Aktion deutscher Film

Seit dem März 2011 gibt es die Aktion deutscher Film, dem geneigten Leser auch als DÖS bekannt. Gestartet wurde sie durch den intergalaktischen Affenmann. Seit dem März 2011 soll dem deutschsprachigen Film mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Zu Stiefmütterlich werde er behandelt. Seit März 2011 frage ich mich, was den deutschen Film ausmacht. Und was den österreichischen. Und was weiß ich überhaupt über den schweizerischen. Und vor allen Dingen, ob es überhaupt nötig ist, sich darüber Gedanken zu machen.

Zeit für DÖS

Einer meiner Freunde hasst deutsche Filme. Er hat mir einmal erzählt, dass diese schon am Aussehen erkannt werden können. Die Hässlichkeit der Bilder von Material und Farbgebung würden ihrer Deutschheit preisgeben. Die Selbstdenunziation der Schreckgestalt. Doch die Frage bleibt, was war zuerst da. Die Hässlichkeit oder der Hass. Ich für meinen Teil wusste damals, was er meinte. Aber ich bin mir sicher, dass der französische, der japanische, der brasilianische oder der US-amerikanische Film auch anders wirken würden, alltäglicher und beschämender, wenn er in Form von billigen Fernsehproduktionen uns ein Leben lang umgeben hätte. Wenn er nicht fremd wär, sondern vertraut. Wenn der kalte, erdrückende Schatten der Minderwertigkeit, der von Hollywood ausgestrahlt wird, auf ihm zu spüren wäre.

Eine Freundin von mir sagte, dass sie wohl keine 10 Filme für eine Top Ten zusammenbekommen würde. Auch sie verstand ich, aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Filme fallen mir ein. Der deutsche Film braucht vielleicht nicht mehr Aufmerksamkeit, sondern mehr Bewusstheit dafür, dass dieses vertraute Etwas nicht nur aus dem ganzen Mist besteht, der uns umgibt, den es überall gibt, sondern dass er auch diese wunderbaren Filme hat, wie es sie nirgendwo anders gibt.

2006 kam ein Film in die Kinos, der da Pingpong hieß. Er war dezent, spielerisch und wunderschön … bis das Ende kam. Plötzlich packte der Film den Zuschauer am Kragen und drückte ihn mit der Nase voran in die Jauchegrübe der menschlichen Gefühle. Verflogen waren die Kunst der Andeutungen und die Leichtigkeit. Alles unter der dramatischsten aller Möglichkeiten schien zu klein, zu unbedeutend. Es war ein überzogener, unnötiger, abstoßender Schlag in die Nierengegend und ich dachte so bei mir, dass diese grobschlächtigen Deutschen es nie lernen werden, etwas Kleines, Zierliches erschaffen zu können. Natürlich stimmt das nicht, aber seien sie dafür gepriesen, dass sie beharrlich daran scheitern. Denn dem deutschen Filme ist eine Künstlichkeit zu eigen, wie sie niemand sonst hat. Es ist nicht die verspielte der Franzosen, die dezente oder exaltiert hysterische der Japaner oder die Künstlichkeit eines Vergnügungsparkes wie in Hollywood. Es ist eine derbe, mitweilen hysterische Künstlichkeit mit Hang zur großen Geste. Damit sind die deutschen Filme immer noch Brecht und dem Expressionismus verpflichtet, genau wie Hegel und dem Militarismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kurz: dem dumpfen, individualisierenden Morast der Geschichte.

Problemtisch bleibt für mich aber, dass DÖS in meiner Wahrnehmung im Grunde nur ein dreiviertel D auszumachen scheint. Österreich, mit seinem süßlichen Hang zur Morbidität, ist mir nur über Haneke, Seidl und ein paar alte Filme aus der Standard-Edition ein Begriff. Viel zu wenig weiß ich darüber. Noch düsterer sieht es mit der Schweiz aus, da kenne ich nur Daniel Schmid vom Namen her. Sonst herrscht kaum voreingenommenes Unwissen. Doch der schwärzeste Fleck ist ein gewollter. Die DDR und ihre Filme haben bei mir lange nur Scham hervorgerufen und erst Der geteilte Himmel machte mir deutlich, wie sehr ich mich für diese Filme schäme, für ihre erzwungene Verbohrtheit, ihre möglichen Rückschlüsse auf mich und wie unnötig dieses Schämen doch ist. Nie war mir Bourdieus Aussage: „[…] so stark zwingt sich noch den Angehörigen der unteren Klassen und deren Wortführern das Gefühl kultureller Unwürdigkeit auf.“, verständlicher. Und daran erinnert mich diese Aktion immer wieder: Unwissen, sinnlose Scham und den Willen beides abzuschütteln. Auf! Auf!

Und nun streng unchronologisch … die Perlen:
10. Pingpong (D 2006)

Ich konnte ihn bis zum Schreiben des oberen Textes nicht leiden. Jetzt habe ich mich aber selbst überzeugt, dass ich von ihm nicht los komme und dass alles, was ich zu ihm zu sagen habe, sich eigentlich ziemlich gut anhört. Hab ihn nie wieder gesehen, aber hiermit habe er einen Platz.



9. Gegen die Wand (D/TR 2004)

DAS Melodrama des neuen Jahrhunderts. Etwas sensibel inszeniert und gespielt (bis auf Sibel Kekilli, die sehr hölzern agiert), aber trotzdem mit der Schlagkraft eines Holzhammers. Der süßliche, nie hoffnungslose Fatalismus lässt eine energische Liebe Akins zu seinen Figuren und dem Leben mit all seinen Schmerzen spüren. Außerdem hat ein Film mit einem Lied der Birthday Party immer schon gewonnen.

8. Aguirre, der Zorn Gottes (BRD 1972)

Besessenheit soweit das Auge reicht. Der Regisseur, der Hauptdarsteller, die Hauptfigur, die Affen, alle werden von ihrem unstillbaren Durst nach Bedeutung angetrieben. Die manische Qualität des Films ist beängstigend, breitet sie sich doch epidemisch aus…  aus den Augen Kinskis, aus den Bildern und aus dem Soundtrack von Popol Vuh flirrt sie und lockt den Zuschauer in ihr irrationales Reich.

7. Vampyr (D 1932)

Im Grunde ist es kein deutscher Film. Auch kein dänischer. Was Dreyer gedreht hat, ist aus Zeit und Raum gefallen. Es wirkt alt, älter als jeder Stummfilm, aus grauer Vorzeit scheint es zu kommen. Jegliche Regeln des guten Filmmachens über den Haufen rennend, wird die Welt aus den Angeln gehoben. Die Nacht ist taghell und trotzdem nicht die schlechteste amerikanische Nacht der Filmgeschichte. Schatten wandern eigenständig und Bilder laufen rückwärts, doch es sind nicht nur optische Spielereien. Die Realität ist weit entfernt. Im Gegensatz zu Lang, Hitchcock oder Clair experimentiert Dreyer auch nicht mit den neuen Möglichkeiten des Tons, sondern scheint ihn verstecken zu wollen. War La passion de jean d’arc ein stummer Schrei aus dem Mittelalter, ist Vampyr ein erstickter Gesang aus einer Zwischenwelt.

6. Rocker (BRD 1972)

Ungestüm, roh und meilenweit entfernt von lupenreinen Geschichtenerzählen oder hochwertigem Schauspiel. Alles ist unfertig und geradezu lächerlich, aber mit einer solchen Dringlichkeit ausgestattet, dass Perfektion oder Kunstfertigkeit nur gestört hätten. Blut, Schweiß und Dreck strömen förmlich von der Leinwand auf den Zuschauer nieder … beziehungsweise aus dem Fernsehschirm, denn dieser Film über Rocker, Zuhälter und das Verloren sein auf der Straße wurde vom ZDF produziert, diesen experimentierfreudigsten aller deutschen Sender.

5. Der Stand der Dinge (BRD/P/USA 1982)

Erst bleiben die Dinge stehen. Das Filmmaterial und Geld bleiben aus. Ein Filmteam ist zur Untätigkeit verdammt. Die äußere und innere Leere versuchen die Gefangenen mit prätentiösen Gesten aufzufüllen um über den Anschein von Bedeutsamkeit Bedeutung zu erlangen. Das alles wäre vielleicht einer der schlimmsten Werke, die Wim Wenders mit seinem Willen zur Kunst mit der Brechstange je geschaffen hätte, wenn das Ende nicht wäre. Dort geht es um den (Zu-)Stand der Dinge und was gemeinhin als Abrechnung mit Coppola gelesen wird, ist tatsächlich eine bitterböse, spöttische Abrechnung mit der Filmindustrie, dem Zuschauer und vor allem von Wenders‘ mit sich selbst… und dem davor Gesehenem. “Hollywood, Hollywood, never been a place where people had it so good.”

4. Solo Sunny (DDR 1980)

Deutschland in postapokalyptischer Zeit, den 80er Jahren. Sunny möchte schlafen mit wem sie möchte, leben wie sie möchte und als Sängerin respektiert werden. Mit fast schon Ozu-hafter Sensibilität fängt Konrad Wolf ein, wie sie auf eine unnachgiebige Wirklichkeit trifft, in der die Dinge nicht immer so laufen wie sie will… in der sie nicht nur mit ihrer Umwelt, sondern auch mit sich kämpfen muss… ohne dabei wehklagend zu werden, denn dafür hat Solo Sunny zu viel Witz. So erzählt einer, der da Benno Bohne heißt, zu Beginn einen Witz und das Setting ist klar. Nicht die vergilbten Tapeten aus den 70ern, der von allen Häusern bröckelnde Putz oder das bornierte Verhalten der Menschen gehen an die Nieren mit ihrem erdrückenden Mief, sondern dieser Witz von Benno Bohne und wie er von Konrad Wolf eingefangen wird. Alles was folgt ist nur Ausarbeitung… lockerleichte, lyrische Ausarbeitung.

3. Die Ehe der Maria Braun (BRD 1979)

Fassbinders Auftakt seiner BRD-Trilogie hat mir auf Jahre hinweg Fassbinder vergrätzt. Ich empfand ihn als langatmig, nichtssagend und in vielerlei Hinsicht übertrieben… das Sinnbild einer spröden, wichtigtuerischen Künstlichkeit. Als ich ihn wiedersah, habe ich mich sofort in ihn verliebt. Plötzlich war er alles andere als spröde, sondern ein durch seine atemberaubende Kunstfertigkeit dicht angefülltes Wunderwerk. Obsessionen, Schuld und Sühne, der blanke Wille zum Leben, die Wunden des Lebens. All das wird zu einem ergreifenden Monument.

2. Abwege (D 1928)

Georg Wilhelm Pabst’ vergessenes Meisterwerk. Erst seit 1998 gibt es wieder eine vollständige Version und die hat es in sich. Irene Beck, gespielt von der Königin des Overacting Brigitte Helm, will sich nicht im ehelichem Heim einsperren lassen. Zu verlockend erscheinen die Einladungen ihrer Freunde. Folglich flüchtet sie in die Clubs von Berlin um Ausgelassenheit, Drogen und Orgien zu finden, die ebenso viel Leere bieten wie ihre Ehe. Auch die Affäre mit Maler Frank scheint sie nicht befriedigen zu können. Pabst und sein Kameramann Sparkuhl zeigen wo der Hammer hängt, nämlich an Bildern die je nach Situation kristallklar oder komplett entrückt sind. Raoul Coutard hat diesen Film entweder nie gesehen oder in sich aufgesogen. Das Ende ist schließlich so befriedigend wie eine vorzeitige Ejakulation und lässt es gar nicht zu, dass Abwege verarbeitet werden könnte. Er beißt sich im Kopf fest und will ihn nie wieder verlassen. (Das Abwege eine DVD-Veröffentlichung bekommt, sei hiermit gewünscht.)

1. Die dritte Generation (BRD 1979)

Deutschland am Rande des Nervenzusammenbruches. Eine Komödie des Unbehagens ohne Pointen. Jahrelang habe ich mich gewehrt und wollte diesen Film nur gut finden. Die Hysterie, bis zum Anschlag aufgedreht, war zu unbehaglich. Die gefühlt 5000 Tonspuren zu wirr. Die Figuren zu kläglich in ihrem Handeln. Die Schauspieler zu überdreht. Doch irgendwann wurde mir klar, dass es so sein muss. Dass es nicht anders sein kann. Ein tiefer Blick ins Herz der BRD. Oder wie sagt Gerhard Gast … für vieles hier so passend: „Am Ende braucht man, was man früher zum Kotzen fand.”

Stock und Vorurteil

Habe neulich ein Gespräch zwischen Whoknows und dem Intergalactic Ape-Man belauscht, wonach ein gewisses Filmstöckchen zu Klicks führt, die sich in wilden Träumen nicht vorgestellt werden können. Also dachte ich mir: „Gimme that clicks!“ (wobei ich geflissen auf die eigentlich hier mitschwingende Beschimpfung meiner Käuflichkeit verzichte) und habe ein schon hier veröffentlichten Stöckchen ausgefüllt.

1. Ein Film, den Du mehr als zehnmal gesehen hast?

Unzählige. Feivel, der Mauswanderer im Wilden Westen ist wohl der Meistgesehene, weil ich ihn zwar nie besonders gut fand, aber als Kind das Shoot Out am Ende so liebte, dass ich immer wieder zurückspulte und den Film mehrmals hintereinander schaute. Danach folgen wahrscheinlich in der Reihenfolge Mad Mission 2 (ein total unterschätztes Meisterwerk), Die Feuerwalze (Chuck Norris‘ Rauschebart in Ehren, aber das wahre Erlebnis sind die unfassbar genialen Dialoge; Niveau von einem anderen Stern) und Außer Atem (bei weitem nicht mein liebster Godard, aber irgendwie gucke ich ihn immer wieder).

2. Ein Film, den du mehrfach im Kino gesehen hast?

Apocalypse Now Redux und danach immer wieder gefühlt, als ob ich unter einen Zug gekommen bin. Neben anderen habe ich auch Burn After Reading zweimal gesehen, da ich mich von Frustration getrieben ins falsche Kino verirrte und dann feststellen musste, dass der beim zweiten Mal echt unerträglich ist.

3. Nenne eine/n Schauspieler/in, wegen dem/r Du eher geneigt wärst, einen Film zu sehen.

Bin nicht so an Schauspielern interessiert. Hidari Bokuzen ist es natürlich immer wert gesehen zu werden. Hier der Beweis. Cary Grant, Paul Newman und Montgomery Clift sowie Tilda Swinton und Kyô Machiko haben’s mir noch am ehesten angetan. Wenn ich in einen Film mit Lara Flynn Boyle rein schalte, kann ich nicht wegschalten. Von ihr geht eine atavistische Faszination aus … seit ca. 10 Jahren von ihrer Künstlichkeit.

4. Nenne eine/n Schauspieler/in, wegen dem/r Du weniger geneigt wärst, einen Film zu sehen.

Will Ferrell, Tom Cruise und Doris Day will ich nicht sehen. Aber damit stehe ich ja wohl kaum allein da.

5. Ein Film aus dem Du regelmäßig zitierst?

Die dritte Generation hat die beiden besten Filmzitate überhaupt, auch wenn ich sie inzwischen eher selten verwende.

6. Ein Musical, von dem Du alle Texte der darin gesungenen Songs auswendig weißt?

„Don’t soil your pretty little shoes (hooray)/the gutters deep and red (hooray)/climb up, climb up and ride along with me/ the tumbril driver says“ oder „Marat we’re poor/and the poor stay poor/Marat don’t leeeeeet/ us wait anymore“, es kann nur eine Antwort geben: Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade.

7. Ein Film, bei dem Du mitgesungen hast?

Ich kenn eben genannte Texte nicht umsonst.

8. Ein Film, den jeder gesehen haben sollte?

Abendanzug von Bertrand Blier! Ein verzückend absurder Tanz auf dem Vulkan der Geschlechtsidentitäten. Eigentlich alles von Blier bis zu den 90ern, aber er ist DVDmäßig viel zu vernachlässigt in Deutschland.

9. Ein Film, den Du besitzt?

Mein Schrank und meine Festplatte sagen zu viele, ich sage viel zu wenig. Seit neustem Die Teufel von Ken Russell.

10. Nenne eine/n Schauspieler/in, die ihre Karriere nicht beim Film startete und die dich mit ihren/seinen schauspielerischen Leistungen positiv überrascht hat.

Ice Cube und Milla Jovovich. Ernsthaft.

11. Hast Du schon einmal einen Film in einem Drive-In gesehen?

Ich hab noch nicht mal ein Drive-In gesehen.

12. Schon mal in einem Kino geknutscht?

Ja, besonders bei Australia, weil da auch nichts Besseres zu tun war.

13. Ein Film, den Du schon immer sehen wolltest, bisher aber nicht dazu gekommen bist?

La règle du jeu, Pink Flamingos, Amore e rabbia, White Dog, Sans Soleil, Nerosubianco, Deus e o diabo na terra do sol, endlich einen Film von Daniel Schmid und und und

14. Hast Du schon jemals das Kino verlassen, weil der Film so schlecht war?

Nein. Habe sogar diesen fürchterlichen Pink Eiga vor ein paar Jahren durchgestanden, der nur aus Schlürfgeräuschen, Männeroberkörpern und Frauenhaaren bestand … in nichtssagenden Bildern und mit einem Plot, der Green Lantern originell erscheinen lässt. Die 65 Minuten kamen mir länger vor als ein vierstündiger Film von Angelopoulos.

Mary Reilly habe ich bei der Berlinale letztes Jahr vorzeitig verlassen, da David Thomson eine viertelstündige Einführung gab, weshalb mein Zeitplan zerstört wurde und ich unbedingt Ai yori ai e von Shimazu Yasujiro sehen wollte.

15. Ein Film, der Dich zum Weinen gebracht hat?

Bei E.T. im Kino hatte ich nach Eigenaussage nur Dreck in die Augen bekommen. Sonst oft, aber mir will bei bestem Willen kein Film einfallen. Ach doch Harry und Sally und auch Nagareru von Naruse (hach, wie traurig das Leben in einem Geishahaus sein kann).

16. Popcorn?
Bin Asket.
17. Wie oft gehst Du ins Kino?

Viel zu selten, aber das Angebot in Jena bringt mich nur zum Jammern, deshalb schnell weiter.

18. Welchen Film hast Du zuletzt im Kino gesehen?

Green Lantern, extra nach Leipzig. Yes!

19. Welches ist Dein Lieblingsgenre?

Ich liebe eher alltägliche Lebenswelten, Familienintrigen und –katastrophen, sexuelle Hysterie … also Melodramen.

20. Was war Dein erster Film, den Du im Kino gesehen hast?

Entweder Asterix erobert Rom oder Asterix und Kleopatra. Jedenfalls hab ich da fast schon mythisch zu nennende Erinnerungen dran, die aus dem Vergessen grauer Urzeit auftauchen, wenn ich die Filme mal wieder sehe.

21. Welchen Film hättest Du lieber niemals gesehen?

Da fallen mir nur Kurzfilme ein. Am meisten Der Chronist, ich kann das nicht mal schreiben ohne das mir schüttelt. Bei Langfilmen kann ich selbst die Stumpfesten und Dümmsten nicht bereuen.

22. Was war der merkwürdigste Film, den Du mochtest?

Wieder ein Kurzfilm: Morgen Küche. Eine Minute voll skurrilem Nichts. Zu sehen hier. Wurde dieses Jahr beim cellu l’art eingereicht und ich konnte mich nicht durchsetzen, dass er überhaupt nur in die engere Auswahl kam. Hätte wohl mit so was wie Rücktritt drohen sollen. Sonst mag ich nur völlig gewöhnliche Filme.

23. Was war der beängstigendste Film, den Du je gesehen hast?

Tod auf dem Nil hat mein Leben versaut. Mit ca. 10 Jahren bei meinen Großeltern gesehen und am Ende sind diese hilflose Frau und der nette Mann hinterhältige Genies des Bösen, die wegen so etwas Lapidaren wie Reichtum Menschen auf arglistigste Weise töten. Die Nacht danach war schrecklich und ich traue bis heute den Fassaden der Menschen nicht mehr über den Weg (auch wenn ich den Film inzwischen sehr liebe).

Die Körperfresser kommen hat mich mit stolzen 21 Jahren noch echt fertig gemacht. Die letzte Einstellung sah ich eine Woche sobald es dunkel wurde. Verdammt, Donald Sutherland kann einem aber auch Angst machen.

24. Was war der lustigste Film, denn Du je gesehen hast?

Beerfest, Duck Soup und Die Ritter der Kokosnuss. Ersterer ist nur im Original witzig, aber dafür göttlich dumm und albern. Die anderen beiden zeigen die Marx Brothers und Monty Python in bester Form, deshalb das Witzigste was gibt. Das Einzige was da vielleicht noch mithalten kann ist Multiple Maniacs.

Exkrementelle Angst – Green Lantern (USA 2011)

DC-Entertainment ist im Kampf mit dem ewigen Konkurrenten Marvel nicht den leichten Weg gegangen. Statt „Flash“, „Wonder Woman“ oder andere bekannte Größen ins Kino zu bringen, setzten sie auf den zumindest außerhalb der USA wenig bekannten Green Lantern. In einem von Reboots, Sequels und Prequels beherrschtem Genre ist das eine durchaus spannende Wahl, die vor allen Dingen eines verspricht: der Zuschauer bekommt etwas zu sehen, was er noch nicht zur Genüge kennt. Doch die Enttäuschung könnte herber nicht ausfallen, denn eines hat der Film mit seinem Hauptdarsteller gemeinsam. Keiner von beiden kann mit einer originären Form von Kreativität punkten. So ist der Held im Besitz eines Ringes, der alles verwirklichen kann, was sich sein Träger vorstellt. Im Kampf erdenkt er sich aber nur Schwerter, Go-Cart-Bahnen oder riesige Fäuste. Sein Repertoire spiegelt stets wider, was er aus Filmen und seinem oder anderen Kinderzimmern kennt. Mit Green Lantern verhält es sich ebenso. Wenn man alles in einen Topf wirft, was in den letzten Jahrzehnten in Hollywood Erfolg hatte, gut umrührt und etwas von einem Comic über grüne Männer mit Laternen hinzufügt, dann kann das Ergebnis kaum anders aussehen. Das panische Fliehen von Menschen vor (über)natürlichen Katastrophen könnte direkt aus einem Roland Emmerich-Film stammen. Wie bei „Star Wars“ wird der Film von einer Moral bestimmt, in deren Zentrum die Beherrschung von Gefühlen steht. Und schon Topper Harley war nicht der erste  Jetpilot, der in Angststarre mit Flugzeug und Vater kämpfte. Die Liste könnte ewig weiter gehen. Vielleicht hatten Casino Royale-Regisseur Martin Campbell und seine Drehbuchautoren zu viel Angst. Doch der Reihe nach.

Unendliche Weiten. Ein Wesen namens Parallax, das sich pure Angst zu Nutzen gemacht hat, befreit sich und legt nach und nach das Universum in Schutt und Asche. Ihm steht das Green Lantern Corps entgegen, welches das Universum vor allem Bösen zu schützen trachtet. Doch gegenüber der übermächtigen, braunen Angstwolke, nicht unähnlich einem großen Haufen Kot, sind sie machtlos. Ein gefallener Green Lantern landet mit letzter Kraft auf der Erde, wo sich sein Ring, der mit der Essenz puren Willens angefüllt ist, einen würdigen Nachfolger sucht. Die Wahl des esoterischen Schmuckstücks fällt auf den verantwortungslosen, aber erfolgreichen Kampfjetpiloten Hal Jordan (Ryan Reynolds), der sich schnell beweisen muss, denn nicht nur Parallax gilt es zu besiegen. Auch den Wissenschaftler Hector Hammond (Peter Sarsgaard), der mit Teilen von Parallax infiziert wurde und mit den neugewonnen übernatürlichen Kräften Hals Umgebung bedroht.

Doch nicht die äußeren Schlachten stehen im Mittelpunkt von Green Lantern, sondern die inneren Kämpfe von Hal und Hector, die beide mit ihrem Vaterkomplex ringen. Jeder ist dabei der Spiegel des anderen, da sie sich den ganzen Film im Gleichschritt entwickeln, teilweise sogar in Parallelmontage dargestellt, und auf diametral entgegengesetzte Art mit ihren Minderwertigkeitsgefühlen umgehen. Das ganze Filmuniversum ist dabei die Externalisierung der Zwickmühle, in der sie gefangen sind. Parallax, der alle mit Angst paralysiert, stellt nichts anderes dar als die Furcht, dem Vater nicht gerecht zu werden. Auf der anderen Seite ist der protofaschistische Green Lantern Corps, der auf die Macht des Willens besteht und in Angst nur Schwäche sieht, die Über-Ich Instanz des Vaters. Hal wird von ihnen geradezu logisch als Feigling verstoßen, der eine Schande der Einheit wäre. In dieser zutiefst männlichen Welt gibt es also anscheinend nur ein Problem, den Vater.

Die schwache Umsetzung dieses Grundproblems wird dadurch das größte Problem des Films. Dieser externalisierte Vaterkomplex wird als allgültige Philosophie mit arroganter Penetranz dem Zuschauer auf die dümmste mögliche Art aufgedrängt. Die bedeutungsschwangeren, aber jämmerlichen Dialoge, in denen die Antipoden Angst und Wille immer wieder abgehandelt werden, hinterlassen einen mehr als flauen Nachgeschmack. Alle Probleme des Films werden zwanghaft auf zwei/drei Gefühle runter gebrochen. Der Wunsch der stoischen Philosophie des „Star Wars“-Universums eine ebenbürtige Weltanschauung gegenüberzustellen, scheitert eben daran, dass sich der Vorbilder zu deutlich bedient wird. Besonders da diese nicht ausbaut werden, sondern beschnitten. Beim Kampf mit Parallax kann schon einmal der Imperator vermisst werden, der Hal auffordert, sich seiner Wut hinzugeben. Green Lantern kommt so nie über den Status einer billigen Kopie hinaus.

„And cheapness (…) has nothing to do with the budget of the film, although it helps.“, hat Frank Zappa einmal gesagt. Green Lantern macht auf beeindruckende Weise deutlich, wie wahr dies doch ist. Die Hilfe eines geringen Budgets haben sie bei einem wahrscheinlichen Betrag von 200 Mio. Dollar nicht in Anspruch genommen. Trotzdem schaffen es die Macher, ein Feuerwerk an Kläglichkeit abzuschießen, dass es nur so eine Freude ist. Einzig die 3D-Bilder scheinen mit Verstand komponiert und sind nicht einfach nur aufgeblasenes 2D. Charaktere und Handlung sollen groß aufgebaut werden, doch jedes Potential verläuft sich im Sand. Lieblos wird sich auf die schwache Angstideologie gestützt, wodurch alles eindimensional bleibt. Alleine Ryan Reynolds schafft es, problemlos jeden Ansatz von Charisma zu umgehen, und führt so ein blasses Ensemble an, in dem Charaktermimen wie Tim Robbins oder Angela Bassett nicht einmal die Chance bekommen, ihre Figuren mit Leben zu füllen. Das alles wäre aber gar nicht mal ärgerlich, wenn wenigstens die Action stimmen würde. Doch alles zieht nur vorbei. Die Actionszenen enden, ohne dass Dramatisches geschehen ist. Sie hinterlassen bloß die Frage, ob das alles war. Green Lantern möchte alles sein, Fantasy-Charakterstudie und Actionspektakel, doch nichts davon wird überzeugend umgesetzt. Was bleibt ist ein riesiger Aufbau, der, zumindest die Trash-Fans wird es freuen, talentfrei in sich zusammenbricht.


Zum Weiterlesen:
Die gesammelten Kritiken bei Film-Zeit.de.

Fluchtpunkt (II) – Strafpark (USA 1971)

Halbnackte Studenten werden durch die US-amerikanische Wüste gejagt. Schießwütige Polizisten sind hinter ihnen her. Eigentlich hat Punishment Park kaum mehr an Handlung zu bieten. Kurz nach dem Kent-State-Massaker ruft Richard Nixon den Ausnahmezustand aus. Tribunale werden abgehalten, welche jeden wegen Landesverrat verurteilen, der die Politik der Regierung kritisiert. Mittels eines Wettlaufs durch einen sogenannten Strafpark können die Verurteilten ihrer Gefängnisstrafe entgehen. In 3 Tagen müssen 50 Meilen durch eine Wüste zurückgelegt werden. Man bekommt weder Essen noch Trinken und die Polizei beginnt nach 2 Stunden mit der Verfolgung. Wer es schafft, das Ziel zu erreichen, ohne erneut festgenommen zu werden, ist frei. In diese hypothetische Ausgangsposition begibt sich ein Filmteam und dreht eine Dokumentation. Strafpark ist das Ergebnis ihrer fiktiven Arbeit, welche die Vision eines zutiefst gespaltenen Landes entstehen lässt, eines Landes, in dem keine Kommunikation, kein Ausgleich mehr möglich ist. Doch über den Weg der Fiktionalisierung bietet Regisseur Peter Watkins einen aufwühlenderen Blick auf die Realität der Vereinigten Staaten im Jahre 1970, als es jede reale Dokumentation erreichen könnte.

Punishment ParkMehrere Kamerateams verfolgen die Menschen an beiden Enden der Hetzjagd. Sie filmen Polizisten, die sich im Umgang mit ihren Feuerwaffen üben. Stolz erklären diese, dass selbst Rhinozerosse mit einem Schuss aufgehalten, wenn nicht sogar getötet werden könnten. Die eingefangene Stimmung auf dieser Seite ist vor allem durch Frust bestimmt, wegen ein paar in ihren Augen unbelehrbarer Idioten in der Wüste sein zu müssen. Die Gefangenen sind zwar auch frustriert, aber eher, weil sie sich zumindest darin einig sind, dass die Situation, in der sie sich befinden, nicht akzeptabel ist. So werden sie durch überbelichtete Bilder voller Luftspiegelungen gejagt und stellen sich ständig die Frage, wie sie damit umgehen sollen: gewaltsame Gegenwehr oder friedliches Akzeptieren der Regeln, um den Kreislauf der Gewalt zu entkommen. Dieser Park in der Wüste ist damit nichts weniger als die USA und wie er von den Dissidenten wahrgenommen wird… als Polizeistaat.

Was Strafpark aber davor rettet, eine billige Allegorie auf die Entfremdung zwischen Staatsmacht und Nörglern zu sein, die in blinder Gewalt endet, sind die Szenen aus dem Tribunal. In ihnen werden die Schauprozesse vorgeführt, welche zur Verurteilung führen. In einer riesigen, den gesamten Film andauernden Parallelmontage zwischen Strafpark und Tribunalen gewinnen beide Seiten an Tiefe. Unterschiedliche Menschen stehen sich gegenüber und sind aus unterschiedlichsten Gründen auf den beiden Seiten des Verhandlungstisches gelandet. Die Verhandlungen gleichen dabei einer gewöhnlichen, hitzigen Diskussion bei Markus Lanz oder Anne Will. Unbegreiflich bleibt den Menschen in dem Kreisrund, wie jemand nur so verbohrt und abscheulich sein kann wie die gegenüber sitzenden Individuen. Folglich verliert jeder gegenüber dem Anderen die Contenance und fängt an zu schreien, brabbeln, keifen, geifern oder zieht sich resigniert in sich zurück. Ja, die Dispute scheinen wie aus dem Leben gegriffen. Niemand wird vorm Zuschauer denunziert. Dass alles nur fiktiv ist, kann sehr schnell aus den Augen verloren werden. Zu gut ist die Dokumentation nachgestellt, zu gut sind die Schauspieler und die Dialoge. Die verführende Verlässlichkeit der Bilder reißt den Zuschauer mit in die Arena der Dispute. Ob in der Wüste und während der Schauprozesse, Abgrenzung ist schwerlich möglich.

Das Obszöne der Gerichte sind folglich auch nicht ihre Meinungen, sondern es ist ihre Macht, mit der sie jegliche Argumente von sich abwehren und entwerten. „All I can do to you is call you a dirty name.“ Was bleibt den Angeklagten anderes übrig, wenn sie von einer Horde Polizisten beobachtet werden, die nur darauf lauern ihnen Knebel in den Mund zu stopfen? Folglich verfällt Strafpark nicht in ein ödes Geschwätz, sondern ist der hysterische Aufschrei gegen Unterdrückung und für den Diskurs, der die USA im Herzen traf und den Dissidenten außerhalb der Leinwand Recht gab. Jahrzehntelang war er in den USA nicht zu sehen, aber nicht weil er gerade heraus verboten wurde, sondern weil die Kinobetreiber Angst hatten vor der lauernden Staatsmacht.

Kino von gestern – Il Cinema Ritrovato – XXV edizione 2011

Diesen Samstag endete in Bologna die 25. Ausgabe des Cinema Ritrovato. Für die Leser, welche sich für alte Schinken interessieren, hat mich die liebe Jenny nach Italien geschickt, um die Perlen des Festivals vor den Säuen zu retten und euch von diesen zu berichten. Deshalb hier die Top Five der Filme, die ich in den dreieinhalb Tagen meines Aufenthalts im Paradies sah, und der andere Kram.

5. Der Dieb von Bagdad (GB 1940)

Als Alexander Korda dieses Remake des Douglas Fairbanks Klassikers produzierte, stand er mit dem Rücken zur Wand. Es ging um nichts weniger als die Existenz des Denham Film Studios, welches er 1936 geöffnet hatte. Er schickte seine zwei Stars ins Rennen, Sabu und Conrad Veidt, doch fast alles ging schief. Der engagierte Ludwig Berger kam als Regisseur mit der riesigen Produktion nicht zurecht und wurde zwar am Filmset behalten, bekam aber keine Arbeit. Der junge Michael Powell und Tim Whelan wurden engagiert, aber auch die drei Korda Brüder mischten mit. Das Ergebnis ist dementsprechend fahrig und wirkt arg zusammengeschustert. Doch der Film hat zwei Dinge, die ihn zumindest auf einer großen Leinwand ungemein sehenswert machen: die dämonischen Augen Conrad Veidts (Michael Powell hat kein Mitleid mit dem Zuschauer und brennt sie ihm ins Gedächtnis) und, dämlich wie es klingen mag, das Schiff zu Beginn, das, in Technicolor-Weltklasse angemalt, dem Zuschauer heute noch nachfühlen lässt, dass Menschen mal vor projizierten Zügen geflohen sein sollen.

4. Addio, Kira (I 1942)

Die Verfilmung von Ayn Rands „We the Living“ war den Produzenten mit fast 4 Stunden zu lang, weshalb sie in zwei Teile getrennt wurde: Noi vivi und Addio, Kira. Zumindest Letzterer funktioniert auch als eigenständiger Film (hab ihn als solchen gesehen und erst dem Programm entnommen, dass da mehr war). Es geht um Kira, die Affären mit zwei Männern hat. Der eine ist Geschäftsmann und bereichert sich durch die Korruption des stalinistischen Staatsapparates. Der Andere ist der scheinbar einzige Mitarbeiter dieses Apparates, der noch seinen Idealen folgt. Kitsch und Klischees werden oft genug gerammt, aber irgendwie schafft es Addio, Kira immer wieder der Falle zu entgehen und wird so ein mitreißendes Stück Melodrama.

3. Die Maschine Bösetöter (I 1952)

Für alle die es nicht wussten, Roberto Rossellini kann auch beschwingt und witzig … La macchina ammazzacattivi beweist es eindrucksvoll. Ein Fotograf bekommt von einem alten Mann eine Kamera, die, wenn man ein Foto fotografiert, die abgebildeten Personen in der entsprechenden Pose einfriert. Mit diesem Werkzeug soll er das Dorf von allen bösen Menschen befreien. Stimmungsvoll und teilweise mit erstaunlich absurdem Witz bricht der Vorzeigeneorealist mit dem Klischee seinerselbst. (Er wurde übrigens dieses Jahr in Cannes gezeigt. Dort fragten die Verantwortlichen die Zuschauer, wer ihn schon mal gesehen hat. Nur ein Anwesender meldete sich und gab hinterher zu, dass er gelogen hatte.)

2. L’assassino (I 1961)

Der dt. Titel „Trauen Sie Alfredo einen Mord zu?“ steht unter dem Motto: „Trauen Sie den Filmverleihern einer anderen Nation noch dümmere Entstellungen zu?“. Doch Elio Petris Regiedebüt ist deutlich besser als dieser Titel erwarten lässt. Marcello Mastroianni spielt den Antiquitätenhändler Alfredo, der unter Mordverdacht verhaftet wird. Ein kafkaesker Strudel bricht über ihn herein, der ihn hilflos zu verschlingen droht. Doch das Gute an L’assassino ist vor allem, dass er nicht Täter und Opfer zeigt, dass er auf Schwarz-Weißmalerei verzichtet. In der Welt Petris ist niemand ohne Schuld und so ist im Grunde gleichgültig, ob der Verdächtigte der Mörder war oder nicht. Mit Ruhe und Präzision wird gezeigt, wie Alfredo durch eine weltliche Institution des Über-Ichs ein Spiegel vorgehalten bekommt, der ihm alle seine Schuld zeigt. Das Ergebnis ist eine Mischung aus „La dolce vita“ und “The Wrong Man” mit einem Schuss Gaius Baltar … toll.

1. Am blauesten aller Meere (UdSSR 1935)

Ein Wunderwerk. Was soll man über diesen Film sagen, der sich nicht mit Worten erfassen lässt? Weder kann eine Wiedergabe des Inhalts noch eine Erklärung des Erlebten klar machen, was diesen Film ausmacht. Mit naiver Freude und tiefer Melancholie, voll Schönheit und Schmerz ist Boris Barnet ein traumhaftes Meisterwerk gelungen. Ein Meisterwerk, das nie unrealistisch erscheint, aber trotzdem irgendwie parallel zur Realität verläuft. Henri Langlois hat in der Cinémathèque française die vorrätigen Barnet Filme mindestens einmal im Jahr gespielt. Er wusste, was er an ihm hatte.

Was ich noch gesehen habe:

Die letzte Kompanie (D 1930) – ein potentieller Lieblingsfilm Josef Goebbels‘.

Das Leben gehört uns (F 1936) – ein essayistischer Propagandafilm für die KP. Jean Renoir und andere nehmen dabei Godards Stil aus den Siebzigern vorweg. Letzterer hat sich aber nie dermaßen zu einem Werkzeug der Verklärung machen lassen.

Nosferatu (D 1921) – mal wieder. Immer wieder gut.

Die Reise zum Mond (F 1902) – einmal mit Orchester, einmal mit Musik von Air. Das war derselbe Film?

Justin de Marseille (F 1935) – wunderschön fotografiert, aber dümmliche Geschichte. Trotzdem, Maurice Tourneur sollte man im Auge behalten.

Fig Leaves (USA 1926) – Howard Hawks liefert in den ersten 20 Minuten die Blaupause zur Familie Feuerstein. So wacht Adam durch einen Wecker auf, dessen Sanduhrmechanismus eine Kokosnuss auf seinen Kopf fallen lässt. Danach folgt viel Leerlauf.

Winstanley (GB 1976) – Kevin Brownlows Film über den Frühkommunisten Gerrard Winstanley äfft uninspiriert Straub/Huillet nach. Aber irgendwie trotzdem sehenswert. Hm.

Ballerine (I 1936) – Originalton ohne Untertitel, dafür mit Simultanübersetzerin… die nicht vorbereitet wurde und bei all dem Gerede nicht hinterher kam. Schien aber ein ganz netter Film zu sein. Tolles Ende.

Staryj Naezdnik (UdSSR 1940) – nochmal Barnet, doch wieder Simultansprecherin. Nach oben erwähntem Film wurde er von Mosfilm zu weniger Subjektivität angehalten. Der entstandenen Komödie über das Leben auf der Rennbahn fehlt deshalb das gewisse Etwas, auch wenn sie nicht schlecht ist.

The Look (D/F 2011) – Doku über Charlotte Rampling. Zu unterschiedlichen Themen spricht sie mit unterschiedlichen Freunden, zum Beispiel mit Fotograf Peter Lindbergh über „Exposure“. Gleichzeitig werden ihre Karriere und ihre Filme mit ihrer Persönlichkeit ins Verhältnis gesetzt. Ein faszinierender Blick auf eine große Künstlerin und eine spannende Person.

Der Konformist (I 1971) – toller Film über ein Leben unter der Herrschaft Mussolinis, der durch sein dummes Ende verdorben wird.

Fazil (USA 1928) –  Mit Ton hätte Howard Hawks vielmehr Anerkennung hierfür erhalten… verdientermaßen. Ohne ist es ein guter Stummfilm mit viel zu vielen Zwischentiteln. Übrigens ist „Hinter Haremsmauern“ der deutsche Titel.