We move forward – Snowpiercer (ROK/USA/F)

Snowpiercer

Ob bewusst deswegen gewählt oder nicht, ein genialer Schachzug ist das Casting von Chris Evans in Snowpiercer auf jeden Fall. Anders als den übrigen Filmsuperhelden seiner Generation ist Evans Captain America eine Naivität und Ehrlichkeit zu eigen, wie sie im Goldenen Comic-Zeitalter über die Panels flog und mit Christopher Reeve auf der Leinwand landete. Captain America, der in Joe Johnstons Abenteuer wohl nur von Marvel und zaghaften Drehbuchautoren davon abgehalten wurde, Hitler persönlich zu vermöbeln, mag neben arroganten Göttern, dauerironischen Milliardären und an sich selbst zweifelnden Wissenschaftlern als Utopie in Menschengestalt erscheinen. So nehmen wir Evans die Rolle des Messias Curtis in Bong Joon-hos neuem Film ohne Hintergedanken ab. Curtis ist kein Winston Smith oder Sam Lowry, kein kleines Licht, das durch einen Zufall in den Widerstand gegen ein repressives System gerät. Curtis ist auserwählt und so begrenzt Bong die Vorgeschichte auf einen kurzen Prolog, der von gescheiterten Maßnahmen gegen die globale Erwärmung erzählt. Verkörpert werden diese durch drei Flugzeuge, die den blauen Himmel in einem Akt menschlicher Selbstüberschätzung mit Kondensstreifen unter sich aufteilen und eine weltweite Eiszeit herbeiführen. Nur der Zug Snowpiercer, ein Perpetuum mobile erfunden vom genialen Wilford, umrundet viele Jahre später die lebensfeindliche Erdoberfläche. Die Glücklichen, die sich vor dem Kältetod in das Gefährt retten konnten, wurden einer sprichwörtlichen Klassengesellschaft zugeordnet. Wer ohne  Ticket an Bord kam, hat sein Leben in Armut und Unterdrückung zu verbringen. Ein Upgrade ist nicht vorgesehen. Hier, am hintersten Teil des Zuges, treffen wir Curtis an, der, ohne den üblichen Erweckungsmoment, welcher solchen Geschichten meist erklärend vorangeht, den Aufstand plant. Sein Ziel: Die Kontrolle über die Maschine erlangen, die den Snowpiercer antreibt. “We move forward”, lautet sein mehrfach wiederholter Schlachtruf. “Yes, we can”, möchte man ihm als Antwort zurufen.

Abteil für Abteil gilt es zu erobern und so erinnert Bong Joon-hos Blockbuster bisweilen an einen in die Horizontale verlegten “The Raid” oder “Dredd”. Mehr noch als diese beiden reinen Actionfilme lebt Snowpiercer von der Ungewissheit, was die Aufständischen im nächsten Wagon erwartet. Wird es ein Blick auf die Oberschicht oder die geballte Gegenwehr derselben? Egal, was hinter den Türen lauert oder welche Opfer zurückbleiben, es muss weitergehen, immer weiter nach vorne, wie auch der Zug zum wiederholten Male eine Schneise durch Eis und Schnee fräst, wie groß auch das Hindernis vor ihm ausfällt. Dieser dynamischen Grundidee entsprechend ist “Snowpiercer” ein enorm unterhaltsamer Film, der seinen ausgeklügelten Action-Setpieces in jedem Level eine Variation zuteil werden lässt, weshalb sie nie monoton oder ermüdend wirken. Kein anderer Regisseur reicht momentan an Bong Joon-ho heran, wenn es gilt, die Anforderungen eines Blockbusters uneitel den eigenen künstlerischen wie sozialkritischen Ambitionen einzuverleiben und eine erstaunlich homogene Synthese dieser andernorts widersprüchlichen Impulse auf die Leinwand zu bringen. Selbst den jüngsten Filmen von Guillermo del Toro und Alfonso Cuarón kann dieses Lob nicht mehr ohne weiteres zugesprochen werden. Und wenn es einen Genrekollegen gibt, den “Snowpiercer” in Erinnerung ruft, dann Cuaróns sieben Jahre alten “Children of Men”.

Bong Joon-ho, Chronist der Verdrängung, stellt seine Protagonisten regelmäßig vor die Wahl, sich dem eigenen Versagen zu öffnen. In den Kriminalgeschichten “Memories of Murder” und “Mother” nehmen sie im übertragenen Sinne Reißaus, in “The Host” ganz praktisch, wenn Koreas verschwiegene Vergangenheit in Monstergestalt hinter ihnen her jagt. Curtis, dessen Erinnerungen sich auf sein Leben im Zug beschränken, fügt sich mit “Snowpiercer” ohne großen Widerstand in Bongs Heldenkabinett ein, das in der Filmografie eines anderen Regisseurs nur für Bösewichte taugen würde. Sein rücksichtsloses Streben an die Spitze um der Veränderung willen ahmt im Grunde die Bewegung des Zuges nach, was seiner “Heldenfahrt” eine Doppeldeutigkeit verleiht, die den meisten Blockbuster-Heroen verwehrt bleibt. “We move forward.” Aber was passiert, wenn man an der Spitze angekommen ist?

“Snowpiercer” geht dieser Frage nicht aus dem Weg, ebenso wenig wie sich Bong und seine Co-Autorin Kelly Masterson auf einfache Freund-Feind-Darstellungen verlassen. Wie schon in seinen vorherigen Filmen beweist sich der Humanist im Einsatz der Großaufnahme, die dem quälenden Schmerz repressiver Gewalt im ausdrucksstarken Gesicht von Ewen Bremner ebenso zärtliche Achtung schenkt, wie den von der Macht verzerrten und verzehrten Zügen der kaum wieder zu erkennenden Tilda Swinton. Das starke Ensemble um Go Ah-sung, Song Kang-ho, Vlad Ivanov und Octavia Spencer kommt da wie gelegen und so verliert Snowpiercer den Mensch in dieser mit allen Mitteln auf den Fortschritt drängenden Rebellion nicht aus den Augen. Ein weiträumiges Kammerspiel ist Bong Joon-ho gelungen, eine dystopische, aber tagesaktuelle Zukunftsvision, die sich nicht davor scheut, mit ihrem clever gecasteten Helden eine der erzählerischen Grundfesten des Unterhaltungskinos zu entblößen. Der als nahezu sakrales Wunderwerk gefeierte Snowpiercer ist schließlich nur ein Zug. Und der fährt im Kreis.

Snowpiercer
(c) MFA

Diabolische Triumphe – Das Glück in der Glaskugel (USA 1940)

Eigentlich ist alles ganz einfach. Bette Davis wird als Henriette Desportes, genannt Henriette Deluzy, Kindermädchen in dem Haus eines französischen Duc und bringt Liebe in ein bis dahin kaltes Haus. Die Parallelen zu The Sound of Music sind kaum zu übersehen, aber sie sind nur sehr oberflächlich. Denn nicht nur wird hier nicht gesungen und getanzt, auch fehlt die unbändige, verstörende Lebensfreude. Denn in All This, and Heaven Too (so der Originaltitel) geht es um brutale Schicksalsschläge, mit denen für die kurzen Momente des Glücks bezahlt werden muss. Es ist ein klassisches Melodram, in dem eine unschuldige Hauptfigur, ein ganz und gar tadellose noch dazu, von ihrer Umwelt, vom Schicksal und von den unreinen Gedanken ihrer Neider gequält wird. Nicht aufs Blut, aber ihre Seele wird bis ans Ende der Aushaltbarkeit gepeinigt.

Hier ist es nicht der Mann wie bei den von Trapps, der durch den Tod seiner Frau verbittert ist, sondern es ist die nur allzu lebendige Frau, die ihre Kinder nicht erträgt und in grenzenloser Selbstsucht hinter allem, was ihr Mann ohne sie tut, paranoide Schrecken des Betrugs ahnt. Sie quält alle, die sie liebt, also vor allem sich … im Glaube es sei die Liebe zu ihrem Mann … und macht allen das Leben schwer. Wie ein kleines Kind will sie ihren Trotzkopf gegen alle Möglichkeiten, gegen jeden gesunden Menschenverstand durchsetzen. Ihre Kinder behandelt sie wie Dinge, mit denen sie ihren Mann für fehlende Zuneigung abstrafen kann. Ihr Mann erträgt sie so immer weniger. Sie ist die Inkarnation einer geifernden Hysterie, die alles zerfrisst, was sie an ihren Busen drücken möchte.

Und der größte Dorn in ihrem Auge ist Henriette Desportes, genannt Henriette Deluzy. Diese wird von den Kindern geliebt, weil sie sich tatsächlich für diese interessiert, und gewinnt die Zuneigung ihres Mannes, der bei so einer bezaubernden Dame fast nicht glauben kann, dass dies ein Mensch aus Fleisch und Blut sei … so körperlos und anständig wie sie ist. Die Duchesse de Praslin fühlt sich hintergangen und zetert und verbreitet pausenlos giftige Anklagen, die ihren Mann nur in die Hände des unschuldigen, zauberhaft guten Kindermädchens treibt. Ja, alle außer ihr finden ihr Glück aus den Händen dieser tadellosen Mary Poppins … und das erträgt die Duchesse nicht.

Ort und Zeit sind eigentlich egal. Wir befinden uns mehr oder weniger zufällig in einem Frankreich, das sich 1846 noch in den Klauen einer strikten Ständegesellschaft befindet. Jeder ist seinen Pflichten und dem Wahren seiner Außendarstellung unterworfen. Beichtväter, Klatschpresse, der Pöbel und Schwiegereltern, alle warten nur darauf, dass jemand sich etwas gönnt, dem sich alle anderen brutal verwehren, um dann auf diesen loszuhacken … wie immer und überall, wie mir scheint. Und Madame Deluzy, Madame Desportes, Madame D., obwohl sie nichts Böses will, die sich sogar mit aller Kraft von ihrem geliebten Arbeitgeber fern hält und nur das Glück der Kinder als Ziel hat, über ihr entlädt sich ein Wirbelsturm des Hasses und der Entrüstung. Die Presse zieht sie durch den Dreck und macht aus ihr eine Symbolfigur der Verkommenheit. Sie, die nur gut ist, ertrinkt in einem Meer aus Ungerechtigkeiten. Und es ist so ruhig, so durchdringend inszeniert, dass es einen unangenehm berührt. In all unserer kindlichen Selbstgerechtigkeit fühlen wir mit den armen Opfern, weil wir es auch kennen, dass die Welt da draußen uns armen Tröpfen so viel Unrecht antut, ohne dass wir etwas dafür könnten.

Doch nicht jeder wird hier mit Madame D. in seinen Gefühlen ertrinken, denn wenn wir das kurze, unschuldige „eigentlich“, mit dem der Text begann, weglassen, wird aus All This, and Heaven Too ein bösartiger Reißer. Vielleicht liegt es daran, dass ich sie mit Whatever happened with Baby Jane? kennengelernt habe, aber ich mag meine Bette Davis als eigenwillige, zuweilen bösartige Naturgewalt und tendiere dazu, sie auch so zu sehen. Mit ihren Augen und ihrem Mund, die für Leid geboren wurden und Hass zeigen können, wie keine anderen, da mag ich ihr diese unschuldige Person kaum abnehmen.

Die Tür ins Unbehagen stößt das Drehbuch von Casey Robinson selbst auf, denn alles ist nur die Erzählung von Bette Davis‘ Figur, die in die USA geflohen ist und als Lehrerin von ihrer Schulklasse mit den alten Skandalen konfrontiert, die Geschichte aus ihrer Sicht darlegt um sich von den Anschuldigungen rein zu waschen. Ihre Schwarz-Weiß-Malerei wirft Schatten um sich. Ahnungen und Vermutungen blitzen aus ihr heraus. Ich sah vor meinem geistigen Auge, wie sie mit dem Bauch auf einem Tisch lag, der Duc hinter ihr und wie sie nach mehr rief, wie sie grinste und sich ihrer Intrigen erfreute. Wie sie diabolisch in die Kamera grinste und sich ihrer Manipulationen hingab, auf das alle sie lieben sollten, auf das alle, die es nicht taten, im Unrecht waren. Wie sie die Kinder des Duc um den Finger wickelt, wie die in ihrer Klasse. Wie sie ihre Konkurrentin zur hysterischen Wahnsinnigen entstellt. Diese protofaschistische Selbstgerechtigkeit der Erzählung lädt einfach zu Spekulationen ein und wenn Bette Davis die Projektionsfläche für diese ist, kennen, zumindest bei mir, die Untiefen kaum Grenzen.

Durch einen mir nicht nachvollziehbaren Glücksfall hat Das Glück in der Glaskugel noch einen zweiten deutschen Titel. Dieser mag so überhaupt nicht passen, fängt aber die Atmosphäre verzerrt und wunderschön ein. Hölle, wo ist dein Sieg? … dabei ist es doch klar. Die Hölle siegt in der Erzählung dieser unschuldigen Schlange auf so vielen Ebenen, dass es diese Frage eigentlich gar nicht wert ist, gestellt zu werden. Aber doch spricht sie von den sensiblen Zwischenräumen, die beim Sehen verschüttgehen können … oder eben aus allen Ritzen dampfen.

Die Wüste der Wirklichkeit – Drug War (HK/VRC 2012)

Drug War Poster

In Johnnie Tos “Breaking News” liefern sich Hongkonger Polizisten und Räuber aus Festlandchina ein Katz- und Mausspiel in einem Apartment-Block. Da drängen sich die Cops durch kahle enge Flure und Treppenhäuser, eingefangen in betonfarbenen Bildern, die wie der Rest des Films mit einem kalten metallischen Glanz versehen wurden. Wenn man Drug War auf Biegen und Brechen in ein Verwandtschaftsverhältnis mit Tos bisherigen Filmen setzen möchte, dann ist die medial sezierte Hetzjagd samt Geiselnahme aus dem Jahr 2004 die erste Anlaufstelle. “Drug War” spielt sich in einem ähnlich eng bemessenem zeitlichen Rahmen ab und addiert zur  entschlackten, unsentimentalen Cops & Robbers (bzw. Drug Traffickers)-Geschichte die tiefschwarze Nacht, in der sich die meisten von Tos Gangsterfilmen und Policiers so wohlfühlen. Konterkarierte “Breaking News” das gängige Klischee des gesichtslosen oder negativ konnotierten Mainland-Ganoven, der in Hongkong das schnelle Geld sucht, in dem es diesen zur Hauptfigur erhob, werden die Figuren in “Drug War” unter völlig anderen Vorzeichen angeordnet. Diesmal kommt der Hongkonger (Louis Koo), ein auf dem Festland agierender Drogenfabrikant, in Konflikt mit der chinesischen Polizei. In einer Hafenstadt im Norden Chinas rast er durch die Fensterscheiben eines Restaurants. Sein Drogenlabor ist in die Luft geflogen, die Ehefrau mit ihm, und nun wartet die Todesstrafe. Der einzige Ausweg: zwei größere Fische an die Polizei verfüttern, unterstützt und überwacht von einem Undercover-Ermittler (Sun Honglei).

Knüpfen die beiden Koproduktionen “Don’t Go Breaking My Heart” und “Romancing in Thin Air” an Hongkonger Bürokomödien und Melodramen an, ist “Drug War” nicht bloß die Anwendung eines Erfolgsrezepts innerhalb der Strukturen einer anderen Filmindustrie. Die Vorgaben der chinesischen Zensurbehörde SARFT lassen sich im Gunde nicht mit dem Gangsterfilm Hongkonger Prägung vereinen, egal ob es sich um nostalgische Kugelballette oder entglorifizierende Sektionen des organisierten Verbrechens handelt. Dass die Subversion der Richtlinien im Kino der Volksrepublik möglich und erfolgreich sein kann, bewies etwa Jiang Wen mit seiner satirischen Abrechnung mit der regionalen Bürokratie in “Let The Bullets Fly”. Den Drogenkrieg auf dem Festland nehmen Johnnie To und Wai Ka-Fai nun keineswegs zum Anlass, die Geduld der Zensurbehörde bis zum Letzten herauszufordern. Stattdessen fügt sich “Drug War” ganz elegant dem narrativen Diktat von den fähigen Cops, den zu verurteilenden Verbrechern und entwickelt sich gerade dank der Achtung der Spielregeln zu einer vernichtenden Abkanzelung derselben.

Die wortkargen professionals, die in anderen Milkyway-Produktionen auf beiden Seiten des Gesetzes zu finden sind, agieren in “Drug War” primär in den Reihen der Polizei. Angeführt durch Sun Hongleis Captan Zhang Lei, sind die Drogenfahnder in ihrer Arbeit perfekt aufeinander abgestimmt. Zhang, ein eigenschaftsloser Schauspieler, wechselt im Undercover-Dienst fließend zwischen verschiedenen Gangsterrollen. Zurückgeworfen auf die Polizistenpersönlichkeit wirkt er ebenso leer wie seine Kollegen, mit denen er in  undefinierbaren, schattigen Nicht-Orten haust. Überhaupt spielt sich “Drug War” in einem räumlichen Nirgendwo von Autobahnen, Baustellen und Hotelzimmern ab, dessen trostloser Gipfel ein von einer Armada identisch aussehender Kutter übersäter Hafen ist, in dessen grauem Meer einzig, aber ebenso monoton, die vielen roten Flaggen der Volksrepublik hervorstechen. Lukten hinter den verrammelten Türen in jenem Apartment-Block in “Breaking News” Menschen hervor, bleibt in “Drug War” nur die industrielle Wüste, ein Ort, den sich Gangster und Polizisten gar nicht erst aneignen müssen. Er ist längst ein Schlachtfeld, die Zivilisten vertrieben.

Vielleicht lässt sich die postapokalyptische, entsinnlichte Szenerie in “Drug War” an keinem Motiv so gut festmachen wie dem Essen, Zentrum so vieler Verhandlungen, Krisen und Mexican Standoffs in Johnnie Tos Werken. Selbst die Gangster in “Breaking News” finden Zeit, um mit ihren Geiseln zu kochen und zu schmausen. In “Drug War” präsentiert ein  Drogenhändler mit dem verdienten Spitznamen Haha einmal stolz einen gigantischen aufgebahrten Fisch, zu mehr als nur Prahlerei dient er allerdings nicht. Dabei zeigen die Gesetzlosen im Gegensatz zu ihren Jägern immerhin noch Ansätze eines Eigenlebens. Haha ist so ein janusgesichtiger Exzentriker, der sich auch in “Election” gut machen würde, ebenso die taubstummen Helfershelfer von Louis Koos Timmy, der mit seinem unzähmbaren Überlebensinstinkt, seiner Individualität um jeden Preis, als Gegenstück zum Polizistenkollektiv aufgebaut wird. Die spärlichen Sympathien fliegen hier den lasterhaften Ganoven zu, erst recht als die mit Milkyway-Stammschauspielern besetzten Hongkonger Verbindungsmänner auf der Bühne erscheinen. Dann bringt in “Drug War” ein zweiter, ein im Schatten lauernder Film die moralisch vorgegebene Eindeutigkeit in Unruhe. Dass der Thriller darunter nicht leidet, ist der glasklar komponierten Erzählung eines Meisters zuzuschreiben, der sich schon lange nicht mehr in aufmerksamkeitsheischenden Plansequenzen beweisen muss. In diesem über weite Strecken von einem automatisierten Polizeiapparat angetriebenen Werk wird jeder Zweifel über die Loyalitäten in der letzten Einstellung ausgeräumt, deren zutiefst menschliches Keuchen und Wimmern im Abspann nachhallt.

Endlose Diskussionen – Ein Film wie die anderen (F 1968)

Diskussionen zu hören ist fürchterlich. Ich finde es schwer ertragbar. 1993 habe ich eine Folge von Hans Meiser gesehen, in der es um Dinosaurier ging. Ich war ein zwei Jahre vorher auf Godzilla getroffen, hielt ihn für einen Tyrannosaurus Rex und war zutiefst fasziniert. Während des Sehens hat mich nur eine Frage interessiert: „Was unterscheidet einen Deinonychus von einem Velociraptor?“. Eine unwichtige Frage, die mich auffraß. Die ersten waren meine Helden aus den „wissenschaftlichen“ Büchern und die anderen die bösen, aus dem Nichts auftauchenden Zöglinge Hollywoods. Ich wollte eine Antwort und bekam nur Gelaber. Themen, die mich nicht interessierten und Blah. Je länger es dauerte, desto ungeduldiger und aggressiver wurde ich. Es war frustrierend, diesen Dummbatzen zuzuhören. Kurz vor Schluss hat tatsächlich jemand die Frage gestellt. Die offensichtliche Frage. Die einzig wichtige Frage. Gebannt lauschte ich der halbwegs befriedigenden Antwort. Seit diesem Erlebnis ist mir ein tiefsitzender Glaube eingepflanzt, durch die ich Studien, die besagen, dass Talkshows intolerant machen, gerne und ohne Widerstand glaube. Ich hatte Hans Meiser und seine Diskussionspartner gehasst. Nur ein Zögern darüber, eigene Erfahrungen zu einer allgemeinen Wahrheit zu machen, lassen mich vom Glauben abweichen.

I’m willing to die too, but not of boredom. (Zabriskie Point)

Zwei Renault-Fabrikarbeiter und drei Studenten sitzen 1968 im Gras und diskutieren über den vergangenen Generalstreik. Darüber, was schiefgelaufen ist. Ob es der Anfang oder ein Ende ist. Was getan werden muss. Was einem am anderen stört, was sie gegenseitig misstrauisch macht, was sie voneinander trennt. Die Revolution im Allgemeinen. Geschehnisse im Besonderen. Meist sind sie nicht beim Reden zu sehen. Die Bilder in Un film comme les autres bieten uns schreiende Menschen in den Straßen, Daniel Cohn-Bendit agitierend, Steine fliegend, Polizisten schlagend. Zeitdokumente, damals nichts mehr als Nachrichten und Realität. Der Kampf, die Energie, die Hoffnung bersten aus den Bildern. Aufbruch, Kampf und verrannte Gedanken dieser Schwarz-Weiß-Bilder werden nur vom Grün des hohen Grases unterbrochen, in dem mal mehr, mal weniger erkenntlich fünf Menschen sitzen und diskutieren.

Sie reden, reden und reden. Nacheinander, ohne Pause, durcheinander, gleichzeitig. Vor allem im Off sprechen sie, weil wir ihre Münder selten sehen können. Aus dem Off dieser Diskussion erzählen uns die Stimmen der Studenten von Ereignissen von 1968, von Geschehnissen während der deutschen Besatzung, lesen von Gott und der Welt vor. Erschlagen werden wir von den Gedanken, den Diskussionen, den Bildern, den Implikationen, den Anstößen und den Fakten.

Das Thema des Films ist für Godard in erster Linie die lebendige Sprache der Diskussionsgruppe, ihr Stottern, ihre Sackgassen, ihre Überschneidungen, Wiederholungen, ihre Naivität, eine Sprache, die noch nicht erschlagen ist, aber die es bald sein wird. Godard legt Wert darauf, dass die freie Entwicklung und die Dauer der Rede respektiert werden. (Alain Bergala, Cahiers du cinéma, 11/1990 oder Klappentext einer dt. DVD)

Seinen eigenen Gedanken folgen kostet einem die Diskussion. Die fehlende Möglichkeit eingreifen zu können, kann frustrierend sein. Unfähigkeit sich gegen die Ärgerlichkeiten zu wehren oder die interessanten Punkte zu vertiefen, ist ein jeder in Un film comme les autres ausgeliefert. Sie ist ein Akt der Gewalt, wie das Verbrechen.

Wir lernen, dass es Klassiker im Kino gibt, dass es gute und schlechte Filme gibt. Im französischen Fernsehen sollte es aber nur gute Filme geben. Filme, die keine intellektuelle Vergiftung sind, um die Menschen in einem Zustand der Passivität und Gleichgültigkeit zu halten. Sendungen mit Titeln wie „Heute abend ins Theater“ oder „Theatre de Boulevard“, das ist doch zum Heulen. (Un film comme les autres)

Es ist ein Allgemeinplatz, der in Filmen von weisen Meistern wiederholt wird, nachdem Zuhören einen weiterbringt als Eingreifen oder Selbstreden. Wer also Antworten von Un film comme les autres erwartet, der kann zuhören und sich am Ende Gedanken machen, was er gehört hat. Eine fiese, schwere Aufgabe, die kaum zu bewältigen ist, denn dieser Film baut keinen Sog auf, der einen gefangen nehmen will. Er sucht Distanz. Bestenfalls kann er uns etwas Abstand von uns selbst bringen. Schlimmstenfalls Hass auf das ewige Gerede.

Simon Frisch hat zu mir in einer Diskussion über Sátántángo einmal gesagt, dass es ein Film ist, mit dem gelebt werden kann. Dem nicht die ganze Zeit gefolgt werden muss. Wir können aufs Klo gehen, die Gedanken schweifen lassen, den Bildern statt den Worten folgen. Ein Film in den wiedereingestiegen und aus dem wieder ausgestiegen werden kann. Er wird bleiben, wie er ist und vor sich hinlaufen, egal was wir machen. Egal was wir aus ihm machen. Und außerdem, wer will schon Antworten?

Wenige Sekunden herrscht zwei-, dreimal Ruhe. Erfrischende Ruhe. Die Gewalt verschwindet, wie der Rasenmäher des Nachbarn aufhört. Erleichternd, auch wenn wir ihn kaum noch wahrnahmen. Trotzdem ist Un film comme les autres kein schlechter Film, dafür ist er zu wenig Heldenverehrung und vor allem zu weit weg vom wohligen Eierschaukeln, mit dem heutige Fernsehredakteure die 60er Jahre in Frieden ruhen lassen, als nostalgische warme Wanne der Schönheit und Einöde. Was jeder mit diesem Kram hier macht, bleibt ihm überlassen. Mit ihm leben hat aber einiges für sich.

Es handelt sich übrigens um einen Film von der Groupe Dziga Vertov (und Jean-Luc Godard).

Von der omnipotenten Puppenspielerin und dem Mann, der sich noch mehr hasste als die Frauen – Basic Instinct (USA 1992)

Manchmal scheint es mir, dass es sehr einfach ist, einen Film zu machen, der mir gefällt. Nichts an Basic Instinct scheint mir augenscheinlich außergewöhnlich, wahnsinnig, unfassbar oder originell. Er ist anscheinend nicht von besonderem Witz oder von geschickter bzw. komplexer Durchtriebenheit. Er funktioniert sehr offensichtlich und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mich von etwas erschreckend Simplen manipulieren lasse. Er braucht nur immer wieder dieses Rot vom Mars. Er benötigt nur kaputte Menschen, die ihre Todessehnsucht in einem Braun ausleben, das getrocknetem Blut gleicht. Er inszeniert Menschen so, dass ihnen nicht mehr getraut werden kann. „You just can’t tell about people, can you?“, wird Lieutenant Walker abschließend sagen und mehr oder weniger mit einem Schulterzucken quittieren. Wahrscheinlich ist die Geschichte für ihn abgeschlossen, weil er jetzt weiß, was passiert ist. Doch Basic Instinct hat in seiner perfiden, manchmal auch lächerlichen Spannungsbögen jeden Sinn für Sicherheit zerstört. Am Ende gibt es keinen Helden. Es bleiben höchstens Verlierer, die sich in offensichtliche Happy Ends stürzen, um mit dem Leben wenigstens rudimentär klar zu kommen.

In der Tiefe der Geschichte wird wohl kaum Interessantes oder Originelles auffindbar sein. Klischees, Stereotype und unoriginelle Plot-Twists werden massiv angehäuft. Ein Rockstar ist mit einem Eispickel umgebracht worden. Ein selbstzerstörerischer Cop am Rande zum Alkoholismus soll den Fall mit seinem besten Freund lösen und verwickelt sich in den Intrigen einer manipulativen femme fatale, die sein Gehirn mittels einer Erektion auszuschalten sucht. Das ist kurz gesagt, was passieren wird. Gähnende Erinnerungen an schwarz-weiße Bilder von männlichen Männern in Trenchcoats werden wach. Nur die nicht enden wollenden Offenbarungen werden diese mit der Zeit zurückdrängen und bittererweise Wörter wie „postmoderne Bedeutungslosigkeit“ im Kopf aufpoppen lassen.

Dass Drehbuchautor Joe Eszterhas zu den bestbezahlten Vertretern seiner Zunft gehört(e), mag wie ein Rätsel erscheinen. Seine Drehbücher sind oberflächlich betrachtet schlecht zusammengeschusterte Geschichten, die sich immer wieder ihrer eigenen Lächerlichkeit hemmungslos hingeben. Nur eines, das hat er gekonnt, seine Charaktere mit Leben füllen. Seine Stereotype waren frisch und er schaffte es, sie faszinierend erscheinen zu lassen. Und wen wir bei Basic Instinct nicht alles haben:

Den selbstgerechten Det. Nick Curran (Michael Douglas), der sich nach einem tödlichen Fehlgriff nur noch mit zitternder Hand und schwitzender Stirn vom letzten Schritt Richtung Selbstaufgabe und hemmungslosen Alkoholismus abhalten kann. Seine Trockenheit mag von außen erzwungen scheinen, aber er ist es, der sich an diesen Strohhalm eines kaum möglichen Selbstwertes klammert. Erst wenn die Wirrnisse ihn von innen zerreißen, ist ihm alles egal und er lässt sich fallen. Der alte Haudegen Gus (George Dzundza) steht wie ein hechelnder Hund an seiner Seite und möchte ihn mit allen Mitteln verteidigen, aus Eifersucht, aus Angst ihn zu verlieren. Sein Grund zur Sorge ist nicht unbegründet, denn Nick wird zwischen zwei genialen, manipulativen fatalen Frauen aufgerieben. Auf der einen Seite seine Psychologin und Ex-Freundin Dr. Beth Garner (Jeanne Tripplehorn), die nur das Beste für Nick will. Herzhaft kümmert sie sich um ihn und opfert sich auf. Ihre Unschuld und ihre Hilflosigkeit ähneln einer Spinne, die ihre Opfer mit möglichst herzzerreißendem Dackelblick in ihr Netz lockt. Nick zieht es aber instinktiv zur morbiden Schriftstellerin Catherine Tramell (Sharon Stone), die nur seinen Schwanz, seinen atavistischen Schmerz und Selbsthass möchte … und vielleicht auch nur etwas mit ihm spielen will. Im Abgrund ist niemand gern allein.

Zwischen diesen mehr oder weniger alt eingesessenen Charakteren gibt es ein paar alteingesessene Offenbarungen, die sich selbst in den Schwanz beißen und am Ende keine Substanz hinter all den Intrigen zurücklassen. Für einen Twist wird hier alles getan, so dass am Ende alles unter der Oberfläche möglich ist. Vielleicht ist Catherine Tramell eine omnipotente Mörderin, die sich nur noch mit blutigen Kicks und Manipulationen aus ihrer Langeweile retten kann … vielleicht ist sie aber auch unendlich emotional verkrüppelt von dem ganzen Blut und dem Sterben um sich herum. Vielleicht ist Nick Curran im Himmel, vielleicht hat er aber wieder einen Unschuldigen getötet.

Aber diese Charaktere würde kaum mehr als Klischees sein, wenn da nicht die Kamera wäre. Jan de Bont zeigt San Francisco mit dem Blick durch die Protagonisten. Alles leuchtet im Rot der blutunterlaufenen Augen von durchzechten Nächten, im Rot der reißenden Begierden, im Rot der kaum noch zu unterdrückenden Wut, verursacht durch ständiges Scheitern, durch das ständige zum Besten Gehaltenwerden. Die Kamera fliegt lasziv durch die Szenerie und hinterlässt ein Gefühl des Gleitens, des Fließens, der kaum greifendbaren, lustvollen Unsicherheit. Sie schmilzt die unterkühlten Verhörräume der Polizei mit ihren kurzen schweißtreibenden Fahrten, wie Tramells Schamhaar jede Professionalität der Cops dahinschmelzen lässt (und mehr Pausetasten von Videorekordern/DVD-/BD-Playern auf dem Gewissen hat, als umgestoßene Getränke).

Vor allem aber orientiert sich Paul Verhoeven nicht so sehr an Huston, Lang, Siodmak oder Hawks, auch wenn die Anleihen an den Film Noir überdeutlich sind. Viel mehr sind es Brian De Palmas Filme aus der ersten Hälfte der Achtziger Jahren und das San Francisco aus Bullitt, welches immer wieder vorbei fährt, welche ihn optisch und atmosphärisch beeinflußt haben. Nur das Comichafte dieser Vorbilder tauscht er gegen eine schillernde Erdigkeit. Basic Instinct ist dadurch ein simpler, wenn auch verschnörkelter Thriller, der mehrmals an nichtiger Beliebigkeit vorbeischrammt, aber von seinem je ne sais quois gerettet wird. Vielleicht sind es auch das schwebende Rot, die verlorenen Charaktere und die geile Paranoia.