenkrieg zwischen Larita und der argwöhnischen Schwiegermama (Kristin Scott Thomas) mit einigen Lachern und – das Highlight – einem souverän agierenden Colin Firth als sarkastischem Familienvater bis zum offenen Ende dahin, das man irgendwann auch flehend herbeisehnt. Dann doch lieber weniger Cultureclash und noch einmal „Meine Braut, ihr Vater und ich“ schauen.

Sherlock Holmes (USA/D 2009)

Spätestens durch Gil Grissom wurde der Geek im Fernsehen zum salonfähigen Helden gemacht. Für alle, die noch nicht seine Bekanntschaft gemacht haben: Grissom war Chef der “C.S.I.”-Nachtschicht in Las Vegas. Er ist ein Mann vieler Talente, an deren erster Stelle nicht unbedingt soziale Kompetenz steht. Doch seine herausragenden Eigenschaften wiegen diesen minimalen Makel locker auf. Wer braucht schon Übung im Umgang mit Lebenden, wenn er hauptsächlich mit den „Toten redet“ (sein liebster Ausspruch)? Grissom ist jedoch nicht nur ein Experte der Kriminologie. Er hat auch interessante Hobbies. Dazu gehört beispielsweise sein Faible für Insekten aller Art. Grissom – oder nennen wir ihn lieber Gil, jetzt wo wir ihn besser kennen – dieser Gil beteiligt sich in seiner Freizeit z.B. an Kakerlaken-Rennen. Die Expertise in abwegigen Gebieten der Wissenschaft (und Kultur) macht Gil nämlich zum Geek und Geeks sind normalerweise keine Helden. Geeks sind Nebendarsteller, sie gehören zum farbenfrohen Hintergrund. Der Grat zwischen Geek und Freak ist immerhin recht schmal, zumindest aus Sicht der Außenwelt. Gil Grissom jedoch ist der Held einer Serie, die voll von seinesgleichen ist und Arthur Conan Doyle wäre sicherlich stolz auf ihn. Sherlock Holmes, seine größte Schöpfung, wurde zum Sinnbild kriminalistischer Untersuchungen mittels der Ratio, mittels der logischen Verkettung von Beweisstücken zu einem plausiblen Tathergang.

Sherlock Holmes ist eigentlich nichts anderes als eine Frühform des Geeks. Er ist ein Experte verschiedenster Wissenschaften, hat eine Monografie über die Asche von unzähligen Tabaksorten verfasst und neigt zu verschrobenen Verhaltensweisen. Holmes ist ein Geek, dem die Arbeit, die Erkenntnis, über übliche Konventionen des viktorianischen Zeitalters geht. Ein ewiger Junggeselle ist er, der angeblich nur eine Frau wirklich geliebt hat und mit seinem Kompagnon Dr. Watson eine WG teilt. In diesen beiden Merkmalen findet Guy Ritchies Filmversion Sherlock Holmes seine drehbuchtechnischen Knackpunkte. An erster Stelle steht die Bedrohung des Junggesellen-Paradieses, denn Watson gedenkt, zu seiner Verlobten zu ziehen. Fast schon ein wenig brillant ist die Idee, eine Frau zwischen die beiden Männer zu platzieren, die fruchtbare Zweisamkeit der beiden zur Disposition zu stellen. Kann Holmes ohne Watson funktionieren? Wie sieht es mit Watson aus, der immerhin auch auf seinen Kollegen angewiesen sein muss; irgendwie? Eben darin liegt ein zweiter, fast schon brillanter Zug des Films begründet. Denn der Watson dieses Filmabenteuers, hier von Jude Law einnehmend gespielt, ist einer der wenigen Watsons der Filmgeschichte, die sich tatsächlich unentbehrlich machen. Laws Doktor ist kein blasser Stichwortgeber, kein Stellvertreter des Zuschauers, dem der Plot erklärt werden muss. Er ist auch kein zwanghaft eingeführtes comic relief. Er hat einen Charakter und die Besonderheit dieser Herangehensweise ergibt sich aus Holmes’ Abhängigkeit von seinem Freund. Watson gehört zu Sherlock Holmes, nicht weil er als Alter Ego des Autors alles miterleben, alle Ereignisse für die Nachwelt notieren muss, sondern aus dem einfachen Grund, dass Holmes ihn braucht, nicht nur als Freund, auch als Verbindungsstück zwischen geistigem Geek-Exil und Außenwelt.

Dieses Exil wird in Ritchies Version deutlicher in den Vordergrund gerückt als anderswo. Vielleicht liegt die Wahl auch ein wenig am Hauptdarsteller. Robert Downey Jr. pflegt seit seinem zweiten (?) Comeback in seinen Rollen gern die Brillanz am Abgrund, etwa in Gestalt des Journalisten Paul Avery (“Zodiac”), der dem Alkohol verfällt. Nach Tony Stark (“Iron Man”) stellt Holmes nun einen weiteren Abstecher in diesen Rollentypus dar. Downey besitzt genug Charisma, um diese Wiederholung ansprechend erscheinen zu lassen, doch ein wirklich neuer Holmes ist ihm nur insoweit gelungen, als ein “Downey-Holmes” daraus geworden ist. Der große Detektiv scheint sich selbst verloren zu haben in den Untiefen seines unordentlichen Arbeitszimmers und Watsons Aufgabe, ihn tagtäglich ins Sonnenlicht zu zerren, wird durch seine drohende Domestizierung in Gefahr gebracht.

Ritchies Holmes-Film, der ganz klar als Vorbereitung von einer oder mehreren Fortsetzungen angelegt ist, gerät nicht zuletzt auf Grund dieses Konfliktpotenzials ein wenig überladen. Der Plot um die wundersame Auferstehung des hingerichteten Schurken Lord Blackwood (seinen Rollennamen voll und ganz verdienend: Mark Strong) ist ein wenig altbacken. Vor allem die skurrilen Handlanger – vom rothaarigen Zwerg bis zum grobschlächtigen Riesen – machen diesen Erzählstrang überhaupt interessant. Man kann konstatieren: Ritchies große Stärke ist hier wie schon in seinen früheren Filmen, die Charakterisierung mit wenigen filmischen Pinselstrichen. Insgesamt steht diese, den Film dominierende Handlung jedoch im Schatten der Andeutung des Sequels. Irene Adler (Rachel McAdams), besagte Ex-Geliebte von Holmes, mischt sich nämlich ins Geschehen ein. Sie steht im Auftrag eines mysteriösen Professors. Der heißt natürlich Moriarty und gegen Moriarty kommt im Holmes-Universum niemand an. Der Film wirft somit die ikonischen Figuren Doyles ins Feld, um den Zuschauer anzufixen. Es fehlt eigentlich nur noch Mycroft Holmes. Dass “Sherlock Holmes” trotz latenter Überlastungserscheinungen darin erfolgreich ist, liegt zum einen an der gekonnten Anreicherung mit einfallsreichen set pieces. Die “umwerfende” Prügelei in einer Werft ist hier als Beispiel zu nennen. So körperbetont war noch kein Holmes, doch allzu sehr weicht der Film dann doch nicht vom Mythos ab. Andererseits besticht Ritchies filmisches Comeback durch den einnehmenden Wortwitz samt Situationskomik, die beide das Tempo gehörig anziehen. Der im Ghetto britischer Gangsterfilme tot geglaubte Ritchie kann offensichtlich gute Blockbuster drehen. “Sherlock Holmes” ist dem Großteil der gegenwärtigen Konkurrenz durch seine Detailverliebtheit und die Betonung des Lokalkolorits weit voraus. Ritchies Vision vom London des ausgehenden 19. Jahrhunderts lässt einen deshalb wünschen, er hätte Hand angelegt an die Verfilmung von Alan Moores “The League of Extraordinary Gentlemen”.

Doch über allem schwebt die unbestreitbare Chemie zwischen Downey und Law, Holmes und Watson, dem eigenbrötlerischen Genie und seinem Tor zur viktorianischen Normalität. Gesellt sich im nächsten Teil in Gestalt  von Professor Moriarty der Größte aller Widersacher zu den beiden ins Scheinwerferlicht, wird die Freude womöglich noch anwachsen darüber, dass der Meisterdetektiv endlich wieder den Weg zurück ins Kino gefunden hat. Bis dahin kann “Sherlock Holmes” sich getrost als überaus sympathischer Actionfilm feiern lassen, den man allemal kämpfenden Robotern und blauen Außerirdischen vorziehen kann.


Zum Weiterlesen:

Meine Kritik zur 14-teiligen “Sherlock Holmes”-Kinoreihe mit Basil Rathbone und Nigel Bruce.