Manische Bilder – Possession (F/BRD 1981)

Mark (Sam Neill) sitzt im Schaukelstuhl. Unaufhörlich wippt er und starrt vor sich hin. Er starrt und scheint nicht loslassen zu können. Sein Geist dreht sich und er starrt. Starrt wie ein Verrückter. Doch es ist nicht Wahnsinn, der aus diesen Augen spricht, oder schlechtes Schauspiel, sondern es ist Manie. Er tobt, schreit und peinigt jemanden geistig. Fiebrig gibt er sich seinen Gefühlen hin. Mark wird überflutet von Hass, Unverständnis, Liebe, Rachegelüsten … alles rast, so dass er erstarrt … in seinem Stuhl, mit seinem Blick.

Doch nicht nur Mark wird von seiner Manie fortgeschwemmt. Possession ist berauscht und verliert sich in seiner Phantasie, seiner Paranoia. Aus jeder Pore schwitzt es schreckliche Möglichkeiten, welche die Macht haben, alle Sicherheit hinweg zu nagen. Mark kommt von einer Geschäftsreise wieder und seine Ehe liegt in Trümmern. Seine Frau Anna (Isabelle Adjani) verlässt ihn ohne jegliche Informationen. Sie möchte sich nicht mehr mit ihm auseinandersetzen, sondern einfach nur noch verschwinden. Und er überlässt sich seiner Vorstellungskraft. Eine irrsinnige Welt bricht über ihn hinein, in der alle Potentiale des Schreckens wahr werden. Regisseur Andrzej ?u?awski reißt jede Verbindung zu rationalen Realitäten ab. Manie fällt über alles und jeden her und verbeißt sich in sie.

Die erste Phase der Trennung wirkt wie ein Heroinentzug. Scheinbar von seiner Liebe, seiner schrecklichen, alles konsumierenden Liebe geheilt, nimmt Mark das Ruder in die Hand. Er ist auf Rache und Klarheit aus. Doch der Wahn lässt ihn nicht los. In Form einer unsicheren, ständig wiederkehrenden Anna, die so unberechenbar handelt, dass jede Klarheit wie Sand zwischen den Händen zerfließt … zwischen den Händen von Mark und dem Zuschauer. Sie kommt wieder und will sich um ihren gemeinsamen Sohn kümmern. Doch ihre Blicke wandern irre umher, sie hetzt von Nervosität getrieben durch die Wohnung. Am Ende stehen hysterische Auseinandersetzungen, Raserei und Geschrei zwischen einer Frau, die ihr altes Leben nicht mehr erträgt, und einem Mann, der nicht verstehen will oder kann, dass seine Liebe nicht mehr erwidert wird … und dass es keine rationelle Erklärung dafür gibt. Possession zerlegt Marks Leben, nein seine Welt in einen Trümmerhaufen.

Mark sucht aber weiter nach Sicherheit. Er findet Liebhaber. Annas Liebhaber, die ganz von seiner Phantasie gezeichnet werden. Heinrich, der neurotische Künstler, der erst unbezwingbar scheint. Mit all seinen Büchern und seiner Kampfkunstfertigkeiten. Der aber nur noch lächerlich ist, sobald Mark klar wird, dass Anna bei einem sexuell übermächtigen Phantasma mit acht Armen/Penissen Zuflucht nimmt. Der Oktopus als liebestolles Wesen, wie es nicht von ihm zuerst ausgedacht wurde (siehe hier). Er findet aber auch das Spiegelbild seiner Frau. Eine Doppelgängerin, die alle guten, vielleicht nie dagewesenen Züge von Anna vereint. Einen Engel, der ihm Hoffnung gibt. Doch all diese Funde einen die Welt nicht mehr. Sie lassen das Fieber nur mehr anschwellen und die paranoiden Zwangsvorstellungen nur schneller laufen. Überbordent verrennt sich dieses Phantasmagorium in unzähligen Sackgassen.

Die Erfahrungen seiner realen Scheidung verarbeitet ?u?awski in einem flirrenden Fiebertraum. Die Kamera ist manisch, die Figuren sind manisch, der Ton ist manisch. Alles ist meilenweit entfernt von gutem Filmemachen. Die zwanghaften Kamerafahrten, die Schreie, das Blut und andere Körperflüssigkeiten … nirgends wird Zuflucht geboten. Vielleicht ist Possession ein fürchterlicher Film, vielleicht ist das aber auch nur eine Perspektive, um ihn auf Distanz zu halten. Wer sich auf ihn einlassen kann, findet süßes Unbehagen, denn er schlägt tief. Körperlich erfahrbar werden all die Blicke, die beklemmenden Situationen, das unwürdige Verhalten. Kreischen, flehen, schreien, all das Erbärmliche, was tendenziell aus achtbaren Filmen verdrängt wird, als overacting gebrandmarkt, kehrt hier wieder und nimmt keine Gefangenen.

Vor allem aber ist es Druck, der überall zu spüren ist. Anna fühlt sich von Mark eingeengt und verfolgt. Mark wir eingezwängt von Gefühlen von Minderwertigkeit, durch das Verlassenwerden. Der Film spielt in Berlin und die Mauer ist regelmäßig zu sehen. Soldaten stehen auf ihr und beobachten das Treiben. Die Paranoia und der Verfolgungswahn drücken als Alp auf alles hernieder. Am Ende spiegelt ?u?awski seinen nicht minder verschrobenen (ver-rückten) Debütfilm „Ein Drittel der Nacht“ (Trecia cz??? nocy) und damit bessere Zeiten seiner Ehe. Es ist ein irrationaler Versuch einer religiösen Kommunion, des Abwerfen der drückenden Last des Seins durch Verklärung. Doch es folgt keine Erlösung. Bestenfalls reicht der Wahn über Possession hinaus.

Kulinarische Gewaltaufbereitung – Benny‘s Video (A 1992) & Sword of Justice (J 1972)

„Und niemand sollte verbieten/was er vielleicht selber fühlt.“ (Mutter)

In einem Interview bei „Zelluloid“ hat Michael Haneke einmal gesagt, dass er mit seinen Filmen der Gewalt den Charakter der Unerträglichkeit wiederzugeben trachtet. Vielleicht möchte er mit Streifen wie „Funny Games“ wirklich bessere Menschen aus uns machen. Vielleicht ist er wirklich der humorlose Oberstudiendirektor, der auf die abgestumpften Zuschauer herabblickt und ihnen den Weg aus der Minderwertigkeit weisen möchte. Vielleicht ist er aber auch ein passionierter Verführer, der uns kitzeln, verletzen, etwas spüren lassen möchte. Ein Sadist, der seine Mitmenschen gerade liebt, wenn sie es etwas härter brauchen. Eventuell ist er auch ein Poet der Düsternis, der in die Untiefen menschlicher Seelen schauen möchte. Aber wen interessiert es, was Michael Haneke dachte, als er seine Filme schrieb und drehte? Viel wichtiger ist, was diese Filme mit uns machen, weil sie all das, neues Fleisch und mehr enthalten.

1992 hat Haneke die Welt mit Benny’s Video beglückt. Einem Film voller Fernseher und VHS-Bänder. Darin zu sehen beziehungsweise darauf sind unter anderem die Tötung eines Schweins, Nachrichten aus dem Bosnienkrieg, „The Toxic Avenger“, ein Urlaub und ein Blutfleck auf einem nackten Bauch. Audiovisuelle Magnetbänder werden in all ihren Möglichkeiten dargestellt, als Konservierungsmöglichkeit, als Beweismittel, als Unterhaltungsvehikel oder als Identitätsversicherung. So kann zum Beispiel das geschlachtete Schwein immer wieder angeschaut werden. Es kann durch Rückspulen wieder zum Leben erweckt werden. Es kann versucht werden diese schreckliche Erfahrung zu verarbeiten oder die eigene Position zu dem zu Sehenden gesucht werden.

Benny (Arno Frisch) ist ein ziemlich normaler Teenager, nur das er ein Zimmer voll Videoequipment hat. Die ganze Welt scheint er damit zu verarbeiten. Eines Tages lädt er ein Mädchen zu sich nach Hause ein und zeigt ihr seine Möglichkeiten, alles aufzeichnen zu können, und schließlich auch die Aufnahme des Schweins. Er zeigt ihr den Schlachtschussapparat, mit dem es getötet wurde. Aus einer intimen Szene wird schnell der Horror als er in totaler Sinnlosigkeit das Mädchen anschießt und in Panik tötet. Er versucht, die Tat zu verarbeiten. Er macht sauber, geht aus oder betrachtet das Video und steht ohnmächtig vor den Konsequenzen. In einer erschreckenden, gleisend erotischen Szene betrachtet er seinen Körper, auf dem Blutsprenkler des Opfers sind. Was, wenn der Schrecken nicht nur Schrecken ist? Schließlich zeigt er seinen Eltern das Video mit dem Mord und erhofft sich von ihnen eine Lösung. Doch sie denken nur daran, ihren Sohn zu schützen und den Mord zu verdecken.

Michael Haneke hat eine spannende Geschichte geschrieben. Eine Geschichte, die keine einfache Lösung bereithält und keine Möglichkeit gibt, aus den entstehenden Widersprüchen zu entfliehen. Sanft nähert er sich den Charakteren und den Geschehnissen an. Eine komplexe Situation, in die sich verbissen werden kann. Das Problem ist aber, dass Hanekes audiovisuelle Umsetzung dazu führt, dass alles wieder ausgekotzt werden muss. Sein kalter, anklagender Blick hält nichts als Denunziation bereit. Die ständig gezeigten Fernseher werden nicht emotionslos angeschaut, sondern mit kalter Verachtung. Der starre Blick auf Benny beim Erledigen seiner Hausaufgaben, während im Hintergrund Videos laufen und Metal ohrenbetäubend dröhnt, führen zu brechreizerregenden Beklommenheitsgefühlen. Nun kann eingestimmt werden, dass Hardrock, Comics, Actionfilme, Fernsehen und Videospiele Schuld sind an einer diagnostizierten menschlichen Verrohung oder es wird einem eingeimpft, ob von Haneke gewollt oder nicht, dass solche Lösungen zu kurz greifen und, in einer solchen Form dargestellt, fast so schlimm sind wie Bennys Tat. Amibivalent steht Haneke vor seiner Handlung und ist einerseits hingezogen und fasziniert, andererseits malträtiert er sich und andere genau dafür.

Ganz anders Goyôkiba (Hanzo the Razor – Sword auf Justice), der erste, der drei Filme über den fiktiven Polizisten im mittelalterlichen Japan, der da Kamisori Hanzo („Rasiermesser“ Hanzo) heißt. Knietief wird hier durch Populismus und Sexismus gewatet, dass es nur so eine Freude ist. Statt verschämt wegzuschauen oder argwöhnisch zu verteufeln, geben sich Regisseur Misumi Kenji und Drehbuchautor Koide Kazuo ihren Phantasien hin. Und Kameramann Makiura Chikashi fängt all das in betörenden Bildern ein.

Kamisori Hanzo ist knallhart und unbestechlich. Auf niemanden nimmt er Rücksicht. Nicht auf sich und schon gar nicht auf seine Vorgesetzten. Aus Misstrauen gegenüber einem der Letzteren verhört er einen Bettler, der von seinen Kollegen gejagt wird. Er erfährt, das Profikiller Totenfluss-Kanbei nicht ins verfügte Exil ging, sondern von seinem Chef gedeckt wird. Unaufhaltsam kommt er einem Verbrechen auf die Spur, das bis in die höchsten Kreise der Regierung ragt. Doch dem Plot wird kaum Beachtung geschenkt. Folglich ist es kaum verwunderlich, dass er ins Leere läuft. Er kennzeichnet nur den Einzelkämpfer Hanzo, der sich für die Gerechtigkeit auch gegen „die da oben“ wendet. Er ist der Verteidiger des kleinen Mannes. Ein Mann, der nicht so handelt, weil er so ein guter Mensch ist, sondern weil er muss. Jede Entspannung würde ihn erschlaffen lassen, er braucht den Druck um hart zu bleiben.

An anderer Stelle habe ich einmal geschrieben, dass „Conan der Barbar“ ein einziger riesiger Phallus sei. Gegenüber Sword of Justice erscheint er aber geradezu lappig. Hanzo ist pure Männlichkeit … oder besser eine extreme Form einer Vorstellung von Männlichkeit. Er ist ein Masochist, der sich selbst foltert, um zu wissen wie weit er mit einem anderen Menschen gehen kann, was er machen muss, um Antworten zu bekommen. So sagt er zumindest. Er foltert aber den Film lang niemanden außer sich selbst. Vielmehr scheinen es Methoden, mit denen er dem Umfeld jede Kraft, Härte und Männlichkeit raubt. Neben ihn werden alle anderen Menschen zu präpubertären Kindern. Die Einzigen, denen er außerhalb eines Kampfes Gewalt antut, sind Frauen. Wenn er Informationen braucht, entführt er die Frauen der Gangster und vergewaltigt sie. Nicht, dass es ihm sonderlich Spaß bereiteten würde. Solche weichlichen Dinge wie Spaß kennt er nicht. Aber sein durch Schläge mit dem Bambusstab gestärkter Phallus stellt für die Frauen solch eine Beglückung dar, dass sie alles erzählen, wenn er nur weiter macht.

Sword of Justice könnte ein abscheulicher Film sein und auf seine Art ist er es auch. Alles ist so übertrieben, dass es schwerlich ernst genommen werden kann. Gleichzeitig ist es so ernst, dass jeder Genuss mit genau so viel Ekel aufgewogen wird, dass eine Identifikation mit dieser nicht verwirklichbaren Figur unmöglich wird. Anstatt die eigene Phantasie zu tabuisieren, schauen Misumi, Koide und Makiura genau hin und stellen sie dar … in all ihrer Realität, ihrer Lust, ihrer Abscheulichkeit und in all ihrer Lächerlichkeit. Ein unverschämter Blick in die Phantasien von Männlichkeit, der diese nicht nur auslotet, sondern in seiner Übertriebenheit ad absurdum führt … Feier und Persiflage zugleich.

DÖS: Atavistisches Tirol – Der verlorene Sohn (D/USA 1934)

Vor Spoilern sei gewarnt! Vorsehen vor Absatz eins (zweite Hälfte) und ab Absatz vier.

Die Alpen, das unbekannte Land. Wer nicht den Vorteil besitzt, aus diesem wunderbaren Landstrich zu stammen oder in ihm zu leben, denkt sofort an Berge, Lederhosen und Bier. Ein Hauch von Rückständigkeit weht durch die Gipfel. Unzählige Heimatfilme und Musikantenstadl haben ihr Nötigstes angerich… dazu beigetragen. Doch sollte jemand auf die glorreiche Idee kommen, ein Remake von Der verlorene Sohn (manchmal auch als “Sonnenwend” vermarktet) zu filmen, sähe er sich außerstande, weiterhin die Alpen als Ort der Geschehnisse des letzten Teil des Films zu nutzen. Die atavistischen Stammesrituale, welche dort abgebildet werden, bieten eher Stoff für einen Klischee geladenen Film über Afrika, aber nicht glaubhafte Bilder über die Mitte Europas, nicht einmal in unseren glühendsten Phantasien über den gottverlassensten Teil der Alpen. Doch Luis Trenker entführt uns in eine fremde Welt, welche die seine ist. Er hat keineswegs einen Film über die Rückständigkeit seiner Heimat gedreht oder ein antiamerikanisches, gar nationalistisches Machwerk, wie ihm von der amerikanischen Militärregierung nach dem Zweiten Weltkrieg vorgeworfen wurde. Er schafft es vielmehr, den plumpen, verherrlichenden Heimatfilm zu dekonstruieren und auf den Trümmern eine trunkene Hymne auf eine Heimat und die glückliche, phantastische Rückkehr in den Schoß der Geborgenheit zu errichten.

Der Film beginnt mit drei Kruzifixen in den Alpen. Ein ausgemergelter Jesus hängt sichtlich gequält vor dem Alpenpanorama. Doch sein Leiden ist die Geborgenheit von Tonio Feuersinger (Luis Trenker). Nicht (nur) Qual stellen sie dar, sondern Heimatgefühl. Deshalb sitzt Tonio mit seiner Geliebten Barbl (Maria Andergast) auch am Fuß eines dieser Kreuze und sie würden gern ihr Leben lang dort sitzen. Wer will es ihnen verdenken? Die gleißenden Bilder der Alpenidylle sind wunderschön. Dunkelheit und starker Wind scheinen undenkbar. Die Menschen verstehen sich und singen fröhliche Lieder. Tonio ist ein strahlender Held, der Skirennen gewinnt und mit jedem befreundet ist. Und wenn Barbls Schönheit zu Rivalitäten führt, werden diese in fröhlichen Raufereien geregelt. Das Tonio neugierig auf die Welt ist, lässt sich nur damit erklären, dass es in seiner Vorstellung überall so sein muss… nur etwas anders.

Doch dann wird er zum Ausrichter des Sonnenwend-Festes zu Frühlingsbeginn bestimmt. “Die Sitten der Väter muss man heilig halten.”, sagt sein Vater und die Sonnenwende stellt sich ein. Die Bilder scheinen plötzlich nicht mehr gastlich, sondern dunkel und windig. Auf einem Bergausflug stirbt sein Freund Jörg und Tonio kommt nur knapp mit dem Leben davon. Die Idylle ist zerstört und er flieht in die USA um dort sein Glück zu finden. Doch was er findet ist die Härte einer anonymen Großstadt. Verloren irrt er durch Bilder, die nur in den seltenen Momenten des Glücks etwas von dem anmutigen Schein seiner Heimat haben. Was sie zeigen, ist Hunger und Kälte … so virtuos, dass der Zuschauer sich auch nach einer Mahlzeit und einer Decke sehnt. Tonio weiß nicht, wo er hin soll. Er ist verloren und ohne Heimat.

Doch er kehrt erst Heim als er sein Glück in der Fremde findet. In den Armen einer amerikanischen Milionärstochter findet er nicht die Geborgenheit der Heimat. Die Sonne wendet sich wieder. Er erreicht sein Heimatdorf überglücklich, aber die Bilder bleiben dunkel. Das Glück ist nicht von dem falschen Schein von früher bestimmt, welcher alle bitteren Gefühle verleugnete. Denn die Heimat war in Wirklichkeit nur Schein und Gefängnis. Die Sitten der Väter scheinen die Menschen ihrer Freiheit zu berauben. Nicht nur, dass ihr Druck die erste Sonnenwende ankündigt, auch sich von ihnen abgewendet zu haben, wird Tonio während seiner Abwesenheit vorgeworfen. Doch all das bleibt dezente Andeutung, die erst durch die zweite Sonnenwende deutlich wird. Waren die Bilder schön, erscheinen sie im Vergleich zum Rausch der Rückkehr leer, langweilig und erdrückend.

Er kommt pünktlich zum Sonnenwend-Fest zurück und landet mitten im besagten atavistischen Maskenfest zu Ehre der Natur. Jeder trägt Kostüme und Holzmasken. Rituale, welche der rationalen, industrialisierten Welt wie Hohn scheinen müssen, geben ihm seine Sicherheit zurück. Voll Euphorie rennt er, wohlwissend wo er sich befindet. „Wer nie fort kommt, kommt nie heim.“, und er kommt heim in eine enthebelte Welt, bestimmt von Ekstase und Rausch. Die Umwelt spiegelt einmal mehr Tonio. Erst mit der kirchlichen Kommunion wird die Euphorie in ein Gefühl der Erhabenheit überführt. Die Sitten sind nicht mehr aufgedrängt, sondern lebensnotwendig. Trenker ist sich dabei sehr bewußt, dass dies nur seine Heimat ist und ein Anderer froh wäre, wenn er in eine Großstadt heimkehrte. Auch die Heimat erscheint nicht als gegebener Ort, sondern muss gefunden werden. Erst die herben Erfahrungen der Fremde machen aus seinem schönen Geburtsort, die lang ersehnte Heimat. Deshalb beendet auch nicht der leidende Christus den Film, sondern eine von innen strahlende Maria.

Diary of the Dave #17 – Der Zauberer von Oz

28. März 2011

“My Way Home” ist wirklich eine sehr sehr schöne Scrubs-Folge!!!

Und Der Zauberer von Oz aus dem Jahre 1939 war ein wirklich außergewöhnliches Erlebnis… ein Wort: TRASHISSIMO!!!

1892: die Populisten gewinnen 9 % der Wählerstimmen bei den Präsidentschaftswahlen und natürlich die Wahlmänner in Kansas.

1896: William Jennings Bryan verliert mit seiner Pro-Silber-Plattform für die Demokraten das Präsidentschaftsrennen gegen den Republikaner William McKinley.

1901: Leon Czolgosz ermordet McKinley. Theodore Roosevelt wird Präsident.

1912: Woodrow Wilson wird zum Präsidenten gewählt, vor Theodore Roosevelt von der Progressive Party, William Taft von den Republikanern und Eugene Debs, der 6 % der Stimmen bzw. etwa eine Million Stimmen für die Sozialisten erreichte.

1967: Captain Beefheart veröffentlicht sein geniales und revolutionäres Debut-Album “Safe as Milk”, u. a. mit dem Lied “Yellow Brick Road”.

2006: Zach Braff führt die Regie für die Scrubs-Folge “My Way Home”.

2011: Ein Mann mit einem Vierteljahrhundert auf dem Buckel bereitet sich auf seine mündliche Prüfung in Politik vor.

Aber zur Hölle noch mal… hat der Autor etwa getrunken? Haben diese Ereignisse alle miteinander etwas zu tun? Die Antwort lautet: JA!

Der Zauberer von Oz PosterL. Frank Baum veröffentlichte 1900 sein Buch “The Wonderful Wizard of Oz”, das zu einem der erfolgreichsten amerikanischen Kinderbücher überhaupt werden sollte. 39 Jahre später adaptierte Victor Fleming das Buch mit einem der erfolgreichsten Filme überhaupt. Die Story ist ganz einfach: Ein kleines Mädchen aus Kansas namens Dorothy wird durch einen Wirbelsturm samt ihres Hauses in das Land von Oz hinweggefegt. Dabei tötet sie die böse Hexe des Ostens und erbt ihre roten Schuhe (im Buch silber! Dazu später). Sie will nach Kansas zurück und der Mann, der sie dorthin zurückbringen kann, ist der große Zauberer von Oz, den sie finden wird, wenn sie der gelben Ziegelsteinstraße (yellow brick road) folgt. Auf ihrem Weg trifft sie eine Vogelscheuche, die sich Verstand wünscht, einen Blechmann, der gerne ein Herz hätte, und einen furchtsamen Löwen, der gerne mehr Mut hätte. Die böse Hexe des Westens will sie alle davon abhalten, weil sie auf die roten/silbernen Schuhe total abfährt. Nach einigen Abenteuern schaffen sie es doch zum Zauberer von Oz, der sich als Betrüger entpuppt. Er überlässt seinen Platz den drei Kompagnons von Dorothy, die selbst durch dreimaliges Zusammenschlagen der Hacken nach Kansas zurückkommt.

Für alle die es nicht begriffen haben: Dieses Kinderbuch ist eine ziemlich ausgeklügelte politische Allegorie über die USA der Jahrhundertwende. Das Buch beschreibt quasi die Schnittstelle zwischen dem Protest der Populisten in den 1890er Jahren und der Reform-Ära der Progressives, die mit der Präsidentschaft Roosevelts ab 1901 erst richtig losging, und ihren Höhepunkt im Kriegseintritt der USA unter Wilson fand.

Die Populisten (People‘s Party) waren das politische Organ von Farmern im mittleren Westen, wo auch unsere von Judy Garland gespielte Dorothy ihren Ursprung hat, genauer gesagt in Kansas. Besonders zu leiden hatten die Farmer unter einem Preisverfall für Agrarprodukte und unter der Macht der politischen Maschinen der örtlich gerade dominanten Partei (im Mittleren Westen zu der Zeit die Republikaner), die Recht und Gesetz zum eigenen Nutzen interpretierten: Miss Gulch, die Dorothys Hund unter Vorlage eines Hunde-Haftbefehls (!) verhaften will. Besonders schwer war auch die Wirtschaftskrise von 1893, die wie ein Wirbelsturm über das Land fegte… Durch einen solchen Wirbelsturm kommt Dorothy nach Oz, wo sie treffend merkt: “Es scheint mir, als wenn wir nicht mehr in Kansas wären.”

Dorothy tötet aus Versehen die böse Hexe des Ostens. Die bösen Hexen scheinen dabei eine Metapher für die korrupten politischen Maschinen der beiden amerikanischen Parteien zu sein. Mit den Reformbemühungen der Populisten und der Progressives, insbesondere durch die Einführung der Primaries, wurde ihnen ein Ende gesetzt.

Die mächtigste Metapher, mit der der Roman aufwarten konnte, fehlt im Film übrigens. Denn dort läuft Dorothy mit ROTEN Glitzerschuhen über die gelbe Straße. Eigentlich sind es SILBERNE Schuhe. Eines der zentralen Programmpunkte der Populisten im Jahre 1892 war die Durchsetzung des Silber-Währungs-Standards (die eine für Agrarier vorteilhafte Inflation verursacht hätte), während die beiden anderen Parteien den Goldstandard bevorzugten. William Jennings Bryan, der Kandidat für die Demokraten im Jahre 1896, übernahm weite Programme der Populisten, darunter auch den Silber-Standard.

Bryan wird gemäß Henry Littlefield durch den furchtsamen Löwen personifiziert, der aber eigentlich doch mutig ist (Bryan war 1898 ein strikter Gegner der amerikanischen Intervention in Kuba). Doch im Film kommt davon nicht viel rüber, denn der Löwe ist doch sehr… sehr… irgendwie… ja natürlich: trashig! Aber vor allem auch etwas schwul! Er wird ein bisschen wie ein Klischee-Schwuler dargestellt. Er singt darüber, was für eine „sissy“ er ist und lässt sich gerne rote Scheifchen ins Haar flechten. Das hatten die Populisten, die Progressives und L. Frank Baum wahrscheinlich so nicht vorgesehen (Rechte für Homosexuelle nehmen in den USA doch sehr viel später Gestalt an). Der Löwe ist sicher einer der Gründe, warum der Film so trashissimo ist. Die unglaublich schlechte deutsche Synchro hat das ganze nicht besser gemacht: „Ich hoffe, dein Schwanz hält das aus“, sagt ihm der Blechmann in einer bestimmten Situation.

Bevor wir zur Ästhetik kommen… die Mohnblumen, die den Löwen und Dorothy kurzfristig in den Schlaf zwingen, stehen wohl für den grassierenden Morphin-Konsum der US-Amerikaner um die Jahrhundertwende, die die Progressives schließlich mit Gesetzen einzuschränken versuchten. Ob das Wasser, mit dem Dorothy die böse Osthexe zum Schmelzen bringt, das Symbol für die Bemühungen der Prohibitions-Aktivisten sein soll, ist unklar. Der Kreuzzug gegen den Alkohol verband die Populisten, Bryan und die Progressives und mündete in die infame Verfassungsänderung von 1919/20. Die Vogelscheuche steht natürlich für den einfachen Farmer des mittleren Westens. Der Blechmann personifiziert die Industriearbeiter oder vielleicht doch die Landarbeiter, die im Film am Anfang durchaus im Konflikt zu den landbesitzenden Farmern stehen. Der Löwe ist… Bryan? Whatever… Die ganze Truppe, also Dorothy, Vogelscheuche, Blechmann, Löwe, erinnert an die “Coxey‘s Army”, einem “Heer” von Arbeitslosen aus der Krise von 1893, die einen Marsch auf das Weiße Haus organisierten, um den Präsidenten um Arbeit zu bitten. Der Präsident, also der Zauberer von Oz, entpuppt sich jedoch als machtloser alter Mann. Zwanzig Jahre nach Veröffentlichung des Buches war dies schon anders: Roosevelt und Wilson hatten die Rolle des Präsidenten massiv gestärkt. Als Victor Flemings Film gedreht wurde, setzte der kleine Cousin Roosevelts das ambitionierteste Reformprogramm der USA seit den Progressives um, wenngleich auch ohne deren moralistisch-religiösen Fanatismus.

Nun… so viel zum durchaus sehr mächtigen politischen Subtext von “The Wonderful Wizard of Oz”. Bester Sendeplatz für den 1939er Film wäre natürlich Freitag nachts auf Arte, am besten OmU (im Gegensatz zu meiner Billig-DVD). Das Augenkrebspotential der Farbsequenzen ist sehr mächtig… und ja ich mein das echt positiv! Das Set sieht so aus, als hätte es als Inspiration für die hochgradig stilisierten Fellini-Filme der 1970er (ich denke selbstverständlich an Casanova) und 1980er Jahre gedient: Es ist von einer herrlichen und grotesken Künstlichkeit. Die Sturm-Sequenz ist durchaus sehr augenzwinkernd, mit ihrem Film-im-Film. Was mir etwas zu viel erschien, war selbstverständlich das viele Herumsingen, insbesondere wenn der Löwe überaffektiert jaulte.

Sehr viele Metaphern über die Populisten und den entstehenden progressiven “Kreuzzug”, die in dem Buch vorkommen, bringt der Film noch im Jahre 1939. Verfremdet, verzerrt, als Pastiche neu aufgetischt findet sich alles in der großartigen Scrubs-Folge “My Way Home” wieder.

Und ich? Ich bin nur jemand, der in 72 Stunden nicht mehr Student ist, in etwa 38 Stunden seine allerletzte Prüfung in Politikwissenschaft hat… unter anderem zum Thema “Politisches Denken in der Progressive Era, 1890-1920″…

Luftigkeit & Freude um Elf Uhr Nachts – Pierrot le fou (F 1965)

Es gibt Menschen, die schalten Filme von Godard nach spätestens einer Viertelstunde ab. Pierrot le fou gehört im besonderen Maße dazu, denn schon der Produzent Dino de Laurentiis meinte, dass es kein Film sei. Dabei gibt es viele, sehr viele Gründe ihn zu lieben. Aber im Grunde gibt es einen einzigen: Ferdinand Griffon, der sich selbst nie als Pierrot sieht, aber eben der Verrückte, der Narr ist, der dem Film seinen Namen gibt.

Er ist ein Spinner und Phantast … voller Zärtlichkeit für seine Umwelt. Gänzlich wirr im Kopf überschlagen sich seine Gedanken. Es scheint, als ob er brennt und alles verstehen, alles lesen, alles sehen muss, als ob an den kleinsten Dingen der Welt alles hängt. Doch er ist nicht überdreht. In all seinem Handeln verliert er nie die Ruhe. Belmondos lakonische Gelassenheit, Mitte der 60er Jahre die Definition von Coolness, feiert hier ihren einzig wahren Ausdruck. Gleichzeitig lacht und weint er als Ferdinand und sieht keine Möglichkeit, beides zu trennen. Er ist naiv … in seiner Freude und in seinem Vertrauen. Nie kann er im Hier und Jetzt sein, weil das zu klein für ihn wäre. Schmerz und Heiterkeit zerreißen ihn innerlich und schaffen dort eine Wildnis, ein Abenteuer. Er liebt die hohe Literatur, kann sich aber nicht von seinen Kindercomics trennen. Eine Trennung zwischen Hochkultur und Trash kann es nicht geben. Er eint die Dinge. Deshalb scheint es, als ob er die ganze Welt umarmen möchte und doch bleibt er von ihr entfremdet zurück. Seine Umwelt treibt er in den Wahnsinn mit seinem endlosen Rezitieren aus Büchern, die ihm die Welt bedeuten, die er mit den Menschen teilen möchte. Er möchte mit den Menschen reden, doch er versteht sie nicht, wie sie ihn auch nicht verstehen.

Die Größe von Pierrot le fou liegt schlichtweg darin, dass Godard uns die Welt durch Ferdinand Griffons Augen sehen lässt. Der Blick eines Kindes wird uns zurückgegeben. Der naive Blick auf eine wunderschöne, rätselhafte Welt voller Mythen. Er hat einen Film geschaffen, der nur so vor Irrsinn sprüht, der ein Feuerwerk an unfassbaren Ideen abbrennt, wie sie davor und danach nie wieder zu sehen waren. Die Einsamkeit auf der Party von Ferdinands Frau scheint erdrückend und absurd, da alle nur Werbeslogans von sich geben, doch genau das ist die Realität, die Ferdinand wahrnimmt. Kurzzeitig wird die Handlung in einem repetitiven,  unchronologischen Schnittfeuerwerk zerlegt, weil die Realität, die Gegenwart, das Leben nicht immer regelmäßig sind, sondern auch aus den Angeln gerissen werden können. Besonders wenn man aufhört die Welt nur hinzunehmen.

Das Wichtigste ist aber die Leichtigkeit mit der Godard inszeniert. Die Luftigkeit und Freude mit der Ferdinand die Welt sieht, ist die des Filmes. Nur gegen Ende verliert Pierrot le fou diese Unbeschwertheit, doch nur weil sein Protagonist sie verloren hat. Zurück bleibt ein Film voll Freudentaumel, Lebenslust, tiefer Trauer, Melancholie, Ernsthaftigkeit und Albernheit … oh ja jede Menge göttlicher Albernheit … ein Film voll empfindsamen, fröhlichen Wahnsinn. Alleine die Szene als er vor einem Kornfeld steht und mit diesen wunderbarsten aller Worte fragt, was Marianne wohl denkt, wenn sie sagt: „Es ist schönes Wetter“ … Allein diese Szene gehört zum traurigsten, poetischsten und schönsten was das Kino je hervorgebracht hat.


Dieser Text wurde bereits bei der Aktion Lieblingsfilm auf moviepilot.de veröffentlicht.