Diary of the Dave #2

Diese Woche war die Todd Solondz-Woche. Ich habe endlich zwei weitere Meisterwerke (Meisterwerke!) des Happiness-Genies sehen dürfen: “Welcome to the Dollhouse” und “Storytelling”. „Happiness“ liegt sozusagen in der Mitte zwischen diesen beiden Filmen, chronologisch gesehen.
Die Solondz-üblichen Themen werden auch bei „Dollhouse“ und „Storytelling“ verarbeitet: dysfunktionale Familie, gestörte Sexualität, Außenseitertum, das Zerbröckeln des schönen Mittelklasse-Paradieses. Doch so tiefgründig, emotional, grotesk, schmerzhaft und kunstvoll wie bei „Happiness“ werden diese Themen nicht ausgeschöpft. Am schwächsten: zweifelsohne Storytelling, zwei längere Kurz?lme (oder eher zwei unausgereifte Rumpf?lme?), zusammengehalten vom Thema „Geschichte erzählen“. Im ersten Film die verwöhnte Mittelklassegöre, die grottenschlecht über ihre persönlichen Erlebnisse schreibt und dabei nicht merkt, dass alles Geschriebene automatisch zur Fiktion wird. Dies ist sogleich die Pointe des kürzeren, primitiveren, geradlinigeren, und zugleich aus stärkeren ersten Teil des Films. Der zweite Teil streift viele Themen nur sehr ?üchtig, die Charaktere bleiben etwas hohl, vieles wird angerissen, aber letztlich nicht zu Ende gedacht. Klar: den Jüngsten der Familie würde ich wahrscheinlich eigenhändig erwürgen… und zwar, nachdem ich ihn einen halben Tag lang gefoltert habe! Aber es bleibt ein rumpfartiger Teil?lm… Der Film wirkte ein bisschen wie ein unfertiges Drehbuch: verschiedene Charaktere, verschiedene Ebenen, die sich vielleicht hätten treffen können. Aber eben kein neues „Happiness“.

Welcome to the Dollhouse ist da durchaus gelungener: im Grunde eine recht geradlinige Story, ziemlich geradlinig erzählt. Viele spannende Elemente: Außenseitertum, Zurückweisung durch Leute, auf die man zählen sollte (Familie) oder die man liebt, Erwachsenwerden, Rebellion… Dann ist letztlich der Charakter, den man als Zuschauer gegen seinen eigenen Willen doch lieben muss. Die Frage ist, ob diese Zuneigung dann nur dem Mitleid entspringt! Oder einer diffusen Identi?kation mit den realen Problemen dieses Mädchens? Ach Happiness… „Happiness where are you, I haven‘t got a clue, happiness where are you now…“ Eine zynische Satire… eine pessimistische Vision der Menschheit (zumindest desjenigen Teils, der in New Jersey lebt)… eine seeeeeehhhr schwarze Familien-Komödie (und NICHT Komödie für die ganze Familie)… ein Lacher, der im Halse stecken bleibt, für den man sich schämen muss… ein Heuler mit einem sehr bitteren Nachgeschmack… ein Episoden?lm, bei dem Episoden wirklich zusammenhängen… ein wahres Familienepos im Grunde (immerhin: 135 Minuten und um die 12 zentrale Personen, die alle ziemlich präzise charakterisiert werden).

Die Vermischung der Ingredienzen führt wirklich zu erstaunlichen Auswirkungen beim Zuschauer: in der Eingangsszene verspürt man eine Mischung aus Fremdschämen, Schadensfreude, Gerührtheit und dem Drang, laut loszulachen. Zugleich kann man auch ob der Kommunikationslosigkeit der beiden Figuren Andy und Joy zutiefst deprimiert sein. Ähnliche Gefühlsmischungen ?nden sich in zahlreichen anderen Szenen des Films wieder. Man bemitleidet, hasst, liebt die Figuren, ?ndet sie lächerlich, arrogant, überheblich, herzzerreißend usw. Dies macht auch den Reiz des Films aus: keine Figur ist eindeutig, alle sind ambivalent. Joy z.B. ist durchaus eine feste Identi?kations?gur des Films, doch wird sie in der Eingangsszene auch als jemand eingeführt, der durch seine Art andere Menschen verletzen kann! Wie ambivalent die Szene bleibt. Denn, warum lässt sie sich nicht auf ihn ein? Warum? Der Nachtrag kommt, als Andy Selbstmord begeht. Wegen ihrer Ablehnung? Vielleicht. Man weiß es nicht. (Der Drohanruf der Mutter Andys wäre aber durchaus ein Hinweis, dass er sich wegen ihrer Ablehnung umgebracht hat.)

Das Schöne am Film: es sind praktisch alle anderen Figuren genauso komplex wie Joy. Am komplexesten (und kontroversesten in der Rezeption) natürlich der pädophile Psychiater.

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