#127 – Todd Haynes’ Vergiftete Wahrheit & Michael Manns Insider

Vergiftete Wahrheit heißt der neue Film von Todd Haynes (Carol) in Deutschland. Diese Wahrheit findet Anwalt Mark Ruffalo in den Bächen West Virginias, die durch die Chemie-Abfälle des Konzerns DuPont vergiftet wurden. Als Vergleich für den Podcast ziehen wir den rund 20 Jahre älteren Insider heran. Der Film von Michael Mann basiert ebenfalls auf einer Tatsachengeschichte und schickt Russell Crowe und Al Pacino in den Kampf gegen den Goliath Zigarettenindustrie. Viel Spaß!

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Kontrapunkt: DVD-Premieren II

Stars im Film und trotzdem ist US-Filmen kein deutscher Kinostart vergönnt? Das könnte an unerfüllten kommerziellen Erwartungen oder an der fragwürdigen Klasse der Filme liegen. Hier der Beweis, dass sich beides nicht unbedingt gegenseitig ausschließt.

Boston Streets (USA 2008)

Regiedebütant Brian Goodman hatte es in seinem Leben bisher nicht leicht. In seiner Jugend rutschte er ins Verbrechermilieu ab, wurde alkohol- und drogenabhängig, schaffte aber nach einer Gefängnisstrafe den Ausstieg und brachte Frau und Kinder auf legalem Wege durch. Das ist zumindest die als autobiografisch präsentierte Geschichte, die in diesem zwar gut besetzten, aber leider eindimensional anmutenden Thriller- drama erzählt wird. Ethan Hawkes Figur ist an Stereotypie kaum zu überbieten und mit Mark Ruffalo als Hauptfigur scheitert jegliche Identifizierung. Zudem beginnt die episodenreiche, reichlich elliptisch Erzählweise alsbald zu nerven. Doch immerhin ist Goodman um die präzise Dokumentation des Alltags der beiden Freunde bemüht, zeigt die (familiären) Konflikte und Probleme auf und trägt sie auch aus. Das taugt trotz einiger Klischees zumindest als eine glaubwürdige Milieustudie.

Ca$h (USA 2010)

Hat man sich diesen gescheiterten Versuch einer launigen Thrillerkomödie angeschaut, ist man reichlich enttäuscht. Man fragt sich stets, was Tarantino und seine Epigonen aus der Storyline (abgezockter Gangster will seine Beute von einem ahnungslosen Pärchen zurück und stiftet selbiges zu Überfällen an) gemacht hätten. Das beginnt bei dem miesen Drehbuch (kaum pointierte Dialoge, kaum Tempo) und endet bei der mit Sean Bean (Boromir!!!) eigentlich gut besetzten Gangster-Hauptfigur. Letztere ist trotz aller Diabolik und Gelassenheit keine coole Sprüche klopfende und wild um sich ballernde Actionikone, sondern ein kühl (be)rechnender Analytiker, der immer den aktuellen „Kontostand“, wie viel Geld noch fehlt, im Kopf hat. So setzt sich der Film mehr aus befremdlichen Zahlenkalkulationen und angespannten Situationen um das vorübergehende unfreiwillige Zusammenleben von Gangster und Pärchen (das zunehmend Verbrechen cool findet) zusammen als aus Actionsequenzen, für deren Generierung bei dem sichtlich schmalen Budget (ca. 15 Mio. Dollar) wohl kein Geld mehr übrig war. Keine flotte, sondern nur ein reichlich schläfrige Räuberpistole ohne Kugeln im Lauf.

Shutter Island (USA 2010)

Schon der Trailer von Martin Scorseses Shutter Island hat ein kleines Raunen in der vielsprachigen Filmcommunity verursacht.  Der würde nämlich den Twist verraten, hat man hie und da verkündet. Kenner der Buchvorlage von Dennis Lehane  klinkten sich ein in den Chor und schon wurde gespannt darauf gewartet, wie der Film diesen Fauxpas im Marketing ausbügelt. Liest man nun die Kritiken zum neuen Scorsese, scheint “Shutter Island” in der Bewertung irgendwo zwischen zwei Polen zu schwanken: Der Film droht zum einen, auf den erwähnten Twist reduziert, zum anderen als Genre-Übung eines Altmeisters abgetan zu werden. Die einen bemängeln die Vorhersehbarkeit (dazu später mehr), die anderen die oberflächlichen Freuden, welche er bietet. In jedem Fall aber ist “Shutter Island” ein absolut typischer Scorsese und dieses Urteil bezieht nicht nur seine Markenzeichen, sondern auch seine wiederkehrenden Problemzonen mit ein.

Über die weite See fährt zu Beginn das Schiff, welches den Marshal Teddy (Leonardo DiCaprio) und seinen Partner Chuck (Mark Ruffalo) zum düsteren Ashecliff Hospital auf Shutter Island bringen soll. Es ist eine Fahrt aus dem Nichts zur von Wellen umwogten Insel. Das Schiff schält sich dabei  in einer Einstellung gar aus dem Nebel heraus, als hätte „Fluch der Karibik“ Pate gestanden. Es ist die Ankündigung des Genres mit Hilfe eines visuellen Klischees, aber genauso eine Warnung; eine Warnung an den Zuschauer, dass das Shutter Island, welches wir zu sehen bekommen werden, kein gewöhnlicher Ort ist, kein normaler Tatort. Inszeniert wie ein Geisterschloss wird es von einem dazu passenden Geisterschiff besucht, dem der Held entsteigt. Eine Patientin (Emily Mortimer) ist verschwunden (die Genre-Klischees häufen sich), ihr behandelnder Arzt zufällig verreist (die Alarmglocken des Rezeptions-erprobten Zuschauers beginnen im Hinterkopf zu läuten), die Verantwortlichen der Anstalt scheinen an einer Aufklärung nicht sonderlich interessiert zu sein (hier wird etwas vertuscht!). Ungereimtheiten in den Patientenakten und verschreckte Insassen führen Teddy zum Schluss, das etwas faul ist in der Anstalt Ashecliffe und er ist der Mann, der dem auf den Grund gehen muss.

„Shutter Island“ wäre jedoch kein Scorsese, wenn der Protagonist sich nicht selbst durch seinen Wahn in Gefahr bringen würde. Hinzu kommt noch das Problem der Sympathie, denn Scorsese-Helden wollen wir nicht unbedingt kennenlernen. Lieber betrachten wir ihren Verfall (Jake La Motta), ihre Selbstzerstörung (Howard Hughes), die Sogwirkung, von der sie sich in eine Spirale der Gewalt ziehen lassen (Travis Bickle). Diese Scorsese-Helden tragen meist selbst Schuld an ihrem Untergang, weshalb die distanzierte Beobachtung ihrer implodierenden Energie eher der Arbeit an einem Seziertisch gleichkommt als der eines meisterhaften Erzählers, der uns in die Aufs und Abs ihrer Lebensbahnen förmlich einnäht. Das hat Scorsese schon in „Mean Streets“ durchexerziert und „Shutter Island“ ist keine Ausnahmeerscheinung. Mit seiner zu jeder Zeit angespannten (lies: angep***ten) Mimik wandert Teddy über die Insel und markiert den abgehärteten Cop, dessen Umgangston in wenigen Sekunden in Handgreiflichkeiten umschlagen kann. Dass DiCaprio für die Rolle des Teddy, wie in den meisten anderen Filmen der letzten Jahre auch, fehlbesetzt ist, kann kaum mehr als Überraschung bezeichnet werden. Der Scorsese-Held steht dem Mann mit den weichen Gesichtszügen nicht, er wird ihm nie entgegenkommen. Das sind freilich Rollen für Robert DeNiro, Daniel Day Lewis, den Nic Cage der neunziger Jahre.

Diese Erkenntnis ändert jedoch nichts daran, dass wir nun vor diesem Film mit Namen „Shutter Island“ stehen und DiCaprio als Teddy einen erneuten Versuch unternimmt, die männliche Härte mit verbissener Überspanntheit zu simulieren. So angestrengt sein Spiel gerade im Angesicht solcher Veteranen wie Ben Kingsley, Max von Sydow, aber auch seiner Film-Ehefrau Michelle Williams wirkt, so sinnig ist eigentlich ihre entfremdende Wirkung. Teddy ist unser roter Faden im Irrenhaus, doch ohne Umschweife zieht der Film die Vernunft desselben in Zweifel. Seine Frau ist gestorben, ermordet von einem Feuerteufel und der qualvolle Verlust verfolgt den Witwer in seinen (Tag-)Träumen. Die von Scorsese farbenprächtig inszenierten Albträume strotzen vor großzügig eingesetzten C.G.I.-Bildern. Demgleich ist jedoch auch die unruhige See, über welche die Cops zu Beginn tuckern, eine vom Computer generierte Rückprojektion; ist Shutter Island selbst von Anfang an in seiner Anhäufung der visuellen Topoi eine offensichtlich digitale Vision.

Scorseses Irrenhaus-Film ist also wie schon sein Remake von J. Lee Thompsons “Kap der Angst” ein überaus selbstreflexiver Genrefilm, sozusagen der Tarantino in seiner sowieso schon an Genres orientierten Filmografie. Ebenso wie jener erste Blockbuster seines Oeuvres ist “Shutter Island” mit psychologischen Nuancen versetzt, die dem Thriller nicht unbedingt zufliegen. War es im Remake noch die Psychoanalyse und die Gefahr der sexuellen Befreiung und damit der Zersetzung der Familie, die der Ex-Häftling Max Cady (DeNiro) verkörperte, ist “Shutter Island” durchzogen von Formen der Traumabewältigung im Kleinen (die schreckliche Tat) und im Großen (der Holocaust). Deswegen sind die überzeugenden Argumente für den neuen Scorsese kaum an seiner Genre-Oberfläche (Suspense! Horror! Thriller! und natürlich Twist!) zu finden. Der Scorsese-Held wird in “Shutter Island” vom Kind der Einwanderer in den amerikanischen Helden verwandelt, einen früheren Soldaten, der an der Befreiung Dachaus Teil hatte. Doch der Held ist gebrochen. Er wurde von seinen Traumata verzehrt, weshalb der Film als verschachtelter Kommentar jüngerer zeitgeschichtlicher Ereignisse weitaus befriedigender ist als irgendeine überraschende Wendung.

It's a Mad Mad Mad Scorsese

Es ist ja immer zu begrüßen, wenn Hollywood und erst recht Martin Scorsese zur Abwechslung mal keine Remakes von besseren asiatischen Filmen in die Kinos bringt, doch ganz besonders wird das Fan-Herz von frohen Erwartungen erfüllt, wenn ein Meisterregisseur mal etwas neues ausprobiert. Basierend auf dem Roman von Dennis Lehane (“Mystic River”, “Gone Baby Gone”) erzählt sein neuer Film Shutter Island von zwei U.S. Marshalls (Leonardo DiCaprio und Mark Ruffalo), die in den 50er Jahren seltsame Geschehnisse in einer Psychiatrie auf einer abgelegenen Insel untersuchen müssen.

Deswegen wirkt der Anfang des nun veröffentlichten Trailers auch wie “Fluch der Karibik 4”, aber davon sollte man sich nicht täuschen lassen. “Shutter Island” scheint handfeste Psycho-Thriller-mit-B-Picture-Anleihen-Kost zu sein, und kommt ganz ohne Mafiosi und Jack Nicholson aus. Neben Ruffalo und DiCaprio werden sich u.a. – und das macht den Film umso vielversprechender – Emily Mortimer, Ben Kingsley, Jackie Earle Haley, Michelle Williams und Patricia Clarkson die Ehre geben. An dieser Stelle verzichte ich sogar auf das übliche Leo-Dissing, weil er zumindest im Trailer ausnahmsweise mal nicht deplatziert oder nervig wirkt.

“Shutter Island” startet am 8. Oktober in den deutschen Kinos. Den Trailer gibt es auch hier als YouTube-Version.

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