Kontrapunkt: Trash XII

Und weiter geht’s mit meinem „Parental Advisory“-Guide für Cineasten-Eltern. Einmal mehr drei Trash-Filme, von denen nur einer als potenzielles Weihnachtsgeschenk keine Rutenschläge nach sich zieht.

Todesparty (GB/USA 1986)

Von seinen Mitschülern am „April Fool’s Day“ drangsalierter und durch einen blöden Zufall entstellter Außenseiter rächt sich bei fingiertem Klassentreffen. Mordsspaß ist also angesagt auf der „Todesparty“. Die billige Schnellschuss-Produktion, die sich in seinen inhaltlichen Motiven überhaupt nicht an “Freitag, der 13.” orientiert, weist zahlreiche Schwächen auf. Die spartanisch ausgestatteten Sets sehen so gar nicht nach Schule aus, die Stunts (Motorradfahrer legt sich mit gefühlten 5 km/h auf die Fresse) und Splatter-Effekte sind schlecht getrickst, mit der Logik ist es genretypisch auch nicht weit her. Oder warum lässt ein Killer, wenn er will, dass seine Opfer zur Party ins Haus kommen, die Türen verschlossen? Natürlich stiehlt sich das überkonstruierte Drehbuch – April, April! – am Ende mit einem obligatorischen Traum-Twist aus der Affäre, was diesen kruden Baukasten grob zusammengezimmerter Genre-Versatzstücke noch ärgerlicher macht. Die zwei einzigen Highlights sind der amerikanische Originaltitel („Slaughter High“ – YEAH!) und das mutig-schräge Synthie-Thema von Komponist Harry Manfredini, das neben obskuren Verrenkungen im Sport-„Unterricht“ und einem miesen Frau-löst-sich-in-Säure-auf-Effekt zumindest für etwas Belustigung und Stimmung sorgt. Eine unfreiwillig komische, dümmliche Slasher-Gurke, für welche das Team um das uninspirierte Regie-und-Drehbuch-Trio mindestens den ganzen April hindurch nachsitzen müsste.

Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit (USA 1989)

Endlich habe ich diese großartige Trash-Komödie um die konfliktarme Zeitreise zweier dummbrotiger Möchtegern-Rocker mit Lücken beim Geschichts-Wissen auch einmal gesehen. Mit zahlreichen Referenzen auf die Popkultur, einen großartigen 80er Jahre-Rocksoundtrack u. a. mit Vital Signs und Shark Island und einer flotten Inszenierung wird erfolgreich davon abgelenkt, dass man gerade potenzierten Nonsens zu sehen bekommt. Die schauspielerischen Leistungen sind eher mäßig, weswegen sich Keanu Reeves heute für seine Hauptrolle eher schämt. Der anarchische, freche Humor (in welchem anderen Film sieht man Napoleon Eis essen oder euphorisch auf der Wasserrutsche?) und betont mäßige Effekte bei der Zeitreise tragen maßgeblich zur Kurzweiligkeit bei, die dieser sorglose Film nach über 20 Jahren immer noch verbreitet. In diesem Sinne: „Bunt ist die Welt und granatenstark. Volle Kanne, Hoschis!“

Hidden 3D (Italien/Kanada 2011)

Der Titel sollte zur Vermarktungsmaxime dieses Heulers erhoben werden: Verstecken – und zwar ganz tief hinten im Regal. Die hanebüchene Ausgangsidee mit Experimenten einer Psychiaterin, die entdeckt, dass das Gift eines Insekts die Sucht von Patienten körperlich externalisiert, ist albern, steht aber dem Fortgang – Twens steigen in den „Folterkeller“ hinab – in nichts nach. Es regiert in den immerselben grau-braunen Bildern, gelegentlichen 3D-Effekten und den Angriffen hungriger Kinder die Langeweile, wenn nicht die weiblichen Protagonisten mit ihrem Dauergejammer und –geheule an den Nerven des Zuschauers zerren. Immerhin ist dieser grottige Spuk mit arg verschenktem Showdown schon nach 74 Minuten vorbei – die sich dennoch wie zwei Stunden anfühlen. Weiter von mir dazu bei NEGATIV.

Kontrapunkt: Trash XI

Es ist wieder einmal soweit: Ich habe Schund gesehen! Und das nicht zu knapp – trotz hoher Budgets.

Spawn (USA 1997) 

Als Profikiller Al Simmons (Michael Jai White) nach einer tödlichen Verbrennung im Jenseits landet, wird er von Höllenfürst Malebolgia mit dem Auftrag, seine Horden anzuführen, wieder auf die Erde zurückgeschickt. Dort kann  er seine Klischee-Family wiedertreffen und macht Bekanntschaft mit einem fiesen, ihn überwachenden Clown (John Leguizamo im Fat-Suit), der ihm und den Zuschauer mit etlichen sinnentleerten Diss-Sprüchen und Ekligkeiten auf den Sack geht. Jar Jar Binks als nervigste Nebenfigur der Filmgeschichte hat im abartig lärmenden “Violator” seinen Meister gefunden, der auch vor zeitschindendem Cheerleader-Gehopse nicht zurückschreckt! Darüber hinaus sind die zahlreichen CGI-Effekte seeeehr mäßig, die an Überblendungen reichen Credit-Sequenzen mit unruhigem Bildstand inspirationslos von Sieben (1995) geklaut und das dumpfe Drehbuch substanzarm. Martin Sheen liefert als Ultra-Bösewicht Wynn, der die Welt als Geisel nimmt, ironiefreies Schmierentheater ab, Melinda Clarke als seine Gehilfin – eine ungeile Baller-Amazone in Lederkluft – verliert den Direktvergleich mit Milla Jovovich um Längen. Eine hirnrissige, aber zumindest nur selten langweilige Krawallorgie, über die sich die Fans der Comics mit Recht immer noch aufregen.

Sex & Zen: Extreme Ecstasy (HK 2011)

Der vierte Teil der Reihe wurde als „erster 3D-Erotikfilm“ beworben und tatsächlich hält er einige dieser Effekte bereit – bei den Kampfszenen. Falsche Prioritätensetzung, hätten doch insbesondere weibliche Genitalien in Großaufnahme bessere Schauwerte abgegeben als fliegende CGI-Dolche und – Pfeile! Die zahlreichen grotesken Sexszenen sind aus diesem Grunde nicht jugendgefährdend, was man von den absurden Foltereien und Kröseleien gegen Ende der satt ausgestatteten Erotikklamotte im Historiengewand nicht behaupten kann.  Die Story um Wei Yangsheng, der auszieht, um in einem Liebestempel die Kunst der Liebe zu lernen und sich einen Esels-Pimmel annähen lässt, um seine Ehefrau optimal befriedigen zu können, ist ebenso albern wie der Humor um sein „Gerät“. Wer über diesen schmunzeln kann und auch an einem endlos erscheinenden Marathon an Kopulationen mit hübschen Porno-Starlets etwas abgewinnen kann, könnte trotz allem hieran durchaus Gefallen finden. Zumindest entblößte Brüste, gibt es mehr als genug. Etwas detailierter habe ich mich auf MovieMaze dazu geäußert.

Krieg der Götter (USA 2011)

Es ist immer wieder traurig zu sehen, was zu viel Geld mit den Projekten von eigentlich talentierten und innovativen Regisseuren anstellen kann. Tarsem Singh hat vor Ewigkeiten großartige Musikvideos u. a. für REM inszeniert und tauchte in The Cell und The Fall visuell wuchtig und fantasievoll hinab in die Psyche wahrhaft düsterer Persönlichkeiten. In Krieg der Götter entpuppte er sich jedoch als Plagiator, der – auch bedingt durch denselben Produktionsstab – uninspiriert die Optik von 300 kopiert und nur in wenigen, gemäldeartigen Bild- und Farbkompositionen seinen eigenen Stil durchblitzen lässt. Er erzählt vom Kampf der Titanen gegen die Götter, von Theseus gegen die Heerscharen von König Hyperion, der nach dem Bogen von Ares als perfekte Waffe giert. Die nicht wirklich überzeugenden, da immergleichen Digital 3D-Effekte um unmotivierte Kloppereien in Zeitlupe an CGI-Felsen mit hohen Klippen (besteht Griechenland tatsächlich zu 80% daraus?) werden noch unterboten von einem lustlosen Ensemble, welches ebenso stocksteif und todernst wie leblos darin herumsteht. Während Mickey Rourke noch irgendwie Gefallen am Mimen des stereotypen Bösewichts findet, sind die Olymp-Bewohner ebenso gelangweilt wie Perseus Henry Cavill. Und so lässt dieses auf Dauer ermüdende Spektakel das Mehr an Geld bereuen, welches man dank Nur-noch-3D-Ausbeuterpolitik für dieses laute wie stumpfe Spektakel löhnen musste.

Kontrapunkt: Auftakt Exground Filmfest 2011

Am Freitag hat es begonnen und noch bis zum 20. November läuft Deutschlands größtes Independent-Filmfestival zum 24. Mal in Wiesbaden. Ich war am Eröffnungswochenende vor Ort – dieses Mal ohne Jenny und Robert – und möchte hier ergänzend zu meinem Bericht bei Bildflimmern meine Eindrücke der besuchten Langfilme-Revue passieren lassen.

Ein Sommer auf dem Lande [Father, Son & Holy Cow] (D/PL/FI 2011)

Die begnadete Opernsängerin Isabelle stirbt an Krebs. Das wirft ihren Ehemann Bogdan (Zbigniew Zamachowski), einen Konzertpianisten, vollkommen aus der Bahn, der fortan ein einfaches Leben auf dem Bauernhof führt. Als er in der Kuh Klara, die scheinbar durch Mozarts Musik mehr Milch gibt, die Reinkarnation von Isabelle zu erkennen glaubt, sorgt das für absurde Verwicklungen. Beeindruckend an diesem Debütfilm vom polnischstämmigen Regisseur Radek Wegrzyn ist dabei, wie traumwandlerisch sicher er sein Ensemble und seinen technischen Stab zu führen weiß. Ihm gelingt eine warmherzige Tragikomödie mit skurrilen Figuren – getaucht in satte Farben und einen an klassischen Musikstücken reichen Klangteppich. Mal rührt Father, Son & Holy Cow mit unvermittelten Flashbacks aus den letzten Monaten von Isabelle pathosfrei zu Tränen, mal wird ein herzhaftes Lachen provoziert, wenn der ortsansässige Pfarrer an Kuh Klara einen Exorzismus vornimmt. Ein Film, der auf die große Leinwand gehört und dort in Deutschland voraussichtlich ab 02. Februar 2012 auch regulär zu sehen sein wird.

Romeos (D 2011)

Warum dieser Beitrag aus dem Fundus des „Kleinen Fernsehspiels“ vom ZDF indes bei einem – ich betone es noch einmal – Independentfilm-Festival über die Leinwand flimmern darf, erschließt sich mir nicht. Mag dieses zumindest thematisch brisante Drama um die sexuelle Identitätsfindung der Transsexuellen Miriam auf dem Weg zum Mann Lukas ganz passabel gespielt sein: eine wirkliche Bereicherung für den Sex-und-Gender-Diskurs liefert es im Gegensatz zum spröden, aber intensiveren argentinischen Kollegen XXY (2007) nicht. Die oberflächliche, auf schöne halbnackte Körper in Großaufnahme fokussierte Inszenierung versteckt sich hinter dem vorgeschobenen Attribut einer „sensitiven Bebilderung“. Auch das inspirationsfreie Drehbuch, in welchem die amouröse Konfrontation zwischen dem unsicheren Lukas (Rick Okon) und dem machohaften Südländer Fabio (Maximilian Befort) zwischen Freizeitaktivitäten, Parties und Billardkneipe immer wieder aufs Neue wiedergekäut wird, ist auf Dauer ermüdend. Weniger über das komplizierte Innenleben von Protagonist Lukas, der leider nur durch egozentrische Unsympathie negativ auffällt, als vielmehr um die Frage, ob es in Köln tatsächlich nur (zumindest latent) homosexuelle, kettenrauchende Jungmodels mit Toleranzproblemen unter den Heranwachsenden gibt, reflektiert dabei der von zu nahen Einstellungsgrößen alsbald genervte Zuschauer.

Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod (ESP/F 2010)

Álex de la Iglesia ist das Enfant Terrible Spaniens auf dem Regiestuhl. Seine Werke wie El dia de la bestia und Perdita Durango sind laut, brutal, trashig, ein bisschen durchgeknallt und gespickt mit absurdem Humor, also schlicht der Inbegriff von „nicht jedermanns Geschmack“. Mad Circus ist ist dabei keine Ausnahme. Die Story reicht zurück bis in die 30er Jahre: Im spanischen Bürgerkrieg wird ein Clown von einer Miliz rekrutiert und richtet ein Massaker an. Nachdem er getötet wurde, will auch sein Sohn Javier (Carlos Areces) – während der Franco-Ära in den 70er Jahren – trauriger Clown werden. Er landet bei einem Zirkus, dessen Belegschaft unter den brutalen Ausrastern vom lustigen Clown Sergio zu leiden hat. Das Duell zwischen den beiden – auch um Sergios Frau Natalie – spitzt sich immer weiter zu und irgendwann ist schlicht Krieg in den Straßen von Madrid. Kontakt mit Diktator Franco, Militärs und amoklaufartige Ballerorgien: Im letzten Drittel wird der Zuschauer Zeuge, wie ein beeindruckend ausgeleuchtetes und fotografiertes, wuchtiges Werk den dramaturgischen Autoimmun-Modus anwirft, bis er in anarchischen Chaos fernab jeder Botschaft versinkt. Der Wahnsinn der beiden entstellten Protagonisten überträgt sich auf den Film, der mal grotesk überspitzt, mal schlicht absurd bis albern die Grenzen der Stilsicherheit auslotet.     

Kontrapunkt: Die Tyrannei der Terror-Blagen

Nebraska ist einer der größten Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte in den USA. Das brachte dem Bundesstaat im Mittleren Westen den Beinamen “Cornhusker State” ein. Ob Stephen King beim Schreiben seiner Kurzgeschichte Children of the Corn aus dem Jahre 1977 bei dem seltsamen Eigenleben eines Maisfelds bereits an genmanipuliertes Getreide dachte, ist unwahrscheinlich. Eher kann man seine Kurzgeschichte als Seitenhieb auf religiösen Fundamentalismus in ruralen Gebieten verstehen – und auf aufsässige Bälger innerhalb einer absurden Jugendkultur, die allen Erwachsenen mit Sicheln und Sensen den Kampf ansagt. Hier eine kleine und willkürliche Rückschau.

Kinder des Zorns (USA 1984)

In dem Auftakt der inzwischen sieben Teile umfassenden Slasher-Reihe fragwürdiger Qualität verschlägt es Arzt Burt (Peter Horton) und Frau Vicky (Linda „Terminator-Braut“ Hamilton) ins ausgestorbene Kaff Gatlin, nachdem sie auf der Landstraße einen Jungen angefahren haben. Sämtliche Erwachsene wurden von der Terrorclique vom Maisfeld unter der Führung des Kind-Predigers Isaac (John Franklin) umgebracht, im Namen eines Gottes mit der umständlichen Bezeichnung „Er, der hinter den Reihen schreitet“. Die ländliche Apokalypse äußert sich zu psychedelischen Kindergesang auf der Tonspur atmosphärisch dicht in einer Geisterstadt, deren Häuser durch Chaos und Mais verwüstet wurden. Immerhin mit einem temporeichen Finale, subtilen Tötungsszenen (Kamera zeigt meist nur die Konsequenz, nicht die Tat selbst) und zahlreichen beklemmenden Point Of View-Shots gesegnet, kommt über weite Teilen Spannung auf. Das macht das alberne Okkult-Happening im Maisfeld ebenso vergessen wie die unfreiwillig dummen Ersatzpaps-Kind-Dialoge am Ende (“Ist er tot?” – “Ich glaub‘: ja.” – “Warum laufen wir dann immer noch weg?” – “Frag nicht. Weiter!”). John Franklin kehrt übrigens im unsäglichen sechsten Teil wieder, wie der deutsche Untertitel “Isaacs Rückkehr” schon androht.

Kinder des Zorns III – Das Chicago-Massaker (USA 1995)

Eine betont ambitionierte Inszenierung mit einer zoomenden Handkamera, ein paar Szenen mit gefaketer, hoher Schärfentiefe und Gelbblenden bei Flashbacks täuschen nicht darüber hinweg, dass a) James D.R. Hickox ein noch beschissenerer Regisseur ist als sein ebenfalls im B-Horror tätiger Bruder Anthony (Warlock – The Armageddon und Hellraiser III sind… naja, jedenfalls keine Genrehighlights) und b) dieser einfältige Nachklapp nur Trashfans erfreuen wird. Dieses Mal ist Eli (nervig wie ein quengelndes Kind: Daniel Cerny) der aufsässige Priester-Knilch, der nicht im beschaulichen Gatlin, sondern im Sündenpfuhl Chicago die gottlosen Highschoolkids um sich schart und den Erwachsenen oder anderen Ungläubigen nach dem Leben trachtet. Mordlüsterne Vogelscheuchen, ein herausgerissenes Rückgrat oder das alberne Finale mit einem schlecht getricksten Gummimonster, das im Maisfeld Puppen verschlingt, sind die unfreiwillig komischen Highlights, die im letzten Drittel dieses überkonstruierten Blödsinns die Langeweile ablösen. Sekundenkurz ist übrigens die junge Charlize Theron in einer Statistenrolle zu sehen, die von einem Maismonstertentakel penetriert wird. Einzig die Vorfreude auf diese Mini-Szene rechtfertigt das Quälen durch 80 Minuten bedeutungsschwangere Horror-Klischeesülze, die mit einem idiotischen Cliffhanger zusätzlich verärgert.

Kinder des Zorns IV – Mörderischer Kult (USA 1996)

War Linda Hamilton im ersten Teil eine zumindest interessante Personalie, so gilt das hier für die unglaubwürdige, da viel zu nette Naomi Watts. Ein Jahr nach ihrem Auftritt in Tank Girl und fünf Jahre vor David Lynchs Mulholland Drive spielt sie eine Medizinstudentin, die in ihre ländliche Heimatstadt zurückkehrt und hinter das Geheimnis eines wieder auferstandenen Kinderpriesters kommt. Nachdem alle Kinder des Örtchens gleichzeitig ein merkwürdiges Fieber bekommen und sich die garstigen Dreikäsehochs biblische Namen geben, schreitet sie mit Waffengewalt zur Tat. Neben kurzen Schock-Inserts als Unart des Genrefilms in den 90er Jahren bleiben einzig ein paar hübsche Totalen der aufgehenden oder untergehenden Sonne überm Maisfeld im Gedächtnis haften. Abseits einiger durchaus gelungener Gore-Szenen regiert über weite Strecken das Geschwafel um wiederkehrende Geister und die Einfallslosigkeit, die sich insbesondere in einem vergurkten Finale äußert.

Kontrapunkt: Film vs. Buch – Frühstück bei Tiffany

Frühstück bei Tiffany Film vs. Buch

Die Popularität vom Kurzroman und seiner Adaption sind annähernd gleich groß: Hier das neben “Kaltblütig” bekannteste Werk des brillanten Literaten Truman Capote, dort ein Klassiker der Filmgeschichte von Blake Edwards, dessen oscarprämierter Song “Moon River” bis heute zum Mitsingen einlädt. Hier das nüchterne Porträt einer zerbrechlichen jungen Frau mit Widersprüchen aus der distanzierten Sicht eines Freundes, dort stark emotionalisiertes, weichgespültes Hollywoodkino. Und genau darin sind die meisten Unterschiede zu finden.

Hauptfiguren in beiden Medien sind Holly Golightly (Audrey Hepburn) und ihr bester, namenloser Freund, den Holly im Buch stets Fred – nach ihren Bruder – nennt und der im Film als Paul Varjak (George Peppard) auftritt. Die Umstände ihres Kennenlernens könnten aber nicht verschiedener beschrieben werden. Capote nähert sich Holly langsam an, über ihren Briefkasten, ihren Müll, ihre optische Erscheinung, hüllt sie in eine mysteriöse Aura. Der erste unmittelbare Kontakt erfolgt durch  ein nächtliches Klingeln. Eine Begegnung mit einem “ganz schrecklichen”, beißenden Mann (S. 21) lässt sie über die Feuertreppe zum Ich-Erzähler flüchten und ins Gespräch kommen. Im Film klingelt der neue Mieter Paul Varjak direkt bei Holly, da er noch keinen Haustürschlüssel besitzt. Ihre Begegnung wirkt somit weniger spröde und zufällig, sondern gestellt, auch weil sie ihm gleich von ihrer Bekanntschaft mit Mafiosi Sally Tomato erzählt, den sie in Sing Sing besuchen wird.

Auratische Annäherung

Diesem langsamen, fast schon götzenähnlichen Gestus bei der Annäherung im Buch folgend, ist das die Erzählung initiierende Moment ein Foto mit einem Motiv, welches Holly ähnelt. (Dieses fehlt im Film komplett.) Mr. Yunioshi hat in Afrika eine Holzskulptur fotografiert, welche “Holly Golightly zum Verwechseln ähnlich [sah], zumindest so ähnlich, wie ein dunkles, regloses Ding sein konnte.” (S. 9). Durch dieses ikonische Abbild wird das mentale Bild, die Erinnerung des Ich-Erzählers angestoßen. Eine Erinnerung übrigens, die in die Zeit des zweiten Weltkriegs zurückreicht (es ist von rationierten Lebensmitteln, Wehrdienst und einmal vom Jahr 1943 die Rede), während der Film zum Zeitpunkt seiner Entstehung (1961) spielt. Auffällig soll sich diese “Zeitverschiebung” später bei dem Telegramm um den Tod von Hollys Bruder Fred äußern, der im Buch als Soldat im Krieg gefallen ist, während im Film ein Autounfall seinen Tod herbeiführte.

Während der Ich-Erzähler im Buch öfter Kontakt mit Barbesitzer Joe Bell hat, wenn es um Schlüsselsituationen mit Holly geht (Joe ruft ihn an wegen des Fotos von Mr. Yunioshi; bei Joe versteckt sich Holly kurz vor ihrer Flucht aus dem Land), fehlt diese Figur in der Adaption ganz. An seiner statt wird, auch aufgrund der Fokussierung auf eine verwickelte romantische Geschichte, die “Dekorateurin” von Paul “dazuerfunden”. Eine narrative Bedeutung abseits des Verhinderns einer früheren Affäre zwischen Holly und Paul und der später daraus erwachsenden emotionalen Komponente hat sie jedoch nicht, auch, weil sie urplötzlich aus dem Film verschwindet.

“Tiffany’s” als Metapher

Capote schreibt mit Holly, die eigentlich Lulamae heißt, von einem unsteten, sprunghaften, ja verruchtem Wesen – ähnlich einer Prostituierten – mit einer schwierigen Biografie. Edwards erzählt von einem glatt gebügelten, ebenso naiven wie verletzlichen Pin-Up-Partygirl, dessen zweifelhafte Finanzierung ihres Lebens nur angedeutet wird (“50 Dollar für die Toilette”). Die Sehnsucht nach Sicherheit von Holly ist demzufolge eine andere: Bei Capote nach Beständigkeit im Krieg (sie will dem brasilianischen Diplomaten José nachreisen, um ihre Verstrickungen ins organisierte Verbrechen hinter sich zu lassen), bei Edwards nach Luxus und Flucht vor der eigenen Verantwortung. Das Schmuckunternehmen “Tiffany’s” steht bei Capote für dauerhafte Werte, auch in gefährlichen Zeiten, bei Edwards eher für Kritik an einer oberflächlichen Konsumgesellschaft, in der Besitz und Eigentum weniger zählt als individuelle Freiheit, was sich auch in einigen Diebstahl-Aktionen äußert. Umso bedenklicher und eigenwilliger, wie Paul im Buch die konservativen Werte der Liebesbeziehung als Hort der Sicherheit überbetont und die umtriebige Holly davon überzeugt. Capotes Ich-Erzähler war stets der teilnehmende Beobachter, der gute Freund, der Holly zum Flughafen bringt zu ihrem Flug nach Brasilien und schließlich aus den Augen verliert. Paul in der Verfilmung ist der unmittelbar Beteiligte, liebt Holly, gewinnt sie für sich für ein befriedigendes Happy End im kitschigen Stadtregen. Dort abgründiges Familien- und Psychodrama, hier romantische Liebeskomödie. Diese Genrezuschreibung des Films äußert sich insbesondere sowohl in dem als aufbrausende Witzfigur auftretenden Mr. Yunioshi (Mickey Rooney) als auch der grotesk überhöhten Partyszenerie mit brennenden Kopfbedeckungen und einem knutschenden Pärchen hinterm Duschvorhang.

Wie so oft wurden auch bei dieser Verfilmung einige Episoden aus dem Buch weggelassen oder abgeändert. Neben einer Verknappung des Films, welche sich auch in Dialogen wie um die Flucht Hollys, der nicht im Krankenhaus, sondern im Taxi stattfindet, äußert, fehlen einige Facetten ihrer Charakterzeichnung ganz. Von einer “kapriziös ungeschickten Kindergartenschrift” (S. 33) und einer sexuellen Dimension wie dem Einwickeln der Männer mit Baseball und Pferden (S. 44) erfährt man ebenso wenig wie von einer biestigen Gemeinheit eines stotternden weiblichen Partygasts gegenüber (S. 52/53) oder von einem Streit über die schöngeistige, aber brotlose Kunst des Ich-Erzählers (S. 72/73). Bei Blake Edwards fehlen Holly die Widerhaken, die nicht ganz in das Bild der auf dem Fensterbrett “Moon River” trällernden, verträumt dreinschauenden Rehaugen-Schönheit passen. Wenn Blake Edwards’ Film letztlich trotz der tiefsinnigen Vorlage nicht mehr ist als eine von Hollywoods klassischsten Liebesgeschichten, dann hat sich doch zumindest diese magische Szene ins kollektive Bewusstsein des Cineasten unsterblich eingebrannt.

Die Seitenzahlen und Zitate beziehen sich auf die 2009 im Goldmann-Verlag erschienene Übersetzung von Heidi Zerning.
Die zuletzt beschriebene Szene umMoon River“:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=BOByH_iOn88[/youtube]