Von der omnipotenten Puppenspielerin und dem Mann, der sich noch mehr hasste als die Frauen – Basic Instinct (USA 1992)

Manchmal scheint es mir, dass es sehr einfach ist, einen Film zu machen, der mir gefällt. Nichts an Basic Instinct scheint mir augenscheinlich außergewöhnlich, wahnsinnig, unfassbar oder originell. Er ist anscheinend nicht von besonderem Witz oder von geschickter bzw. komplexer Durchtriebenheit. Er funktioniert sehr offensichtlich und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mich von etwas erschreckend Simplen manipulieren lasse. Er braucht nur immer wieder dieses Rot vom Mars. Er benötigt nur kaputte Menschen, die ihre Todessehnsucht in einem Braun ausleben, das getrocknetem Blut gleicht. Er inszeniert Menschen so, dass ihnen nicht mehr getraut werden kann. „You just can’t tell about people, can you?“, wird Lieutenant Walker abschließend sagen und mehr oder weniger mit einem Schulterzucken quittieren. Wahrscheinlich ist die Geschichte für ihn abgeschlossen, weil er jetzt weiß, was passiert ist. Doch Basic Instinct hat in seiner perfiden, manchmal auch lächerlichen Spannungsbögen jeden Sinn für Sicherheit zerstört. Am Ende gibt es keinen Helden. Es bleiben höchstens Verlierer, die sich in offensichtliche Happy Ends stürzen, um mit dem Leben wenigstens rudimentär klar zu kommen.

In der Tiefe der Geschichte wird wohl kaum Interessantes oder Originelles auffindbar sein. Klischees, Stereotype und unoriginelle Plot-Twists werden massiv angehäuft. Ein Rockstar ist mit einem Eispickel umgebracht worden. Ein selbstzerstörerischer Cop am Rande zum Alkoholismus soll den Fall mit seinem besten Freund lösen und verwickelt sich in den Intrigen einer manipulativen femme fatale, die sein Gehirn mittels einer Erektion auszuschalten sucht. Das ist kurz gesagt, was passieren wird. Gähnende Erinnerungen an schwarz-weiße Bilder von männlichen Männern in Trenchcoats werden wach. Nur die nicht enden wollenden Offenbarungen werden diese mit der Zeit zurückdrängen und bittererweise Wörter wie „postmoderne Bedeutungslosigkeit“ im Kopf aufpoppen lassen.

Dass Drehbuchautor Joe Eszterhas zu den bestbezahlten Vertretern seiner Zunft gehört(e), mag wie ein Rätsel erscheinen. Seine Drehbücher sind oberflächlich betrachtet schlecht zusammengeschusterte Geschichten, die sich immer wieder ihrer eigenen Lächerlichkeit hemmungslos hingeben. Nur eines, das hat er gekonnt, seine Charaktere mit Leben füllen. Seine Stereotype waren frisch und er schaffte es, sie faszinierend erscheinen zu lassen. Und wen wir bei Basic Instinct nicht alles haben:

Den selbstgerechten Det. Nick Curran (Michael Douglas), der sich nach einem tödlichen Fehlgriff nur noch mit zitternder Hand und schwitzender Stirn vom letzten Schritt Richtung Selbstaufgabe und hemmungslosen Alkoholismus abhalten kann. Seine Trockenheit mag von außen erzwungen scheinen, aber er ist es, der sich an diesen Strohhalm eines kaum möglichen Selbstwertes klammert. Erst wenn die Wirrnisse ihn von innen zerreißen, ist ihm alles egal und er lässt sich fallen. Der alte Haudegen Gus (George Dzundza) steht wie ein hechelnder Hund an seiner Seite und möchte ihn mit allen Mitteln verteidigen, aus Eifersucht, aus Angst ihn zu verlieren. Sein Grund zur Sorge ist nicht unbegründet, denn Nick wird zwischen zwei genialen, manipulativen fatalen Frauen aufgerieben. Auf der einen Seite seine Psychologin und Ex-Freundin Dr. Beth Garner (Jeanne Tripplehorn), die nur das Beste für Nick will. Herzhaft kümmert sie sich um ihn und opfert sich auf. Ihre Unschuld und ihre Hilflosigkeit ähneln einer Spinne, die ihre Opfer mit möglichst herzzerreißendem Dackelblick in ihr Netz lockt. Nick zieht es aber instinktiv zur morbiden Schriftstellerin Catherine Tramell (Sharon Stone), die nur seinen Schwanz, seinen atavistischen Schmerz und Selbsthass möchte … und vielleicht auch nur etwas mit ihm spielen will. Im Abgrund ist niemand gern allein.

Zwischen diesen mehr oder weniger alt eingesessenen Charakteren gibt es ein paar alteingesessene Offenbarungen, die sich selbst in den Schwanz beißen und am Ende keine Substanz hinter all den Intrigen zurücklassen. Für einen Twist wird hier alles getan, so dass am Ende alles unter der Oberfläche möglich ist. Vielleicht ist Catherine Tramell eine omnipotente Mörderin, die sich nur noch mit blutigen Kicks und Manipulationen aus ihrer Langeweile retten kann … vielleicht ist sie aber auch unendlich emotional verkrüppelt von dem ganzen Blut und dem Sterben um sich herum. Vielleicht ist Nick Curran im Himmel, vielleicht hat er aber wieder einen Unschuldigen getötet.

Aber diese Charaktere würde kaum mehr als Klischees sein, wenn da nicht die Kamera wäre. Jan de Bont zeigt San Francisco mit dem Blick durch die Protagonisten. Alles leuchtet im Rot der blutunterlaufenen Augen von durchzechten Nächten, im Rot der reißenden Begierden, im Rot der kaum noch zu unterdrückenden Wut, verursacht durch ständiges Scheitern, durch das ständige zum Besten Gehaltenwerden. Die Kamera fliegt lasziv durch die Szenerie und hinterlässt ein Gefühl des Gleitens, des Fließens, der kaum greifendbaren, lustvollen Unsicherheit. Sie schmilzt die unterkühlten Verhörräume der Polizei mit ihren kurzen schweißtreibenden Fahrten, wie Tramells Schamhaar jede Professionalität der Cops dahinschmelzen lässt (und mehr Pausetasten von Videorekordern/DVD-/BD-Playern auf dem Gewissen hat, als umgestoßene Getränke).

Vor allem aber orientiert sich Paul Verhoeven nicht so sehr an Huston, Lang, Siodmak oder Hawks, auch wenn die Anleihen an den Film Noir überdeutlich sind. Viel mehr sind es Brian De Palmas Filme aus der ersten Hälfte der Achtziger Jahren und das San Francisco aus Bullitt, welches immer wieder vorbei fährt, welche ihn optisch und atmosphärisch beeinflußt haben. Nur das Comichafte dieser Vorbilder tauscht er gegen eine schillernde Erdigkeit. Basic Instinct ist dadurch ein simpler, wenn auch verschnörkelter Thriller, der mehrmals an nichtiger Beliebigkeit vorbeischrammt, aber von seinem je ne sais quois gerettet wird. Vielleicht sind es auch das schwebende Rot, die verlorenen Charaktere und die geile Paranoia.

Wehe, wenn sie losgelassen – Django Unchained (USA 2012)

Nach dem Abspann werden drei Sklaven in einem Käfig zu sehen sein, die vollkommen perplex einem längst verschwundenen Reiter nachschauen und sich auf das eben Geschehene keinen Reim machen können. Sinnbildlich stehen sie für all die Menschen in Django Unchained, die Dinge sehen, die in ihre Welt einfach nicht zu passen scheinen. Zu Beginn tötet Django (Jamie Foxx) drei Plantagenaufseher unter den Augen verwunderter Sklaven und unter den verträumten Zweigen von wunderschönen Weiden. Wie aus einem Traum scheinen die Umstehenden aufzuwachen und ihre Möglichkeiten zu erkennen, die Welt nicht einfach nur hinzunehmen, wie sie sie kennen.

Vielleicht ist es dieses Bild, welches Django Unchained am besten zusammenfasst, denn es handelt sich um einen Film, der jedem freiwilligen Kinogänger in manchen Teilen der USA vor nicht mal 50 Jahren ein brennendes Kreuz vor der Haustür beschert hätte – bestenfalls. Während fast alle amerikanischen Western das Thema der Sklaverei ausblenden, legt Quentin Tarantino den Finger in eine Wunde. Eine Wunde die gerne unter den Tisch gekehrt wird, weil sie auch nach 150 Jahren seit offizieller Abschaffung der Sklaverei in den USA noch tief sitzt. Alleine die Debatte, dass zu oft das Wort „Nigger“ im Film falle, spricht Bände. Manch einer könnte wohl besser schlafen, wenn weiße Sklavenhalter im 19. Jahrhundert immer respektvoll Afroamerikaner gesagt hätten.

Tarantino gehört aber zu der Sorte, die quälende Geister der Vergangenheit (und Gegenwart) nicht verdrängen wollen, sondern der sie mit comichaft überzogener Gewalt und coolem, dreckigen Witz exorzieren möchte. Django Unchained ist so gesehen der letzte Teil einer Trilogie, in der er vorzugsweise kaukasischen Männern dafür Absolution verspricht, dass sie Teil der über Leichen gehenden männlichen, weißen Vorherrschaft des Westens sind. Konnte man(n) sich bei Death Proof noch an Frauen erfreuen, die einem Frauenmörder zusammenschlugen, so waren es bei Inglourious Basterds Juden, denen man bei der freudigen Abschlachtung von Nazis zusehen konnte. Nun ist es eben ein Afroamerikaner, der Sklavenhältern und –händlern vorführt und in einen brutalen, verdienten Tod schickt. Ich möchte niemanden, keiner Frau, keinem Juden und keinem Schwarzen ihren Spaß an den Filmen von Tarantino absprechen. Sie sind vieldimensional genug, dass sie jedem etwas bieten können. Aber aus Sicht dieser Reihe von Filmen ist klar, was Tarantino macht. Gelassen lässt er die mythisch überhöhten Bösewichte der Welt ihren genüsslich gefeierten Tod finden. Wenigstens in der Phantasie soll die Welt gerecht sein. Er gewährt sich und seinesgleichen (wozu ich mich wohl auch zählen muss) einen kunstvoll inszenierten Ablass. Und damit bewegt er mehr auf einem Weg zu einem offenen Dialog auf Augenhöhe, als alle Verbote unangenehme Dinge an- und auszusprechen.

Django wird von Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) „freigekauft“ und zu seinem Partner gemacht. Sie schließen einen Pakt. Hilft Django Schultz bei der Ergreifung dreier Ganoven, hilft der deutschstämmige Ex-Zahnarzt ihm bei der Befreiung seiner Verlobten. Einziges Problem ist Großplantagenbetreiber Calvin Candie (Leonardo DiCaprio), der nicht daran interessiert ist, Broomhilda (Kerry Washington) gehen zu lassen. So simpel der Plot auch ist, so sehr schmückt ihn Tarantino aus. Manchmal ist zu spüren, dass er 10 Jahre an dem Drehbuch gearbeitet hat. So schlägt die Handlung mitunter orientierungslose Haken, die krampfhaft nach einem passenden Ende suchen und Django Unchained mitunter recht fahrig machen. Gleichzeitig ist Tarantino aber auch auf dem Höhepunkt seiner Dekadenz angelangt. Kein Einschub, kein Umweg scheint ihm zu weit, um nicht noch rassistische Südstaatler der Lächerlichkeit preiszugeben. Mit Eleganz und Selbstvertrauen baut er auch so überflüssige wie witzige Szenen ein, wie die Diskussion eines Ku-Klux-Klan-Mobs, der fast das Lynchen über das Rumgezicke über die Qualität der Kapuzen zu vergessen droht.

Wer also einen klassischen Italo-Western erwartet, wird enttäuscht werden. Es ist ein typisches Tarantino-Conversation-Piece mit Gewaltausbrüchen geworden, das häufig und gerne die Filmgeschichte zitiert. So prahlt Django, der auch eher an Terence Hill als an Franco Nero angelehnt scheint, vor seiner Geliebten mit seinen Reitkünsten, wie es schon ein anderer in Vier Fäuste für ein Hallelujah tat, nur das diesmal das Titellied von Die rechte und die linke Hand des Teufels läuft. Django Unchained gleicht so vielmehr einem Film wie Inglourious Basterds, auch wenn die Menschen diesmal etwas andere Hüte tragen. Aber wer braucht schon aufgewärmte Filmstile, wenn er einen Tarantino in Erzähllaune auf dem Weg in eine gerechte Welt haben kann?

Das Leben und der Tod – Bram Stokers Dracula (USA 1992)

Bei der letzten Hausparty in unserer WG wurde mein Mitbewohner von drei Frauen in eine Ecke meines Zimmers gedrängt. Unter den Augen mehrerer Menschen wurde er wild und unverschämt befummelt. Hände fuhren über seinen Körper, Gürtelschnallen wurden lasziv geöffnet … und er wollte sich nur befreien, was er irgendwann auch schaffte. Später erzählte er mir, dass es unfassbar sei: ein Wunschtraum sei wahr geworden, aber als es geschah, war es nur unangenehm und er hatte nur seine Flucht im Kopf. Das Leben ist voller solcher Momente. So scheint es mir zumindest. Bilder des rauschhaften Unbehagens, die in der eigenen Phantasie nur lüsterne, sinistere Hingabe verlangen können, aber in der Realität Paralyse durch betäubende Alarmglocken hervorrufen. Die Phantasien und das Durchstehen solcher Situationen können die süßesten Erinnerungen sein, die jemand haben kann.

Bram Stokers Dracula ist eine Feier solcher Phantasien. Seien es die von Mädchen, Jungen, alten Herren oder alten Jungfern. Alle werden hier bedient und alle können ihre Lüste auf der Leinwand wiederfinden. Jeder kann sich unsittlich von den Bildern, dem Ton, den Farben, dem Rausch berühren lassen. Begehren, Körperflüssigkeiten, Selbstsucht, Schmerz, Unbehagen, trunkene Wonne delirieren vor den Augen vorbei. Ausgepresst aus den engen Fesseln der viktorianischen Welt des Verzichts spritzen sie aus den Gedanken der Männer und Frauen auf die Leinwand. Der Zuschauer wird zwangsläufig besudelt. Die Frage ist nur, ob es ihm gefällt.

Diese Phantasie erweckt eine Welt voll Verlangen und Grusel zum Leben, die das Leben selbst ist. Graf Dracula (Gary Oldman) symbolisiert dieses nicht nur, er ist es, das pure uneingeschränkte Leben. Er ist diese Energie, an die er sich festklammert, die ihn verbrennt, aber auch zum Verführer, zum Gebilde feuchter Träume macht. Er will das Leben mit all seinen Unzulänglichkeiten nicht von sich fahren lassen, auch wenn es ihn und andere auffrisst. Er verschanzt sich in eine verträumt hysterische Romantik, die aus der Zeit gefallen scheint und lockt die Wiedergeburt seiner großen Liebe (Winona Ryder) auf dem Pfad der Verderbnis oder des Glücks. Je nachdem.

Ihm steht Van Helsing (Anthony Hopkins) entgegen, der auch aus dem Film die anmutigen, würdevollen Lächerlichkeiten vertreibt, die Überblendungen, die Schattenspiele, die Farben, den kläglich prätentiösen Ton, den Rausch, das Begehren, das Leben selbst, das Dracula in jedem Bild, in jeder Szene begleitet. Van Helsing will den Tod. Er ist der Tod. Er ist die gesellschaftliche Ordnung, die Zivilisation und Ordnung bringt. Kalt erklärt er alles mit Wissenschaft. Wundern muss er sich nicht mehr. Ihn umgeben nur sittlich inszenierte Bilder, die das Leben Draculas in sieche Schreckensschemen verwandeln, aus denen alles Wilde ausgetrieben ist … mit Ausnahme des gefühllosen Wahnsinns seiner eigenen sarkastischen, makaberen Witze und Obsessionen für den Tod.

Aber wahnsinnig sind sie beide. Und wahnsinnig drehen sie sich um sich, in einem Tanz aus Verlangen und Unterdrückung, Dreck und Sauberkeit, Leben und Tod. Sie brauchen sich, weil das eine nicht ohne das andere kann. Der derwische Wirbel ihres Wahns wird sie ratlos zurücklassen. Selbst ihrer Einstellung werden sie nicht mehr sicher sein. Am Ende wird sich alles auflösen müssen.

Francis Ford Coppolas Dracula bietet eine viktorianische Welt dar, in der Frauen heiraten müssen, um ihr Leben zu erfüllen, in der Sex ruchlos ist und in der die Phantasie überschäumt. Frauen und Männer werden von Lust erfüllt, überflutet. Aus allen Poren schwemmt es aus ihnen raus und ihre Phantasie verwandelt sie in Monster, was das Ganze nur noch erregender gestaltet. Die, die sich dagegen wehren können, kämpfen so nur noch verbissener dagegen an. Nur trockener Tod scheint ihnen noch ein sinnvolles Überleben zu bieten.

Coppola erweckt diese Welt zum Leben. Er analysiert nicht. Bis ins Kleinste ist sie ausstaffiert … überschäumend von Ideen und liebevollen Schnörkeln. Verwoben, so dass sich die Widersprüche nie auflösen können. Die Phantasie des Zuschauers folgt ihm in diese Welt und verwandelt alles in einen süßen Traum, der nur für die Beteiligten vor allem Qual ist, … oder der Zuschauer sieht nur peinliche Versuche originell zu sein. Die Frage ist also, mit wem tanzen Sie?

Die Rückkehr der Apokalypse – Dredd 3D (GB/ZA 2012)

Die Zeit der Hoffnung ist vorbei. Der Fall des Eisernen Vorhangs hatte sie nach Hollywood gebracht. Aber auch darüber hinaus. Mir wurden auch noch in der 10. Klasse vor 14 Jahren die nicht enden wollenden Freuden der Sozialen Marktwirtschaft nähergebracht … nur mit leichten Zweifeln konterminiert. Der Kalte Krieg war vorüber und die Angst vor einem nuklearen Holocaust purzelte den Menschen von den Schultern. Blühende Landschaften erschienen am Horizont und das seit Ende der 70er florierende Geschäft mit postapokalyptischen Welten brach ab. Diese wurden Osteuropäern überlassen. Wenn Tarr Bela seine Menschen durch eine zerstörte Landschaft stolpern lies, dann interessierte das den Glücksbetrieb des Westens aber nur geringfügig. Dort waren inzwischen auch die düsteren Visionen der Zukunft eher rosig. Waterworld machte da weiter wohin Mad Max verkommen war und stellte nette kleine Orte aus, wo es etwas zu viel Wasser statt zu wenig gab. Terminator 2: Judgement Day vergaß die Zukunft fast vollständig. Und Judge Dredd schließlich hatte Rob Schneider, der einem kunterbunten Film den debil grinsenden Todesstoß gab.

Sicherlich hatten alle diese Filme ihre erschreckenden Phantasien einer heruntergekommenen Zukunft, aber sie waren nur vergängliche Zwischenstationen, die schon niemand mehr so richtig ernstnehmen konnte. Kevin Costner ließ sich zweimal Jesus spielen, der die Menschen aus ihrer misslichen Lage erlöste. Er und die Seinen ließen die zerstörten Menschen mit ihrer alten Welt hinter sich und begannen einfach neu. Der T-800 zerstörte sich 1992 selbst, auf dass der Alptraum des ersten Terminators nie wahr werden möge. Zu unwirklich war diese Vision inzwischen geworden. Und Judge Dredd, der protofaschistische Held schlechthin, erkannte die Verkommenheit des Polizeistaats, für den er stand. Auch er war eine messianische Figur, die die Menschen von einer Maschine befreite, von der der Film nie klar machen konnte, warum es sie überhaupt gab. Nur die Verschlagenheit einiger Einzelwesen konnte zu so etwas geführt haben. Dagegen war selbst Running Man noch düster. Die Zeiten von eisernen Ladys und eskalierenden Schauspielerpräsidenten waren wie ein Traum vergangen. Selbst Helmut Kohl erschien zeitweise fast schon als ein, wenn auch unfähiger, so doch netter alter Mann. In Twelve Monkeys taumelte die Menschheit schließlich selbstgewählt in den Abgrund. Die Welt war selbst für die Menschen zu gut geworden.

Dredd kennt solche Probleme nicht. Die Wirtschaft zerstört. Die Umwelt zerstört. Die Gesellschaft zerstört. Das Genmaterial zerstört. Die Hoffnung zerstört. Nur die Gewalt herrscht, die Macht des Stärkeren und der Wille zu überleben, warum auch immer. In einem heruntergekommenen Moloch, der sich Mega-City One schimpft und von Boston bis Washington reicht, steht die Welt in Brand. Die Judges des Justizpalastes, die Einmannarmeen, Polizisten, Richter und Henker in einem und die letzte Bastion der vergangenen Zivilisation sind, können nur 6% der gemeldeten Straftaten nachgehen. Sie haben keine Zeit für gefühlvolles Verständnis, denn es herrscht Krieg. Dieser neue Judge Dredd (Karl Urban) ist das Gesetz und er vertritt es mit eiserner Hand und skrupelloser Pistole. Er ist der feuchte Tagtraum vieler Republikaner, Tories, CDUler und der nackte Alptraum aller Hippies und jugendlicher Anarchisten. Er würde lieber erst fragen und dann schießen, aber dafür bleibt ihm selten Zeit, denn anders als in Judge Dredd wird hier die Ausgangssituation ernst genommen und nicht dafür genutzt, den Faschismus seiner Hauptfigur vorzuführen. Judge Dredd ist ein widerlicher Arsch, aber wen gibt es sonst noch? Zumindest ist er nicht die letzte Wahrheit, die sich sonst niemand auszusprechen traut. Er ist einfach nur da und jemand muss schon sehr verzweifelt sein, um in ihm die Hoffnung einer besseren Welt verkörpert zu sehen. Nicht einmal die niedergeschmetterten Menschen in Mega-City One sind so vom Leid zerfressen.

Dredd ist ein schillernder Alptraum in rauschhaft, verängstigten Bildern. Die Kamera jagt durch das Elend eines Slums, eines Hochhauses, das nur aus Dreck und kalten, heruntergekommenen Steinwänden besteht. Die Betonwüste einer Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, die manch einem so schon kalte Schauer über den Rücken jagte, ist hier vollkommen eskaliert und die einzige Wahrheit. Die Hoffnung liegt unter Äonen von Pessimismus vergraben. Doch das comichaft stilisierte 3D betont nicht die Kümmernis, sondern den Rausch des Blutes, des Selbstgerechten, des Unerbittlichen, des Irrealen. Ein Film gewordener wohlig warmer Schauer des Entsetzens.

Mit der Realität kann in dieser Wirklichkeit kaum noch jemand umgehen, weshalb der Drogenhandel floriert. „Slo-Mo“ ist die neuste Errungenschaft, welche die Zeiterfahrung auf 6% der normalen Geschwindigkeit verlangsamt. Eher zufällig landet Judge Dredd mit einer Rekrutin in dem 200-stöckigen Hochhausslum von Peach Trees und damit im Zentrum des Slo-Mo-Kartells. Drogenbaronin Ma-Ma kann den Richter nicht gehen lassen, ohne ihre Macht zu gefährden. Sie verwandelt das Hochhaus in ein Gefängnis, in dem der Krieg der Mega-City sich auf sein Wesen beschränkt. Hilflos stehen die Bewohner zwischen zwei Seiten, die sich nicht die Möglichkeit lassen, etwas anderes zu tun, als alles in Schutt und Asche zu legen. Dredd ist ein Action-Film und schwelgt im Adrenalin von Maschinengewehrfeuer und Explosionen. Doch am Rande sind sie zu sehen, die Opfer, die unter dem Stiefel dieser alptraumhaften Wirklichkeit zertreten werden. Helden gibt es keine.

Am Ende wird ein Kopf auf der Leinwand zerplatzen. Es wäre das unerbittlichste Ende, das ein Hollywood-Film je bereitgehalten hätte. Es wäre ein Abgrund, an dem auch der Kopf der Zuschauer zerschellen könnte. Kein Ausweg, nur Verdammnis. Doch Dredd läßt noch 5 Minuten Handlung folgen, die als Hauch von Hoffnung interpretiert werden können, aber im Grunde sind sie nur da, um das Erlebnis dieses Films zu verwässern, um ein Gros der Zuschauer nicht vor den Kopf zu stoßen, ihnen den Weg nach Hause zu erleichtern. Der düstere, pulsierende Nihilismus dieses Films ist aber stark genug, auch das zu verkraften, denn eines bleibt zweifellos klar: Die Zeit der Hoffnung ist vorbei.

Geifert, ihr Nonnen, ihr Exorzisten, ihr Menschen – Die Teufel (GB 1971)

Des Lebens Wirklichkeit ist zu mannigfaltig, um nur solche abstrakten
Gegensätze auszuweisen wie den zwischen einer Verzweiflung,
die vollkommen unbewußt ist, und einer, die sich des Zustandes völlig
bewußt ist. Meist freilich befindet sich der Verzweifelte, mit mannigfachen
Nuancierungen, in einem halbdunkel über seinen eigenen Zustand.

(Søren Kierkegaard)

Vor einigen Monaten hat das Britisch Film Institute The Devils von Ken Russell als aufwendige DVD-Edition mit hervorragender Bildqualität und mit einem Haufen an Boni auf den Markt gebracht. Jede Menge Arbeit haben sie sich gemacht, um den Zuschauer etwas nach dem Tod des Regisseurs zu bieten. Dokumentationen, Kurzfilme, Interviews – Informationen satt. Nur eines hat das BFI nicht geschafft: Warner dazu zu bewegen, die Lizenz für die wiederhergestellte Version von 2004 rauszurücken. Als der Film 1971 in die britischen Kinos kam, waren mehrere Szenen gekürzt worden und zwei Sequenzen entfernt. Im frankistischen Spanien wurde er verboten und in anderen Ländern (besonders der USA) noch stärker beschnitten. 2004 fand Mark Kermode eine der verschollen geglaubten Szenen und diverse andere Einstellungen. Statt nun die originalgetreuste Version zu veröffentlichen, kommt wieder nur ein altes Schwein in neuen Schläuchen auf den Markt. Bis heute scheint die Kermode-Version nur auf Festivals gezeigt worden zu sein.

Doch auch die britische X-rated Version hat es immer noch in sich und zog jede Menge Kontroversen nach sich. Nichts dergleichen war bis dahin im Kino zu sehen gewesen. Die Szenerien überschlagen sich förmlich. Eine bucklige Nonne leckt voll Lust die blutenden Wunden Christis. Eine bucklige Nonne, die sich unbewusst ein Kruzifix in die Handfläche bohrt, als sie krampfhaft versucht, ihre Leidenschaft aus sich herauszupressen, auf das ein reiner Geist zurückbleibe. Vor verdrängter Geilheit tropfende Exorzisten und Ärzte derwischen durch die irrealen Szenerien und verpassen vor Hysterie platzenden, nackt tanzenden Nonnen Einläufe, um sie vor Satan zu retten. Diese Geschichte, die auf realen Geschehnissen basiert, wird wie eine perverse Zirkusdarbietung behandelt. 8 Meter große Türen, die mit Popartkreuzen versehen sind, bestücken ein Gefängnis. Wohl nicht nur 1634 waren solche Pforten nirgends zu sehen. Viele letzte Ecken von Unschuld im Kino wurden aufs Gröbste geschändet. Für viele war es kaum auszuhalten. Anderen kam es einer Befreiung gleich. Als ich The Devils das erste Mal sah, war ich niedergeschmettert, angewidert und perplex. Ich hatte mit 18 erst angefangen zu begreifen, was es abseits des Mainstreams für Filme gab und dann landete ich in solch einem Film. Es war wundervoll. Nach diversen Sichtungen konnte ich die meisten Dialoge mitsprechen.

Hysterie und Wahnsinn sind die zentralen Punkte von The Devils, mit denen wahrscheinlich jeder zuerst konfrontiert wird … in den Berichten und in der eigenen Wahrnehmung. Doch unter der Raserei und dem Gore, welche einen förmlich anspringen, liegt ein riesiger Reichtum verborgen. Die Oberschwester des Frauenklosters (Vanessa Redgrave) von Loudun denunziert aus Eifersucht einen charismatischen, promisken Priester (Naturgewalt Oliver Reed). Er sei ein Diener des Teufels. Kardinal Richelieu und seine Handlanger nehmen diese Anklage dankbar auf. Der Kardinal will Frankreich unter seinen Fittichen zentralisieren und in Loudun, dem Tor zu Westfrankreich, trifft er auf den Widerstand in Form dieses Priesters. Die intrigante Machtpolitik, die mehr auf Neid und Heuchelei baut, als auf reale Anschuldigungen, wird genauso entlarvt wie die weltfremde Vergnügungssucht des Hofes. Im Kloster herrscht der kalte Zwang zur Reinheit/Keuschheit und folglich zieht eine Atmosphäre von Geilheit und Selbstgeißelung durch die Gänge. Damit sind die Nonnen die Versinnbildlichung der Zustände in der Stadt und gleichzeitig deren Spiegel. Denn in der Stadt steht Priester Urbain Grandier den Eiferern und Quacksalbern im Weg und kann sie in Zaum halten. Sie fühlen sich in ihrem eitlen (Erfolgs-)Wahn unterdrückt. Der eintreffende Hexenjäger verändert das alles. Er schreit jeden nieder, der auch nur einen rationalen Gedanken äußert und damit nicht im Einklang mit seinem lüsternen Kampf gegen die Lüsternheit ist. Er hat Erfolg, weil er all diesen unterdrückten Sehnsüchten und Selbstgerechtigkeiten die Möglichkeit zum Ausbrechen gibt. Die Nonnen beginnen, sich in ihrer Lust zu suhlen. Da sie vom Teufel besessen seien, können sie ja auch nicht anders. Unter dem Deckmantel der göttlichen Gerechtigkeit kann jeder seinen privaten Begierden nachgeben. Aus den Menschen wird ein Haufen geifernder Schakale … zum Nachteil aller. Und mitten in diesem Karussell der ausbrechenden Lüste steht Ken Russell wie ein Hexenmeister. Die Dimension, die Politik, die Religion, die Suche nach Glück, die Unterdrückung, das Ausbrechen, Pest, Quacksalbertum, Liebe, Neid, Eifersucht, Phantasie, Realität und so weiter, diese Heuschrecken hält er an der Kette. Von außen sehen sie kompakt aus, wie eine Wand. Aber wehe jemand landet in seiner Meute. Mannigfaltig werden die Angriffe sein … in denen er selbst für die zarten Momente des Glücks Platz findet.

The Devils wird im Grunde durch einen einfachen Gegensatz zusammengehalten. Auf der einen Seite stehen die Menschen, die sich ihrer Hemmungen entledigen und gerade ihren schlimmsten Fehlern erliegen, weil sie sich ihre Fehlerhaftigkeit nicht eingestehen wollen. Wie sehr sie fehlen, wird aber erst durch Grandier sichtbar. Jesusgleich wandelt er durch die Geschehnisse und kämpft nicht nur für die Freiheit seiner Mitbürger, sondern auch für seine eigene innerhalb der (katholischen) Kirche. Ohne Berührungsangst schläft er mit den jungen Frauen der Stadt. Er vertraut auf einen vergebenden Gott und hat folglich keine erdrückende Zweifel an seinem Seelenheil. Kierkegaards Krankheit zum Tode hat bei ihm keine Chance. Er hält seiner prüden Umgebung einen Spiegel vor, in dem er seine Fehlerhaftigkeit akzeptiert und damit zum Besten aller Menschen wird, ein großartiges Charismamonster, an dessen Lippen jeder hängt, neben dem jeder kläglich erscheint. Wie fair das ist, möge jeder selbst entscheiden, auf jeden Fall ist es effektiv. Denn gerade wenn die Passionsgeschichte des Priesters beginnt, fängt der Zirkus seiner Mitmenschen erst an wirklich garstig zu wirken.