Kontrapunkt: The Artist – Ein moderner Stummfilm von vielen


Es ist einer seiner letzten erfolgreichen Filme, die George Valentin (Jean Dujardin) hinter der Leinwand verfolgt. Nach dem Ende des Films tritt er auf die Bühne und führt mit seinem Hündchen Kunststücke vor. Er ist ein Entertainer, ein Lebemann wie er im Buche steht und die Hauptfigur in The Artist. Die Filmgeschichtsbücher schreibt Michel Hazanavicius indes mit seiner formalästhetischen Kuriosität nicht neu. Sein Stummfilm ist kein „klassischer“, sondern ein „moderner“, einer von vielen eigenwilligen Exponaten in dieser Galerie, die von Aki Kaurismäkis Juha über Franka Potentes Der die Tollkirsche ausgräbt bis hin zu Esteban Sapirs La Antena reicht – mit dem Unterschied, dass er am meisten “Hollywood” von ihnen ist.

Allen gemein ist die Referenz auf ihr Medium, den Film, und seine Geschichte. Dies ist auch der Unterschied zum „klassischen“ Stummfilm: Während die Stummfilmtechnik bis in die 20er Jahre dem state of the art der Produktionsbedingungen entsprach, ist dieser Stil heute durch technische Entwicklungen obsolet. Mit anderen Worten: Während der Stil des Stummfilms damals ein etablierter war, bedarf er heute einer Begründung – in Form einer Bezugnahme auf die Zeit seiner Verortung oder hinsichtlich seines Sujets, was in La Antena mit einer despotisch beherrschten „Stadt ohne Stimme“ gelang. The Artist bedient beide Arten: Historisch angesiedelt in der Übergangsphase zwischen Stumm- und Tonfilm Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre legitimiert er sein Hin- und Herspringen zwischen beiden Ästhetiken. Ein surrealer Traum, in der Hauptfigur Valentin sich selbst als letzten Stummen in einer tönenden Welt wahrnimmt, in der eine zu Boden schwebende Feder entsprechend früher Probleme bei der Tonmischung einen Donnergroll auslöst, ist als stilistischer Ausreißer damit ebenso „entschuldbar“ wie eine Szene um die Produktion eines tönenden Stepptanzes inklusive akustischer Anweisungen am Set.

Der „moderne Stummfilm“ als – im Sinne André Bazins – Stilfamilie des Kinos weißt als wesentliches Element die Verinnerlichung des modernen Films auf – zuvörderst und zunächst problematisch erscheinend den seltenen Einsatz von Ton. Abseits experimenteller Arbeiten scheint dabei zunächst The Call of Cthulhu ein „moderner Stummfilm“ äußerst starker klassischer Prägung. Doch ist zumindest der Bildertypus, der sich in seinen Kontrasten und Effekten schnell als digitaler entlarvt, ein anderer, eben „moderner“.

The Artist reflektiert stets nicht nur sich selbst als ästhetisches Experiment, sondern auch das Kino. Die Story um einen Filmstar, der sich mit dem Ende seiner Kunstform konfrontiert sieht, ist keine, die Hazanavicius hätte erfinden müssen: Für Stummfilmstars wie Pola Negri bedeutete der Tonfilm aufgrund ihres starken Akzents, bei Skeptikern wie Emil Jannings aufgrund ihrer selbst gewählten Distanzierung zu dieser „niederen Kunst“ den Niedergang der Karriere. Ebenso wie Chaplins Tramp in Modern Times gibt sich jedoch George Valentin auch bei seinem ersten Tonfilmarrangement nicht die Blöße: er spricht nicht, auch wenn sein Keuchen der Erschöpfung nach einer Stepptanz-Einlage deutlich zu hören ist.

Hollywood steht zu seiner Historizität, steht zu seinem System der Stars als glamouröse Identifikationsfiguren und Publikumsmagneten, auch wenn diese irgendwann ihren Zenit überschreiten. Hollywood steht jedoch auch zu seiner Ökonomie, zu seiner mutlosen Maxime, die all zu ambitionierten Vorhaben und originellen Ideen, was Inszenierung, Besetzung, Narration und Thema angeht, nicht zuletzt seit dem „Hays Code“ einen Riegel vorschiebt. John Goodman als gewiefter Produzent (Foto) repräsentiert genau dieses System. The Artist gelingt es, über den Umweg Cannes durch dieses engmaschige Korsett zu schlüpfen, mit einem Regisseur, der das reflexive Zitieren schon mit seinen Agentenfilm-Parodien OSS 17 eingeübt hat, mit einem Hauptdarsteller, welchem Glamour und lässige Selbstgefälligkeit ins Gesicht geschrieben stehen, mit einer Hauptdarstellerin (Bérénice Bejo), welche erotische Ausstrahlung mit Rehaugen-Charme vereint. Kurz: Stocklangweilige und inzwischen als Konventionen etablierte Zutaten, wenn sie nicht als „moderner Stummfilm“ in einem tatsächlich gewagten neuen Gewand präsentiert würden, was zuvörderst daran liegt, dass er nicht in den USA, sondern in Europa entstand.

Sinnliche Welten – Liebende Frauen (GB 1969)

John Cassavetes sagte einmal: „Sagt, was ihr seid. Nicht, was ihr gern wärt, und auch nicht, was ihr sein müsstet. Sagt einfach, was ihr seid. Das ist allemal genug.“ Was gehört aber mehr zum Menschsein als Unzufriedenheit, Wünsche und Ambitionen? Women in Love erzählt von vier Menschen, die den Stachel der Unzufriedenheit in sich tragen. Die Krankheit zum Tode. Vier Menschen, die mit dem Kopf gegen die Wände rennen, die ihnen die Welt aufstellt. Sie können sich mit ihrem jetzigen Sein nicht zufrieden geben. Denn davon werden sie ebenso erstickt, wie von den Konventionen, die sie umgeben. Ihr Ich, verkrüppelt durch die würgenden Werte ihrer miefigen Erziehung, schreit nach Freiheit, nach Veredlung. Ihre Umwelt ist ein einziges riesiges Gefängnis und der schlimmste Kerker von allen ist die bürgerliche Ehe. Diesem lebendigen Tod stellen sie ihre einzig wahre Utopie entgegen: Emotionen und Gefühle. Sie wollen das Leben in allen Gliedern spüren. All ihre Gedanken kreisen folglich um das stärkste, irrationalste Gefühl: die Liebe. Eine romantische Liebe, ewig und allumfassend. Ekstase, Freude, Leid, Hass, Wahnsinn, Glück, all das verspricht sie. Vor allem aber einen freudigen, aufregenden Tanz auf dem Rand des Vulkans. Und all das wird sie auch einlösen und all das Romantische, alle rosaroten Phantasien auffressen.

Doch zu Beginn steht die zärtliche Annäherung zwischen den auf Distinktion ausgerichteten Brangwen Schwestern und den besten Freunden Rupert Birkin (Alan Bates) und Gerald Crich (Oliver Reed). Die an Bildhauerei interessierte Gudrun Brangwen (zauberhaft: Glenda Jackson) fängt ebenso eine Affäre mit dem Großindustriellen Crich an, wie ihre Schwester, die manisch besitzergreifende/häusliche Ursula (Jennie Linden) mit dem rebellischen Bohème/Schulinspektor Rupert. Alle Vier verlieren sich in der Liebe zueinander, in den Spannungen zwischen den Wünschen und Erwartungen aneinander und der Lust an den eigenen Gefühlen. Auf der Suche nach der Vollkommenheit einer ewig berauschten Liebe durchstreifen sie ihre Umgebung, ihre Emotionen und tanzen umeinander wie Motten um das Licht. Sie schwingen große Reden, suchen nach neuen Idealen und sind trunken von ihren Lobpreisungen und bedeutungsschwangeren/entrückten Tänzen. Doch die Ernüchterung wartet hinter jeder Ecke. Jedes Mal wenn die verzerrte Realität die Mauern ihrer Schwärmerein durchbricht, sie hinter ihre Phantasie schauen müssen und den Horror entdecken. Einen Horror, der mit jedem Blick schlimmer wird.

Liebende Frauen ist kein Reißer. Er versucht nicht zu packen, sondern zu locken. Mit jeder Faser ist er verführerisch. Selbst in seinem Wahnsinn und seiner Hysterie. Ken Russell fängt D. H. Lawrence ein, ohne ihn zu kopieren. Trunken torkelt die Inszenierung durch das Geschehen. Nichts ist kunstvoll durchdacht. Alles ist von Naivität und Freude durchdrungen. Schwere ist nirgends zu finden. Doch die schlichten Bilder trügen nur. Sie lullen ein, um plötzlich in entrückte Räusche umzuschlagen. Der Tanz Gudruns mit einer Herde Hochlandrind sieht schlicht aus, offenbart aber eine Frau am Ende der Unschuld, gefangen in ihren Träumen von einem romantisierten Irrsinn. Die Bilder und die Musik versperren einem die Sicht. Sie jagen einem Schauer über den Rücken und wischen jede analytische Position hinweg. Denn Ken Russell ist nicht daran interessiert zu verstehen, er möchte fühlen. So zieht er einen fiebrigen Fandango auf, der nur die subjektiven Sichten der Akteure zulässt. Der Blick von außen bietet nur die Sicht auf einen wenig künstlerisch durchformten Film. Wer sich aber inmitten des Taumelns wiederfindet, taucht in Szenen ein, die einem immer wieder in rauschhafte Zustände aus Entsetzen und Verzückung versetzen. Alleine Glenda Jacksons Rindertanz und die Szene, in der Alan Bates und Oliver Reed nackt vor einem Kamin ringen, erst klar erzählt, später nur noch in abgehackten Augenblicken eingefangen, gehört zum Unvergesslichsten, was das Kino zu bieten hat.

Den größten Teil des Films suchen die Vier einander, nähern sich einander an und sind glücklich. Doch als sie zueinander gefunden haben und sich auf der Hochzeitsreise von Rupert und Ursula in der Schweiz befinden, müssen sie sich der Realität stellen. Liebende Frauen wird unvermittelt spröde und abweisend. Alle versuchen sie sich an ihre Ideale zu klammern, doch alles ist nur noch verkrampft. Die Bilder werden fremd, obszön und abweisend, obwohl sie sich kaum verändern. Die Verführung hört auf und die Desillusion beginnt. Außerhalb des Rausches herrscht nur noch ungastliche Kälte … für die vier Phantasten der Liebe und den Zuschauer.

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Space Madness – Christmas on Mars (USA 2008)


“Where is heaven when you’re outer space.”

Die Flaming Lips sind vielleicht am besten, wenn sie mit naiver Selbstverständlichkeit Schnapsideen umsetzen. Ideen, für deren Umsetzung jeder andere Bewohner dieses Planeten zu viel gesunden Menschenverstand oder zu wenig weltvergessenes Selbstvertrauen hat. Sie haben mit „Zaireeka“ ein Album aufgenommen, das sich auf 4 gleichzeitig abzuspielenden CDs befindet. Auf Konzerten kann es passieren, dass zu glücksversprühenden Melodien Sänger Wayne Coyne in einer Kunststoffblase über das Publikum läuft und selig lächelt, während auf der Bühne umringt von außerirdischen Cheerleadern und Santa Clausen der Rest der Band im Konfettiregen untergeht. Doch was die Lips so groß macht, ist, dass hinter all dieser Naivität und Freude die Welt mit einer wahnsinnigen Fratze hervor lugt. So kann sich in selben Moment des Konzertes auf der Leinwand hinter der Band gerade jemand per Pistolenschuss das Leben nehmen. Ihr just erschienener Song 7 Skies H3 versprüht in seiner imposanten Spielzeit von 24 Stunden auch eher besessene Beklommenheit als Lebensfreude.

Nach der Jahrhundertwende wollte sich nun besagter Wayne Coyne einen lang gehegten Traum verwirklichen. Er wollte einen Science-Fiction-Weihnachtsfilm drehen. Da er aber kaum über die ausreichenden Mittel verfügte, diese vielleicht auch gar nicht haben wollte, weil Selbstbasteln viel mehr Erfüllung bereithält, drehte er in seinem eigenen Garten und in umliegenden, leer stehenden Industriehallen in selbstgezimmerten Kulissen. Das Problem mit dem Endprodukt Christmas on Mars ist, dass die Leidenschaft an jeder Ecke zu spüren ist, aber genau so der Umstand, dass hier jemand etwas tut, mit dem er nicht vertraut ist. Das Wayne Coyne vielleicht etwas macht, was er liebt, aber bei dem er sich nicht mit derselben intuitiven Zielsicherheit bewegen kann, wie in der Musik.

Besagte Kulissen stellen aber noch ein geringes Problem dar. Dafür ist die Geschichte von der abgeschnittenen Raumstation, die von einem stummen Alien (Wayne Coyne) im Santa Kostüm heimgesucht wird, eine dramaturgische Gurke sondergleichen. Christmas on Mars folgt fast die gesamte Zeit dem ständig durch die Station laufenden Mayor Syrtis (Steven Drozd), der sich auf der Suche nach seinem Santa-Darsteller für die Weihnachtsparty befindet. Endlos wandert er durchs Nichts. Nebenbei erfährt der Zuschauer zwar, dass die Station immer mehr auseinanderfällt und die letzte Frau Komplikationen bei ihrer Schwangerschaft hat. Das Ende der Station und vielleicht der Menschheit scheint zu nahen. Doch durch die dahin plätschernden Dialoge und die nichtssagenden Handlungen bleibt alles ein riesiger Brei. Die stark gestreckte Handlung endet zudem so plötzlich, wie der Aufbau langwierig war. Christmas on Mars gleicht so dem Blick auf eine Sanduhr … erst zieht sich die zeitlose Monotonie ewig hin, aber sobald das letzte Korn fällt, scheint alles nur vorbeigerast zu sein.

Die größte Schwierigkeit ist aber, dass hinter der offensichtlichen Symbolik eine geradezu lächerlich hochtrabende Fragestellung lauert. Hinter dem mehrmals gesagten „Human beings weren’t meant to live in space.“ verbirgt sich nichts weniger als die Frage, ob die Menschheit, welche nicht in der Lage ist, mit seinesgleichen und seiner Umwelt zu leben, Überlebenschancen hat. Auf seltsame Weise rettet sich Christmas on Mars aber gerade dadurch vor dem totalen Scheitern. Den Schlüssel dazu liefert Hauptdarsteller Steven Drozd, Gitarrist, Drummer und Keyboarder der Flaming Lips.

Wer weiß, dass der Film auf dem Höhepunkt seiner Heroinsucht entstand, am Rande zu dessen Tod, dem kann sein Spiel merklich erschüttern. Er starrt orientierungslos an seiner Umwelt vorbei, ringt mit seinem Text und damit sich nicht zu verlieren. Nach zwei Worten kämpft er schon mit der Erinnerung, was er eben sagte. Ständig scheinen seine Gedanken abzuschweifen und in seinem Gesicht steht eine riesige Anstrengung nach Konzentration geschrieben. Aber die anderen Darsteller benehmen sich kaum anders. Ob gewollt oder nicht, entwickelt Christmas on Mars so eine beindruckende Darstellung von „Space Madness“, die selbst „Ren & Stimpy“ alt aussehen lässt. Durch die andauernde Isolation verlieren sich die Astronauten in ihren Gedanken und die Verbindung zu ihren Kollegen scheint unmöglich. Verloren stehen sie sich gegenüber und können nichts miteinander anfangen, weil sie Rätsel füreinander sind. Paranoia und Hilflosigkeit sind nur der Anfang. Stammeln und Orientierungslosigkeit kumulieren in einer halluzinierten Blaskapelle, deren Mitglieder keine Köpfe, sondern weibliche Genitalien haben. Zwischen den Menschen herrscht eine Kälte wie im sie umgebenden All, die sie geistig aufzufressen droht.

Dieser beängstigende zwischenmenschliche Wahnsinn wiegt zwar nicht alle ermüdenden Unzulänglichkeiten auf, schafft es aber, sich langwierig im Kopf zu verankern und große Teile der zweiten Hälfte des Films zu einem wirren Erlebnis zu machen. Einem breiigen Erlebnis in dem der Erfolg sich zur Abwechslung mal nicht in einem langen, harten, klar strukturierten Gegenstand findet, sondern sich hinter mehrmalige Griffe in undefinierbaren Massen versteckt. Geradezu utopisch.

Zartes Zerreißen – Ein Platz an der Sonne (USA 1951)

In vielerlei Hinsicht ist A Place in the Sun (oder eben “Ein Platz an der Sonne”) ein schizophrener Film. Oder nein. Er ist ein zutiefst menschlicher Film, der nicht kohärent sein kann, weil es die Menschen nicht sind. Zu reich an Emotionen, Erfahrungen und Vorstellungen sind sie. Zu widersprüchlich ihre Wünsche, zu unvereinbar ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Ein Platz an der Sonne zeigt uns einen solchen Menschen, lässt uns tief in ihn Blicken und uns einen unermesslichen Reichtum erfahren.

George Eastman (Montgomery Clift) ist ein Tagelöhner, geflohen vor dem religiösen, asketischen Leben seiner Eltern, der nach Los Angeles zu seinen reichen Verwandten kommt. Von diesen wird er mit einer Stelle an einem Fließband abgespeist. Was von dort beginnt, könnte eine filmische Ruptur genannt werden. Er wird zerrissen zwischen seinen Möglichkeiten, seinen Träumen, seiner Herkunft und der Realität. Er wird unter unerträgliche Spannungen gesetzt und aufgespannt. Regisseur George Stevens zeigt uns folglich nicht einen Film, sondern zwei. Mindestens.

Da ist einmal das realistische Drama. Allein in der Großstadt fängt er, trotz des expliziten Verbotes, eine Affäre mit der Kollegin Alice Tripp (Shelley Winters) an. Einsamkeit? Trotz? Zuneigung? Wer kann sagen, was die Motivation für die Beziehung ist. Die von Hollywood so prominent propagierte Liebe ist es jedenfalls nicht. Zu deutlich hängt er seinen Träumen von Modell Angela Vickers (Elizabeth Taylor) hinterher. Doch die Kamera (William C. Mellor) zeigt nichts, was George Grund zum Träumen gibt. Die dunklen Straßen, die kleinen Räume, der triste Arbeitsplatz, nie scheint die Sonne zu strahlen, nichts als Realismus über das Leben von Arbeitern am unteren Lohnniveau. Wahrscheinlich findet er sich einfach nur mit seiner Situation ab. Doch auf George wartet eine Überraschung. Sein Onkel erinnert sich seiner, befördert ihn und führt ihn in die gehobene Gesellschaft ein. Er lernt Angela Vickers kennen und beide verlieben sich. Die Bilder leuchten … und Elizabeth Taylor glitzert weit mehr, als es die Diamanten um ihren Hals könnten. Ein riesiger Schmachtfetzen macht sich neben dem Realismus breit. George landet in einem Märchen sondergleichen, dass sich wie in einer Parallelwelt abzuspielen scheint.

Die ellenlangen Überblendungen, welche die Übergänge zwischen den beiden Realitäten darstellen, lassen aber keinen Zweifel daran, dass George nur in einer Welt lebt. Eine Welt, in der alle seine Träume wahr zu werden scheinen, eine Welt, in der Alice schwanger ist, eine Welt, in den 50er Jahren, wo schwangere Frauen Ehemänner brauchen, eine Welt, in der George gefeuert wird, wenn seine Beziehung zu Alice publik wird, eine Welt, in der er sich entscheiden muss … zwischen seinen Träumen oder auf welcher Leiche er diese aufbaut.

Bis zum Ende gibt es keine einfache Lösung, keine einfache Moral. Ein Platz an der Sonne ist genauso zerrissen, wie George Eastman, dessen Geschichte George Stevens erzählt. Die Sensibilität und Vieldeutigkeit der Kargheit eines Robert Bresson steht neben der Charakterzeichnung und ausufernden Bildsprache eines Melodrams von Douglas Sirk. Einerseits herrscht eine unerbittliche Härte … jederzeit wird über George Gericht gehalten, seine Taten hinterfragt und geprüft, wie in keinem anderen Film wird die schmerzliche Unumkehrbarkeit unserer Handlungen deutlich. Nichts kann er tun um seinen Traum zu retten, nie wird er seine andere Realität los. Er kann sich winden, wie er will, nichts lässt ihn eine einheitliche, klare Welt erlangen … oder Erlösung. In jedem der beiden Realitäten, in denen er gefangen ist, wird er von der anderen verfolgt … mit unerbittlicher Härte. Doch gleichzeitig ist Ein Platz in der Sonne voller Mitgefühl und Verständnis, denn das Urteilen wird den Protagonisten überlassen. Es herrscht eine süße, zärtliche Schmerzhaftigkeit von der eine grenzenlose Wärme für das Leben mit all seiner Härte ausgeht.

Eine der wichtigsten Qualitäten, mit denen dieser Prinz unter den Melodramen gekrönt wird, ist die den Bildern vertrauende Erzählweise. Wenn Marcel in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit in ein Pissoir geht, dann wird er mit Erinnerungen überflutet, die Proust Seite um Seite vor uns ausbreitet. Marcel selbst und seine Vergangenheit werden so für den Leser greifbar. Georg Stevens und William C. Mellor schaffen dasselbe mit ihren einfachen Bildern, die Räume für Unausgesprochenes aufreißen. Wenn George beispielweise vor singenden Kindern aus einer Predigergemeinde steht, spiegelt sich nicht nur seine Kindheit. Seine Herkunft, sein Verhältnis zum Jetzt, seine tiefe Zerrissenheit werden deutlich. Hinter Montgomery Clifts Gesicht wird ein dunkler, unendlicher Raum geöffnet, der Bände spricht, obwohl er nie mehr als Ahnungen beinhaltet. Alles was er nicht sagt und vielleicht nicht sagen kann, steht in diesen schlichten Fenstern zu seiner Welt und seiner Seele.

Ausflug ins Insektarium – Red Angel (J 1966)

Schwarz-Weiß können die Bilder kaum genannt werden. Schwarz-Dunkelgrau trifft es eher. Selbst wenn in Red Angel die Sonne scheint, ist die Leinwand wie von Schmutzrückständen bedeckt. Lediglich die weißen Verbände oder Ärztekittel leuchten aus der Düsternis der Bilder. Der Blick auf den japanisch-chinesischen Krieg ist der Blick in einen Abgrund, in einen dunklen, enigmatischen Krater. Mit stöhnenden und schreienden Körpern überfüllte Krankhäuser und Lazarette bilden den ständigen Hintergrund des Geschehens. Das schummrige Licht gibt einem gerade so viel zu erkennen, dass dieses verworrene, undurchdringliche Regen der Glieder von einem Loch voller Insekten unterschieden werden kann. Der siebente Kreis der Hölle scheint um die Ecke zu liegen.

Krankenschwester Nishi Sakura (Wakao Ayako) wird 1939 an diesen verdammten Platz versetzt. Oder vielmehr sind es zwei Plätze: das Armeekrankenhaus weit hinter der Front und ein Feldlazarett direkt hinter der Linie. Während das Grauen in Ersterem eher dezent und unterschwellig daherkommt, ist es im Zweiten unerträglich in seiner Deutlichkeit. Regisseur Masumura Yasuz? lässt seine Hauptdarstellerin zwischen diesen beiden Polen pendeln. Immer wieder erhält sie die Möglichkeit, sich von der Front zu erholen. Immer wieder sucht sie nach Wegen, das Erlebte geistig gesund zu überstehen. Einen Sinn scheint sie nur in hingebungsvoller, selbstverleugnender Hilfe zu finden. Sie wird zum titelgebenden roten Engel. (Akai tenshi, so der Titel im Original, wurde im Österreichischen Filmmuseum als „Der rote Engel“ gezeigt, aber da es bisher zu keiner deutschen Veröffentlichung kam, verwende ich weiter den englischen Titel „Red Angel“)

Für die Soldaten im Krankenhaus ist sie nur ein Stück Fleisch, ein Objekt für ihren irren, verzweifelten Eros. Die Berichte von chronischen Dauererektionen in den Lazaretten der Weltkriege macht Masumura zur fürchterlichen Realität. Gleich zu Beginn wird Nishi vergewaltigt … ohne Konsequenzen für den Täter. Womit soll dieser auch noch bestraft werden? Doch sie akzeptiert die Umstände.  Durch den Schmerz der Anderen verliert sie den Blick auf sich selbst. Oder kann sie ihre Identität nur durch Helfen und Vergeben retten, durch das Hintenanstellen der eigenen Empfindungen? Jedenfalls versucht sie diesen erbärmlichen Teufeln etwas Erlösung zu verschaffen, physisch und metaphysisch. Aber retten kann sie niemanden, die einen sterben, die anderen dürfen nicht nach Hause zurück, weil Krüppel, die Kriegsmoral untergraben würden. Die Welt (des Krieges) widersteht Nishis Rettungsversuchen. Die Welt (des Krieges) schaut auf alle herab und zerdrückt sie wie Insekten zwischen den Fingern.

Doch das wahre Grauen wartet an der Front. Dort liegen Unmengen an Verwundeten einfach rum, Unmengen werden unaufhörlich angeliefert und da keine Zeit und keine Medizin vorhanden sind, wird schlicht und einfach amputiert. Unaufhörlich amputiert. Die Gliedermasen stapeln sich schon in überfüllten Fässern. Doch Masumura braucht keine Bilder, um den Schrecken einzufangen. Sein Sounddesigner Tobita Kimio unterlegt alles mit markerschütternden Stöhnen, Schreien, Ächzen, Schluchzen, Knacken und Sägen. Das, was die elegisch dahin schwelgenden Bilder an Explizität doch noch vermeiden, das bringt der Ton um so deutlicher ins Bewusstsein. Statt zu zeigen, lässt Red Angel die Phantasie walten. Und das nicht zu knapp.

Entmenschlichter und aufreibender wurde Krieg vielleicht nie dargestellt. Das Würgen der Cholera-Infizierten, die Schreie des unfassbaren Schmerzes, die Verrohung des Menschen, das magische Schwarz des Blutes (wie lächerlich würde rot an dieser Stelle wirken). Und trotzdem ist Red Angel wunderschön. Masumura erhebt nie den Finger. Er zeigt das persönliche Leiden Nishi Sakuras in einem enigmatischen Kunstwerk, das alle Grenzen des gezeigten hinter sich lässt. Es geht nicht darum zu zeigen, das Krieg fürchterlich ist. Es wird nach Erklärungen gesucht, wie Menschen unter solchen Bedingungen existieren können, wie sie weiterhin Glück empfinden können, wie sie vor der sie umgebenden Hölle bestehen können. Er zeigt eine Frau auf der Suche nach Rettung … für sich und alle anderen. Eine Hölle, in der sich Nishi in einen morphiumsüchtigen Arzt verliebt. Einen Arzt, der ihr Hoffnung, verzweifelte, unerreichbare Hoffnung schenkt. Wenn sie ihn trifft ist die Szenerie von getragener barocker Musik untermalt. In dieser Musik liegt alles, was den Film ausmacht: Schönheit, Geborgenheit, Resignation und Tod.