Die Wilden Zwanziger (USA 1939)

Die wirtschaftliche Depression wütet im Land und die wie auch immer gearteten Großen sind daran schuld. Da verbündet sich der Zuschauer im Geiste gern mit jenen, die Bossen und Politikern ohne Rücksicht auf Verluste Paroli bieten. Dieses filmhistorische Erklärungsmuster ist eine wunderbare Allzweckwaffe, wann immer die meist fatal endenden Abenteuer eines Gangsters die Zuschauermassen an die Kinokassen locken. Raoul Walshs Die Wilden Zwanziger gibt sich als so etwas wie der lebhafte Niederschlag solch einer Logik auf Zelluloid. Gänzlich vom Tisch kann man diese Art von Begründung sicher nicht fegen, denn manches Mal zwingen die Trends der Genrefabrik Hollywoods auf der einen und der gesellschaftlichen Entwicklung auf der anderen Seite dem um Erklärung Bemühten solche Kausalitäten mit aller Gewalt auf. Die frühen dreißiger Jahre des klassischen Hollywoodkinos sind exemplarisch dafür. Kein Buch über die Filmindustrie während der Großen Depression kann man aufschlagen, ohne einen Paragraph zu diesem Thema zu finden. Demnach barg, folgt man der gängigen Interpretation, die Zeit vor dem Amtsantritt Franklin D. Roosevelt fruchtbaren Boden für gewissenlose Gangster aus Einwandererfamilien, die Könige der Welt sein wollten, doch ihren zusammengeklau(b)ten Reichtum schlussendlich im tödlichen Kugelhagel aufgeben mussten. Stichwortartig sind die geballten Argumente für diese Entwicklung skizziert: Nicht nur Post-Börsenkrach, auch Prä-New Deal; Bank Runs wechseln sich mit Schließungen von Kinos im ganzen Land ab; der Production Code für die Selbst-Zensur der Filmindustrie existiert (seit 1930), wird aber nicht durchgesetzt (erst 1934); also auch noch eine Prä-Breen-Office-Zeit. Auf filmtechnischer Ebene ist da natürlich noch der Ton, der die hämmernden Maschinengewehrsalven endlich spürbar in den Kinosaal transportiert. Gleichzeitig: Bonnie & Clyde ziehen durch das Land. John Dillinger und Baby Face Nelson sind auch on the road. Kein Alkohol legal zu kaufen im Laden, der Kater aber am Morgen nach  dem abrupten Ende der Roaring Twenties ist gewaltig. Al Capone trägt den Titel “öffentlicher Feind”, doch das Gefängnis wartet bereits.

Die große Zeit der psychotischen Gangster ist kurz, Howard Hawks’ “Scarface” für’s erste ihr krönender Abschluss. So will es die Filmgeschichtsschreibung, welche im wirtschaftlichen Wiederaufbau des ersten und zweiten New Deal, sowie der sich schließlich in Gestalt katholischer Moralwächter doch noch realisierten Zensur die Zugpferde ihrer Argumentation sieht. Deshalb werden aus den glorifizierten Monstern plötzlich Opfer der gesellschaftlichen Umstände, aus den antisozialen und gewalttätigen Ehrgeizlingen der Unterwelt gute Männer, die in die Ecke getrieben werden. Verbrechen lohnt sich nicht. Der öffentliche Feind und der kleine Caesar verwandeln sich in Engel mit schmutzigen Gesichtern. Noch immer stammen die Stories aus den Schlagzeilen der Zeitungen. Allerdings ist früher oder später jede Neuigkeit Geschichte. Als Edward G. Robinson nach Vorbild Al Capones seinen Rico Bandello spielte, war das reale Gegenstück noch auf freiem Fuß. So unmittelbar fußten die Filme auf dem Zeitgeschehen, dass die Effizienz und Dynamik der Studios Bewunderung hervorruft. Wenige Jahre und geschichtliche Meilensteine später ist James Cagney noch immer der Leinwandgangster par excellence, “Die Wilden Zwanziger” allerdings im Gestus ganz klar ein Rückblick auf eine vergangene Epoche und eine filmische Grenzziehung innerhalb des Genres.

Dokumentarisch angehaucht durch News-Meldungen, welche den Erzähler zunächst in der Gegenwart – Roosevelt an der Macht, der Krieg steht vor der Tür – lokalisieren, dann den Blick zurück werfen auf den letzten Weltkrieg und uns Stück für Stück durch die folgenden Jahre die historischen Entwicklungen (Prohibition, Börsenkrach – die alte Leier) näherbringen. Der exemplarische Gangster, an Hand dessen der Film den Wandel Amerikas in diesen Jahren abhandelt, heißt Eddie Bartlett (James Cagney). Ein guter Kerl ist er, der für den Rest seines Lebens Autos reparieren will. Doch als er aus dem Krieg heimkehrt, sieht er sich von der ehemaligen Heimatfront verlassen. Arbeitslos und von der Gesellschaft, für die er sein Leben auf’s Spiel gesetzt hatte, enttäuscht, gerät er durch einen Zufall in den Kreis von Alkoholschmugglern. Was folgt, ist klar. Das erzählerische Muster  dahinter greift mit der Feinheit eines Vorschlaghammers. Der Sündenpfuhl der Zwanziger verführt Bartlett wie einst der Apfel im Paradies. Er macht Geld, verliebt sich in die falsche Frau und sucht sich – anscheinend ein ehernes Gesetz des Gangsterfilms – irgendwann die falschen Freunde aus (u.a. Humphrey Bogart), die ihr Geschäft zu weit treiben.

Cagney zeigt sich hier zumeist von seiner wachsweichen Seite, nicht ganz die pure Aggression, nicht ganz die nette Musical-Persona, die man sonst von ihm kennt. Klar ist: “Die Wilden Zwanziger” ist ein Cagney-Film, was nicht suggerieren soll, dass Walshs Leistung mangelhaft ist. Zum Vergleich: Cagneys größte Rolle, die gleichzeitig seine Rückkehr zum Gangsterfilm bedeutete, kann in “White Heat” (1949) bestaunt werden. Den kann man  aber getrost einen ‘Raoul Walsh-Film’ nennen, keinen ‘Cagney’. “Die Wilden Zwanziger” hingegen überzeugt als souverän abgelieferte Studiokost, die nach allen Regeln der damaligen Kunst definiert, was dieses Urteil zu bedeuten hat: ein Gangsterfilm mit Star-Aufgebot, doppelbödigen Dialogen, Gesangseinlagen, komischem Sidekick und einer wasserdichten Message. Das alles  wird homogen verpackt zu einem kinematografischen Produkt, welches durch seine didaktische Vorgehensweise einen manchmal nostalgischen, manchmal hysterischen Blick auf die grenzenlose Genusssucht der Zwanziger wirft (betrunkene High School Kids, die erst knutschen und dann ihr Auto gegen einen Baum fahren!), um anschließend die Geschichte mit Wirtschaftskrise und FDR in die Ausnüchterungszelle zu werfen. So wie die Gesellschaft im Film schließlich geläutert wird, verkörpert “Die Wilden Zwanziger” gleichsam den Gangsterfilm der besonnenen Sorte, der ein bisschen fad geraten kann.

Kontrapunkt: Trash VI

Was haben nackte, masturbierende Frauen, ekelhafter Schleim und angreifende Plastikmonster gemein? Eigentlich nichts – außer dass ich vergangene Woche allesamt von ihnen heimgesucht wurde.

Engel mit schmutzigen Flügeln (D 2009)

Unfreiwillig komische Tanzeinlagen, eine theaterhafte Inszenierung, hölzern umgedichtete und aufgesagte philosophische Zitate (“Ich ficke, also bin ich”), unterdurchschnittliche Darsteller(innen)leistungen, und keine Story. Diese in ihrer Konsequenz misogyne Aneinanderreihung von unmotivierten Fahrten mit Motorrädern und Antje Mönnings entblößten Geschlechtsteilen ist eine plumpe Provokation, die nur selten nach- denkenswerte Ansätze um Selbsterkenntnis und Ich-Konstitution liefert. Da kann das rebellische Credo des gänzlich unabhängigen Filmemachens in Amateurfilmoptik mit wenig Geld, aber umso mehr Herzblut noch so radikal verteidigt werden: das Ergebnis ist haarsträubend einfältiger Trash ohne Sinn und Verstand!

Das Bildnis der Doriana Gray (CH 1976)

Ja, man liest richtig: Dieser Film handelt vom Bildnis der Doriana, nicht dem Dorian Gray, dessen x-te Verfilmung mit Colin Firth im April in den deutschen Kinos anläuft. Jess Franco inszenierte seine eigenwillige Oscar Wilde-Adaption mit “Der Mann in der eisernen Maske”-Anleihen als Erotikdrama, in welchem eine lüsterne, aber orgasmusunfähige Schlossherrin, die ihre Lover/-innen beim Sex tötet, und deren Zwillingsschwester in der Psychiatrie (Lina Romay in einer Doppelrolle) in einem ominösen Zusammenhang zueinander stehen. Abseits des wiederkehrenden Einsatzes von Spiegeln als penetranter Metapher zeugt die einfallslose und reißerische Inszenierung dieser miesen Muschiparade von der Unfähigkeit des Regisseurs, der literarischen Vorlage annähernd Herr zu werden. Trotz der Laufzeit von gerade einmal 69 Minuten ein quälend-langweilige und zähe Angelegenheit, die einzig von Franco-Gattin Lina Romays dauerhaft entblößter Weiblichkeit in zahlreichen Masturbations- und Lesbenszenen lebt, immerhin halbwegs erotisch fotografiert.

Power Rangers – Der Film (USA/J 1995)

Wie würde Android Alpha zu dieser Kinoadaption der bekannten (und dümmlichen) TV-Serie sagen: “Eijeijeijeijei!!!”. Da wird bei Bauarbeiten zufällig das Gefängnis des bösen Magiers Ivan Ooze entdeckt und schließlich von den bösen Monstern um Zauberin Rita geöffnet. Ivan Ooze stattet erst Erzfeind Zordon im Power Rangers-Hauptquartier einen fatalen Besuch ab, bevor er die Erwachsenen im Ort Angel Grove durch die Verbreitung seines widerlichen Schleims zu willenlosen Zombies macht. Es ist an den Power Rangers, auf einem fremden Planeten nach mordsmäßiger Ultra-Power zu suchen, um Zordon zu retten und schließlich bei einem finalen Fight gegen das riesige Plastikmonster von Ivan Ooze anzutreten. Über die hanebüchene Story hinaus sind die Mängel des Films vielerlei: extrem entbehrliche Nebenfiguren – wobei Bulk und Skull den Jar Jar Binks-Nervigkeitsgedenkpreis verdienen – mäßige CGI-Effekte und grelle Farben überall, dämliches Rumgefuchtel mit den Armen als martialische Gesten. Trashig und hohl, aber zumindest hin und wieder unterhaltsam.

This is England (GB 2006)

Nach eigenen Aussagen basiert This is England auf Kindheitserfahrungen des Regisseurs Shane Meadows. Doch ein dreckiges Sozialdrama im Geiste von “Die Asche meiner Mutter” hatte er offenbar nicht im Sinn; zumindest nicht ganz. Der Film schildert einen zeitlichen Ausschnitt aus der Thatcher-Ära durch die Augen der Unschuld.  Ein bewährtes Erzählmittel ist das, bestens geeignet für die Synthese von naiver Außen-, dann Innensicht. Nun ist es der zornige Shaun (Thomas Turgoose), der unseren Blick auf das England der frühen achtziger Jahre und insbesondere die Shinhead-Kultur führt. Im Sommer 1983, ein Jahr nachdem er seinen Vater im Falklandkrieg verloren hat, wandert der 12-jährige Einzelgänger ziellos durch die englische Vorstadtwelt. Seine liebevolle Mutter glänzt mit Abwesenheit und schrecklich authentischer Fön-Frisur. Shaun ist ein angry young boy, der kleine Bruder der rebellischen Helden britischer Klassiker wie “Saturday Night and Sunday Morning” und “The Loneliness of the Long Distance Runner”, in deren Fußstapfen Meadows mit diesem Werk durchaus zu treten vermag.

Zugleich zeugt der Film von einer Vorliebe für die Popkultur dieser Jahre, die sich in seiner Ästhetik äußert. Ska und Reggae durchströmen den Film wie die jungen Ohren seiner Protagonisten, verhelfen zu einer Vitalität, die ihn auch dank seiner sprühenden Farbwelt von den üblichen kitchen sink-Dramen, für welche die Insel sonst bekannt ist, abheben.  Die Jugendultur, welcher sich der Film und mit ihm Shaun annähert, ist die Skinhead-Szene am Scheideweg vor der Vereinnahmung durch den Nationalismus. Der vorlaute Außenseiter, der seine verletzliche Schale mit Prügeleien zu verteidigen sucht, findet in einer Gruppe von etwas älteren Skins für kurze Zeit eine Ersatzfamilie. Der großen Desillusionierung, welche in (prä-)Adolszenz-Narrationen wie dieser folgen muss, geht allerdings keine paradiesische Überhohung voran. Die Jugendlichen leben in einem Land, von dem sie sich entfremdet zu haben scheinen. Ein Land, welches Kriege führt, deren Grund kein Mensch nachvollziehen kann, deren Opfer sie indessen in ihren Reihen zu verschmerzen haben. Ein Land, das ihnen keine Perspektive bietet. This is England. Arbeit spielt kaum eine Rolle in ihrem Leben, ebenso wie die Schule. In der Identifikation mit der Subkultur, ihrer Kleidung, ihrer Musik, ihren “Mitgliedern” scheinen sie eine Möglichkeit zu finden, sich als Individuum zu definieren. Doch die Wut über die Aussichtslosigkeit ihrer Lage löst sich nicht einfach in Luft auf. In einer Sequenz, die – und das schaffen eben nur wirklich gute Film – ihre Situation auf den Punkt bringt, ergehen sich die Freunde in der wahllosen Destruktion verlassener Gebäude am Stadtrand. Ein simples Motiv ist das, genau genommen, welches jene Radikalisierung im Keim bereits in sich birgt wie ein böses Omen.

Mit dem Auftauchen des frisch aus dem Gefängnis entlassenen Combo (Stephen Graham) wird die Gruppe schließlich entzweit, aus der Subkultur eine politisierte Bewegung, instrumentalisiert durch rechte Anzugträger. Combo, in dem Shaun eine starke Vaterfigur und wahrscheinlich auch ein älteres Selbst erkennt, ist ein gewaltbereiter Charismatiker. Diese Worte werden freilich nicht annhähernd der schauspielerichen Leistung Grahams gerecht. Der spielt oft aggressive Giftzwerge (etwa den Baby Face Nelson in “Public Enemies”), bringt es als Combo, innerlich von Zwiespalt und Hass zerfressen, zu einer explosiven Mischung aus Verletzlichkeit und Berechnung, deren Lunte längst entzündet wurde. Das Herzstück eines Films ist diese Figur, der eine Tradition des britischen Kinos entstaubt, ohne ihr untreu zu werden. In “This is England” zeichnet Meadows das pessimistische Bild eines Landes, das seine eigenen Kinder vergessen hat und deshalb irgedwann selber von diesen aufgegeben werden wird.

Kontrapunkt: DVD-Premieren II

Stars im Film und trotzdem ist US-Filmen kein deutscher Kinostart vergönnt? Das könnte an unerfüllten kommerziellen Erwartungen oder an der fragwürdigen Klasse der Filme liegen. Hier der Beweis, dass sich beides nicht unbedingt gegenseitig ausschließt.

Boston Streets (USA 2008)

Regiedebütant Brian Goodman hatte es in seinem Leben bisher nicht leicht. In seiner Jugend rutschte er ins Verbrechermilieu ab, wurde alkohol- und drogenabhängig, schaffte aber nach einer Gefängnisstrafe den Ausstieg und brachte Frau und Kinder auf legalem Wege durch. Das ist zumindest die als autobiografisch präsentierte Geschichte, die in diesem zwar gut besetzten, aber leider eindimensional anmutenden Thriller- drama erzählt wird. Ethan Hawkes Figur ist an Stereotypie kaum zu überbieten und mit Mark Ruffalo als Hauptfigur scheitert jegliche Identifizierung. Zudem beginnt die episodenreiche, reichlich elliptisch Erzählweise alsbald zu nerven. Doch immerhin ist Goodman um die präzise Dokumentation des Alltags der beiden Freunde bemüht, zeigt die (familiären) Konflikte und Probleme auf und trägt sie auch aus. Das taugt trotz einiger Klischees zumindest als eine glaubwürdige Milieustudie.

Ca$h (USA 2010)

Hat man sich diesen gescheiterten Versuch einer launigen Thrillerkomödie angeschaut, ist man reichlich enttäuscht. Man fragt sich stets, was Tarantino und seine Epigonen aus der Storyline (abgezockter Gangster will seine Beute von einem ahnungslosen Pärchen zurück und stiftet selbiges zu Überfällen an) gemacht hätten. Das beginnt bei dem miesen Drehbuch (kaum pointierte Dialoge, kaum Tempo) und endet bei der mit Sean Bean (Boromir!!!) eigentlich gut besetzten Gangster-Hauptfigur. Letztere ist trotz aller Diabolik und Gelassenheit keine coole Sprüche klopfende und wild um sich ballernde Actionikone, sondern ein kühl (be)rechnender Analytiker, der immer den aktuellen „Kontostand“, wie viel Geld noch fehlt, im Kopf hat. So setzt sich der Film mehr aus befremdlichen Zahlenkalkulationen und angespannten Situationen um das vorübergehende unfreiwillige Zusammenleben von Gangster und Pärchen (das zunehmend Verbrechen cool findet) zusammen als aus Actionsequenzen, für deren Generierung bei dem sichtlich schmalen Budget (ca. 15 Mio. Dollar) wohl kein Geld mehr übrig war. Keine flotte, sondern nur ein reichlich schläfrige Räuberpistole ohne Kugeln im Lauf.

Der Räuber (D/A 2010)

Ich bin nicht gerade eine Expertin, wenn es um die Filme der Berliner Schule geht. Das sei vorweg-genommen. Jene erste Welle von Filmemachern studierte in den achtziger Jahren gemeinsam an der dffb in Berlin und wurde in der Folge auf Grund stilistischer und narrativer Ähnlichkeiten von der Kritik unter dieser Kategorie zusammengefasst. Meine Begegnungen mit ihre beschränken sich auf zwei Filme von Christian Petzold. Von eben jenen Kritikern gefeiert wurden seine letzten beiden Arbeiten, “Yella” und “Jerichow”, doch mir gaben diese Filme nichts. Das lässt sich so einfach dahin sagen, doch es verhält sich etwas komplizierter mit dieser Einschätzung. Technisch versiert, schauspielerisch (zumindest “Yella”) ohne Makel, bleiben die Filme für mich doch ein Kopfkino der sterileren Sorte. Vielleicht “kann ich nicht mit” Petzold, vielleicht ist das Anliegen der Berliner Schule, sofern die Künstler derart in einen Topf geworfen werden können, nicht “mein Ding”. Jene Merkmale, die Ekkehard Knörer und Georg Seeßlen aufführen, sind ohne Zweifel nachvollziehbar und keineswegs soll die Qualität der Filme an dieser Stelle in Abrede gestellt werden. “Jerichow” ist sicher ein guter Film, aber deswegen muss ich ihn nicht mögen.

In vielerlei Hinsicht passt nun Benjamin Heisenbergs Zweitling Der Räuber ins Schema der Stereotypen der Berliner Schule, so wie sie in meinem und wohl auch anderen Köpfen herumgeistern. Sich anschweigende, nur sporadisch charakterisierte Figuren wandeln durch karge Umgebungen, eingefangen von einem Realismus, der natürlich wie jeder andere auch nur Stil ist; statisch überstilisierter Alltag sozusagen. Ein wenig, aber nicht vollkommen humorlos geht es auch noch zu. So schlimm das jetzt klingen mag, ist “Der Räuber” dennoch so etwas wie mein Rückfahrtticket nach Berlin. Heisenberg, der zur zweiten Welle der “Bewegung” gezählt wird, erzählt höchst minimalistisch (noch so ein Stereotyp!) und nicht ironiefrei die Geschichte eines Bankräubers, der, frisch aus dem Knast entlassen, Österreich durch eine Reihe von Überfällen schockiert. Inspiriert von einer wahren Geschichte, blendet der Film alle Schnörkel eines Biopics aus und präsentiert uns diesen Johann Rettenberger (Andreas Lust) als fertige Figur. Rettenberger wird keine Wandlung im Film durchmachen, nicht etwa ein Gewissen entwickeln oder ähnliches und genau das macht die Faszination aus. Er ist eigentlich kein Mensch, glaubt man zunächst, stattdessen die personifizierte Kinetik; ein Teilchen, das von solcher Energie geladen ist, dass es die Grenzen der umgebenden Gesellschaft zwangsläufig überschreiten muss. Rettenberger ist nämlich ein Langstreckenläufer und dessen Einsamkeit innerhalb der hinterher hinkenden Welt zu verfolgen, ist Aufgabe des Films. So beginnt er im Gefängnishof, in dem der Räuber seine Runden dreht, verfolgt ihn in die Zelle auf seinem Laufband und aus dem Knast heraus zum nächsten Überfall.

Psychologisierung ist nicht im Sinne des Films. Man mag Rettenberger als ein Konzept von Punkten und Pfeilen auffassen – v.a. Pfeilen – wie oben beschrieben, denn vielmehr bietet “Der Räuber” hinsichtlich der Erzählung nicht an. Doch da ist auch Andreas Lust, dessen Spiel sich zwar der Zurückhaltung der Regie angleicht. Dessen Meisterschaft jedoch in seiner Strahlkraft, seiner Lebendigkeit liegt und ganz besonders in seinen Augen zu finden ist. Vielfach wurde Lusts äußerliche Kälte mit den ausdruckslosen Zügen jener Maske verglichen, die seine Figur bei den Überfällen trägt. Doch übersehen wird dabei diese schwer zu definierende Energie, welche ihn nicht stillstehen, nicht schlafen, nicht gefangen sein lässt. Ausgedrückt wird sie in seiner niemals ruhenden Physis und seinen eben manchmal überraschend lebhaft aufblitzenden Augen.

Ein Hauptdarsteller macht allerdings noch keinen Film. Die angemerkte Statik der Inszenierung wird in “Der Räuber” logischerweise aufge- und unterbrochen. Bezeichnenderweise wirkt Rettenberger wie eingekerkert in den ruhigen Alltagsszenen mit besagten schweigenden Figuren und kargen Räumen. Das Motiv, welches den europäischen Autorenfilm seit den sechziger Jahren bevölkert, findet seinen erfrischenden Widerpart in reichlich Laufszenen, die sich manchmal in Fluchtszenen verwandeln. Bewegung, nicht Geld, ist Leben für Rettenberger und würde sie nicht das bestimmende Element des Films sein, könnte man sich bei “Der Räuber” ebenso gut erinnert fühlen an ein abstraktes Gemälde, das aus wenigen präzise gesetzten Pinselstrichen besteht. Jede Einstellung, jede Geste ist bis ins Detail durchdacht. Vom stellenweise treibenden Soundtrack zur ebenso vereinzelt eingesetzten Radiomusik, der Kameraführung Reinhold Vorschneiders und den wenigen Dialogen – Heisenbergs Film zeugt von einer ungeheuren Souveränität in der Herstellung. Doch ungeachtet dieser Klarheit in Idee und Ausführung obsiegt der Film über jedes Vorurteil durch eine schlussendliche Offenheit. Die Offenheit eines Kunstwerks, dessen Rahmen ungemein deutlich zu sehen ist und dennoch sich der hermetischen Perfektion verweigert.

Vielleicht liegt mir Petzolds Stil nicht. Vielleicht ist es das Wechselspiel vom mitreißenden Strom der Bewegung und der nahezu absoluten Einfachheit abseits einer auffälligen Metaphorik, wie sie von Heisenberg nur einmal bemüht wird, welches seinen Film von den genannten seines Kollegen so wohltuend abhebt. Im Allgemeinen gesprochen, lässt sich angesichts des “Räubers” feststellen, dass hin und wieder ein aus wenigen Linien und Flächen bestehendes Gemälde eine größere Verlockung darstellt als so manch barocke Opulenz.