Mamma Mia! (USA/GB/D 2008)

Grüne, maskierte oder betrunkene Superhelden, verpeilte Piraten und die Filme eines Michael Bay, welcher bekanntlich als “Regisseur” bezeichnet wird, zieren zumeist das sommerliche Kinoerlebnis. Dabei vermitteln weder diese Blockbuster noch die wiederbelebten TV-Serien, die sich in den hinteren Rängen der Box Office einfinden, ein Gefühl für die Freuden der sonnigen Jahreszeit.

Die Dichte actionlastiger Abenteuergeschichten, mit deren hanebüchenen Drehbüchern man nicht einmal einen wackligen Stuhl vernünftig stützen könnte, spricht vielmehr dafür, dass die Studiobosse den Zuschauern in den heißen Monaten des Jahres im wesentlichen die Intelligenz absprechen. Gebratene Hirnzellen nehmen C.G.I.-Yetis und Ufos eben, ohne sich zu beschweren, in Kauf.

Freilich erfordert der Genuss eines Musicals ebenso wenig geistige Aufmerksamkeit, sofern es sich nicht um einen potenziellen Oscarbewerber handelt. Andererseits starten diese ja sowieso nur im Winter, was sie aus der Diskussion ausschließt, aber zurück zum eigentlichen Thema: Mamma Mia! ist weder Rheingold noch Götterdämmerung, aber wer braucht die große Kunst, wenn er das große Vergnügen sein eigen nennen darf? Der Verzicht fällt bei 30 Grad im Schatten jedenfalls leicht, denn Mamma Mia! ist für den Sommer geschaffen.

Das auf den Songs der schwedischen Popgiganten ABBA basierende Musical vereinigt in sich die Quintessenz dessen, was so toll am Sommer ist. Jeder Song ist eine Variation des unersetzbaren Gefühls, das einen beschleicht, wenn man aus dem Winterschlaf aufwacht, aus dem Fenster schaut und den ersten strahlenden blauen Himmel seit Wochen sieht; man nach acht Stunden im Büro in die warme Sonne hinaus tritt, wissend, dass nun das Wochenende beginnt und die Welt einem für zwei Tage zu Füßen liegen wird.

Abgesehen von der Tatsache, dass hier Lieder die Hauptrolle spielen, die man einfach kennt, egal ob man ein Stammgast bei Siebziger Jahre-Parties ist oder nicht, ist der Ort der Handlung – eine kleine griechische Insel – der Ferienatmosphäre nicht gerade abträglich. In nahezu jeder Szene entfacht das blau leuchtende Mittelmeer seinen verführerischen Sog, während im Vordergrund Meryl Streep, Julie Walters und Kollegen ihre aufmunternden Gassenhauer trällern. Und das mit einer Spielfreude und Agilität, die wohl nur bei wirklich guten Schauspielern nicht ins Lächerliche abgleitet.

Wer kann schon bei klarem Verstande behaupten, Meryl Streep sei eine schlechte Schauspielerin? Mamma Mia! könnte man auch als die Meryl Streep-Show bezeichnen, denn wieder einmal liefert ein Film den Beweis, dass Musicals für die Leinwand besser auf eben dort beheimatete Stars zurückgreifen sollten. Zwar ist Phyllida Lloyds Verfilmung mit den vielen Massenszenen und choreografierten Tänzen ganz der eigenen Herkunft von der Bühne verpflichtet und im Vergleich zu Sweeney Todd oder Across the Universe recht „klassisch“. So steif und verkitscht wie das Phantom der Oper gerät Mamma Mia! allerdings zu keiner Sekunde.

Das Ensemble bringt schließlich genügend schauspielerische Lebhaftigkeit ins Geschehen, um die bewusst banale Geschichte einer Braut, die zum Missfallen ihrer Mutter drei Männer aus deren Vergangenheit zur ihrer Hochzeit einlädt, zum Augen- und Ohrenschmaus werden zu lassen.

Während ihre männlichen Co-Stars, also die drei potenziellen Väter der Braut (Pierce Brosnan, Stellan Skarsgard (!) und Colin Firth), kaum gesanglich gefordert den Esprit gut gelaunter Urlauber versprühen und sich selbst beim Abspann aus Freude an der Sache für nichts zu schade sind, schmeißt die Streep sich in die Rolle der Donna, als würde der Film sich um die Oscars und nicht nur die Zuschauer bemühen.

Im Gegensatz zu ihrer jungen Gesangspartnerin Amanda Seyfried, die ihre Tochter spielt, weiß Streep mit dem fliegenden Wechsel zwischen dramatischem Ernst und charmanter Selbstironie zu überzeugen. Dabei vermittelt sie stets den Eindruck, als würde das Wissen um den geringen Gehalt dieses Filmes sie nur noch weiter anspornen, alle Zurückhaltung über Bord zu werfen und einfach Spaß zu haben. Einen ähnlichen Habitus merkt man auch Julie Walters und Christine Baranski an, die sich als Donnas beste Freundinnen die Ehre geben.

Diese heitere, ganz und gar nicht alte Garde läuft in Mamma Mia! den seelenlosen Modelkörpern der Jugend problemlos den Rang ab. Befindet sich deren Niveau noch deutlich über High School Musical-Verhältnissen, legt die Verteilung der Gesangspartien, welche abgesehen von der weitgehend überzeugenden Seyfried die Jungschauspieler arg vernachlässigt, doch Zeugnis ab über die wahren Könner im Cast. Gesangliche Perfektion ist in Mamma Mia! zum Glück nicht alles.

Stattdessen erntet der Film verdientermaßen durch seine heiteren Comedy-Einlagen, seine zu Hochform anlaufende Hauptdarstellerin und durch die Tatsache, dass er seinem sommerlichen Starttermin vollkommen gerecht wird, uneingeschränkt Beifall.

Der unglaubliche Hulk [FSK 12] (USA 2008)

Sicher, man kann eine herkömmliche Kritik über den aktuellen Leinwandauftritt des grünen Monsters schreiben. Nach den unvermeidlichen zwei oder drei Sätzen zum Inhalt, ginge es dann um die Fehlbesetzung, die Liv Tyler in der Rolle einer Wissenschaftlerin darstellt. Daran anknüpfend könnte man darüber sinnieren, dass Jennifer Connelly in Ang Lees Version nicht nur intelligenter, sondern auch stärker gewirkt hatte als eine Betty Ross, die nicht nur durch ihre Liebe zum Helden definiert wird.

Dann würde man wahrscheinlich zum Held selbst kommen, dessen Darsteller Edward Norton zwar nicht fehl am Platz ist, der aber größtenteils zuviel leidet, um wirklich für Unterhaltung zu sorgen. Diesem Argumentationsstrang folgend, würde nach einer schwerfälligen Überleitung ausgeführt werden, dass die Problematik unterdrückter Aggressionen, welche das (oliv-)grüne Monster eigentlich verkörpert, ausgehöhlt wird durch die Reduktion der Gründe für die Verwandlung auf einen steigenden Puls.

Das alles ist natürlich hoch interessant, doch die Existenzberechtigung einer solchen Kritik wird an dieser Stelle in Frage gestellt, wenn das Filmerlebnis durch die Willkür des Verleihs (Concorde, Asche auf dein Haupt!) ruiniert wird. Eine Kritik zum ebenfalls geschnittenen Iron Man war noch möglich gewesen, da die Schnitte mir nicht mal aufgefallen waren. Die Unglaublichkeit des Kinoerlebnisses Hulk besteht jedoch im Grade der Beleidigung eines jeden mit einem Sehsinn gesegneten Zuschauers.

Nachdem dieser das rasante, an die Bourne-Trilogie erinnernde erste Drittel in den Favelas Brasiliens gegen einen zähen, langweiligen Mittelteil eintauschen muss, bleibt nur noch das “großes grünes Monster kämpft gegen hässliches braunes Monster”- Finale, um den Film zu retten.

Doch nichts da! Ungeachtet überflüssiger Worte wie Spannung oder Continuity wurde der Climax des Films dermaßen massakriert, dass man glaubt, er habe seine Ferien in einer slowakischen Jugendherberge verbracht. Als hätte der verantwortliche Concorde-Schnittmeister das Hackebeil genommen und die angesammelte Wut über sein 200€ -Praktikum am Film ausgelassen.

Vielleicht wollte er auch nur in die Fußstapfen Jean-Luc Godards treten. Wie sonst sind all die Jump Cuts zu erklären? Der Hulk nimmt eine Kette in die Hand, im nächsten Moment würgt er seinen Gegner. Wie er dorthin gekommen ist, muss der Zuschauer sich dazu denken. Hat er eben Pech gehabt.

Da die Orientierung der Concorde-Mitarbeiter wohl eher zum Kommerz, nicht zur Avantgarde, neigt, muss man die Schnitte am ganz und gar nicht Unglaublichen Hulk schlicht als das ansehen, was sie sind: Ein kläglicher Versuch, die Kinokassen durch eine niedrige Altersfreigabe klingeln zu lassen. Nicht nur ist dies eine offenkundige Missachtung der Intelligenz der zahlenden Zuschauer, sondern ein Schlag ins Gesicht all derer, die den Kinobesuch als einzig wahres Filmerlebnis anpreisen.

Zugegeben, man ist selbst schuld, gibt man wissentlich Geld für einen geschnittenen Film aus. Und dennoch, der Hulk hat in der ersten Woche nur 100.000 Zuschauer in die deutschen Kinos gelockt. Angesichts dieser kommerziellen Enttäuschung, kann the gaffer nur noch die weisen Worte des unvergleichlich eloquenteren Nelson M. zitieren und aus vollem Herzen sagen: HA! HA!

Achja, und Ang Lees Hulk war sowieso viel besser…


Zum Weiterlesen:

Was the gaffer über den wesentlich besseren Iron Man zu sagen hat.

Ein Artikel über den geschnittenen Hulk bei CineKie, der u.a. Kinos auflistet, welche die 16er Fassung zeigen.

Marokko (USA 1930)

[Ein Teil einer Kurtz & Knapp-Spezialausgabe sollte die folgende Kritik eigentlich werden. Am Ende waren es doch über 600 Wörter. Der Sternberg hat’s mir offensichtlich angetan…]

Kaum zu glauben, dass die Dietrich als Hauptdarstellerin noch immer überzeugt, obwohl ihre Englischkenntnisse zur Drehzeit der Nonexistenz nahe kamen. Marokko war ihr erster amerikanischer Film. Regisseur war ihr “Entdecker” Josef von Sternberg.

Phonetisch lernte sie ihren Text, den deutschen Hintergrund hört man raus und doch ist das Charisma in voller Stärke präsent. Genau das war auch nötig bei der Visualisierung einer Story, die nicht durch irgendeine beliebige Frau in der Hauptrolle glaubwürdig gestaltet werden konnte.

Zwei Männer sind im exotischen Marokko hinter ihr her. Der Abenteurer und Fremdenlegionär Gary Cooper und der wohlhabende Gentleman Adolphe Menjou. Vielleicht sind es die besten Leading Men ihrer amerikanischen Sternberg-Phase (Emil Jannings im Blauen Engel ist über jeden Vergleich erhaben).

Der eine mit dem rauen Charme des Schürzenjägers, der andere mit einer melancholischen Gelassenheit, die jede Erniedrigung erduldet, ohne der Würde ihres Trägers abträglich zu sein. Bedenkt man, dass ihre Männer von Film zu Film stärker an den Rand der bedeutungslosen Anonymität gedrängt werden – der Höhepunkt dessen ist ihre gänzliche Marginalität in Die Scharlachrote Kaiserin und der sadistische Umgang mit dem starken Geschlecht in Der Teufel ist eine Frau – ist das Schicksal der Amy Jolly in Marokko in hohem Maße beeinflusst von ihren männlichen Counterparts.

Der Fremdenlegionär Tom ist den späteren Dietrich-Figuren mit seinen unmotivierten Meinungswechseln und vielen Geliebten fast ebenbürtig in seiner Unfähigkeit sich zu binden. Adolphe Menjous La Bessiere dagegen entspricht dem Typ des sich opfernden Liebhabers, wie ihn später Cary Grant (Blonde Venus) oder Lionel Atwill (Der Teufel ist eine Frau) in mehr oder weniger leidenschaftlicher Ausprägung spielen sollten. Er nimmt jede Eskapade der unnahbaren Frau hin und steht im Zweifelsfall dieser selbst bei der Eroberung des Rivalen hilfreich zur Seite.

Höhepunkt der Demütigung: Der reiche, nicht unsympathische Herr lädt zum Dîner. Die Dietrich erfährt von der Heimkehr der Legion ihres Ex-Liebhabers. Schwer atmend, mit aufgerissenen Augen steht sie da vor den Gästen und sieht doch nichts, außer wohl im Geiste das Bild Toms. Menjou daneben mit gewahrter Fassung ist offensichtlich gequält. Sie rennt davon, ihr neuer Ex übergeht vor der versammelten Abendgesellschaft das Geschehen gleich einer Lappalie. Er hat ihr schon verziehen. Genau, wie wir, die Zuschauer, ihr den leidenschaftlichen Ausbruch nicht übel nehmen werden.

Die exotische Atmosphäre, welche die Gefühlswallungen des Melodrams umgibt, ist wie geschaffen für Sternbergs Regiekünste. Von flimmernden Lichtpunkten eingehüllte Gassen der Stadt leuchten in der Eröffnung des Films den Weg in die traumhafte Unterwelt des schwülen Sujets, das den Hintergrund des Liebesreigens bildet.

Das Verlangen, das Gezeigte ernst zu nehmen, es gar auf einen politischen Hintergrund hin zu untersuchen, wird einem damit ab der ersten Minute ausgetrieben. Auch ausgefeilte Figuren sucht man, wie immer bei den Dietrich-Filmen Sternbergs, vergebens. Vielleicht kann man sie nicht auf Stereotypen reduzieren, doch bewegen sich die Männer und Frauen des Sternberg’schen Universums, ob Shanghai Lily, Agentin X27 oder eben La Bessiere und Tom Brown ohne Herkunft mysteriös in ihrer Kinotraumwelt. Ihre Handlungen und emotionalen Reaktionen sind den Gesetzen des täglichen Lebens enthoben, ganz dem melodramatischen Mythos untergeordnet.

Spätestens wenn Amy Jolly ihr Lied im Anzug anstimmt und Cooper seine Mithörer – und uns – zur Begeisterung anhält, ergeht sich der Regisseur vor unseren Augen in den Mechanismen der kinematografischen Mythenbildung. Dieses androgyne Bild der Dietrich wird Sternberg dann später wieder aufnehmen, wenn sie als Katharina die Große in Uniform der Macht entgegen gleitet.

Während im Bildvordergrund die Stilisierung der Hauptdarstellerin vor sich geht, platzt das Dekor mit seiner Detailgenauigkeit und Plastizität fast vor eigener Energie. Schattengitter oder vorteilhaft beleuchtete Reliefs der eigentlich kahlen Wände dynamisieren den Hintergrund und damit die unwirkliche Atmosphäre des Films.

Ungeachtet der technischen Virtuosität, der Ikone Marlene Dietrich, bleibt das Ende von Marokko Sternbergs größter Trumpf. Ein Melodram mit ungewöhnlich gewagten musikalischen Nummern wäre es ohne die letzten Minuten sicher geworden. Die nicht fassbare Tiefe der Wüste nach all den Studiointerieurs entfaltet demgegenüber eine magische Sogwirkung, welche einen weiteren Paukenschlag in Sternbergs reichhaltige Sammlung großer Abschlusssequenzen einreiht.

(Erstmals veröffentlicht in der Online-Filmdatenbank am 12.07.2008 )


Zum Weiterlesen:

 

Alle Beiträge zum Festival Il Cinema Ritrovato in Bologna, darunter eine Kritik zu Josef von Sternbergs Unterwelt und eine paar Worte über den Dietrich-Film Blonde Venus.

Unterwelt (USA 1927)

UnterweltEin paar ausführliche Anmerkungen zu Josef von Sternbergs Stummfilmklassiker Unterwelt habe ich in Form einer Kritik in der OFDB niedergeschrieben.

Im Nachhinein wiegt die Trauer um so größer, dass ich diesen Film in nächster Zeit nicht nochmal sehen kann. Freude über die Gelegenheit, die das Festival in Bologna bot und Enttäuschung über die fehlende DVD-Auswertung des Films gehen mal wieder Hand in Hand.

Bis zur eher unwahrscheinlichen Veröffentlichung des Films auf einem Silberling bleibt nur das große Warten, dessen Langeweile wiederum gefüllt wird vom Warten auf Der Eiskalte Engel, Die Amerikanische Nacht und Lola Montès.

Das Unterhaltungspotenzial anderer Freizeitbeschäftigungen wird eindeutig überschätzt…


Zum Weiterlesen:

 

Alle Einträge zum Festival Il Cinema Ritrovato in Bologna, inklusive einer Kurzkritik von Unterwelt.

Hancock (USA 2008)

HanockGanz auf die Starpower von Will Smith und das ausgeprägte Marketing vertrauend, haben die Macher von Hancock es tatsächlich geschafft, ohne Comicfanbase einen Box Office-Hit zu drehen. Zwar ist Hancock die Geschichte eines Superhelden, wenn auch der etwas anderen Art, doch basiert der Film auf einem Originaldrehbuch, keiner Vorlage von Marvel oder DC.

Dieses Drehbuch hebt Hancock zwar nicht über den Superheldendurchschnitt hinaus, sorgt aber für eine größtenteils abwechslungsreiche Unterhaltung. John Hancock ist nämlich ein rüder Säufer. Zugegeben, er ist mit übernatürlichen Kräften ausgestattet, aber an seiner misanthropischen Haltung ändert das wenig. Wer ihm begegnet, wird mindestens mit einer Beleidigung, im ungünstigen Fall mit einem millionenteuren Sachschaden davon kommen.

Da verblüfft es wenig, dass Hancock in L.A. wenig beliebt ist, schließlich sind seine Heldentaten eher von der groben Sorte. PR-Idealist Ray (Jason Bateman), dessen Leben der Trinker gerettet hat, will genau daran etwas ändern. Ein Imagewandel muss her, also überredet er Hancock zu einer Entschuldigung vor aller Öffentlichkeit und den freiwilligen Gang in den Knast. Soll die Stadt der Engel doch selbst sehen, wie sie ohne ihren unpopulären Helden zurechtkommt.

Die Grundidee des unkonventionellen (Anti-)Helden ist nicht neu. Tony Stark alias Iron Man ist vor kurzem eine weitere Inkarnation dieses Typs gewesen. Die Figur des Hancock ist sozusagen der John McClane der Lüfte. Eine Revolution ist das ganze Geschehen also nicht, auch wenn Smiths Beleidigungen für einen Blockbuster ein recht beträchtliches Maß annehmen.

Ungewöhnlicher sind das noch die Figuren seiner Kollegen. Batemans Ray ist das eigentliche Superheldengewissen des Films. Er träumt davon, die Welt zum besseren zu ändern, indem er Großunternehmen ein Charity-Projekt aufschwatzt. Der Vorstadtdad, der zur Abwechslung mal nicht um die Anerkennung seines Sohnes kämpfen muss, macht aus Hancock erst einen Superhelden von Format, ein schnittiges Kostüm eingeschlossen.

Rays Frau Mary, gespielt von Charlize Theron, entspricht zunächst dem Typus der besorgten Ehefrau, entwickelt allerdings sehr bald ein verblüffendes Eigenleben. Alles andere wäre auch eine eklatante Verschwendung des Könnens der Oscarpreisträgerin gewesen. Zugegeben, mit dem Bedeutungsgewinn Marys beginnt der Plot zunehmend auseinanderzubröseln. Anders ausgedrückt: Die Löcher desselben nehmen gigantische Ausmaße an.

Dafür deuten die weiteren Wendungen des Films auf die für einen Superheldenfilm ungewöhnliche Bedeutungsverlagerung des Regisseurs Peter Berg hin. Da der einhändige Bösewicht des Films zu keiner Zeit an Lächerlichkeit verliert und ebenso wenig an Bedrohlichkeit gewinnt, verliert der Film nie seine Fokussierung auf die Einsamkeit der Figur Hancocks.

Hilfreich ist da die Masse der Close-ups, welche, ausgenommen die Actionszenen, fast die ganze Mise en scène ausmachen. Mit inszenatorischem Können hat es nicht mehr viel zu tun, wenn Regisseure ausschließlich auf Detail- und Großaufnahmen zurückgreifen und Figurengruppen kaum mehr in Halbtotalen zu dirigieren in der Lage sind. Der vermeintliche Realismus dieser auf Räumlichkeit verzichtenden, flachen Handkamerabilder gerät in Hancock in krassen Widerspruch zu einigen überstilisierten Bildern, die auch in einen Davidoff-Werbespot hätten integriert werden können.

Ob er durch seine an Gesichtern orientierte Inszenierung nun die Starpersonas puschen oder dem Genre etwas ungewohnten Realismus injizieren will, sei dahingestellt. Fakt ist, dass Peter Bergs Hancock ungeachtet des pathetischen Finales, unausgegorenen Spezialeffekten und einiger überstrapazierter running gags 90 Minuten sinnfreies Vergnügen liefert. Der Siegeszug des Will Smith an der Box Office wird wohl noch einige Zeit anhalten.


Zum Weiterlesen:
Der Trailer des Films.
Was Equilibrium zu Hancock zu sagen hat.
Das Filmmagazin Schnitt gibt auch noch seinen Senf dazu.
Der zum wiederholten Male auftauchende Fremdwörterfetischismus bei the gaffer führt zwangläufig zur berechtigten Frage: Was zum Teufel ist die Mise en scène?